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Freitag, 6. Juni 2025
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OR-Serie: Osnabrück während der Regierungszeit Helmut Schmidts von 1974 bis 1982. Teil 2: Die Osnabrücker Friedensbewegung

Armin E. Maiweg
Beitrag zum „Regionalen Fenster der Aussstellung „Challenging Democracy“ in der Uni-Bibliothek Westerberg

Als Teilnehmer einer parallelen Lehrveranstaltung, die sich  – analog zur laufenden Ausstellung – mit der Ära des Bundeskanzlers Helmut Schmidt von 1974 bis 1982 befasste, beschäftigte sich der Autor des Beitrags äußerst facettenreich mit der Entstehung und Entwicklung der damaligen Osnabrücker Friedensbewegung. Im angehängten Podcast interviewt er den Zeitzeugen Rolf Wortmann.


Osnabrücker Linke gegen den Wehrkundeerlass

Einer der Ursprünge der Friedensbewegung war die schon seit der Nachkriegszeit existierende Bewegung der Kriegsdienstverweigerer (KDV), die als sogenannte Ohne-Mich-Bewegung vor dem Hintergrund des NATO-Beitrittes der Bundeswehr und einer Wiederbewaffnung Deutschlands – potentiell sogar mit Atomwaffen – die Ablehnung des Wehrdienstes mit einer pazifistischen Einstellung verknüpfte.

Die Inanspruchnahme des Grundrechtes der Verweigerung des Dienstes an der Waffe wurde dann im Zuge der 68er Proteste zunehmend popularisiert und zu einem Ausdruck von Systemkritik, denn so wurde auch das Anhörungsverfahren der „KDVler“ und der für diese obligatorische Zivildienst als demütigend wahrgenommen und entsprechend kritisiert.

Die Angst vor einem erneut aufflammenden Militarismus in Deutschland entfachte sich schließlich auch in Osnabrück, nämlich anhand des am 2. Juni 1972 vom niedersächsischen Kultusminister Peter Oertzen vorgeschlagene „Wehrkundeerlass“ für den Schulunterricht. Obwohl der linke SPD-Politiker damit eine kritische sicherheitspolitische Diskussion in den Schulen anregen wollte, gab es nicht nur von Seiten der CDU Kritik, die ein Bewerben der Wehrdienstverweigerung an Schulen befürchtete, sondern vor allem auch – unerwarteterweise – von linker Seite.

Es bestand die Befürchtung, dass vor allem wegen der militaristischen Prägung der in Nazideutschland aufgewachsenen Lehrer die „Wehrkunde“ vor allem eine militaristische Färbung bekommen könnte. In Osnabrück formierte sich aus sogenannten Wehrkundekomitees an Schulen schließlich die Aktionseinheit gegen Wehrkunde und Wehrkunderlass, die ein sehr heterogenes Bündnis vom Spektrum Jusos bis zu kommunistischen Jugendorganisationen darstellte.

Entsprechend war man sich auch nicht in allen Positionen einig, etwa darin, ob der Wehrdienst als solcher komplett abzulehnen sei. Und im Vergleich zur Friedensbewegung gut zehn Jahre später war das Aufgebot der linken Aktivisten auch noch recht klein: Zu einer Demonstration am 9. März 1973 versammelten sich gut 250 bis 500 Menschen auf dem Neumarkt.


Diskurs um Kriegsspielzeug erreicht Mitte der Gesellschaft

Über das Thema Kriegsspielzeug erreichte das Thema Krieg und Frieden gegen Ende der 70er Jahre schließlich auch breitere Bevölkerungsgruppen. In der Zeit vor Weihnachten 1977 engagierte sich eine Arbeitsgruppe gegen den „Krieg im Kinderzimmer“ mit zahlreichen Informationsveranstaltungen und einer Aktion am 4. Dezember, wo im Haus der Jugend Kriegsspielzeug eingetauscht werden konnte.

In den nächsten Jahren sollte es weitere solcher Arbeitsgruppen geben, so im Jahre 1979 bestehend aus dem Kinderhilfswerk terre des hommes mit Geschäftssitz in Osnabrück, Kriegsdienstgegnern, Umweltschützern, Sozialdemokraten sowie gar dem Osnabrücker Jugendamt. Nach und nach gelangte der Friedensdiskurs nicht nur stärker in die Öffentlichkeit, sondern wurde auch zunehmend von politischen Akteuren aufgegriffen, wie 1979, als der Osnabrücker Stadtrat einstimmig die Stadtverwaltung beauftragte, gegen den Verkauf von Kriegsspielzeug auf Märkten vorzugehen oder 1980 mit der Eröffnung der Ausstellung Ist das noch Spielzeug? im Haus der Jugend unter der Ägide des Oberbürgermeisters Ernst Weber.

