Montag, 29. Januar 2024

Parolen aus dem Koffer: Ein Projekt des ILEX-Kreises mit einer Ausstellung von Manfred Blieffert

(Texte & Interwievs: Heiko Schulze & Kalla Wefel / Fotos: Manfred Pollert / Technik & Gesamtgestaltung: Kalla Wefel)
Teil 11 der OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens*

Parolen aus dem Koffer

Ziemlich genau vor einem Jahr klingelte mein Telefon und jemand vom ILEX-Kreis, war es Hartmut Böhm oder Martina Sellmeyer, ich weiß es nicht mehr,  meldete sich bei mir, und fragte an, ob ich als bildender Künstler mit in das Projekt „Parolen aus dem Koffer“ einsteigen wolle.

Der ILEX-Kreis, außer den beiden Genannten noch Heiko Schulze und Dieter Przygode, die Autoren der Reihe „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ der OS-, forscht seit Langem zu Personen aus Osnabrück, die in irgendeiner Weise Widerstand gegen das diktatorische Naziregime geleistet haben. ILEX war das Pseudonym von Josef Burgdorf, dem Schriftleiter der SPD-Zeitung Freie Presse, der unter diesem Namen satirische Glossen gegen die Nazis verfasste. Bekannt ist das Foto, auf dem er ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin ILEX“ tragen muß, und umringt von SA-Schlägern, durch die Stadt getrieben und misshandelt wird.


Zeitzeuge gab das Stichwort

„Parolen aus dem Koffer“ – der Titel des Projektes bezieht sich auf einen Bericht des Widerstandskämpfers Ludwig Landwehr, der mit einem mit Mennige gefüllten Koffer Parolen auf das Osnabrücker Straßenpflaster gestempelt hat. Wurde nachts gestempelt, war die Farbe am nächsten Morgen so gut abgetrocknet, dass sie nur mit Mühe zu beseitigen war.  Von diesen waghalsigen Taten hat er noch Heiko Schulze persönlich berichtet, und das war der Ausgangspunkt der Anfrage an mich: Ob ich wohl so einen Koffer bauen könnte.

Von dieser Herausforderung, von diesem Projekt, von dieser Zusammenarbeit war ich sofort begeistert. Was mag Ludwig Landwehr wohl gestempelt haben? Technisch bedingt sicherlich nur kurze Parolen, wie „Hitler = Krieg“ oder „Nieder mit Hitler“. Was sollte nun heute, 90 Jahre danach, gestempelt werden? Ausgehend von der Tatsache, dass über die mehr als 100 Personen, die die Forschungsarbeit des ILEX-Kreises zutage gebracht hat, zum Teil fast nichts bekannt ist, entstand der Gedanke, das Projekt unter die Überschrift „Wer war….?“ zu stellen, und einige Namen der vergessenen Widerstandskämper*innen damit zu stempeln.


Vorüberlegungen

Ein großer Koffer war schnell gefunden. Er wurde versehen mit einer in den Boden eingelassenen Tupperdose. Ein dickes Schaumstoffstück diente als Stempel, aus dem spiegelverkehrt die Namen herausgeschnitten werden mussten. Wiederum technisch bedingt fiel die Auswahl auf möglichst kurze Namen, Anton Sierp, Alida Jans und Henry Brandt.  Die Tupperdose wurde durchlöchert und sorgfältig mit dem Schaumstoffstempel vernäht. Jetzt galt  es, die richtige Konsistenz der Farbe herauszufinden. Der Stempel musste die Farbe aus der Tupperdose gut aufnehmen und wieder abgeben können. Die Farbe durfte aber nicht so dünn sein, dass sie neben dem Buchstaben aus der Tupperdose heraustropfte. Und welches Bindemittel und welches Pigment sollte verwendet werden? Umweltschutzgedanken spielten mit in die Auswahl hinein, ebenso rechtliche Bedenken. Daher sollte es ein Bindemittel sein, dass wasser- bzw regenlöslich sein sollte, also nicht auf ewig halten würde, zum Beispiel Bier oder Milch. Dies würde auch den Aspekt des schnellen Vergessens über das Handeln der Widerständler*innen wiederspiegeln.

Ihre Namen wären auf dem Osnabrücker Straßenpflaster zu lesen, und die Schriftzüge würden verschwinden, so wie das Wissen über diese aufrechten Menschen verschwunden ist. Ein anderes Konzept als das der auch in Osnabrück verlegten Stolpersteine des Künstlers Gunter Demning. Welches Pigment? Tests mit Kreide ergaben kein befriedigendes Ergebnis. Schließlich fiel die Entscheidung auf mit Wasser verdünnte Fingerfarbe für Kleinkinder ab 3 Jahren. Hier war davon auszugehen, dass es sich um ein für die Gesundheit  und Umwelt unschädliches Material handeln würde. Und wo wäre mit der Aktion zu beginnen? Jahreszeitlich bedingt fanden die ersten Aktionen unter Eisenbahnunterführungen statt, Limberger Straße und Buersche Straße und eine zweite Aktion unter den Unterführungen im Arbeiterviertel Schinkel, an den Brücken der sogenannten Schinkelkurve.


Merkwürdige Stimmung beim Umsetzen

Eine merkwürdige Stimmung begleitete mich. 90 Jahre zuvor eine lebensgefährliche Aktion, und heute? Was sollte mir passieren? Ich hatte nichts zu verheimlichen, und doch kam ich mir selbst merkwürdig vor. Projektionen in die Zeit von 1933 stellten sich ein. Was wäre, wenn mich jemand aus meinem Bekanntenkreis getroffen hätte, damals, vor 90 Jahren. „Wohin denn mit dem schweren Koffer?…. Zum Bahnhof?…. Wohin soll es denn gehen?…. Ach, da fahre ich auch hin, da können wir ja zusammen fahren…“ und so weiter. Was wäre, wenn ein Nachbar gesehen hätte, dass jemand mit einem Koffer das Haus verlässt und ein paar Stunden später mit dem gleichen Koffer wieder zurückkommt? Überhaupt der Bau dieses Kofferstempels. Wochenlang stand er im Atelier, wochenlang die Tests mit  der Konsistenz der Farbe. Wo hätte denn damals ein solcher Koffer entstehen können? Wie sollte ein so großer Koffer versteckt werden?


Mehr als nur ein Koffer – und eine aufmüpfige Inbesitznahme

Außer den Aktionen mit dem Koffer wurden verschiedene andere überlieferte Techniken nachempfunden.

Es gibt Berichte von einer Planke, die in einem offenen  Dachbodenfenster so platziert wurde, dass auf der Straßenseite ein Stapel Flugblätter lag und auf der Innenseite ein mit Sand gefüllter Eimer die Waage hielt. Dieser Eimer war mit einem Loch im Boden versehen, so dass nach einer gewissen Zeit soviel Sand herausgerieselt war, dass die Planke sich zur Straßenseite senkte und die Flugblätter auf das Straßenpflaster segelten. Derjenige, der diese Konstruktion installiert hatte, hatte sich aber mittlerweile längst in Sicherheit bringen können. Ein erster Test für diese Aktion fand auf dem Heger Tor statt, ein zweiter Test  vom Baugerüst an der Villa Schlikker. Historisch gesehen natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, aber in der Zeit der Diskussion um die Namensgebung der Villa, in der der ILEX-Kreis ja in gewichtiges Wort mit eingebracht hat, etwas wie eine aufmüpfige Inbesitznahme.

Auf verschiedene Weise wurden Informationen geschmuggelt, in Miniaturschrift auf Zigarettenpapieren, als hinterlassene Zettel in Gesangsbüchern in Kirchen, an Luftballons bei Westwind aus den noch freien Niederlanden, in Fahrradschläuchen ebenso an der Grenze zu den benachbarten Niederlanden.


Ausstellung im Augustaschacht startet am 10. September

All diese Aktionen sind in einer Ausstellung im Augustaschacht, die am Sonntag, 10. September, um 11 Uhr eröffnet wird, dokumentiert. Zur Ausstellung erscheinen ein bebildertes Projekttagebuch und die Internetseite https://parolen-aus-dem-koffer.jimdosite.com , die spätestens zur Eröffnung online geht.

Auf dem YouTube Account von Manfred Blieffert ist ab dem 10.09. zusätzlich eine filmische Projektcollage zu sehen. Zur Eröffnung sprechen nach der Begrüßung durch den Geschäftsführer des Augustaschachts Dr. Michael Gander,  Adrian Schäfer, Bürgermeister der Gemeinde Hasbergen, Heiko Schulze für den ILEX-Kreis sowie Manfred Blieffert zur Ausstellung. Die Musiker Andreas Müller, Bass, und Dillen, Gitarre und Elektronik, tragen eine musikalische Improvisation zur Ausstellung bei.

Die Ausstellung läuft bis zum 10. März 2024.

Während der Ausstellungslaufzeit erscheint das Buch des ILEX-Kreises: Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit 1933 – 1945 36 Schicksale, basierend auf der gleichnamigen Serie des Online-Magazins Osnabrücker Rundschau

Termine für Lesungen, eine Fahrradrallye oder Ausstellungsgespräche erscheinen in der Tagespresse, der Osnabrücker Rundschau und auf der Homepage zur Ausstellung.


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*Die 14-teilige OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens wird gefördert vom Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück.

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