spot_imgspot_img
spot_img
Montag, 31. März 2025
spot_img

Helmut Rieckens Ansichtskartensammlung, Teil 21: Gasthaus Walhalla

Begegnunsort statt Heldenhimmel

Walhalla: Für nordische Kampfnaturen wie die Wikinger war dieses Wort, leicht anders geschrieben, so etwas wie ein Himmel der Helden.  Walhalla galt als Ruheort der in Schlacht oder Duell gefallenen Kämpfer, die sich allesamt als besonders „tapfer“ erwiesen hatten. In Osnabrück ist natürlich alles viel friedlicher: Walhalla bezeichnet für hier lebende Menschen vor allem ein Gebäude, das untrennbar zur Stadt gehört, als friedlicher Begegnungsort fungiert – und sich sogar mit dem anerkannten wie anspruchsvollen Titel „Romantik-Hotel“ schmücken darf.

Aktuelles Foto: Interessengemeinschaft Altstadt
Aktuelles Foto: Interessengemeinschaft Altstadt

Ursprung, Tradition und Ambiente

Eine längere Tradition dürfte kaum ein anderes Osnabrücker Gasthaus vorweisen: 2025 wird das Walhalla exakt 335 Jahre alt. Die traditionsreiche Adresse liegt im Herzen der Altstadt, unweit des Rathauses, der Marienkirche, und der Treppengiebelhäuser, die den Marktplatz umsäumen. Die meisten denken beim Gebäude des Walhalla an die altehrwürdige Fassade aus altem Fachwerk, die das Haus unvergleichbar macht. Aber ist auch bekannt, dass im Wallhalla immer mal wieder Entscheidungen gefallen sind, die für die Zukunft von Stadt und Region, manchmal sogar für die Welt, durchaus von einiger Bedeutung waren?

Widmen wir uns den nackten Ursprüngen: Es war der Gerichtsvogt Gerdt Heindrich Meuschen der 1690 an der Bierstraße ein dreigeschossiges giebelständiges Fachwerkhaus bauen ließ. Den Namen „Walhalla“ sollte der Gasthof erst viel später unter seinen folgenden Besitzern finden. Meuschens Gasthaus nannte sich, auf das benachbarte Rathaus bezogen, schlicht und einfach Ratsschänke. Wert legte der Bauherr allerdings auf das Ambiente: Die Giebelgeschosse im Satteldach waren wie das zweite Obergeschoss, damals für vornehme Häuser üblich, „vorkragend“. Gemeint ist damit eine schräg nach oben wirkende Vorderfassade. Derartige Bauten pflegten im alten Osnabrück zu bewirken, dass Menschen, die über die engen, aufgrund der aufgetürmten Misthaufen und schmalen Abwasserrinnen stinkenden schmalen Gassen kaum Tageslicht sehen konnten.

Ein Grundstück an der Bierstaße hatte Meuschen wohl auch deshalb gewählt, weil diese Route seinerzeit in Osnabrück besonders gefragt – und vor allem belebt war. Mehr noch: Die Bierstraße bildete, dies sollte bis in die Tage des Zweiten Weltkriegs andauern, die Vorzeigestraße Osnabrücks. Links und rechts kündeten prachtvolle weitere Fachwerkhäuser vom Wohlstand ihrer Bewohner, die vorwiegend der Kaufmannschaft entstammten.

Die Bezeichnung Bierstraße verdankten die Anwohner den Namen jener zahlreichen Bierbrauer, die dort seit dem Mittelalter angesiedelt waren. In jener alten Bierstraße stand vor etlichen Jahrhunderte auch das „Gruthaus“ der Stadt. Mit Grutbier bezeichnete man seinerzeit ein Kräutergemisch, das zum Markenzeichen Osnabrücker Bieres, dem „Grüsing“, wurde. Zur Qualität jenes Gebräus, das in vor dem späteren Walhalla bestehenden Gasthäusern ausgeschenkt wurde, ist der Kommentar des päpstlichen Gesandten Fabius Chigi (dem späteren Papst Alexander VII.) überliefert, der 1643 bis 1648 am Westfälischen Friedenskongress teilgenommen hatte. Der Überlieferung soll er wütend und prustend ausgerufen haben: „Adde porum sulphuris, et erit polus infernalis“ – im heutigen Deutsch: „Füge etwas Schwefel hinzu und es wird ein Höllentrank sein.“

Der angesehene Gerichtsvogt Gerdt Heindrich Meuschen war zu Bauzeiten auf jeden Fall nicht arm, dafür einflussreich und sorgte sofort für ein unverwechselbares Ambiente. Eine glatte Fassade galt als verpönt. Die Giebelgeschosse im Satteldach waren wie das zweite Obergeschoss, damals für vornehme Häuser üblich, „vorkragend“. Gemeint ist damit eine schräg nach oben wirkenAde Vorderfassade. Derartige Bauten pflegten im alten Osnabrück zu bewirken, dass Menschen, die über die engen, aufgrund der aufgetürmten Misthaufen und schmalen Abwasserrinnen stinkenden schmalen Gassen kaum Tageslicht sehen konnten. Zur weiteren Erschwernis des Durchkommens trugen Holzböcke an den Hausfassaden bei, auf denen die Fensterläden der Häuser ruhten und auf denen Waren feilgeboten wurden. Links und rechts davon sammelte sich der Kehrricht, Dunghaufen wie Holzvorräte und schufen eine drangvolle Enge.

