… aber kein Trainerbeben wie bei Benfica
Der VfL enttäuschte vorgestern beim 1:1 gegen den Nachwuchs von Borussia Dortmund – und einige im Oldschool-TP wünschen sich, dass die lila-weißen Gremien den Rui Costa machen. Denn der feuerte seinen Trainer.
Benfica Lissabon hat Roger Schmidt nach nur vier Spieltagen entlassen. Allerdings begann der Abwärtstrend unter ihm schon vor zwölf Monaten, der in der Wahrnehmung noch dadurch dramatisch verschärft wurde, dass Benfica den großen Stadtrivalen Sporting nur mit dem Fernglas an der Tabellenspitze sehen konnte. Sportings Gewinn der Meisterschaft war für die Benfica-Fangemeinde sicherlich genauso ein Frustrationsverstärker, wie es für uns der Aufstieg der Preußen war, der den Abstieg der Lilahemden noch einmal bitterer machte.
Anders als Roger Schmidt hat Koschinat jedoch in der letzten Saison geliefert, gemessen an den Möglichkeiten, die der VfL hatte. Jedoch will ich nicht ausblenden, dass sich Koschinat in der Schlussphase der Saison zuweilen auch vercoacht hat, als er versuchte, mit besonderen Maßnahmen die Lilahemden zu drei Punkten zu führen. Die Partien in Kiel und an der Brücke gegen Schernings Eintracht wurden ja schon im Oldschool-TP unter dem Aspekt von Coachingfehlern rauf- und runterdiskutiert.
Ja, der VfL war vorgestern auf Augenhöhe mit dem BVB-Nachwuchs. Der Auftritt war ganz sicher kein Desaster. Die Partie in Bayreuth unter Scherning und die Begegnung mit Elversberg unter Schweinsteiger haben da ganz andere Maßstäbe im Negativen gesetzt. Dennoch sollte der VfL höhere Ansprüche haben, als mit den Dortmunder Jungbienen mitsummen zu können. Kallas Spielbericht in der Osnabrücker Rundschau bringt es auf den Punkt: Es war ein mittelmäßiger Auftritt.
Mit der Leistung am Samstag blieb der VfL hinter dem zurück, was der Kader hergeben könnte. Ich traue aber Koschinat zu, dass er die richtigen Ansätze findet, um den VfL ins obere Tabellendrittel zu bringen. Eine Voraussetzung hierfür ist, dass Koschinat nicht nur in Lösungen denkt, sondern auch ein Problembewusstsein über die real existierenden Probleme auf dem Platz hat. Das, was Koschinat in die Magenta-Mikrofone sprach, wurde vom Oldschool-TP nicht ganz zu Unrecht unter Schönsprechverdacht gestellt. In seinem Kommentar gegenüber der NOZ trat er jedoch als ein Vertreter der „realistischen Trainerschule“ auf, indem er nüchtern-analytisch beschrieb, was nicht funktionierte.
Mit Zwarts und Engelhardt hat der VfL zwei Strafraumstürmer, die körperlich sehr durchsetzungsfähig sind. In der zweiten Halbzeit wurde versucht, die beiden über Flanken einzusetzen, womit hier schon ein Teilkonzept von Koschinat zu erkennen war. In anderen Worten ausgedrückt: Der VfL-Trainer ist nicht ideenlos, wie ihm manchmal vorgeworfen wird. Leider war die Qualität der lila-weißen Hereingaben gestern oft noch nicht einmal mittelmäßig. So wurden dann Umschaltsituationen schlecht ausgespielt.
Pepic in Aue und Kroos unter Nagelsmann spielen bzw spielten erfolgreich den „abkippenden Sechser“. Dass Koschinat dieses Modell nun beim VfL mit Gnaase ausprobiert, finde ich ein spannendes Experiment, dem eine Chance gegeben werden sollte, auch wenn Nachjustierungen an dieser Rolle sicherlich noch erforderlich sind. Ich könnte mir vorstellen, dass Gnaase vorgestern besonders oft zwischen die Innenverteidiger abkippen sollte, um ihnen mehr Sicherheit zu geben – gerade vor dem Hintergrund betrachtet, dass Karademir noch ein Drittliga-Novize ist und Wiemann auch erst seit anderthalb Jahren auf Profiniveau agiert. Sollte Gyamfi seinen Frust über den Nichtwechsel verarbeitet haben und wieder wie gewohnt spielen können, wird Gnaase wohl weniger oft „abkippen“.
