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Wer war der Mann, den man „Ilex“ nannte?
Der Start der OR-Serie zu früheren Redakteuren der Osnabrücker Rundschau befasst sich als erstes mit einem ganz besonderen Journalisten: Josef Burgdorf.
Meister der Recherche und Ironie
Man schreibt das Jahr 1930. Der gebürtige Hildesheimer und aus dem Weltkrieg als Kriegsbeschädigter heimgekehrte Josef Burgdorf (1895-1964) kommt nach Osnabrück, um die Funktion eines „Hauptschriftleiters“ bei der SPD-Tagesszeitung Freie Presse zu übernehmen. Ausgefeilt hat er sein journalistisches Profil zuvor beim Volksblatt in Herne, danach bei der sozialdemokratischen Schwesterzeitung in Bochum.
Postwendend macht sich der Neue in der Folgezeit auch in der Hasestadt einen Namen.
Vor allem die Osnabrücker Nationalsozialisten sehen Burgdorf schnell als einen ihrer Hauptfeinde an. Von Beginn an hat er sie und ihre Aktivitäten, insbesondere den „Obernazi“ Erwin Kolkmeyer, unter dem Pseudonym „Ilex“, was übersetzt Stechpalme bedeutet, mit Ironie und beißendem Spott bedacht. Jede Druckzeile ist detailliert recherchiert und angereichert mit schärfster intellektueller Brillanz.
Martyrium am 1. April 1933
Das antifaschistische Engagement des „Ilex“ endet in einem Martyrium: Am 1. April 1933 ergreift ihn ein Nazi-Trupp unter Führung des Uhrmachers und NS-Ortsgruppenführers Erwin Kolkmeyer. Abgeholt haben sie ihr Opfer aus der Villa Schlikker, jenem Hauptquartier der Osnabrücker NSDAP, das im Volksmund „Braunes Haus“ genannt wird. Spätestens seit Februar ist das Gebäude der zentrale Ort für Verhaftungen und Misshandlungen politischer Gegner. In dessen Wänden ist der Redakteur zuvor geschlagen und befragt worden.
Nach der ersten Tortur muss der Zeitungsmann, der gezwungen wird, ein Schild „Ich bin Ilex“ vor sich her zu tragen, einen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen. Mit Tritten, Schlägen, Schmähungen und Gejohle treiben über 100 triumphierende Braunhemden den Redakteur laut grölend durch große Teile der Innenstadt.
Uhrmacher Erwin Kolkmeyer: Tritte, Schläge und Wutfantasien
Im Gerichtsurteil des Osnabrücker Schwurgerichts vom November 1949, das den für die Misshandlungen hauptverantwortlichen Erwin Kolkmeyer zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, wird der Ablauf der Misshandlungen ausführlich dargestellt. Es heißt es dazu im Originalton, der von der OR erstmals veröffentlicht wird:
Die Großmutter des Autors dieses Artikels hat ihrem Enkel jene Geschehnisse zu Lebzeiten ebenfalls immer wieder unverändert betroffen in ihrer ganzen Schandhaftigkeit bestätigt.
Kurzum: Nach den erlittenen Torturen wird der schwer malträtierte Zeitungsmann in das Polizeigefängnis an der Turner Straße gebracht. Auch dort wird er noch sechs Tage drangsaliert und dann wieder entlassen.
Verfolgung und Widerstand
Gefängnisaufenthalte in Hamm und Osnabrück durchziehen die nächsten Lebensjahre. Ist Burgdorf nicht in Haft, muss er sich täglich auf der Polizeiwache melden. Zwischenzeitlich ist der Arbeitslose gezwungen, die Existenz seiner Familie mit dem Türverkauf von Seife und Kurzwaren bei ihm vertrauten sozialdemokratischen Familien abzusichern. Ständige Haussuchungen der Gestapo prägen den Familienalltag. Selbst sein Sohn Herbert, im Jahr der NS-Machtübernahme gerade einmal 10 Jahre alt, wird regelmäßig brutal von johlenden Hitlerjungen verprügelt. Dass sein einziges Kind später als Leutnant den Tod „für Führer und Vaterland“ auf der Krim findet, wird Burgdorf lebenslang zu schaffen machen.
