Freitag, 18. Oktober 2024

Ein Tag in Auschwitz

Eindrücke, die unvergesslich bleiben

Es war unser dritter Versuch. Schon vor etlichen Jahren standen wir im Hamburger Flughafen, hatten bereits alle Formalitäten erledigt, um in den Flieger nach Krakau zu steigen. Hotels waren gebucht, ebenso ein Mietauto, um damit von Krakau nach Auschwitz zu fahren. Auch der Flieger stand schon am Gate. Der Flug wurde trotz allem kurzfristig gestrichen, weil die Fluggesellschaft keine Crew für den Flieger zur Verfügung hatte. In diesem Jahr plante der Städtepartnerschaftsverein Bramsche eine Busfahrt nach Polen, die auch Krakau und Auschwitz im Programm hatte. Diese Fahrt fiel wegen zu geringer Beteiligung aus. Kurzerhand hatte mein Freund Peter, der mich schon vor über zehn Jahren nach Argentinien begleitet hatte, nach einer Alternative gesucht und sie gefunden: an jenem Samstag, an dem die deutsche Fußballnationalmannschaft ihr Achtelfinalspiel der Euro 2024 in Dortmund bestreiten sollte, flogen wir schließlich von Dortmund nach Krakau und kamen dort so rechtzeitig an, dass wir das Spiel in der Hotelbar live sehen konnten.

Kraków (so der polnische Name) an der Weichsel, Polens längstem Fluss, mit seinen erhalten gebliebenen alten Häuserfassaden, ist eine Stadt, die zu besuchen sich lohnt. Jahrhundertelang galt die ehemalige Residenzstadt der polnischen Könige als kulturelles, geistiges und wissenschaftliches Zentrum Polens. Die herausragende Stellung dieser Stadt wird in den Katakomben der Kathedrale auf dem Wawel, dem Schloßberg, deutlich, wo zahlreiche bedeutende polnische Persönlichkeiten bestattet sind. Neben verschiedenen polnischen Königen sind dort Wladyslaw Sikorski, polnischer Ministerpräsident der Exilregierung Polens während des 2. Weltkriegs, beigesetzt und zuletzt der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski, der 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.


Krakóws Jüdisches Viertel

Von unserem Hotel im Stadtteil Kazimierz sind es nur wenige Gehminuten bis zum Jüdischen Viertel mit seinen Synagogen und jüdischen Friedhöfen, in dem man auch heute wieder vielen Menschen mit Kippa begegnet. Aber auch die Vielfalt an Restaurants, kleinen Cafés und Geschäften lockt vor allem junge Leute und Künstler an und weist eine gewisse Ähnlichkeit auf mit der alternativen Szene in und um Berlins Prenzlauer Berg vergangener Zeiten. Wer will, kann sich aber auch die touristisch ausgerichtete Altstadt ansehen, wo man darauf achten sollte, dass man nicht mit den zahlreichen Fiakern kollidiert, die hier neben den mehrsitzigen, offenen Touristenmobilen unterwegs sind. Oder Schindlers Emaille-Fabrik aus Spielbergs Film „Schindlers Liste“. Kraków ist aber auch der ideale Ausgangspunkt für einen Trip nach Auschwitz, dem berüchtigten Konzentrations- und Vernichtungslager. Und genau das ist der zentrale Punkt in unserem Reiseprogramm.


Bus nach Oswiecim

Über „GetYourGuide“ haben wir schon im Vorfeld online für den Montag die Tour in Auschwitz gebucht. Mit Abholung vom Hotel und deutscher Führung… Moment mal, „deutsche Führung“ und dann noch an einem Ort, wo Millionen Menschen auf Befehl eben dieses deutschen „Führers“ extreme Qualen erleiden mussten oder ermordet worden sind, klingt – milde ausgedrückt – missverständlich. An besagtem Montag warten wir an der ulica Krakówska vor dem Hotel, einer mäßig befahrenen Straße, die auch von der Straßenbahn genutzt wird und gerade von der Linie Richtung Plaszow passiert wird. Übrigens: In Plaszow gab es auch ein Konzentrationslager, das in dem Film „Endlich Tacheles“ eine wichtige Rolle spielt, der am diesjährigen Holocaust-Gedenktag in Bramsche gezeigt wurde. (dazu ein Link mit dem Bericht aus der OR)

