Donnerstag, 28. März 2024

Judith Kessler erinnert an Bruno Apitz, der heute vor 123 Jahren geboren wurde

Bruno Apitz, geboren am 28. April 1900Der Schriftsteller, Schauspieler und Kommunist saß buchstäblich die gesamte NS-Zeit in Konzentrationslagern, von 1933 an, davon die letzten acht Jahre in Buchenwald.

1958 erschien sein roman „nackt unter wölfen“ und 1963 der gleichnamige defa-film über die rettung eines kleinen jungen durch antifaschistische buchenwald-häftlinge in der endphase des krieges, angelehnt an die wahre geschichte des dreijährigen polnischen juden stefan jerzy zweig. (weniger beachtet, aber ebenfalls auf einer wahren begebenheit beruhend und eines der ersten literarischen werke, die noch in einem kz entstanden sind, ist seine novelle „esther“ von 1944, in der sich die heldin angesichts der gewissheit, ins gas geschickt zu werden, für widerstand statt selbstmord entscheidet.)

vielleicht ist ein grund dafür, dass apitz, der mit „nackt unter wölfen“ über nacht berühmt wurde, heute fast vergessen ist, seine staatsstreue und seine tätigkeit für die staatssicherheit. schaut man sich seine akte an, ist die sowohl vom umfang (60 seiten) als auch vom inhalt her eigentlich lächerlich. apitz wurde 1957 angeworben und hat seine mitarbeit 1959 bereits wieder gekündigt. interessiert war die stasi an seinen informationen, weil der lektor von „nackt unter wölfen“, martin gustav schmidt, sich 1958 in den westen abgesetzt hatte. apitz erklärte das seinem führungsoffizier im nachhinein (er selbst wußte von schmidts abgang nichts) damit, dass schmidt unter druck gestanden habe, weil er nicht in die SED eintreten wollte, aber ein „ehrlicher und loyaler“ mensch sei und offenbar „falsch behandelt“ worden und aus panik abgehauen sei.

schmidt selber erklärte apitz in einem brief aus dem westen dann, er habe nie weggehen wollen, aber man hätte ihm dinge zugemutet, die er nicht überstanden hätte und die ihn in den selbstmord getrieben hätten. zu diesen dinge gehörte u.a. ein kommentar der allseits geschätzten eva strittmatter in der zeitschrift „neue deutsche literatur“, in dem sie u.a. schmidt (der sich als schreiber martin gregor nannte) irreführenden „experimentalismus“ vorwarf, der „symptome einer gefährlichen, krankhaften entwicklung“ zeige und in dem sie seine flucht, aber auch seine literatur als ganzes als „verrat“ anprangerte und solche literatur habe in der ddr keine lebensberechtigung.

dass apitz martin gustav schmidt (der sich später martin gregor-dellin nannte und ein paar jahre präsident des PEN-zentrums deutschland war), recht wohlwollend schildert, mag auch daran liegen, dass der mit seinem lektorat wesentlich zum erfolg von „nackt unter wölfen“ beigetragen hatte. denn anfangs interessierte sich auch in der ddr keiner für den stoff, und schmidt war es, der das manuskript zu einem druckreifen text „geschliffen“ hat. der autodidakt apitz hatte ja nie studieren können, lebte zur zeit der entstehtung des romans mehr schlecht als recht von einer kleinen VdN-rente, litt immer noch an den folgen der langen haft, sah – laut schmidt – spitz, grau und unglücklich aus, und war einer, der sich unbeholfen, „das äußerste abrang, und was er erzählte, war es auch wert“. apitz war schmidt dankbar und wollte auch gleich noch 1958 an ihn schreiben, um ihn eventuell zu einer rückkehr zu bewegen, wurde jedoch von der stasi aufgefordert, dies zu unterlassen und fügte sich.

anders klingt der zweite bericht apitz‘ in der akte, von einer gemeinsamen reise mit stefan heym nach indien anfang 1959. in dem schildert er heym als arroganten, überheblichen, stark von sich selbst eingenommenen menschen, berichtet, dass der die ddr-kulturfunktionäre (die seinen roman über den 17. juni 53 abgelehnt hatten) als „literaturdiktatoren“ bezeichne und als „nichtskönner und nichtswisser, die papageienhaft nachplappern, was von oben gesagt und angeordnet werde, auch wenn er nach außen hin die politik der ddr vertrete. danach, wie gesagt, endet seine stasiakte schon, weil apitz sich weigerte, weiter den informanten zu spielen.

öffentlich aber vertrat bruno apitz weiter die parteilinie, vor allem, weil seiner meinung jede öffentliche kritik von ddr-persönlichkeiten oder -politik ein gefundenes fressen für die propagandisten im westen war. so sagte er über stephan hermlin, dass der nicht „begreife“, dass es „nicht nur um seine person geht“, sondern auch um das bestreben, „dem einbruch fremder ideologien zu wehren“ (hermlin war 1963 als sekretär der sektion dichtung und sprachpflege an der akademie der künste abgelöst worden, nachdem er für junge kritische lyriker eingetreten war) oder über wolf biermanns ausbürgerung 1976: „einem notorischen staatsfeind die staatsbürgerschaft abzuerkennen ist recht und pflicht meines staates“ und über die öffentliche protesterklärung von schrifstellern gegen biermanns ausbürgerung, die unterzeichner seien „naiv“ und „staatsfeindlich“, weil sie ihren protest nicht „an die zuständigen staatsorgane“ gerichtet, sondern dem BND hätten zukommen lassen.

privat äußerte sich apitz sehr wohl zur schieflage des ddr-sozialismus, gegen die stalinistischen parteisäuberungen oder die zunehmenden karrieristen in der partei. seine frau erinnerte sich, dass ihm die zugehörigkeit zu „seiner“ partei immer wichtig gewesen, aber seit den 1960er jahren von seiner trauer darüber überschattet gewesen sei, in ihr keine heimat mehr sehen zu können. die partei hatte seiner ansicht nach mit der kommunistischen partei, in der er groß geworden war und mit der im kz solidarität und mitmenschlichkeit erlebt hatte, nichts mehr gemein. nichtsdestotrotz fühlte er sich verpflichtet, sein „antifaschistisches und sozialistisches deutschland“ zu schützen und zu verteidigen – und hat dabei so manches „kind und mit dem bade ausgeschüttet“.

„nackt unter wölfen“ bleibt ein wichtiges buch.

(die „facts“ stammen von dem historiker lars förster, der als einer der wenigen explizit zu apitz geforscht hat)

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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