Das Haus hatte also allen Grund, sich herauszuputzen. In den Anfangsjahren diente das vollendete Haus vor allem als Schänke oder Weinprobierstube. Locken sollten auch Äußerlichkeiten: Ein ehemaliges Einfahrtstor ist mit einem Rundbogenabschluss gerahmt, der einen damals modischen Lorbeerblattwulst zeigt. In den Bogenzwickeln zeigen sich ebenfalls die seinerzeit ebenso als chick geltenden Ranken der Akanthuspflanze mit jeweils einer sitzenden Putte. Im Bogenscheitel ließ Meuschen sein persönliches Familienwappen anbringen, um sich dauerhaft zu verewigen. Die Fachwerk-Konsolen oberhalb des Rundbogentores sind geschmückt mit geschnitzten Figuren, die Jesus Christus und die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes darstellen. Der hintere Gebäudeteil war als Steinwerk ausgelegt – wohl wissend, dass Steinwerke einer damals ständig drohenden Feuersbrunst weit besser standhalten konnten als schön anmutendes, aber leicht entflammbares Fachwerk.

Dass derartige Ängste Hand und Fuß besaßen, bezeugt die Tatsache, dass ein Vorgängerbau aus dem Jahr 1530 möglicherweise beim Stadtbrand von 1613, bei dem mehr als 900 Häuser vernichtet wurden, ebenfalls der Asche anheimgefallen war.

Eine Ansichtskarte aus der NS-Zeit, 1938. Dargestellt werden das Gebäude sowie ein Relief. Verlag H. Lorch, Dortmund
Eine Ansichtskarte aus der NS-Zeit, 1938. Dargestellt werden das Gebäude sowie ein Relief. Verlag H. Lorch, Dortmund

Ein Haus und sein Wein

Denkt man an leibliche Genüsse, muss immer wieder an kostbaren Wein erinnert werden. Meuschens Nachfolger waren nämlich ebenso allesamt Weinhändler. Angesichts vieler konkurrierender Gasthäuser sollte es keineswegs selbstverständlich sein, dass Walhalla spätestens im 18. Jahrhundert zu einem Dauertreffpunkt der Stadtoberen und ihrer Gäste aus nah und fern wurden. Christian Jäger, ein Verwandter Urvater Meuschens, nutzte die unmittelbare Nachbarschaft zum Rathaus und richtete 1740 eine Weinstube ein. Die wiederum wurde spätestens seit damals von Honoratioren der Stadt besucht – und vielfach fast offiziell als Ratsschenke bezeichnet. Jägers Tochter Marie Gertrud wurde mit dem wohlhabenden wie einflussreichen Weinhändler Justus Wilhelm Tenge verheiratet, der Gasthof wurde fortan also in dessen Namen vertrieben.

In der neuen Zeit wurde Wein sogar zu einem wichtigen Kriterium, als es darum ging, dass sich das moderne Haus „Romantik-Hotel“ nennen darf. Damit sich das Walhalla zu jener Kette der Romantik-Hotels zählen durfte, musste es zusätzliche Qualitätsstandards erfüllen: Man benötigt ein historisches Gebäude mit mindestens vier Sternen, eine gute Küche – und eben den besagten, in diesem Fall sehr ausgewählten Weinkeller


Impressionen aus dem Gästebuch

Gäbe es seit den Ursprüngen des Hauses ein ständig umfangreicher werdendes Gästebuch, würden sich somit viele bekannte Namen darin finden. Zu den prominentesten Gästen würde im 18. Jahrhundert Justus Möser zählen, jener 1720 in Osnabrück geborene Jurist, Politiker und Historiker. Gleiches dürfte womöglich auf die früheren Bürgermeister Heinrich David und Johann Carl Bertram Stüve, ebenso auf Justus Wilhelm Lyra und Albert Lortzing zutreffen, welche die Stadtgeschicke oder die Musik bis in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts prägten. In der Folgezeit hätten sich sicherlich auch namhafte Oberbürgermeister wie Miquel oder Rissmüller in das reale oder nur fiktive Gästebuch eingetragen – nicht minder in der Stadt weilende Staatsgäste, die sich auch im Goldenen Buch der Stadt wiederfinden.

Zumal erst 1820 erste Fremdenzimmer eingerichtet worden waren, lässt sich vom eigentlichen Hotelbetrieb erst viel später reden. Jenes Angebot mussten nun neue Generationen nach den Tenges bewerkstelligen: Nach dem Tod von Marie Gertrud Tenge führten ab 1846 wechselnde Wirte das Haus als Gasthof weiter. Beinahe volle 100 Jahre, von 1876 bis 1971, sollte das Haus im Besitz der Familie Grabe sein, wobei es zwischenzeitlich an Dritte verpachtet wurde.