Pünktlich um 11 Uhr hält ein Kleinbus vor dem Hotel, der uns abholt und ein paar Straßen weiter vor einem Hotel noch weitere Wartende mitnimmt. Auf Englisch erfahren wir von dem Tour-Begleiter, dass die Fahrt bis Oswiciem mit dem ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, das etwa 60 Kilometer westlich von Kraków liegt, ca. eineinhalb Stunden dauern wird. Unterwegs beginnt es leicht zu regnen, aber als wir in Auschwitz ankommen, hat der Regen aufgehört, aber es bleibt bewölkt. Es werden Gruppen gebildet für die verschieden-sprachigen Führungen, die man an den verschieden-farbigen Aufklebern erkennt.

„ARBEIT MACHT FREI“ prangt zynisch über dem Tor zum ehemaligen Stammlager Auschwitz
„ARBEIT MACHT FREI“ prangt zynisch über dem Tor zum ehemaligen Stammlager Auschwitz.

Im Stammlager

Unser deutschsprachiger Guide, eine Frau mittleren Alters mit Namen Evalina, weist unsere Gruppe ein: zunächst werden wir mit dem Bus zum Stammlager Auschwitz gefahren. Es ist alles perfekt und nahezu minutengenau durchorganisiert: um 13:50 Uhr wird unsere Gruppe hereingelassen und am Eingang kontrolliert, ähnlich wie am Flughafen. Anschließend wird jeder Einzelne mit Kopfhörer und Audiogeräten ausgestattet, damit wir die Erzählungen von Evalina gut verstehen können. Nach einem Gang entlang von schräg stehenden grauen, mehrere Meter hohen Betonwänden, die ein wenig an das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück erinnern, sehen wir die ersten rot-geklinkerten Gebäude, die alle von Gefangenen gebaut worden sind, wie wir erfahren. Als wir das bekannte Eingangstor mit dem zynischen Spruch „ARBEIT  MACHT  FREI“ passieren, werden wir darauf hingewiesen, dass die Gefangenen, die das Eisentor gebaut und dabei das „B“ falsch herum montiert haben, eine mutige Form von Widerstand. Es ist die einzige Stelle, an der das Stammlager betreten und verlassen werden konnte.


Relikte des Schreckens 

Wie zufällig kommen wir an der Erschießungsstätte des Stammlagers vorbei, die im Lagerjargon als „Schwarze Wand“ bezeichnet wurde. Sie befindet sich zwischen Block 10 und 11.  Die kompakte Masse der durchweg zweistöckigen, eng aneinander stehenden Baracken wirkt irgendwie erdrückend. Zusammen mit den Wachtürmen und den Stacheldrahtabsperrungen, vor denen Schilder mit einem Totenkopf und der Aufschrift warnen „Vorsicht Hochspannung, Lebensgefahr!“ und auf denen darunter zweisprachig „Halt! Stoj!“ zu lesen ist, ergibt sich ein Bild des visualisierten Schreckens.

Lagerzaun mit Warnschild auf Deutsch und auf Russisch
Lagerzaun mit Warnschild auf Deutsch und auf Russisch.

In einem der Gebäude, die wir uns auch von innen ansehen, können wir die perverse deutsche Gründlichkeit der Vernichtungsarchitektur betrachten, die den industriellen Massenmord zum Ziel hatte, und nicht nur das: neben Modellen von Gaskammern und Krematorien sehen wir, Räume mit Bergen von Koffern mit weiß aufgemaltem Namen, riesigen Haufen von abgeschnittenen Haaren, haufenweise Kämme und Brillen, aufgetürmte Kleidungsstücke und Hüte. Und Schuhe, darunter viele Kinderschühchen, deren Betrachtung einen noch mehr erschaudern lässt. Evalina lenkt unsere Augen auf ein einzelnes Paar Kinderschuhe in einer separaten Glasvitrine. Hier hätten Mitarbeitende im Zuge der Konservierungsarbeiten der Schuhe in der Einlegesohle den Namen eines Kindes entdeckt und diese Schuhe zuordnen können. Es ist kaum zu ertragen zu sehen, mit welcher Akribie die deutschen Machthaber die Menschen nicht nur töteten, sondern sie auf diese Weise förmlich schändeten. Diese Habseligkeiten wurden in der Regel in der Kriegsmaschinerie verwendet. Was in Auschwitz zu sehen ist, sind wohl nur jene Sachen, die von den letzten Transporten stammen.

