AfD-Wurfsendung:
„Wir informieren: Wie arbeitet der Verfassungsschutz?“
Der Verfassungsschutz stuft die Alternative für Deutschland (AfD) als rechtsextrem ein. Die Partei wehrt sich unter anderem mit einer Wurfsendung.
Osnabrück. In der vergangenen Woche gelangte ein Faltblatt der Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Osnabrücker Briefkästen. Der Titel der Wurfsendung: „Wir informieren: Wie arbeitet der Verfassungsschutz?“
Wie kaum anders zu erwarten, handelt es sich bei dem Pamphlet nicht um Weiterbildung im Fach Staatsbürgerkunde. Vielmehr enthält es Fehlinterpretationen, Teil- und Unwahrheiten. Zum Verständnis nötige Informationen werden der Leserschaft vorenthalten, Kontexte verschwiegen.
Anlass für die Werbemaßnahme: Die AfD gilt laut Verfassungsschutzbericht 2024 als „Verdachtsfall“. Teile der Partei werden als „gesichert rechtsextrem“ eingeschätzt.
Die Bundeszentrale für politische Bildung erläutert: „Wenn sich über einen längeren Zeitraum die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen erhärten, kann eine Gruppierung als ‚Verdachtsfall‛ eingestuft werden und wird damit zu einem ‚Beobachtungsobjekt‛. Nun dürfen die Behörden auch nachrichtendienstliche Methoden zur Gewinnung von Informationen anwenden. Verdachtsfälle werden im Bund und in den meisten Ländern explizit in den jährlich erscheinenden Berichten erwähnt.“ Anders verhält es sich mit dem sogenannten „Prüffall“, der Vorstufe des Verdachtsfalls. Die in diesem Stadium erlangten Erkenntnisse bleiben unter Verschluss.
Die AfD wittert hinter der Ermittlungstätigkeit des Verfassungsschutzes eine politische Intrige: „Die letzten Jahre haben gezeigt, dass dieses Mittel gern verstärkt genutzt wird, um Oppositionsparteien wie die AfD unter Druck zu setzen und deren parteipolitische (sic!) Tätigkeiten zu behindern.“
Die Einstufung als verfassungsfeindlich „soll die AfD öffentlich diskreditieren, ihre Wähler und Sympathisanten verunsichern und ihre Mitglieder einschüchtern.“ Dies führe zugleich zur „schleichenden Tabuisierung von Meinungen, die vom Regierungskurs abweichen.“ Drahtzieher dieser Verschwörung sind nach diesem Weltbild die Regierungen, wobei die AfD keinen Unterschied macht, welche Partei im Bundestag die Mehrheit stellt. Sie fühlt sich grundsätzlich von allen verfolgt: Die Verfassungsschutzämter „werden von politischen Beamten geleitet, die nach dem Beamtenrecht verpflichtet sind, der politischen Linie des jeweiligen Ministers zu folgen. Die Behörde ist darüber hinaus weisungsabhängig. Damit ist sie grundsätzlich verpflichtet, den politischen Weisungen des Ministeriums Folge zu leisten.“
Auch in diesem Punkt liegt die AfD falsch: „Der Verfassungsschutz arbeitet weisungsfrei, das heißt, er trifft seine Entscheidungen unabhängig und frei von politischen Weisungen. Die Entscheidungen müssen jedoch juristisch begründbar und vertretbar sein. Die Behörde unterliegt parlamentarischer Kontrolle, aber keine Partei oder Regierung kann direkt Weisungen zu konkreten Entscheidungen erteilen. Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen betont, dass ‚der Verfassungsschutz eine Behörde ist, die weisungsfrei arbeitet‛ und dass ‚das Recht der Maßstab‛ für die Arbeit ist.“ So die Konkretisierung des journalistischen Mediums fischundfleisch.com.
Das Gesetz über den Bundesverfassungsschutz kennt allerdings eine Ausnahme: „Die Bundesregierung kann, wenn ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes erfolgt, den obersten Landesbehörden die für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes erforderlichen Weisungen erteilen.“ (§ 7 BverfSchG)
In ihrer Broschüre stellen die unbekannten Autoren der AfD die rhetorische Frage: „Ist die AfD verfassungsfeindlich?“ Natürlich lautet die dortige Antwort: „Nein.“ Die Alternative für Deutschland sei „eine Verteidigerin der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“
Die AfD vermeidet den Begriff „Einstufung“ und spricht lieber davon, dass sie als verfassungsfeindlich „bezeichnet“ werde. Warum? „Weil man es nicht schafft, die AfD politisch zu stellen, versucht man, sie auf diese Weise zu diffamieren.“
Eine Diffamierung ist zwar in den meisten Fällen durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Sie würde aber keinesfalls durch deutsche Gerichte übernommen und bestätigt. Die mussten in der Vergangenheit einer juristischen Prüfung unterziehen, ob die Einstufung als Verdachtsfall und damit die Beobachtung durch den Verfassungsschutz geltendem Recht entspricht. Gleich mehrere Gerichte haben dies bejaht:
„Mit Urteil vom 8. März 2022 und Beschluss vom 10. März 2022 bestätigte das VG Köln die durch das BfV vorgenommene Einstufung als Verdachtsfall aufgrund des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Nordrhein-Westfalen bestätigte mit Urteil vom 13. Mai 2024 im Berufungsverfahren die Rechtmäßigkeit der Beobachtung der Partei ‚Alternative für Deutschland‛ (AfD) als Verdachtsfall einer rechtsextremistischen Bestrebung durch das BfV.“ (Verfassungsschutzbericht 2024)
Im Urteil heißt es unter anderem:
„Nach Überzeugung des Senats liegen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind. Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der AfD entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stellt eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren ist. Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist nicht die deskriptive Verwendung eines ‚ethnisch-kulturellen Volksbegriffs‛, aber dessen Verknüpfung mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt wird. Hier bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für derartige diskriminierende Zielsetzungen. Dem Senat liegt eine große Anzahl von gegen Migranten gerichteten Äußerungen vor, mit denen diese auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft systematisch ausgegrenzt werden und trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ihre vollwertige Zugehörigkeit zum deutschen Volk in Frage gestellt wird.
Daneben bestehen hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind. In der AfD werden in großem Umfang herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet, zum Teil in Verbindung mit konkreten, gegen die gleichberechtigte Religionsausübung von Muslimen gerichteten Forderungen.“
Das Gericht bestätigt ferner, dass der Verfassungsschutz seine Erkenntnisse publik machen darf: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist auf der Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes auch berechtigt, die Öffentlichkeit zu informieren. Die bestehenden Anhaltspunkte sind, wie es das Gesetz vorsieht, hinreichend gewichtig.“ (5. Senat des OVG Münster, Aktenzeichen Az. 5 A 1216/22, 5 A 1217/22 und 5 A 1218/22, hier zitiert nach jura-online.de, gleichlautend Legal Tribune Online)
Die AfD hatte gegen das Urteil Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben, blieb aber auch dort erfolglos.