Das spätere Hotel Walhalla begrüßte im Laufe seiner Geschichte immer wieder prominenten Gästen aus dem In- und Ausland. Im frühen 20. Jahrhundert zählte auch ein aufstrebender Weltautor wie Erich Maria Remarque zu den Gästen – und verewigte seine Eindrücke im Osnabrück-Roman „Der schwarze Obelisk“. 1998, als Osnabrück den 350.Jahrestag des Westfälischen Friedens feierte, ging Schwedens Königin Silvia bereits vor den Feierlichkeiten im Haus ein und aus.

Die Gästeliste reichte danach bis zu „seiner Heiligkeit“ Dalai Lama. Datiert am 24. Oktober 1998, waren auch König Carl XVI. Gustaf von Schweden, Norwegens Königspaar Harald V. und Sonja, die dänische Königin Margrethe II. und Prinzgemahl Henrik, Belgiens König Albert II. und Königin Paola, die niederländische Königin Beatrix, König Juan Carlos I. von Spanien sowie weitere Herrscherpaare Gäste des Walhalla. Zu den Politikern gehörten der damalige Bundespräsident Roman Herzog sowie als ausländische Gäste die Präsidenten Italiens, Polens, Lettlands, Estland, Litauens und Vertreter weiterer Staaten.

Guter Bekannte des Hauses wurden auch spätere Bundespräsidenten wie Johannes Rau, Joachim Gauck, nicht zuletzt natürlich der Osnabrücker Christian Wulff. Ungestraft dürfen Lesende davon ausgehen, dass angesichts derartiger Prominenz nicht nur über die Qualität von Speise und Trank geredet worden ist. So mache Idee dürfte geboren, womöglich auch Initiativen gestartet worden sein.

Der Schriftsteller Martin Walser, in diesem Sinne Nachfolger Remarques, beschrieb in seinem Artikel für die Wochenzeitung Die Zeit im Dezember 2004 Begegnungen in Osnabrück und seinen Besuch im Hotel Walhalla, bei dem er Tafelspitz aß und Bier trank, „als sei Bier überhaupt mein Getränk“.

Im offiziellen, auch im Internet nachlesbaren Gästebuch lesen sich heutzutage weitere prominente Namen wie Willy Brandt, Rudi Carell, König Wilhelm Alexander der Niederlande, Thomas Gottschalk, Maria Furtwängler, Atze Schröder, Tim Bendzko, Iris Berben, Alfred Biolek bis hin zu Christoph Maria Herbst – und dem wohl kommenden Bundeskanzler Friedrich Merz.

Vom Werdegang der Baulichkeit

1934, ein Jahr nach der NS-Machtübernahme, wurde an einer Seitentür ein Gedenkstein angebracht, der an den Schnatgang der Heger Laischaft erinnert. Die Erwähnung des im Abstand von sieben Jahren durchgeführten Stadtereignisses trägt die niederdeutsche Inschrift „Küms du herrut ut düsse dürn/Un häßt de Mäse schön an schlürn/dann stell di hier nich hin un pinkle/sock di datou en ennern Winkel. Snautgang 1934“ .

Das Weltkriegsinferno überlebte das Haus vergleichsweise glimpflich. Infolge der Bombardements im Zweiten Weltkrieg wurde am 13. September 1944 zwar das Dachgeschoss durch eine Brandbombe zerstört. Das Gebäude selbst, vor allem dessen imposante Fassade, konnte aber gerettet werden.

1985 erwarb der Kaufmann Günter David die Häuser an der Bierstraße 24 und an der Kleinen Gildewart 12. In den Jahren 1985 bis 1986 wurden alle Räume sorgfältig und unter Beachtung der bestehenden Denkmalschutzvorschriften komplett saniert. Es entstand ein Hotel mit danach 27 Zimmern. 1992 wurde der Hotelkomplex durch zwei weitere Häuser an der Heger Straße und der Kleinen Gildewart erweitert. Eines der hinzugekommenen Gebäude war bereits 1616, drei Jahre nach dem Stadtbrand von 1613, errichtet worden und steht wie das Haupthaus unter Denkmalschutz. Das im Volksmund Katzenhaus genannte Fachwerkhaus mit Krüppelwalmdach wurde 1977 restauriert.

Neue Zeiten sind auch stets mit neuen Verantwortlichen verbunden. 1993 übernahm Davids Tochter Tanja Bernard die aktive Geschäftsführung. Bereits seit 1995 leitet sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Andreas Bernard das Hotel.

spot_img
März 2025spot_img
Oktober 2023spot_img
August 2024spot_img
August 2024spot_img
April 2025spot_img
erscheint Oktober 2025spot_img
November 2020spot_img
2015spot_img
Follow by Email
Facebook
Youtube
Youtube
Set Youtube Channel ID
Instagram
Spotify