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Wo Putins Fahnen wehen, gibt es keine Solidarität mit der Ukraine

„Die Freiheit, die ich meine.“

Wochenende und die ersten Sonnenstrahlen seit langer Zeit – also ab in den Park … Geht nicht, da sind schon wieder die Schwurbler unterwegs und beschallen das ganze Viertel mit ihrem lauten Auftreten, auch wenn sie zahlenmäßig stark geschrumpft sind. Man macht sich weiter wichtig und jammert über den angeblich verweigerten Dialog mit den Impfbefürwortern. Sie würden die Geimpften, die „am Rand“ der Gesellschaft ständen, nicht beschimpfen, behaupten die Redner – in Osnabrück besteht dieser „Rand“ aus immerhin 90 Prozent der Bevölkerung. Dabei wird bei den Querdenker-Demonstrationen nicht nur massiv geschimpft. Gerhard Torges, dem Organisator der Gegendemonstrationen, wurde bereits mit Mord und der Redaktion der Osnabrücker Rundschau mit Anschlägen gedroht. Das dennoch erfolgte Gesprächsangebot des „Honoratiorenklüngels“ habe man aber abgelehnt –  gemeint ist u. a. der Runde Tisch der Religionen. Was wollt ihr denn? fragt man sich wie so oft. Wie es scheint, vor allem Beachtung.

„The Circus is in Town“ – mit bunten Fahnen und Aluhüten verkleidet sehen viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus, als gingen sie zum Karneval. Unter den Fahnen sind einige rotweiße russische Flaggen mit dem Adler zu sehen, dieselbe Fahne, die hinter Putin hing, als er den Überfall auf die Ukraine bekanntgab. Ukrainische Fahnen? Fehlanzeige. Nach langer Suche ist eine einzige zu entdecken, die wohl im Sortiment enthalten war, das die Veranstalter vor einigen Wochen angeschafft hatten.

Angesichts der Lockerungen der pandemiegedingten Restriktionen fällt den Querdenkern nicht mehr allzu viel ein, wogegen sie sind. Die Impfung sei ein Vorwand um medizinische Daten zu speichern. Echt jetzt? Haben die Impfgegner bisher keine Krankenversicherung gehabt, die sowas schon lange tut? Ansonsten schimpfen sie ganz allgemein über Bürokratie, Steuererhöhungen und demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker, die nicht „ihre Freunde“ seien. Die Frage, ob die Querdenker eine Affinität zur rechten Szene haben, wird als „Mumpitz“ bezeichnet. Ist auch nicht so wichtig. Genauso wenig, wie dass in der letzten Ratssitzung AfD-Ratsmitglied Viktor Jersch sich als Putin-Fan outete und den zu 18 Jahren Strafkolonie verurteilten Oppositionellen Blogger Sergej Tichanowski einen Verbrecher und den belarussischen Oppositionellen Roman Protassewitsch einen Banditen genannt hat. Wer diese Bezeichnung wirklich verdient, kann man gerade in den Nachrichten sehen.

In der Ukraine stellte sich gestern ein Mann ganz alleine einer Kolonne von Panzern entgegen. Auch dort versammeln Menschen sich heute im Park – um gemeinsam Molotowcocktails zu basteln. