Dienstag, 22. Oktober 2024

„In Liebe, Remarque“ – Szenische Lesung mit „HEYLundSEGEN“

„In Liebe, Remarque“
Szenische Lesung mit „
HEYLundSEGEN“

Der in Osnabrück geborene Erich Maria Remarque wurde durch seinen Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ weltberühmt. Hartmut Heyl hat mit Ulrike Pepmöller, Sonja Schwarz und Dr. Rolf Westerheider aus Anlass des 125. Geburtstages des Schriftstellers Dialoge aus drei Werken Remarques zu einer szenischen Lesung zusammengestellt, die sie musikalisch gerahmt beeindruckend in Szene setzen. Die Aufführung zeigt neben Ausschnitten aus dem Werk anhand von Briefen auch die komplexe Persönlichkeit des Autors und bietet auch Remarque-Kennern spannende Einblicke.

Die Beschäftigung mit dem Werk des „militanten Pazifisten“ ist hochaktuell. Die Frage von Pete Seegers 1955 geschriebenen Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“, das in der 1962 veröffentlichte Version von Marlene Dietrich 1962  populär wurde, beantwort die Aufführung mit Texten aus Remarques Roman Im Westen nichts Neues, der auch deshalb ein pazifistisches Statement gegen den Krieg ist, weil er die Brutalität des Krieges und das grauenhafte Massensterben und die Leiden, die ihm vorausgehen, ohne beschönigendes Pathos schildert. Und klar die Verantwortlichen bennent: „Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hingehen müssen.“ Remarques Roman bleibt – leider – bis heute aktuell.

Seine Texts wechseln sich mit Abschnitten aus Feldpostbriefe von Franz Brune aus Bad Laer ab, der im Ersten Weltkrieg erst an der West- und dann an der Ostfront im Schützengraben lag (Martin Brune: Den Liebsten was Treues. Feldpostbriefe aus dem 1. Weltkrieg von Franz Brune, Bad Laer, betrachtet im Lichte von E. M. Remarques „Im Westen nichts Neues“, 2020), die die   kriegsverachtenden Aussagen Remarques bestätigen: „Die halbe Kompanie futsch. Ich habe keine Lust mehr zum Schreiben“. Die Rundschau hat über ein weiteres Zeugnis aus dem Ersten Weltkrieg, das Tagebuch eines Oeseders, ebenfalls mit Parallelen zu „Im Westen nichts Neues“, berichtet: „Im Osten nichts Neues!“ https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/martina-sellmeyer/im-osten-nichts-neues/

Im Schwarzen Obelisken, in dem Remarque 1956 den aufkommenenden Nationalsozialismus am Beispiel einer Stadt in den 1920er Jahren beschrieb, sind die Protagonisten nocht traumatisiert vom Krieg. Der Autor setzte sich mit der Kirche und der Wissenschaft, aber auch dem Milieu seiner Heimatstadt auseinander. Der Dialog zwischen Remarques alter ego Ludwig Bodmer und Pastor Bodensieck wird von Hartmut Heyl mit einem kräftigen Halleluja eingeleitet, und Heyl wäre nicht Heyl, wenn er nicht statt Leonard Cohens berühmter Version eine andere gewählt hätte, die von der Kölner Karnevalsband „Brings“. Beim Streitgespräch mit Ludwig Bodmer, dem „jungen Heiden“, wird aus Vikar Bodendiek, der mystischen Figur in Brokat,  „ein einfacher Agent Gottes, gemütlich, kräftig, mit den roten Backen, der roten Nase und den geplatzten Äderchen darin, die den Liebhaber des Weines kennzeichnen.“ Die beiden diskutieren bei einem Glas Wein über das „irdische Jammertal“ und den Gott der Liebe, der es geschaffen hat, eine Liebe, an der Ludwig Bodmer, der Erzähler, zweifelt: „Eine Liebe, die voll Sadismus ist.“

Protagonist Ludwig Bodmer verliebt sich im Schwarzen Obelisken als Organist der Gertrudenkirche in die Patientin Isabelle. Skurile, philosophische Dialoge sind das Resultat. Wesentlich komplizierter als diese fiktive Beziehung war Erich Maria Remarques reale Beziehung zu Marlene Dietrich, ein Drama, „dem wir die schönsten, sehnsüchtigsten, Liebesbriefe verdanken“, heißt es in der Ankündigung der Veranstaltung. „Marlene war nichts für schwache Nerven, und einen gesunden Magen musste man auch haben, denn sie konnte jeden Mann unter den Tisch kochen…“, notierte Remarque 1938 in seinem Tagebuch. Man sorgte sich umeinader: „Bist du auch unterwärts warm angezogen?“ fragt der Schriftsteller die Geliebte.

Zwar bekochte die Diva den Schriftsteller („Mein Pressurecooker ist kaputtgeganen, deshalb so spät“), doch Marlene wurde zum „Puma“, wie Remarque sie nannte, wenn jemand Schwäche zeigte. Und Remarque war in dieser Beziehung eindeutig der Schwächere. Marlene fand ihn  anspruchslos, „leicht zu lieben“, schließlich fand er sich mit ihren parallel geführten Beziehungen ab. Und versuchte, sie in ihrer trotz aller Beziehungen empfundenen Einsamkeit mit seinen Briefen aus der Schweiz zu trösten, die er einmal ein „seelisches Butterbrot, den Trost der Betrübten“ nannte.  „Sag mir, dass du mich liebst“, bettelte Remarque um ein bisschen Zuneigung jahrelang nicht nur Marlene, sondern auch seine anderen Geliebten an.

Remarque, der sich damit zum Schreiben motivieren wollte, saß allein in seiner Villa Monte Tabor am Lago Maggiore im Tessin, wo er einsame nächtliche Ausflüge unternahm: „die Hunde, der Jaguar und ich.“ In poetischen Passagen aus „Arc de Triomphe“ zeigt sich die Zufälligkeit und Zerbrechlichkeit der Liebe in Verfolgungs- und Fluchtzeiten: „Sie war schön wie eine Wiese, über die der Wind wehte“.

Es ist derselbe Wind, der in Remarques Roman „Der Funke Leben“ den Kittel um Ruth Hollands dünne Beine weht, die am doppelten Stacheldrahtzaun eines Konzentrationslager steht. Es ist dieselbe blühende Wiese wie an der Front in „Im Westen nichts Neues“, über die Kohlweißlinge taumeln, mitten im roten Klatschmohn, derselbe Wind, der in den Haaren der Soldaten spielt, während  gelbe Fesselballons und „die weißen Wölkchen der Flakgeschosse“ über ihnen hängen. „Nur wie ein sehr fernes Gewitter hören wir das gedämpfte Brummen der Front. Hummeln, die vorübersummen, übertönen es schon.“ Und doch ist Krieg allgegenwärtig, darf man ihn nicht vergessen, egal, wie weit er weg ist. Auch wenn man ihn nicht hört. Die szenische Lesung bringt ihn bis in die Idylle von Gösmanns Scheune in Hasbergen. Und das ist gut so und wichtig.

Die nächste Aufführung findet am 25. Oktober 2024 um 19 Uhr in der Marienkirche in Osnabrück statt. Informationen unter www.heylundsegen.de

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