Judith Kessler: „A Mentsch. Sir Nicholas Winton, *19. Mai 1909, organisierte die Rettung von 669 jüdischen Kindern

1988 wurde Nicholas Winton (damals noch ohne „Sir“) unter einem Vorwand in die BBC-Fernsehsendung „that’s life!“ gelockt. Er wusste weder, dass er der Ehrengast war, noch was und wer ihn dort erwartete. Seither haben über 40 Millionen Menschen diesen kurzen Ausschnitt angeklickt, bei dem ich jedesmal heulen muss …

Nicholas‘ jüdische Eltern waren 1907 nach England ausgewandert. Der Vater, Rudolph Wertheim, dessen Familie eigentlich aus Hanau stammte, war in Moskau geboren worden, die Mutter, Barbara geb. Wertheimer (sic!), in Nürnberg und ihr Sohn „Nicky“ George Wertheim nun in London. Hier änderte die Familie auch ihren Namen, erst zu Wortham, dann zu Winton. Nicholas Winton machte eine Lehre als Bankkaufmann und wurde Broker.

Im Dezember 1938, eigentlich wollte er in der Schweiz Ski fahren, luden ihn Freunde nach Prag ein und er änderte sein Reiseziel. In Prag sah er viele Menschen, die sich nach der Besetzung des Sudetenlandes hierher geflüchtet hatten. Fast zeitgleich hatte Großbritannien angesichts der Novemberpogrome in Deutschland und dank der Intervention von Quäkern und Juden ein Gesetz verabschiedet, das jüdischen Kindern und Jugendlichen die Einreise erlaubte, sofern eine Pflegefamilie gefunden und die Garantiesumme für die Reise- und Umsiedlungkosten erbracht wurden.

Zurück in London wurde der 29-jährige Winton sofort aktiv. Er suchte sich Helfer in Prag und London, sammelte Spenden, trickste die Bürokratie aus und besorgte Fahrkarten, Visa und Pässe. Am 14. März 1939 – einen Tag vor der deutschen Besetzung – konnte die erste Gruppe Kinder aus der Tschechoslowakei nach London fliegen. In den folgenden Monaten bis zum 2. August kamen zig weitere mit dem Zug und mit dem Boot in London an. Ein für den 3. September geplanter Kindertransport kam nicht mehr zustande. Der zweite Weltkrieg hatte begonnen und machte ihre Ausreise unmöglich.

Nicholas Winton war ein stiller Mann. Er hat nie über diese Heldentat gesprochen. Bis seine Frau Grete 50 jahre später einen Koffer mit Fotos und den vollständigen Namenslisten der 669 geretteten Kinder fand – und die Sache öffentlich machte. Ein paar Monate später entstand die BBC-Sendung. Bis dahin hatten auch die einstigen Kinder nicht gewusst, wer ihnen das Leben gerettet hat.

Nicholas Winton starb 2015 im Alter von 106 Jahren.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
Follow by Email
Facebook
Youtube
Youtube
Instagram
Spotify