Die Konditorei Meyer am Kollegienwall 17 (1938) und die wahre Geschichte über „Schnotten-Meyer“

Wir veröffentlichen jeden Sonntag um 13.00 Uhr in bunter Reihenfolge ein Foto aus Osnabrücks vergangenen Zeiten und jeden Donnerstag um 13.00 eine Postkarte aus Helmut Rieckens‘ Ansichtskartensammlung.
Zwar gibt es bereits etliche Fotogruppen bei Facebook oder sonstwo, aber diese werden hin und wieder durch ätzende Kommentare immer unerträglicher. Zudem ist die Rundschau eben keine Facebookgruppe, sondern vor allem im Internet präsent: Nur etwa 15 Prozent unserer Leser:innen rufen die Rundschau über FB auf. Vorhergehende Beiträge gibt es unter Es war einmal in Osnabrück zu finden. Viel Spaß beim Stöbern …

 

Blick aus dem Pottgraben auf die Konditorei und Bäckerei Friedrich Meyer, Kollegienwall 17

Links: Blick in die Johannisfreiheit
Rechts: Einmündung des Kollegienwalls
Jahr: 1938
Foto: Ansichtskarte Hans Veith

Mit freundlicher Genehmigung vom Verlag H. Th. Wenner
Alt-Osnabrück. Bildarchiv fotografischer Aufnahmen bis 1945. Band 1
Alt-Osnabrück. Bildarchiv fotografischer Aufnahmen bis 1945. Band 2

Alt-Osnabrück. Bildarchiv fotografischer Aufnahmen bis 1945. Band 3




Aus „Kär, Kär, Kär! Das vorläufig endgültige Osnabrücker Möchtegernwörterbuch 3.0“

Die wahre Geschichte über „Schnotten-Meyer“ und die Herkunft von Springbrötchen

Wer älter als etwa 40 Jahre ist, bekommt allein bei der Nen­nung des Namens „Bäckerei Meyer“ sofort einen wehmütigen Blick und seufzt, zumeist begleitet von einer ausladenden Handbewe­gung: „O ja, Schnotten-Meyer … (Kinder aus besseren Familien sagten damals auch ‚Schmöttke-Meyer‘) … da haste nachm Schwümmn fürn paar Pfennich sooon Eis gekricht!“

Dass sich ein nur wenig mit Ästhetik behafteter Begriff wie „Schnotten-“ oder „Schmöttke-Meyer“ letztendlich zu einem abso­lu­ten Gütesiegel ver­kehrte, spricht natür­lich zum einen für die Spit­zen­qualität, die in der Bäckerei durchgehend geliefert wurde, steht aus kindlicher Sicht aber vor allem für das legendäre „Meyer-Eis“, das stets größer war als der Preis.

Für mich befand sich die Bäckerei Meyer auch nicht am Pott­graben, sondern zunächst an der Ecke Lotter Straße/Uhland­stra­ße. Nach dem Krieg war das Stammhaus nur noch eine Ruine und da an der Lotterstraße ein Backofen stand, begann man dort erst ein­mal mit einer Filiale, während das Stammhaus am Pottgraben wie­deraufgebaut wurde.

Um mir ein Eis zu holen, durfte ich an besonders heißen Tagen hin und wieder mit dem Roller von der Augustenburger Straße 88 bis zu Schnotten-Meyer fahren – also weit über die Gellertstraße hinaus, die sich für mich normalerweise als unüber­windliche Ost­grenze darstellte.

Gleich hinter der Eingangstür rechts standen zwei Eimer voll mit Eis, dahinter meistens eine große Frau, die mit einem riesigen Esslöffel und manchmal auch mit einem Holzlöffel so lange Eis auf die große Waffel anhäufte, bis es so hoch wie der Piesberg war und es unter seiner eigenen Masse zusam­menzubre­chen drohte.

Diese Eisbombe kostete ganze zehn Pfennige. Für uns Kinder war Meyer-Eis somit eine der ersten erlebten wahrhaftigen Sensati­onen. Anfang der 60er Jahre wurde dieses Schauspiel im wiederauf­ge­bau­ten Stammhaus am Pottgraben unter ähnlichen Vorzeichen fortge­setzt. Ende der 60er Jahre verbrachte ich schließlich den größten Teil meiner Schulzeit in dem im ersten Stock befindlichen Café. Auch wenn man dort bei nur einer einzigen Cola sechs Schul­stun­den absaß, gab es keine vorwurfsvollen Blicke oder dumme Bemer­kungen.


Bäcker aus Überzeugung

Fünfzig Jahre später fahre ich nun mit Manfred nach Bad Laer, um Thomas Meyer in seiner Bäckerei zu besuchen. Er ist Bäcker- und Konditormeister in der vierten Generation, und das offenkun­dig mit großer Leidenschaft. Wenn er vom Bäckerhand­werk erzählt, kommt man aus dem Staunen über sein Fachwissen nicht mehr her­aus.

