Mittwoch, 8. Mai 2024

Judith Kessler: Sie trugen im besetzten Paris Davidsterne mit der Aufschrift „SWING“ oder „ZAZOU“…

„Zazou“ war eine Stilrichtung des Jazz, aber auch der Name der Swingkids von Paris, einer anarchischen, fröhlichen Jugendbewegung, die ähnlich wie die Swingjugend in Hitler-Deutschland auf ihre Weise dem Vichy-Regime und den Nazis trotzten.

Die Subkultur hatte ihren Namen wahrscheinlich aus dem Song „Zaz Zuh Zaz“ des schwarzen Jazzmusikers Cab Calloway entlehnt oder von dem damals beliebten Sänger Johnny Hess, in dessen Schlager „Je Suis Swing“ die Zeile „Za zou, za zou, za zou, za zou ze“ vorkam.

Die subversiven Markenzeichen der männlichen Zazous waren übergroße, meist karierte Jacken mit vielen Taschen (eine Reaktion auf die Regierungsverordnungen zur rationierung von Stoff), schmale Hosen, wollene Krawatten, hohe Hemdkragen, Wildlederschuhe mit dicken Sohlen, bunte Socken, schmale Schnurrbärte, lange Haare (auch das als Reaktion auf die Verordnung, dass Friseure Haare zur Weiterverarbeitung in Pantoffeln oder Pullovern sammeln sollten) und als Parodie auf die Briten die sogenannten „Chamberlain“-Regenschirme, die immer ordentlich zusammengerollt und auch bei regen nie geöffnet wurden. Die Zazou-Mädchen trugen schulterlange blonden Locken oder Zöpfe, knallroten Lippenstift, Sonnenbrillen, Rollkragenpullover, Jacken mit extrem breiten Schultern, kurze Faltenröcke und Schuhe mit dicken Holzsohlen.

Die Zazous trafen sich in Cafés, Kinos, Kellerklubs und auf kurzfristig anberaumten Partys, machten sich über die Politik der Besatzer lustig, tanzten zu „entarteter“ schwarzer Musik oder zu Manouche-Jazz und Swingmusik und zogen den Zorn der Nazis und der kollaborativen Vichy-Regierung durch ihre Nonkonformität auf sich.

Allein 1940 antwortete die Vichy-Presse mit 78 Artikeln, in denen den Zazous bescheinigt wurde, moralisch verkommen, dekadent, arbeitsscheu, pervers und jüdisch-gaullistische Drückeberger zu sein. Bald folgten Razzien und die Zazous wurden zu Freiwild. Mitglieder der faschistischen Jugendbewegung „Jeunnesse Populaire Française“ jagten sie unter dem Slogan „Scalp the Zazous!“ auf der Straße, verprügelten sie und schoren sie mit eigens mitgeführten Haarschneidemaschinen kahl. Viele wurden festgenommen und in Arbeits- oder Umerziehungslager gesteckt.

Als den Juden 1942 der „Judenstern“ aufgezwungen wurde, begannen einige Nichtjuden, gelbe Sterne mit der Aufschrift „Buddhist“ oder „Victory“ statt „Juif“ zu tragen. Die Zazous griffen die Idee auf, quasi als stärkstes Mittel, den Besatzern und Vichy den Mittelfinger zu zeigen. Sie schrieben „ZAZOU“, „SWING 42″, „GOI“ (Nichtjude) oder „Auvergnat“ (Mensch aus der Auvergne) auf selbstgebastelte Sterne und solidarisierten sich so mit den anderen verfolgten „Außenseitern“. Etliche Sternträger landeten dafür wegen „Volksverhetzung“ oder auch wegen Homosexualität in deutschen Konzentrationslagern. (Schönen Gruß übrigens an die Impfgegner, die sich heute, mit „Judensternen“ dekoriert, unbehelligt mit Verfolgten und Ermordeten gleichsetzen dürfen).

Die wenigen frei gebliebenen Zazous gingen in den Untergrund. 1944 schlossen sich einige dem bewaffneten Kampf um die Befreiung von Paris an. Der kommunistische „Mainstream“-Widerstand nahm sie jedoch nicht für voll. Und nach dem Krieg wurde ihnen von den Sozialisten vorgeworfen, im Krieg eine Scheißegal-Haltung gehabt oder gar kolloboriert zu haben.

Merci les Zazous!

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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