Samstag, 4. Mai 2024

Infos, Denkanstöße und kreatives Miteinander unter Fußballfans

Bundesweite Faninitiativen tagen am Sonntag im Piesberger Gesellschaftshaus

Am Sonntag könnte das altehrwürdige Piesberger Gesellschaftshaus jener Ort sein, von dem aus wichtige Impulse für die Erinnerungskultur der deutschen Fußball-Fanszene gegeben werden könnten. Im Zentrum stehen auch Osnabrücker „Vorarbeiten“, die sich um die Umwidmung einer vormaligen VfL-Spielstätte in ein späteres Zwangsarbeitslager in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ranken. Veranstaltet wird alles von Fangruppen, die sich im bundesweiten Bündnis „!Nie wieder“ zusammengeschlossen haben.

Für OR-Lesende soll deshalb unten noch einmal zusammenfassend dargestellt werden, was die Osnabrücker Gartlage damit zu tun hat, wenn vom Widerspruch zwischen Orten des Jubels und Orten späterer Zwangsarbeit gesprochen wird.

Das Programm am Sonntag

Um 11.00 Uhr beginnt der Einlass ins Geschehen, dessen erste Dreiviertelstunde eher lockeren Begegnungen und Erfahrungsaustauschen gewidmet ist. Die offizielle Begrüßung erfolgt um 11.45 Uhr. Exakt um 12.00 Uhr steht ein Input-Vortrag zum Thema „Zwangsarbeit in der NS-Zeit“ an, den Christine Glauning und Michael Gander gemeinsam halten werden. Um 13.00 Uhr wird das im Augustaschacht beheimatete Bundesprojekt „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts. Zwangsarbeitslager auf Fußball- und Sportplätzen“ vorgestellt, dem sich um 13.15 Uhr ein Vortrag des Autors dieses Artikels über den ehemaligen Sportplatz in der Gartlage anschließt. Gegen 13.30 Uhr ist das Schlusswort zugleich eine Überleitung zu einem gemeinsamen Mittagsimbiss.

Ab 14.00 Uhr besteht für alle die Gelegenheit, die markante Ausstellung „Ausgrenzung, Anpassung, Instrumentalisierung. Fußball in der NS-Zeit“ zu besuchen, die im „Pferdestall“ des Museums Industriekultur zu sehen ist. Abgerundet wird das Gesamtprogramm von einer musikalischen Begleitung durch Toscho Todorovic und Mike Titre. Auch Baruch Chauskin, Kantor der Jüdischen Gemeinde, wird ein gern gesehener Gast sein.


Geburtsstätte Osnabrücker Spitzenfußballs: Die wechselvolle Historie des Platzes an der Gartlage

Siegreiche VfL-Kicker nach dem Sieg gegen 96 genießen den Jubel ihrer Fans. Foto: VfL-Museum

Überregional beachtet wurde der Fußballplatz in der Gartlage, heute östlicher Teil des KME-Werksgeländes, endgültig am 26. Februar 1939. Der VfL Osnabrück hatte in einem grandiosen Spiel den damaligen Deutschen Meister Hannover 96 mit 3:0 geschlagen, um sich mit diesem Triumph den Weg zur Fußballmeisterschaft der Gauliga Niedersachsen zu ebnen. Sieg und Meisterschaft berechtigten zur stolzen Endrundenteilnahme zur Deutschen Meisterschaft.

Die erzwungene Aufgabe des Platzes an der Gartlage hatte eine lange Tradition beendet, in der jene Spielstätte sich zunehmend einen hohen Stellenwert in der Gunst des örtlichen Fußballpublikums erkämpft hatte. Da die neue (und heutige) sportliche Heimat, der damals noch junge Platz an der Bremer Brücke, optisch weitaus attraktiver wirkte, war die Wehmut alter Gartlage-Freunde aber schnell verfallen.

Nicht wenige wussten jedoch unverändert wehmütig als Zeitzeugen davon zu berichten, dass der Platz einst anno 1907 von Kickern des hiesigen Ballspielvereins von 1905 höchstpersönlich mit Schaufeln, Spitzen und Hacken hergerichtet worden war. Bis in den Ersten Weltkrieg hinein waren es hier besonders Duelle gegen attraktiv aufspielende Lokalrivalen, die zunehmend die Gunst des Publikums fanden. Es war eine Zeit, in der sich deutschlandweit rund 600(!) Vereine in über 30 höchsten, regional eng zugeschnittenen Ligen als „erstklassig“ bezeichnen konnten.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 setzte nicht nur der Entwicklung der Spielstätte an der Gartlage ein vorläufiges Ende. Viel tragischer war der Verlust der im Krieg umgekommenen oder kriegsversehrten Spieler. Der vormalige BV 05 fusionierte dann notgedrungen ab 1919 mit dem FC 1899, der ähnliche Opferzahlen verzeichnen musste und begann, nunmehr unter der neuen Bezeichnung Ballspielverein von 1899, an der Gartlage in Lila-Weiß zu spielen.

Bis 1925 erfolgte der Zusammenschluss mit dem Verein Spiel und Sport zum heutigen VfL Osnabrück. Heimstätte war schnell der Platz an der Gartlage, der, mit zumeist eigenen Kräften, Zug um Zug mit Stehterrassen ausgestattet wurde. Dies geschah, damit mehr Menschen die dortigen Spiele besuchen und ein wenig Geld in die meist klammen Vereinskasse einzahlen konnten. Tausende von Zuschauenden bildeten fortan keine Seltenheit mehr.