Doch auch hier gab es Widerstand, diesmal aus eher wirtschaftlichen Gründen von den Markt- und Schaustellerverbänden, die das Kriegsspielzeugverbot kritisierten und sogar mit Klage drohten.


Christliche Gruppen gegen „Atomenergie und Atomrüstung“

Bald kam es auch zu einer Überschneidung der wachsenden Anti-Atomkraft-Bewegung und der Kritik an atomarer Aufrüstung, bei der insbesondere kirchliche Gruppen eine große Rolle spielten und auch auf friedlichen zivilen Ungehorsam setzten. In Reaktion auf die Räumung des Protestdorfes Gorleben besetzten vom 5. – 8. Juni 1980 AKW-Gegner unter der Führung der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) die Marienkirche in Osnabrück.

Vom 13. – 15. Juni 1980 organisierte die Freie Osnabrücker Pfarrkonferenz (FOP) dann die internationale Konferenz der götze wackelt. Christen gegen Atomenergie und Atomrüstung, trotz der von der Kirche versagten Unterstützung mit Räumlichkeiten und Geldern, bei der sich ca. 400 Christen aus der BRD, den Niederlanden und Dänemark trafen, um für das Vorgehen gegen die als untrennbar verbunden betrachtete friedliche und militärische Nutzung der Kernenergie Strategiekonzepte zu diskutieren, wobei sich die Bezeichnung „Götze“ auf die in der Gesellschaft als heilige Kuh betrachtete Atomkraft als friedliche Nutzung der Kernenergie bezog, die damals noch sehr populär war.

Insgesamt gab es Anfang der 80er Jahre eine verstärkte Politisierung von sowohl evangelischen als auch katholischen Verbänden, sei es die aus Frankreich stammende katholische Friedensorganisation Pax Christi, welche die Plattform Abrüstung und Sicherheit gründete oder die evangelische Aktion Sühnezeichen, die im Jahr 1980 im Rahmen einer Friedenswoche zusammen mit nichtkirchlichen Organisationen wie terre des hommes neben Gottesdiensten auch Informationsveranstaltungen zu Krisen und Kriegen auf der Welt anbot. Am 1. September 1981 erreichte eine Demonstration in Andenken an den deutschen Überfall auf Polen 1939 zum Antikriegstag bereits 1.500 Teilnehmer, die von der Johannis- bis zur Dominikanerkirche zogen.


Der NATO-Doppelbeschluss als Mobilisator

Der 1979 von der NATO-Ministerkonferenz gefasste NATO-Doppelbeschluss war letztlich der entscheidende Antreiber, um eine große Zahl an Menschen aus allen möglichen Bevölkerungsschichten und Altersgruppen für die Friedensbewegung zu mobilisieren.

Der von Bundeskanzler Helmut Schmidt vorangetriebene Entschluss sah nämlich nach Ablaufen eines an die Sowjetunion gestellten Ultimatums zum Abzug der SS-20-Mittelstreckenraketen außerhalb der Reichweite Westeuropas die Stationierung amerikanischer Pershing-II-Raketen auch in der Bundesrepublik vor, was als Ausgleich des atomaren Abschreckungspotentials gedacht war, doch von vielen Bürgern wurde ein erhöhtes Eskalationspotential des Blockkonfliktes bis zum Atomkrieg befürchtet.

Bei den bundesweiten Protestaktionen waren auch Osnabrücker beteiligt: Der Krefelder Appell vom 16. November 1980, der die Bundesregierung aufforderte, sich gegen den Doppelbeschluss zu stellen, fand bei der Unterschriftensammlung, die in der gesamten Bundesrepublik insgesamt vier Millionen Menschen unterstützten, auch viele Unterschriften in Osnabrück. Bei den Großdemonstrationen in den folgenden Jahren, die eine nie da gewesene Menge an Menschen mobilisieren konnten, reisten auch Osnabrücker Aktivisten mit gecharterten Bussen an, etwa bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981.


Organisation des Protestes in der OFRI und außerhalb

Im Raum Osnabrück äußerte sich diese ausgeweitete Protestbereitschaft an der Wiederbelebung der Ostermärsche, die in den 1960er Jahren entstanden waren. So gab es im April 1982 gleich vier Demonstrationsmärsche mit insgesamt 900 bis 1.500 Teilnehmern aus Westerkappeln, Quakenbrück, Vechta und Osnabrück, die in Bramsche zusammenstießen und sich konkret gegen eine gemutmaßte Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen im nahen Neuenkirchen-Vörden richtete, wodurch der Protest auch einen regionalspezifischen Anlass hatte.

