Der afghanische König Amanullah besucht als erstes Staatsoberhaupt nach dem Ersten Weltkrieg die deutsche Hauptstadt. Der Lehrter Bahnhof ist mit Fahnen, Tannengrün und roten Teppichen geschmückt, die Reichswehrkapelle intoniert „Preußens Gloria“, Reichspräsident Paul Hindenburg begrüßt den König und seine Gattin Suraya, die Berliner (die ihn „Amanullerich“ oder „Ullemulle“ nennnen) jubeln ihm auf der anschließenden Fahrt im offenen Wagen schwerst begeistert zu (ihr eigener König sitzt ja auf Schloss Doorn in Holland und hackt Holz) – und Erich Mühsam und Kurt Tucholsky schreiben jeder ein, wie gewohnt, sarkastisches Gedicht …
Erich Mühsam, in: „Die Welt am Montag“, Februar 1928
Hilfe in der Not
Mit Pomp und Glanz fährt deutschlandwärts
der König der Afghanen.
Da puppert in der Brust das Herz
Ex-Wilhelms Untertanen.
Afghanistan, gesegnetes,du Sonnenland!
Hier regnet esauf schwarzrotgoldene Fahnen!
Schon rüstet auch die Republik
für ihre Ehrengäste.
Denn wohlverstandne Politik heischt
Reden, Frühstück, Feste.
Auch ein Hotel gewöhniglich
ist nicht genügend königlich.
Wofür hat man Paläste?
Paläste? Schlösser? Ei, verdammt,
daß wir sie jetzt vermissen!
Wir haben sie ja allesamt
den Zollern nachgeschmissen!
Wohin mit Amanullab? mit
der Königin, mit Sulamith?
Das mag der Teufel wissen!
Doch Gottes Rat ist in der Näh’,
der Schaden wird genietet:
besitzt man keins, wird ein Palais
vom Zollernhaus gemietet!
Ex-Wilhelm weiß, was Segen schafft
und sorgt, daß der Kollegenschaft
die Republik was bietet.
Ihr seht, es geht nicht ohne IHN,
der uns zu früh entschwunden.
Doch hat er selbst einst nach Berlin
den Weg zurück gefunden:
Ein jeder Untertan ist dann
dem König von Afghanistan
in Dankbarkeit verbunden.
Theobald Tiger, in: Arbeiter Illustrierte Zeitung, nr. 12, 1928
Ersatz
Aman Ullah-Chan in Berlin
Einen richtigen König? Wir haben keinen
und daher borgen wir uns einen.
Sei gegrüßt, du schöne Gelegenheit!
Alles ist wie in alter Zeit:
Straßenabsperrung und Schutzmannsgäule,
Neugier der Kleinbürger, Hurra-Geheule,
Monokel-Kerle die Kreuz und die Quer
und: Militär! Militär! Militär! …
Endlich wissen die deutschen Knaben,
wozu sie eine Reichswehr haben!
Dazu.
Denn wenn Deutschland was feiert,
kommt immer die Reichswehr angemeiert,
als der vollendete Ausdruck des Landes
und zur Erfrischung des Bürgerverstandes.
Im Spalier aber steht bei Aman Ullah-Chan
Er: der deutsche Untertan. Wo wird denn der fremde König wohnen?
Er kann doch nicht auf dem Bahnhof thronen …
Ein Palais? Ja, es tut uns furchtbar leid:
aber die Palais gehören zur Zeit
der republikanischen Fürstlichkeit.
Da mieten wir schon – laß die Arbeiter kollern! –
bescheiden ein Haus von den Hohenzollern.
(Von deinen Steuern.)
Und mit mächtigem Getos gehts los: Generale und Admirale.
Bürgermeister und Ehrenpokale –
oben, auf dem Brandenburger Tor,
lugt eine richtige Feldwache vor
– sie spielen Krieg – als ob sie drauf lauern,
vor der Macht eines Königs zu erschauern.
Und in allen Augen ein Glanz:
Heil Aman Ullah im Siegerkranz!
(Unsrer ist leider – Gott seis gepfiffen –
leise weinend ausgekniffen.) Und wer tommt denn da –?
Der liebe gute republikanische Kronprinz ist auch noch da!
Mit dem Geschmack von Papa
und mit Tatü und Tata
fährt er im Auto durch die Linden,
um in den Pferdeäppeln eine verlorene Krone zu finden.
Das gute Kind –!
Wie die Rücken sich beugen
wie die Fräcke sich demutsvoll verneigen!
Uniformen blitzen ordensbesternt!
Das können sie. Das haben sie gelernt.
Lacht da einer? Da lacht keiner drüber.
Die Zeitungen schwappen vor Schwachsinn über,
belichten vom Präsidenten-Salon,
von Gala-Oper und Hühnerbouillon,
Der braune König wird Ehrendoktor …
Und nur ein vaterlandsloser, verstockter
Roter sieht in der ganzen Musik
den schönen Traum einer Republik.