Wichtige Adresse des Erstligafußballs

Nachdem die NS-Regierung schon im Jahr ihres Machtantritts am 30. Januar 1933 dafür gesorgt hatte, dass fortan großflächige Gauligen die zahllosen alten Bezirksklassen oder -ligen ersetzten, wurde der VfL daraufhin in den Fußballgau Niedersachsen eingegliedert. Der Verein spielte dort zunächst in der Bezirksliga, was seinerzeit der zweiten Spielklasse entsprach. Bereits 1937 stiegen die VfLer, zuvor schon einmal aus ihr abgestiegen, wieder in die Gauliga auf. Die Gartlage entwickelte sich zum Ort demonstrierter Heimstärke. Sofort belegten die damals schwarzweiß auflaufenden Spieler in der Saison 1937/38 den zweiten Platz. Erster wurde Hannover 96, deren Team im gleichen Jahr deutscher Spiel des VfL in der Gartlage in den frühen 1920er Jahren Meister wurde. Die Gartlage wurde somit zunehmend eine wichtige Adresse für den Erstligafußball. Nicht unerwähnt soll dabei bleiben, dass die gewonnene Stärke des VfL auch damit zu tun hatte, dass leistungsstarke Spieler als Soldaten in wachsenden Osnabrücker Kasernen ihren Wehrdienst ableisten mussten.

Immerhin jeweils gut 15.000 Zuschauende sind es dann anlässlich der oben genannten Spiele gewesen, die mit dem alten Gartlage-Platz wunderschöne sportliche Erinnerungen verbanden.


Ort des Jubels wird zur Stätte brutaler Zwangsarbeit

Aufgegeben werden musste die Spielstätte, weil der Betrieb des Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerks (OKD), dem das Areal als Pächter gehörte, seine Produktionsflächen erweitern wollte. Die Umstellung auf Kriegsproduktion deutete sich bereits lange vor dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 an. Es folgten die Aufgabe und der Abbruch des Platzes. Die „Kampfbahn Bremer Brücke“, nur ein paar Steinwürfe entfernt, stand fortan als Nachfolgestadion bereit.

Dass der alte Platz wenige Jahre später zum Standort eines Lagers für Zwangsarbeitende wurde, ahnte anno 1939 wohl noch niemand. Ab 1942, der Zweite Weltkrieg war mit all seinen Leiden in das dritte Jahr getreten, bezogen rund 1.300 Zwangsarbeitende, meist Männer und Frauen aus der damaligen Sowjetunion, gut die Hälfte der rund 16 länglichen Holzbaracken, strikt nach Männern und Frauen getrennt.

Männer waren auch Überlebende aus Kriegsgefangenenlagern an der Ostfront, in denen rund dreieinhalb Millionen ehemaliger Kameraden durch verweigerte Nahrung und medizinische Hilfe systematisch ermordet worden waren. Durchschnittlich rund 81 Menschen hausten in der Gartlage jetzt in einer einzigen Baracke. Umzäunt war alles mit Stacheldraht. Bewaffnete Wehrmachtssoldaten sorgen mit geladenen Gewehren dafür, dass besonders von den Männern niemand hinauskommen konnte. In den Innenräumen der Behausungen türmten sich mehrstöckige Holzbetten. Ratten, Wanzen, Läuse und sonstiges Ungeziefer fanden immer wieder den Weg in die Schlafstellen, die aus primitiven Strohsäcken und speckigen Decken bestanden.

Als Toiletten dienten allenfalls stinkige Eimer. Die Ernährung bestand aus dosierten Brotstücken und wässriger Suppe. Vor allem Männer, die dabei erwischt wurden, wenn ihnen Einheimische heimlich Brot zusteckten, riskierten eine Haft im benachbarten „Arbeitserziehungslager Augustaschacht“, das die Gestapo unter KZ-ähnlichen Bedingungen beaufsichtigte und für viele Inhaftierte zum Todesort wurde.

Die wöchentliche Arbeitszeit der Geschundenen betrug zum Kriegsende hin mindestens 72 Stunden. Einsatzorte waren das Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk, die benachbarten Teuto-Metallwerke am Limberg, sowie zunehmend auch lebensgefährliche Arbeiten nach den Bombardierungen der Stadt. Etwa ein Viertel der Osnabrücker Todesopfer infolge alliierter Bombenangriffe waren auch deshalb Zwangsarbeitende.

Gartlage-Zwangsarbeiterinnen und ihr Wachpersonal. Foto: Arbeit und Leben Osnabrück

Großes Leid von Frauen und kleinen Kindern

Neben zahllosen ehemaligen Soldaten zählten zu den gnadenlos behandelten Menschen auch viele hundert Frauen, die sich, wie die Männer, zumeist in grob geschnitzten Holzschuhen zur Arbeit bewegen mussten. Den Nazis war es allemal lieber, den angeblich „rassisch minderwertigen“ Zwangsarbeitenden in den örtlichen Betrieben anstrengende Arbeit zuzumuten. Der Platz „arischer“ deutscher Frauen sollte, wenn irgend möglich, daheim an Heim und Herd sein. Kam es unter Zwangsarbeitenden zur Geburt von Kindern, wurden die Neugeborenen wie ihre Mütter kaum wirklich betreut. Noch heute künden zahlreiche Kindergräber, unter anderem auf dem Heger Friedhof, vom furchtbaren Schicksal der Betroffenen.

Tausendfach bejubelte fußballerische Triumphe und tausendfaches Leiden von misshandelten und ausgebeuteten Zwangsarbeitenden – makabrer konnte sich der Kontrast auf dem gleichen Gelände in Osnabrück nicht darstellen.

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