Die neue Friedensbewegung war in ihrer Zusammensetzung deutlich breiter aufgestellt und erreichte große Teile der Bevölkerung, die sich bislang als unpolitisch verstanden. Trotz der Involvierung von Gruppen, die vorher schon in der Friedensbewegung aufgetreten waren wie Intellektuelle, Christen, Gewerkschaften, SPD-Anhänger und Kommunisten sowie die neuen Grünen verstand man sich als basisorientierte Bewegung und versuchte, Vereinnahmung der Proteste durch politische Parteien zu verhindern.

Zugleich bestand die Befürchtung, dass durch eine zu starke Popularisierung der Friedensproteste die Ziele zu gesellschaftlich konsensfähigeren milden Positionen verwässert werden könnten. Organisatorisches Sammelbecken für diesen überparteilichen Friedensprotest war die Osnabrücker Friedensinitiative (OFRI), die sich im März 1982 mit dem Bundeskongress autonomer Friedensinitiativen (BAF) zusammenschloss, wobei Osnabrück zum Ort des Gründungstreffens gewählt wurde. Es gab allerdings auch autonome Initiativen, losgelöst von OFRI und BAF, wie der schon seit 1976 vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und dem Vinnenberger Kreis betriebene Friedenskotten.

Protestformen waren nicht nur klassische Demonstrationszüge und Menschenketten, sondern auch friedliche Formen des zivilen Ungehorsams wie Sitzblockaden. Auf Treffen der Friedensaktivisten wurde auch auf Konfliktmediation im lokalen zwischenmenschlichen Bereich eingegangen, es waren also ganzheitliche Ansätze des Pazifismus, die verfolgt wurden.

Gerade die christlichen Aktionen wie zum Beispiel die von katholischen Verbänden organisierten Sternenwanderungen, von denen es von 1980 – 1983 im Raum Emsland-Osnabrück insgesamt vier gab, kombinierten Glaubensarbeit und Gottesdienste mit dem Einsatz für politische Themen wie Frieden ohne Waffen, Umweltschutz und Protest gegen Atomenergie.

Trotz dem zunehmenden Ankommen der Friedensbewegung in der Mitte der Gesellschaft gab es weiterhin politischen Widerstand: Die die Mehrheit stellende CDU/FDP-Fraktion im Osnabrücker Stadtrat verhinderte im August 1982, dass ein von der OFRI und über 50 anderen Initiativen geplantes Friedenskulturfestival von der Stadt unterstützt wurde, da jene eine organisatorische Beteiligung des Reservistenverbandes der Bundeswehr forderte, was die Aktivisten ablehnten.

Auch gab es gerade von konservativer Seite weiterhin den Vorwurf der Beeinflussung durch die Sowjetunion, da vor allem eine antiamerikanische Haltung bei den Protesten wahrgenommen wurde und die Kritik an Aggressionen der UdSSR wie etwa in Afghanistan seit 1979 eher im Hintergrund gestanden hätte.

In den 80er Jahren hatte die Friedensbewegung einen nie wieder dagewesenen Höhepunkt erreicht, bevor sie 1983 mit Zustimmung des Bundestages unter Bundeskanzler Helmut Kohl zum NATO- Doppelbeschluss sich zunächst im Sande verlief, da nun die Stationierung der Raketen nicht mehr politisch abzuwenden war. Allerdings gab es in den folgenden Jahrzehnten beispielsweise mit dem Kosovo- und Irakkrieg Momente, die zur Reaktivierung der Friedensproteste, wenn auch auf kleinerem Niveau, führten. Und auch nach wie vor ist die OFRI in Osnabrück aktiv. Zudem beeinflussten die Erfahrungen der 80er Jahre das endgültige Branding Osnabrück als Friedensstadt mit seinem historischen Erbe als Verhandlungsort des Westfälischen Friedens und Geburtsstadt Erich Maria Remarques.


Referenzierte Literatur:

Heiko Schulze und Reiner Wolf: Frieden schaffen ohne Waffen! – Friedensbewegung. In: Heiko Schulze & Reiner Wolf (Hrsg.): Aufbruch und Krise. Osnabrück in den 70er Jahren. Oldenburg 2020. S. 225–236.


Podcast zum Beitrag

Autor Armin Maiwald führte ein anregendes Gespräch zur Entwicklung der Osnabrücker Friedensbewegung mit dem Zeitzeugen und OR-Redakteur Rolf Wortmann. Bemerkenswert sind dabei auch die Darstellungen des Interviewten, wie er seine Positionen zur Friedensfrage seither entwickelt hat und welche Rolle dabei die damalige Osnabrücker Friedensbewegung (OFRI) spielte. Über diesen Link ist das Interview als Podcast zu hören: …

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