Sonntag, 7. Januar 2024

Toleranz aus Kupfer und Stahl (mit ausgezeichnetem Kurzfilm)

(Texte & Interwievs: Heiko Schulze & Kalla Wefel / Fotos: Manfred Pollert / Technik & Gesamtgestaltung: Kalla Wefel)
Teil 14 der OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens*

Bandau-Skulptur verdient mehr als achtloses Vorbeischlendern

Unmittelbar vor dem Osnabrücker Theater und unweit des Domes erwartet Umherstreifende nicht unbedingt etwas, das Neugierde auf das Bühnengeschehen schärft oder zum Kirchgang einlädt. Oder vielleicht doch? Oft unbeachtet bleibt jene Skulptur zwischen Dom und Theater, die zwar abstrakt wirkt, im Kern aber sehr viel mit den Impulsen der Friedensstadt Osnabrück zu tun hat. “Gleiches Gewicht – Gleichgewicht” heißt das 22 Tonnen schwere Werk des Bildhauers Joachim Bandau auf dem Theatervorplatz, der seit 2010 Platz der Deutschen Einheit heißt. Der letzte Beitrag unserer OR-Reihe widmet sich bewusst einer Variante der „Kunst im öffentlichen Raum“, der eine nachhaltige Zukunftsbotschaft innewohnt – also dem Motto aller öffentlichen wie bürgerschaftlichen Aktivitäten im jetzigen Oktober. Mit der folgenden Betrachtung schließt unsere 14teilige Serie zum Friedensjubiläum. 


Hausaufgaben eines Künstlers

„Rot-Grün für die Ewigkeit“ lautete im Oktober 1998 die Schlagzeile, mit der die Wochenzeitung „Osnabrücker Nachrichten“ das neu aufgestellte Kunstwerk vorstellte. Man schrieb den 7. Oktober 1998, als die Skulptur feierlich enthüllt wurde. Der Künstler war kein Unbekannter: Joachim Bandau (Jahrgang 1936) war und ist ein bekannter zeitgenössischer deutscher Bildhauer, Maler, Grafiker und ehemaliger Hochschullehrer an der Kunstakademie Münster. Souverän hatte er sich in einem von der Stadt Osnabrück und der Herrenteichslaischaft ausgelobten Wettbewerb gegen die Arbeiten vier weiterer hochrangiger Künstler durchgesetzt. Definiert worden war der künstlerisch umzusetzende Begriff der Toleranz in den damaligen Wettbewerbsbedingungen.

Ausgedrückt werden sollte danach »sowohl die religiöse, die nationale, die ethnische, die soziale, geistige, als auch künstlerische Toleranz, die nicht nur im ursprünglichen Wortsinne eine Duldung oder Erduldung des Anderen bedeutet, sondern letztlich eine Akzeptanz des Anderen impliziert. Das hierfür zu schaffende Kunstwerk sollte inhaltlich die aktive Auseinandersetzung und Wahrnehmung mit anderen Kulturen bzw. Denkweisen, d.h. das Verschiedenartige als das eigene Leben Bereichernde beinhalten.«

Viel hatte alles mit dem vormaligen Jubiläum des Westfälischen Friedens zu tun, der sich anno 1998 zum 350. Male gejährt hatte. In jener Zeit hatten sich Stadt und Herrenteichslaischaft nach langer Debatte darauf verständigt, den Theatervorplatz gemeinsam attraktiver umzugestalten. Im Zentrum des Platzes sollte eine anspruchsvolle Skulptur stehen, die zugleich das vorgegebene Motto “Toleranz” widerspiegelt.


Betrachtungen und Deutungen

Beginnen wir mit der äußerlichen Betrachtung: Die abstrakt gehaltene Skulptur verbindet zwei metallische Elemente. Sie setzt sich aus einer rechteckigen Form aus weichem Kupfer sowie einem Halbkreiselement aus hartem Stahl zusammen. Gestützt auf ein unverrückbares Gewicht von elf Tonnen stehen Stahl und Kupfer in einem miteinander verbundenen Gleichgewicht: Sie halten sich gegenseitig. Und trotzdem bewahren sich beide Elemente ihre Eigenständigkeit.

Dass die Skulptur hier und nirgends anders zu finden ist, hat mit dem Gesamtambiente des Platzes zu tun. Wer sich vor dem Werk stehend umschaut, blickt auf das im Jugendstil erbaute Theater, den romanischen Dom und auf die klassizistische Bischöfliche Kanzlei, die einmal Regierungssitz des Fürstbistums Osnabrück war. Der Standort bildet zugleich so etwas wie die Nahtstelle zwischen der bischöflichen Einflusssphäre und dem bürgerlich-protestantischen Bereich, der in Richtung Theater und zum weiter entfernten Rathaus weist. Das Werk hält beide Räume in diesem Sinne symbolisch im Gleichgewicht. Zugleich, und das macht die Beziehung zum Westfälischen Frieden deutlich, erinnert der Künstler Bandau damit bewusst an die konfessionellen Konflikte zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die mit dem Friedensschluss deutlich gemindert wurden. Und heutzutage erinnert das Werk heftiger denn je daran, wie wichtig es im multikulturellen Deutschland ist, Menschen unterschiedlicher Nationen, Kulturen, Religionen und Weltanschauungen im Geiste der Toleranz und des Gleichgewichts miteinander eine gemeinsame Zukunft formen zu lassen.