Bei ihm ist generell vieles anders und doch so entspannend nor­mal. Er verzichtet beim Backen auf unnötige Zusatzstoffe, seine Backwaren sind für Allergiker geeignet und schmecken umwerfend gut. Ich habe dort „inkognito“ mit meiner Tochter, als sie aus Ham­burg zu Besuch und wie immer auf irgendeinem neuen Ernährungs­trip war, Dinkel-Nussecken und Dinkelbrot mit Körnern und Haselnüssen für sie kaufen müssen.

Für meine Tochter mag das okay sein, aber ich und Dinkel? Das passt einfach nicht zusammen. Dachte ich jedenfalls. Was soll ich sagen? Ich will nie wieder ein anderes Brot essen und Jule bestellt es sich demnächst aus Hamburg, denn auf Wunsch kommt alles per Post nach Hause.

Die Bäckerei Meyer hat nämlich eine Online-Filiale. Bei Ebay kann man vom Springbrötchen bis hin zum laktose- oder gluten­freien Brot fast alles bestellen, was es auch im Laden gibt. Der Ver­sand dauert meistens nur einen Tag.

Frau Meyer kommt herein und begrüßt uns lächelnd: „Ich war im Supermarkt, die mussten wieder eine zweite Kasse für uns öff­nen.“ Die Meyers haben sage und schreibe 13 Kinder. Tochter Franziska (18) hilft heute im Verkauf aus. Als ich sie frage, wie das Leben mit 12 Geschwistern sei, antwortete sie strahlend: „Einfach toll, es ist immer was los und man ist nie alleine!“

„Der Sonntag gehört Gott und meiner Familie“, sagt Thomas Meyer mit derselben Überzeugung, mit der er sich weigert, Back­mittel einzusetzen. „Ich brauche kein Bio-Zertifikat, das ist mir alles viel zu bürokratisch. Ich weiß auch so, dass ich nur einwandfreie Zutaten verwende.“

Er ist Überzeugungstäter und wirkt auf mich mit seiner in sich ruhenden Ausstrahlung fast wie ein Heiliger des Bäckerhandwerks. Die meisten seiner Kunden kommen ganz bewusst zu ihm nach Bad Laer und ganz bestimmt nicht nur Allergiker.

Bäcker aus Überzeugung: Thomas Meyer - Fotos: Manfred PollertBäcker aus Überzeugung: Thomas Meyer - Fotos: Manfred Pollert

Natürlich will ich noch wissen, woher der Name „Schnotten-Meyer“ eigentlich kommt.

Sein Vater gehe bis heute zwar nicht so locker damit um, auch wenn er längst wisse, dass dieser etwas anrüchige Kosename von den Menschen ausschließlich mit positiven Kindheitserlebnissen verbunden werde, erklärt Thomas Meyer. Er selbst habe damit gar kein Problem.

Dabei ist die Erklärung recht einfach: Tatsächlich entstanden ist der Name in den Kriegsjahren, als alle Backzutaten generell rar waren. Eines Tages konnte die Bäckerei ein Süßungsmittel ergat­tern – es gab keinen Zucker –, mit dem eine Puddingfüllung für einen Kuchen gesüßt wurde. Statt eine feste Masse zu bilden, ver­flüssigte sich der Pudding völlig und lief aus den Seiten heraus. Die Schüler aus der gegenüberliegenden Volksschule, für die der Kuchen eigentlich vorgesehen war, gaben der Bäckerei dann diesen unsäglichen Beinamen. Thema abgehakt.


Und ich habe noch eine Frage an Thomas Meyer: „Warum gibt es Springbrötchen eigentlich nur in Osnabrück?“

Foto: Manfred PollertFoto: Manfred Pollert

Die Antwort fällt, wie erwartet, ausführlich und kompetent aus. Ich aber werde alles laienhaft zusammenfassen: In und um Osna­brück herum wuchs und wächst wegen des übermäßigen Regens kein hochwertiges Getreide. Das daraus gewonnene, recht schwere Mehl mit minderer Qualität ist letztendlich die Ursache für die Springbrötchen mit ihrem festen Teig.

Man kann also behaupten: Die Natur hat das Springbrötchen notgedrungen erfunden. Heute wird zwischen Wiehengebirge und Teutoburger Wald kaum noch Getreide angebaut und das schwere Getreide für die Springbrötchen muss extra gemischt werden. Sehen Sie es mir bitte nach, Herr Meyer, wenn ich einiges etwas einfach und flapsig ausgedrückt habe. Der Besuch bei Ihnen war jedenfalls eine wirkliche Bereicherung.

Diese und weitere Osnabrücker Geschichten gibt es in Kallas Wefels "Osnabrücker Möchtgernwörterbuch 3.0" zu finden, das es in allen Buchläden in "Osnabrück und umzu" zu kaufen gibt.Diese und weitere Osnabrücker Geschichten gibt es in Kallas Wefels "Osnabrücker Möchtgernwörterbuch 3.0" zu finden, das es in allen Buchläden in "Osnabrück und umzu" zu kaufen gibt.

 

 

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