Frank Schneider: Aus den Tiefen des freien Raums – der VfL ruft einen Sportausschuss ins Leben

Der in Hamburg lebende Osnabrücker Soziologe Frank Schneider – in Fankreisen eher unter seinem Nicknamen „Ali Boelzen“ bekannt – macht sich in seinem Kommentar Gedanken um das Innenleben des VfL:

Zurück in die Zukunft
oder
Die Reaktivierung eines siebzigjährigen Profis … 

Der „Ausschuss Sport“ ist eine Problemlösung, bei der eine Paradoxie der Entscheidung sichtbar wird – weshalb die im Oldschool-TP (https://lilaweiss.net/vfl/treffpunkt/) geäußerte Kritik nicht überraschend ist. Als Reform der Organisationsstruktur ist der „Ausschuss Sport“ auf den ersten Blick nicht überzeugend – denn es stellt sich die Frage, wie dieses neue Gremium seinen Zweck, nämlich die Vorbereitung einer rationalen Kontrollkommunikation im Hinblick auf sportliche Strategieentscheidungen, erfüllen kann, wenn sich der Ausschuss fast nur aus Akteuren zusammensetzt, die über keine Fußballexpertise verfügen. Auf den zweiten Blick wird aber erkennbar: Der Unterschied, der einen Unterschied macht, ist Lothar Gans – womit er für den Beirat eine wichtige Irritationsquelle ist, die dieses Gremium nutzen kann, um im sportlichen Krisenfall grundlegende Interventionsvorschläge des KGaA-Managements kritisch hinterfragen zu können. Hierzu gehört insbesondere die Frage, ob der Coach gewechselt werden sollte und wenn ja: nach welchem Trainertypus dann zu suchen ist.

Sicher, Lothar Gans ist für nicht wenige VfL-Fans eine Reizfigur. Wird der Blick auf die Person verengt, dann erscheint der „Ausschuss Sport“ als ein Aufbruch in die Vergangenheit, um in der Zukunft besser dazustehen. Wird der Blick dagegen auf Lothar Gans‘ Funktion gerichtet, dann verflüchtigt sich der Eindruck, dass hier nur ein Reformrezept umgesetzt würde, das dem Typus des „alten Weins in neuen Schläuchen“ entspräche. Es geht vielmehr darum, den Beirat mit Hilfe des „Ausschusses Sport“ zu einem aktiven Kontrollgremium zu ertüchtigen – was eine richtige Lehre aus der desaströsen Rückrunde der Saison 20/21 ist.

Im Rückspiegel betrachtet, fehlte der VfL-Organisation damals eine strukturelle Absicherung gegenüber der Blindheit, die schleichend durch einen Personenkult entstehen kann. So umwehte Benny Schmedes die Aura eines erfolgreichen Managers – weshalb gar nicht mehr hinterfragt wurde, ob er auch im fußballerischen und tabellarischen Notfall die Trainersuche kann. Dank der sportlichen Erfolge bis zur Hinrunde des zweiten Zweitligajahres stieg Benny Schmedes zum allmächtigen Heldenmanager auf, was durch die Kontrollorgane begünstigt wurde, die sich ihm gegenüber anscheinend als Abnickgremien missverstanden. Diese Struktur wurde dem VfL dann leider zum Verhängnis, als Benny Schmedes anfing, erratische Entscheidungen zu treffen. Die KGaA lag Ende Mai 2021 sportlich in Trümmern, weil bei den statischen Berechnungen die Krisenkompetenz des „Geschäftsführers Sport“ falsch bestimmt wurde. Wollte man das damalige Geschehen beim VfL mit einem Bandnamen beschreiben, wären „Einstürzende Neubauten“ die passende Antwort gewesen.

Vor dem oben dargestellten Hintergrund ist der „Ausschuss Sport“ als Reformbemühung zu begrüßen, weil hiermit eine Reflexionsschleife eingebaut wird, die damals als Korrektiv fehlte. Dennoch: Die Personalie Lothar Gans polarisiert, weshalb bei einigen VfL-Fans der „Ausschuss Sport“ unter den Verdacht gerät, nur ein Vorwand für die Rückkehr des Klüngels zu sein. Dieser Vorwurf wäre aber angebrachter, wenn es keinen „Ausschuss Sport“ gäbe und Lothar Gans stattdessen in informellen Hinterzimmergesprächen tätig wäre. Das neue Gremium schafft dagegen mehr Transparenz: Die Aufgabe von Lothar Gans ist in den Programmstrukturen der VfL-Organisation klar festgelegt – und damit auch eingegrenzt, wodurch es weniger Willkür gibt als in Beratungszirkeln, die im Schatten der offiziellen Gremien Personalfragen ausbaldowern. Lothar Gans wird – sofern sportlich massive Erwartungsenttäuschungen drohen – in einem geregelten Verfahren tätig werden, nämlich dann, wenn Doc Welling den Beratungsfall auslöst und den „Ausschuss Sport“ einberuft.

Um die Legitimität des „Ausschusses Sport“ zu erhöhen, sollten neben Lothar Gans bald weitere Personen hinzukommen, die sich in Leistungsrollen des Profifußballs bewährt haben und derzeit frei verfügbar sind. Der „Ausschuss Sport“ hat einen Vertrauensvorschuss verdient. Das gilt vor allem insofern, als sich der VfL unter Doc Welling in eine „KGaA mit Herz“ verwandelt hat.

Der „neue VfL“ kommuniziert authentischer. So sind die Entscheidungsstrukturen nicht nur auf der rhetorischen Ebene professioneller geworden, sondern mittlerweile auch in der Realität. Ein Beispiel hierfür ist die neue Zusammensetzung des Aufsichtsrates. So gäbe es bei zukünftigen Spieltagsplakaten keine Compliance-Konflikte mehr, weil in dem Kontrollgremium inzwischen kein Chef einer Markenagentur mehr vertreten ist. Angesichts der Gesamtentwicklung des VfL-Konzerns gibt es gute Gründe, die dafür sprechen, dass auch der „Ausschuss Sport“ ein Indiz für einen Fortschritt ist: d. h. für eine Steigerung der Organisationsrationalität.

spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
Follow by Email
Facebook
Youtube
Youtube
Instagram
Spotify