Im Buch „Kunst im öffentlichen Raum“, in dem das Werk hervorgehoben wird, brachte seinerzeit schon der 2013 in Osnabrück verstorbene Kunsthistoriker Martin Damus auf den Punkt, welche Appelle mit dem Werk verbunden sind. Zugleich stellte er eine Parallele zur Nachbarstadt Münster dar. Die Skulptur sei, schreibt er, der „ … Versuch einer ungegenständlichen Versinnbildlichung von Toleranz. Für Münster schuf Eduardi Chillida 1993 das dem gleichen Anlass gewidmete Denkmal „Toleranz durch Dialog“, das aus zwei einander gegenüberstehenden Stahlskulpturen besteht, die an Bänke erinnern.“

Die Osnabrücker Kunsthistorikerin Elke Hergert (Jahrgang 1944), von 1996 bis 2010 Professorin für Theorie und Praxis der Malerei an der Universität Osnabrück, schrieb seinerzeit im Oktober 2003 erschienenen Osnabrücker Jahrbuch „Frieden und Wissenschaft“:

„Die Erkenntnis, dass es für das vielschichtige Thema ›Toleranz‹ keinen allgemeingültigen bildlichen Ausdruck gibt, führte dazu, dass gerade die Skulptur in ihrer abstrakten Form ein Zeichen setzen kann, das in seiner Schwere und Präsenz, aber auch in der Dauerhaftigkeit der Materialien deutlich macht, wie wichtig und zeitlos das Thema ›Toleranz‹ ist und dass die Skulptur in ihrer abstrakten Form Beispiel sein kann für praktisch geübte Toleranz.“

Die Skulptur ist somit keinesfalls als Dekoration oder optische Verstärkung für die umliegenden Gebäude gedacht. Sie muss sich ihren eigenen Platz und Raum schaffen, um den Dialog mit dem Umfeld – und damit auch mit querenden Menschen, zu eröffnen.

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Gegenseitiges Stützen: ganz wie im solidarischen Zusammenleben

Beide Teile der Skulptur sind so miteinander verbunden, dass sie sich gegenseitig halten, aber trotzdem die Eigenständigkeit jedes Elementes unangetastet bleibt. Es herrscht also keine künstlich übergestülpte Gemeinsamkeit, sondern bestimmend ist die Toleranz für beide Elemente, Element zu bleiben. Kann man die zwischenmenschliche Toleranz und Solidarität besser auf den Punkt bringen?

Ebenso hat Bandau Materialien und Stoffe gewählt, die ein unterschiedliches Oxydationsverhalten beider Materialien präsentieren. Wie schrieb Elke Hergert vor 20 Jahren richtigerweise?

„Der Stahl nimmt die rot-braune Rostfarbe an, während das Kupfer im Laufe der Zeit eine oxydgrüne Oberfläche erhält. Dieser aus der Materialfarbe entstehende Farbkontrast wird von Bandau bewusst in die künstlerische Wirkung der Form aufgenommen, um die eigene Qualität der Werkstoffe, ihre Struktur, ihre Dichte und Farbigkeit hervorzuheben. Gleichzeitig wird die sich mit der Zeit verändernde Haut bzw. Oberfläche der Metallstücke in ihrer unterschiedlichen Wirkung für den Betrachter auch sinnlich erfahrbar.“

Jahrzehnte weiter hat sich die damalige Prognose zum Aussehen des Werkes immer wieder bestätigt. Dies wird weiter so sein. Wie unsere Menschheit eben, die in allen Gesellschaften einem stetigen Wandel unterworfen ist und ständig wieder neu lernen muss, diesen Wandel im Friedlichen zu tolerieren.

“Gleiches Gewicht – Gleichgewicht”. Am Ende dieser Deutungsversuche wissen Lesende womöglich etwas mehr über die Zielsetzung des Künstlers und all derer, die ihm die Platzierung seines Werkes an diesem Ort ermöglicht haben. Während dieser Artikel im Internet erscheint, beobachten wir allerorten ein Erstarken rechtsextremer und faschistischer Kräfte, die absolut nichts mit einem Gleichgewicht der Kräfte, noch weniger mit Toleranz zu tun haben wollen. Halten wir gemeinsam dagegen! Kunst, die, wie Bandaus Werk, einen solidarischen Toleranzgedanken stärkt, kann uns viel dabei helfen.

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*Die 14-teilige OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens wird gefördert vom Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück.

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