Die Koffer der Ermordeten, zum Teil mit der Aufschrift des Namens
Die Koffer der Ermordeten, zum Teil mit der Aufschrift des Namens.

Auf den Spuren eines Osnabrücker SS-Arztes

Ein Schriftzug über den Eingang zu Block 21 erzeugt ein Kopfschütteln: „Häftlings-Krankenbau, Schonungsblock“ steht da in weiß auf schwarzer Glasplatte drüber. Ein Zynismus sondergleichen. Als wenn es den Schlächtern mit Doktortitel aber ohne Ethik irgendetwas ausgemacht hätte, welche Qualen die Menschen zu erleiden hatten. Die oft für sie nichts anderes waren als „Versuchstiere“ und die sie auch so „behandelten“ – wie Tiere. In diesem Zusammenhang muss ich an eine Artikelserie der Freien Presse aus dem Dezember 1964 denken, wo darüber berichtet wurde, dass vor 60 Jahren über 20 Juristen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses hier gewesen sind, begleitet von vielen internationalen Journalisten und Fotografen. Von den damals insgesamt 20 Angeklagten, die der Mittäterschaft an dem millionenfachen Massenmord beschuldigt wurden, war allerdings nur einer dabei: Dr. Franz Bernhard Lucas, ein gebürtiger Osnabrücker und ehemaliger SS-Arzt, der in Auschwitz tätig war. Das Gericht wollte sich vor Ort davon überzeugen, dass jeder SS-Mann, der im Lager Auschwitz eingesetzt war, mitbekommen haben musste, wenn hier unschuldige Menschen erschossen, aufgehängt oder vergast wurden. Lucas habe sich „während der ganzen Zeit in der hinteren Reihe“ gehalten und sei „mit gesenktem Haupt durch das Lager“ gegangen, „an der schwarzen Wand spielte er nervös an seinem Hut.“

Foto links: Der Eingang von Block 19, der zynisch als Schonungsraum bezeichnet wurde. Rechts: Erinnerung an Menschen aus dem Osnabrücker Raum: Else Hess, Frieda Meyer und Sonja Meyer, die in dem Wäldchen im Hintergrund am 5. November 1942 ermordet wurden ebenso wie Isidor Frank und Ruth ten Brink
Foto links: Der Eingang von Block 19, der zynisch als Schonungsraum bezeichnet wurde. Rechts: Erinnerung an Menschen aus dem Osnabrücker Raum: Else Hess, Frieda Meyer und Sonja Meyer, die in dem Wäldchen im Hintergrund am 5. November 1942 ermordet wurden, ebenso wie Isidor Frank und Ruth ten Brink.

Wie damals vor 60 Jahren sind auch wir anschließend zum Lager Birkenau gefahren. Nach zehn Minuten Fahrt, einem anschließenden Toilettengang im Park-Center dort und einem etwa 100 Meter langen Fußmarsch erreichen wir den Eingangsbereich vom Lager Auschwitz-Birkenau mit seinem markanten Eingangstor. Forschen Schrittes begeben wir uns entlang der Bahngleise in Richtung Rampe, wo Evalina uns erklärt, was bei der Ankunft eines Deportationszuges abgelaufen sei. Aber ich kann mich nicht mehr richtig auf ihre Worte konzentrieren … Meine Gedanken schwirren um die Geschehnisse im November 1942. Am 2. November werden im niederländischen Judendurchgangslager Westerbork insgesamt über 900 Männer, Frauen und Kinder, allesamt Juden, in einen Zug aus Güterwaggons gedrängt, der mit dem Ziel „Auschwitz“ den Bahnhof verlässt. Mit dabei Julius und Frieda Meyer aus Badbergen mit ihrer dreijährigen Tochter Sophie Sonja und Else Hess aus Osnabrück, die Schwester von Julius Meyer. Der Zug fährt zum Grenzbahnhof Nieuweschans und dann auf deutscher Seite weiter über Hannover – Berlin – Breslau – Kosel nach Auschwitz. In Kosel wird ein Zwischenstopp eingelegt, wo Julius Meyer und andere „arbeitsfähige“ Männer aus dem Zug geholt werden, um in einem nahe gelegenen Durchgangslager Zwangsarbeit zu verrichten. Kurz darauf fährt der Zug weiter und kommt am 5. November auf einem Nebenabstellgleis, der so genannten „alten Judenrampe“, des Güterbahnhofs in Auschwitz-Birkenau außerhalb der Lagerumzäunung an. Heute, über 80 Jahre später, stehe ich vor genau diesen Gleisen …

