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Helmut Rieckens Ansichtskartensammlung, Teil 13: Vitischanze

Gasthaus nach dem Mauerfall

Die Vitischanze dürfte die einzige ehemalige Gastlichkeit der Stadt sein, die der früheren Befestigungsanlage mit hohen und dicken Mauern entsprang. Alles sollte frühere Feinde von Osnabrück fernhalten. Benannt wurde die Festung nach dem heute nicht mehr vorhandenem St. Vitus Hospital. Der Standort war Ausgangspunkt militärstrategischer Planung. Militärisch am verwundbarsten war die Stadt nämlich zuvor stets im Norden an den Erhebungen des Westerbergs sowie des Gertrudenbergs gewesen.


Feindschutz gegen den Gertrudenberg

Dass die Baulichkeit dann aber zentraler Teil der Stadtbefestigung wurde, verursachten Menschen mit schwedischem Migrationshintergrund, die sich allerdings nur wenige Jahre bis 1648 in der Hasestadt aufhielten. Die höher aufgeschichtete Vitischanze wurde nämlich im Zuge der schwedischen Besatzung während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) errichtet, um einen möglichen Angriff aus Richtung des Gertrudenbergs abwehren zu können. Zusätzlich ließ man an einigen Stadttoren neue sogenannte „Ravelins“ errichten, von denen sich ein zuletzt ausgebuddeltes unter dem heutigen Felix-Nussbaum-Haus befindet.

Als die Stadtmauern bereits seit Aufhebung des „Festungsgebots“ 1843 aufgehoben und sich Stadtbürger danach auch außerhalb der Wälle (darum die heutige Straßenbezeichnung!) ansiedeln durften, änderte sich die Lage grundlegend. Zum einschneidenden Ereignis wurde der zwischen 1872 und 1877 vollzogene Abriss fast aller Mauern – der Osnabrücker Mauerfall sozusagen.

Ansichtskarte von 1916. Versehen mit dem "Lied der Vitischanze" von Heinz Hungerland. Verlag unbekannt.
Ansichtskarte von 1916. Versehen mit dem „Lied der Vitischanze“ von Heinz Hungerland. Verlag unbekannt.

Genuss zwischen Turm, Garten und Kanonen: eine Festungskonversion

Statt Feinde Osnabrücks mit dicken Mauern und den noch heute vorfindlichen Kanonen abzuschrecken, wurden nach der Herrichtung einer Gaststätte um 1885 herum herzliche Einladungen für Speise und Trank in die Außenwelt gesendet. Die Stadtgesellschaft Osnabrücks wurde Zeugin einer maßgeschneiderten Festungskonversion.

Die Ansichtskarte von 1920 zeigt den Kaffeegarten. Verlag unbekannt.
Die Ansichtskarte von 1920 zeigt den Kaffeegarten. Verlag unbekannt.

Eingeladen wurde mit einem wortgewaltigen Spruch: „Wo einstmals die Geschütze drohten, wird jetzt ein frischer Umtrunk geboten.“ Wortschöpfer dürfte der erste Pächter Friedrich Rahe gewesen sein, dessen Witwe Anna den Gastro-Betrieb bis 1890 weiterführte. Bis etwa 1911 übernahmen Eugen Schubert mit Gattin Susanne, danach ab 1912 Hermann Hagedorn den Pachtbetrieb von der Stadt. Populär wurde jener vor allem in jenen Zeiten, als noch kein Verkehrslärm vom Wall her hochdröhnte. Im imposanten Kaffeegarten rund um die alten Kanonen und im weiter westlichen Teil waren besonders beliebt. Drinnen lockten Speisen und edler Wein – auch im uralten Barenturm.

Im Zweiten Weltkrieg suchten die Menschen vor allem in den tiefer gelegenen Stollen unter der Vitischanze Schutz vor den Bomben der Alliierten. Nach dem Krieg fanden Flüchtlinge aus den nun polnischen Ostgebieten sowie aus dem Sudetenland eine Notunterkunft in den noch nutzbaren Räumen.

Die Karte von 1925 zeigt das Innere vom historischen Barenturm. Verlag Alfred Klein, Osnabrück.
Die Karte von 1925 zeigt das Innere vom historischen Barenturm. Verlag Alfred Klein, Osnabrück.

Nach dem Neuaufbau infolge der Kriegszerstörungen betrieb bis in die 80er-Jahre Gastronom Horst Gensch den Betrieb. Jahre später entrichteten unter anderem das Ehepaar Michael Schürmeyer und Brigitte Possenriede, zuletzt Udo Agarius die Pacht an die Stadt. Irgendwann war aber das Ende der Vitischanzen-Gastronomie eingeläutet. Bescheidene Besuchszahlen rentierten den Betrieb nicht mehr.


Vom Zocken zum Lernen

Bis 2001 zog die Spielbank von Bad Bentheim nach Osnabrück in den Gebäudekomplex um. So bildete das bis 2008 angesiedelte Spielcasino eine völlig neue, allerdings auch heftig umstrittene Nutzung. Aus dieser Zeit rührt auch die etwas ungewohnte, allerdings mit dem städtischen Denkmalschutz abgestimmte Architektur, die sich wie ein riesiger Quader auf den alten Mauern erhebt. Nach Aufgabe der Spielstätte hatte die Stadt eine stolze Entschädigung von 3,8 Millionen Euro zu zahlen, um alles wieder zu erlangen. Lange saß die städtische Immobilienverwaltung danach auf der Baulichkeit, die sich nur schwer vermarkten ließ. Im März 2017 zog dann schließlich der Fachbereich Industrial Design der Hochschule ein – aber auch wieder aus.

Seit 2019 nutzt schließlich das Niedersächsische Studieninstitut für kommunale Verwaltung die alte Wehranlage zur Ausbildung von Verwaltungsmitarbeitenden. Das NSI ist der zentrale Bildungsträger der Kommunen in Niedersachsen. Ausgebildet werden hier Angestellte der Kommunen zu Verwaltungsfachangestellten, Verwaltungswirten sowie zu Verwaltungsfachwirten.

Aus einem Bollwerk gegen vermutete Feinde ist somit im Laufe mehrerer Jahrhunderte ein klassischer Lern- und Begegnungsort geworden.

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