Das Schlimmste an persönlichen Inhaftierungen folgt noch: Von November 1939 bis April 1942 wird er im KZ Sachsenhausen eingepfercht und ist erneut wehrlos den Schikanen seiner Bewacher ausgeliefert. Nach dem 20. Juli 1944 wird Burgdorf, im Zuge massenhafter KZ-Deportationen von NS-Gegnern aus der sozialistischen Arbeiterbewegung infolge des Stauffenberg-Attentats, nochmals inhaftiert. Die Folgen seiner Misshandlungen und Erniedrigungen werden dem Zeitungsmann lebenslang, physisch wie psychisch, zu schaffen machen.
Trotz all dieser Entbehrungen leitet Burgdorf ungeachtet täglicher Todesgefahr eine Widerstandsgruppe, was heute Akten aus dem Landesarchiv belegen. Im Widerstand gewinnt er Kontakt zu Kommunisten. Noch in der Nazi-Zeit wechselt „Ilex“, auch aus Enttäuschung über den ihm zu passiven Kurs seiner SPD gegenüber dem Faschismus, zur illegalen Kommunistischen Partei.
Neubeginn nach 1945
Nach dem Krieg versucht der leidenschaftliche Journalist sofort, seine Arbeit als Redakteur fortzusetzen. Doch die Briten, die seine antifaschistische Haltung kennen, setzen ihn zunächst als Arbeitsinspektor beim Arbeitsamt Osnabrück ein. Massiv setzt sich Burgdorf zeitgleich für den Neuaufbau einer Einheitsgewerkschaft ein. Am 1. März 1946 kann er endlich zum schreibenden Metier zurückkehren und wird Redakteur der frisch gestarteten Osnabrücker Rundschau.
Gleichzeitig gehört er für sechs Monate als KPD-Mann dem Stadtrat an, ist an ersten Entscheidungen zum Wiederaufbau beteiligt und wirkt besonders aktiv daran mit, Ehrenbürgerrechte und Straßennamen zu tilgen, die mit Nationalsozialismus oder Militarismus in Verbindung stehen.
Im August 1946 erhält Burgdorf die Lizenz zur Herausgabe der kommunistischen Zeitung „Hannoversche Volksstimme“ in der neuen Landeshauptstadt. Er verlässt seine vormalige Wirkungsstätte. Kurz danach bricht er jedoch mit der KPD, die zunehmend stalinistischen Prinzipien folgt und deren geistigen Gefolgsleute im Osten Deutschlands mit Hilfe der sowjetischen Armee immer offener daran arbeiten, eine kommunistische Diktatur zu errichten. Im Januar 1947 gibt Burgdorf seine Zeitungslizenz konsequenterweise wieder zurück. Danach kehrt er nach Osnabrück wie auch in seine vormalige politische Heimat SPD zurück.
Von November 1947 bis 1955 arbeitet Burgdorf als Wirtschafts- und Sozialdirektor bei den Stadtwerken Osnabrück und setzt sich in dieser Funktion engagiert für die Interessen der Beschäftigten ein. Mit 60 Jahren zwingt ihn aber sein Gesundheitszustand, durch lange Leiden lädiert, zum vorzeitigen Ruhestand. Während der Osterzeit 1964 stirbt Josef Burgdorf und wird auf dem Heger Friedhof in einem Urnengrab beigesetzt. Burgdorf-Freund Franz Hinz weist in seiner Trauerrede darauf hin, dass andere Freunde dem ehemaligen „Ilex“ bewusst etwas Besonderes vor den Sarg gelegt haben: den Strauß einer Stechpalme.