Die sogenannte „alte Judenrampe“ in Auschwitz-Birkenau
Die sogenannte „alte Judenrampe“ in Auschwitz-Birkenau.

Deportierte aus dem Osnabrücker Land

Nach fast vier Tagen Fahrt unter menschenunwürdigen Bedingungen wurden die Waggontüren von außen geöffnet, wie es einer der Beteiligten später beschrieben hat. Die bedauernswerten Menschen waren kaum fähig sich zu bewegen und die Waggons zu verlassen. Alte und kranke Menschen und auch die Leichen der auf der Fahrt Gestorbenen wurden von SS-Männern der Lager-Fahrbereitschaft auf Lkw verladen und abtransportiert. Die übrigen mussten sich, die Männer von Frauen und Kindern getrennt, auf der Rampe aufstellen, jeweils in Fünferreihen nebeneinander. Nun begann ein SS-Arzt, die Arbeitsfähigen von den seiner Meinung nach Arbeitsunfähigen zu trennen. Im Lagerjargon nannte man das „Selektion“, die SS sprach von Rampendienst. Die Arbeitsfähigen wurden ins Lager geschickt. Mit dem Transport, der am 5. November 1942 in Auschwitz ankam, waren über 954 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Lager Westerbork in Auschwitz eingetroffen. 50 Frauen erhielten Nummern und wurden als Häftlinge in das Lager eingewiesen. Die übrigen fast 900 Deportierten wurden sofort in die Gaskammern geschickt und ermordet. „Da hinten in dem Wald gab es zwei alte Bauernhäuser,“ höre ich Evalina wie aus der Ferne sagen …

Ungefähr 2,5 Kilometer mussten die dem Tode geweihten Menschen von der „Rampe“ bis zu einer Baracke neben einem unscheinbaren Bauernhaus zu Fuß zurücklegen. Dort mussten sie sich entkleiden. Auf dem Weg dorthin wurden sie von SS-Männern begleitet, die mit den Deportierten sprachen und ihnen zynischerweise vorgaukelten, dass sie nach der anstrengenden Zugfahrt in eine Badeanstalt kämen, wo sie sich waschen könnten und desinfiziert würden.

Als Frieda und Sonja Meyer sowie Else Hess und die 900 anderen schließlich in dem zu einer Gaskammer umgebauten Bauernhaus, über dessen Eingangstür ein Schild mit der Aufschrift „Zur Desinfektion“ prangte, verschwanden und durch das Giftgas Zyklon B ermordet wurden, hatten sie keinen Namen mehr: ihr Tod wurde noch nicht einmal schriftlich registriert. Das Todesdatum wurde nach Ende des Krieges auf den 5. November 1942 festgesetzt. Frieda Meyer starb drei Wochen vor ihrem dreißigsten Geburtstag, die kleine Sonja Meyer war noch nicht einmal drei Jahre als sie sterben musste, Else Hess starb drei Wochen vor ihrem fünfundvierzigsten Geburtstag … Die Geschichte der jüdischen Familie Voss / Meyer ist in dem im Hentrich & Hentrich Verlag veröffentlichten Buch „Von Bramsche nach Buenos Aires. Auf den Spuren der jüdischen Familie Voss“ dokumentiert…


