Eine kurze, aber wahre Besinnungsgeschichte
Es ist keine acht Monate her, da rasselten britische Panzer durch die Dörfer des Osnabrücker Landes und rollten auch in die Stadt Bramsche ein, anfangs begleitet von einzelnen Schusssalven. Die britischen Befreier waren jetzt geradezu eine Erlösung für jene Menschen, die sich noch vor nicht einmal einem Dreiviertel Jahr zuvor in die Keller und Notunterstände flüchten mussten.
Nur wenige hatten während des Krieges das Glück, in Betonbunkern Zuflucht und Schutz zu finden vor den Tausenden herabprasselnden, Tod und Zerstörung bringenden Bomben. Es war Weihnachten 1945, das erste Weihnachtsfest seit dem Ende des Krieges. Die Anspannung des Krieges war gewichen, die unmittelbare Bedrohung nicht mehr da. Doch konnten sich diese Menschen damals schon auf den Heilig Abend freuen oder sogar schon Weihnachten feiern?
Als ich vor zwanzig Jahren im Dezember den Heimatforscher Friedhelm Hackmann aus Achmer nach seinen Erinnerungen an Weihnachten 1945 fragte, wurde sein Gesichtsausdruck ernst. „Weihnachten 1945 ist nicht so deutlich im Gedächtnis, so, als wenn diese Zeit irgendwie ausgeklammert ist,“ erzählte mir der zunächst zögerlich.
„Den Kindern – ich war damals zwölf Jahre – wurde das Weihnachtsfest so angenehm wie möglich gemacht, aber von Freude keine Spur. Was gab es denn auch: ein paar Äpfel, wenn es hoch kam Weihnachtsgebäck, aber das galt schon als Luxus, denn das Weizenmehl, das man für die Kekse brauchte, war kostbar.“ Und die Erwachsenen? „Man wusste das Datum, der 24. Dezember, der Heilige Abend, aber sonst?“ erzählte er weiter, „niemandem war nach Feiern zumute, in vielen Familien war der Vater noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt, war irgendwo verschollen. Unter dem Tannenbaum lag die Hoffnung, dass er noch am Leben war und eines Tages wieder nach Hause kam.“
Hackmann war bei Kriegsende 12 Jahre alt und lebte mit seiner Mutter und den Großeltern zusammen. Sein Vater galt in Russland als vermisst, dessen Schicksal war ungewiss. Um die Versorgung der Familie mussten sich die Mutter und die Großeltern kümmern. Wie Hackmanns erging es einer großen Zahl von Familien in Bramsche und im ganzen Land. Blieb da noch Platz für Weihnachten?
„Es ging ums Überleben, ums Weiterleben,“ fährt er fort. „Man klammerte sich an jeden Strohhalm. Deshalb hatten zu der Zeit die Wahrsager Hochkonjunktur. In einer Nachbargemeinde war so einer. Man musste Fotos von demjenigen mitbringen, über den man etwas wissen wollte. Manchmal wurde auch der Ehering vom Finger genommen. Und der Wahrsager ließ das Pendel der Hoffnung schwingen. Man wollte zu gerne glauben, was einem vorausgesagt wurde,“ stellt er mit einem traurigen Unterton fest.
Tannenbaum? Wer einen haben wollte, ging in den Wald und schlug sich selbst einen. Wem war denn schon nach einer festlichen Atmosphäre zumute. „Man war froh, dass es keine „Tannenbäume“ mehr gab, zumindest jene nicht, die am Himmel das Unheil ankündigten und mit sich brachten“, spielte der Achmeraner auf die furchtbaren Bombenangriffe an, bei denen mit speziellen Leuchtraketen die Angriffsziele markiert wurden, die wie Christbäume am Himmel „strahlten“…

„Wenn man heute durch die Gegend schaut, überall hell erleuchtete Fenster, Weihnachtsbeleuchtung auch in den Gärten und in den Straßen, Weihnachtsmärkte. Damals, Dezember 1945, war die Welt dunkel, selbst in der Stadt Bramsche brannten allenfalls die Gaslaternen.“ Hackmann verweist auf die Kriegszeit, wo Verdunkeln zum Tagesgeschäft gehörte, im Winter ohnehin angeraten war, weil man es bei geschlossenen Fensterläden wärmer im Hause hatte.
„Fröhliche Weihnachten, friedliche Weihnachten, geruhsame Festtage … Weihnachten 1945 das war kein Fest der vielen Lichter, kein Tannenbaum, keine Geschenke, nichts als Hoffnung … Weihnachten 1945 war von den Problemen der Zeit überlagert. Vielleicht ist die Erinnerung daran deshalb so schwach…“
Friedhelm Hackmanns Vater kehrte nicht mehr aus Russland zurück, wie so viele Väter damals und in den Kriegen heute wieder …