Conus deutet am Samstag zumindest an, dass er drittligatauglich ist. Seine Stärken hat er sicherlich in der Offensive. Allerdings ist sein Zweikampfverhalten in der Rückwärtsbewegung so wild, als wäre Goikoetxea, der „Schlächter von Bilbao“, sein Grätschentrainer in der Schweiz gewesen. Das, was Conus in zwei Szenen zeigte, war kein attraktiver, sondern ein „toxischer Männerfußball“, der von den heutigen Schiris mit glatt Rot bestraft worden wäre, wenn der Neu-VfLer in den beiden Situationen seinen Gegenspieler getroffen hätte.
Ben Manga, der neue Transfermacher auf Schalke, meinte kürzlich sinngemäß, dass es für argentinische Abwehrspieler schwer wäre, sich auf die geringere Härtetoleranz der Schiedsrichter in den deutschen Profiligen umzustellen. Wer gestern Conus beim Grätschen sah, musste denken, dass Mangas Leitsatz auch für Schweizer gelten könnte. Sollte Koschinat wirklich Lehrvideos aus dem Bildmaterial vom Samstagsspiel zusammenschneiden, dann sollten Conus‘ Gaucho-Grätschen als ein „No-Go-Tackling“ vorgeführt werden.
Dass der VfL nach der mäßigen ersten Halbzeit den 1:1-Ausgleich erzielen konnte, beruhte auf der individuellen Klasse von Simakala. Er ist in der dritten Liga schon jetzt ein „manifester Unterschiedsspieler“, obwohl er noch gar nicht richtig fit ist. Seine scharf getretenen Eckbälle sind ein Versprechen auf die Rückkehr der alten Standardstärke.
Kehl deutete dagegen mit seinen Pässen in die Schnittstellen an, dass er ein „latenter Unterschiedsspieler“ ist. Seine Fähigkeit als Angriffsinitiator und seine Handlungsschnelligkeit blitzten auch in der Entstehung des Ausgleichs auf, als er gekonnt mit einem Kontakt den kurzen vorletzten Pass auf Engelhardt spielte, der dann sehenswert den Ball auf Simakala durchsteckte. Kehl wäre es zu wünschen, dass er im zweiten VfL-Jahr sein Potential ausschöpft, wie es seine ehemaligen Freiburger Teamkollegen Yannik Engelhardt und Philipp Treu schon letztes Jahr in der zweiten Liga bei Düsseldorf bzw. in Hamburg beim FC St.Pauli geschafft haben.
Positive Ansätze waren vorgestern da, aber sie können nicht überdecken, dass es insgesamt kein gutes VfL-Spiel war. Dafür war der Auftritt zu fehlerbehaftet und im letzten Drittel zu harmlos.
Das halbvolle VfL-Glas wird jedoch von etlichen in der VfL-Fangemeinde halbleer gesehen, weil das wiederkehrende Unglück in der zweiten Liga eine Fadostimmung bewirkt hat. Im Fado – einem portugiesischen Musikgenre – wird der Weltschmerz ästhetisch verarbeitet, der oft mit einer unglücklichen Liebe und der Sehnsucht nach besseren Zeiten verbunden ist. Viele VfL- Fans leiden an der wiederholten Havarie in der zweiten Liga und schwelgen in einer Vergangenheit, in welcher der VfL noch ein Zweitligadino war: einer Vergangenheit, die endlich zurückkehren sollte. Doch die Realität ist manchmal realer als erwünscht, wie am Samstag im Stadion „Rote Erde“ erfahrbar wurde.
Die Fadostimmung beim VfL-Anhang hat jedoch keinen ästhetischen Mehrwert. Dann, wenn konstruktiv mit dem Drittligaschmerz umgegangen wird, können jedoch Beiträge fürs VfL-Forum geschrieben werden, die auf einer sachlichen Ebene einen Erkenntnisgewinn für eine sportliche Verbesserung hervorbringen. Bei anderen Schreiber*innen ist die Wehmut anscheinend so überwältigend, dass sie Koschinat am liebsten sofort feuern würden – eben wie es Benfica im Umgang mit Schmidt vorgemacht hat.
Die VfL-Gremien haben dagegen die „Lasst ihn arbeiten!“-Ruhe weg, Diese Immunität gegen eine ins Aktionistische kippende Fadostimmung begrüße ich. Allerdings ist Koschinat nun an der Bar gefordert, das halbvolle Glas mit Punkten aufzufüllen, damit „Die Hände zum Himmel“ des VfL-Vizepräsidenten den Fado vom Platz 1 der lila-weißen Stimmungscharts wieder verdrängen kann.