Spätes Gedenken an Ermordete

Während die Gruppe um Evalina sich schon aufmacht, um weiter zu gehen, bleibe ich am Stacheldrahtzaun entlang der Lagerstraße stehen und hole Fotografien aus meinem Rucksack, beobachtet von drei jungen Menschen aus unserer Gruppe. Ich lege die Fotografien nebeneinander auf den Boden am Zaun, lege jeweils ein Steinchen darauf und blicke zu dem Wäldchen in der Ferne. Die drei jungen Menschen schauen mich fragend an und ich erzähle ihnen kurz, was es mit den Fotos auf sich hat. „Frieda, Sonja und Else sind, nachdem sie zusammen mit den anderen am 5. November 1942 durch das Gas getötet worden sind, zunächst in einem Massengrab in der Nähe verscharrt worden. Später wurden die Leichen aus dem Massengrab herausgeholt und verbrannt und ihre Asche über das Gelände verstreut. Das gilt ebenso für die anderen beiden: Isidor Frank, am 27. Mai 1887 in Bramsche geboren und am 26. Oktober 1942 in Auschwitz ermordet, und Ruth ten Brink, am 16. Juni 1916 ebenfalls in Bramsche geboren und am 5. Februar 1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet. Wie so viele haben auch sie kein Grab und die Steinchen sollen ein Zeichen dafür sein, dass sie dennoch nicht vergessen sind.“

Abb 7 Erinnerung an Menschen aus dem Osnabrücker Raum: Else Hess, Frieda Meyer und Sonja Meyer, die in dem Wäldchen im Hintergrund am 5. November 1942 ermordet wurden ebenso wie Isidor Frank und Ruth ten Brink.

Wir gehen weiter und treffen an einem Trümmerhaufen aus roten Ziegelsteinen auf den Rest der Gruppe. „Da schnell klar war, dass die Massengräber zur Beseitigung der Leichen nicht mehr ausreichten, wurden hier auf dem Gelände Krematorien gebaut, um die Leichen zu verbrennen. Dieses ist eines davon, das man kurz vor der Befreiung des Lagers versucht hat zu sprengen“, erzählt Evalina gerade. Die Verbrennungsöfen sind noch zu erkennen. Zum Schluss eilen wir noch zu einer Steinbaracke, die als Unterkunft gedient hat, während die meisten anderen Baracken aus Holz gewesen seien, erfahren wir dann. Beim Niederbrennen seien nur noch die Schornsteine übrig geblieben. In den Baracken, die ursprünglich als Pferdeställe gedacht waren, wurden in den Pferdeboxen mehrstöckige Holzgestelle aufgestellt, auf denen die Menschen zu acht oder zu zwölft schlafen mussten. Diese waren so eng, dass es nachts nicht möglich war, sich umzudrehen. Nachts zu den Toiletten-Baracken zu gehen, war verboten. Die unverputzten, nackten Steine der Seitenwände sind voll mit Kritzeleien der Häftlinge. Mit diesen verstörenden Bildern im Kopf begibt sich die Gruppe schweigend zum Ausgang.

Die „Schlafgelegenheiten“ der Häftlinge in einem der umfunktionierten Pferdeställe
Die „Schlafgelegenheiten“ der Häftlinge in einem der umfunktionierten Pferdeställe.

Weiterleben mit der Schuld

Wir können Auschwitz gegen Abend wieder verlassen, Millionen anderer Menschen konnten das nicht. Auf der Rückfahrt zum Hotel in Kraków fällt es schwer, mit den Eindrücken von Auschwitz wieder in die Gegenwart zurückzufinden. „Der Tod spricht Deutsch!“ ist ein Satz, den unser Guide häufig verwendet hat und mich quält die Frage: wie können oder konnten all die vielen Deutschen, die wie der SS-Arzt Franz Lucas aus Osnabrück bei diesen Gräueltaten mitgemacht haben, mit einer solchen Schuld weiterleben? Die allermeisten von ihnen sind nicht zur Verantwortung gezogen worden und konnten – im Gegensatz zu den Millionen Opfern – noch ein langes Leben führen. Wie eben jener SS-Arzt Franz Lucas, der erst 1994 im Alter von 83 Jahren in Elmshorn gestorben ist. Im Hotel angekommen, hilft auch nicht die Fußballübertragung in der Hotelbar, denn den Siegesjubel nutzt ein Spieler mit einer rechtsradikalen Geste, die er dem jubelnden Publikum zeigt …

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