Was kann, darf, muss KUNST?

Ein Plädoyer für die Kunstfreiheit in Zeiten der aufgeheizten Gemüter anlässlich der Verhüllungsaktion von Ibrahim Mahama im Rahmen der Feierlichkeiten von „375 Jahre Westfälischer Frieden“ in Osnabrück

Zunächst einmal: KUNST muss gar nichts, nicht einmal gefallen, aber kann und darf fast alles. Wie sang schon Danger Dan? „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt.“

In der Tat gibt es aus gutem Grund (man denke nur an die Verfemungen während der Naziherrschaft im vergangenen Jahrhundert) in unserem Grundgesetz den Artikel 5, der besagt:

„(1)Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2)Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. (3)Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

„Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ – lassen wir uns diesen Satz aus unserem Grundgesetz einmal langsam und lange durch den Kopf gehen! Er beinhaltet die Grundsätze eines Lebens in einer freien Gesellschaft, nämlich die Akzeptanz Andersdenkender, schränkt es aber gleichzeitig im nachfolgenden Satz ein im Hinblick auf den Schutz von Schwächeren, Minderheiten und eben auch Andersdenkender.

Auch über den Begriff „Freiheit“ haben sich viele kluge Köpfe einen Kopf gemacht. So wird Benjamin Franklin folgender Satz zugeschrieben: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende alles verlieren.“ – eine Warnung vor zu vielen Vorschriften bzw. gesetzlichen Einengungen.

Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage „Was kann, darf, muss KUNST?“

Um das beantworten zu können, muss erst einmal der Begriff KUNST geklärt werden, und das ist gar nicht so einfach, da sich die Bedeutung im Laufe der Jahrhunderte verändert hat.

Kunst ist ein urdeutsches Wort und kommt ursprünglich tatsächlich von „können, etwas beherrschen“ und meint etwas Menschengemachtes (im Gegensatz zur Natur). Und ebenso ursprünglich gab es halt Menschen, die kunstfertig waren, im Handwerk etwa oder in der Heilkunst. Diese Begrifflichkeit gibt es immer noch, auch in diesem Sinne, jedoch hat sich der alleine stehende Begriff KUNST mit anderen Inhalten gefüllt: Das Merkmal des Schöpferischen ist in den Vordergrund getreten, die KUNST als Befriedigung eines Urtriebs des Menschen (l’art pour l’art – Kunst um der Kunst willen).

Heute können wir unterscheiden zwischen der bildenden Kunst (Malerei, Bildhauerei, Druckgrafik, Fotografie usw.), der darstellenden Kunst (Theater, Film, Tanz), Literatur als Kunstgattung, sowie Musik und nicht zu vergessen die neuen Medien wie Games und Virtual Reality.

Transfer(s) – Ibrahim Mahama, Foto: Kerstin Broszat

Widmen wir uns noch einmal der Verhüllungsaktion von Ibrahim Mahama.
Warum also wird dieses Kunstwerk, diese Aktion von vielen Menschen so angefeindet?
Ja, es ist auf den ersten Blick herausfordernd hässlich.
Aber nimmt man sich wirklich einmal die Zeit für einen zweiten Blick, um alle Seiten des verhüllten Gebäudes in Ruhe zu betrachten, sieht man hier etwas Geflochtenes, dort eine Fläche mit „Fenstern“, durch die man die dahinterliegenden Wände sehen kann, an anderen Stellen sind auffällige blaue, in Falten geworfene Flächen auf das braune, fleckige Sackleinen aufgenäht.

Transfer(s) – Ibrahim Mahama, Foto: Kerstin Broszat

Und schaut man dann auf den dritten Blick hinter die Fassade, in dem man sich mit dem Hintergrund dieses Mahnmals beschäftigt, sollten eigentlich die unrühmlichen Gegebenheiten des Welthandels vom Leinen- über Kakao- und Sklavenhandel bis zur heutigen Ausbeutung und Verschickung unseres Mülls in die übrige Welt übelst aufstoßen.

Aber ist das KUNST?
Ja, weil es von Menschen gemacht ist.
Ja, weil es großes Wissen und Geschick bedarf, so eine Installation herzustellen.
Ja, weil es im Auge des Betrachters liegt, es als KUNST zu sehen, denn KUNST ist grundsätzlich frei; Kunst um der Kunst willen.

Niemand hat jemals irgendwo bestimmt, dass KUNST bestimmten ästhetischen Ansprüchen gerecht werden müsse (wer sollte diese auch festlegen?).

Natürlich gibt es viele Kunstwerke, Musikstücke, Texte, die allgemein als „schön“ empfunden werden. Nur, wenn es einem Menschen wichtig ist, (s)eine Botschaft nach außen zu tragen, etwas anzuprangern und dafür sein Ausdrucksmittel der Wahl die KUNST ist, darf, ja muss er diese dafür (be-)nutzen dürfen. Ohne diese Freiheit gäbe es keine Punkmusik, kein Gemälde „Guernica“, kein Theaterstück „Die gegangen sind“, kein Buch „Im Westen nichts Neues“.

Und natürlich steht es jedem frei ein Kunstwerk zu diskutieren, zu unterstützen oder zu kritisieren, zu kaufen oder liegenzulassen, hin- oder wegzusehen, aber es verbietet sich, es zu verbieten oder zu zerstören (natürlich immer vorausgesetzt, es widerspricht nicht den Sätzen 2 und 3 des Artikels 5 unseres Grundgesetzes – darüber haben unsere freien Richter zu entscheiden)!

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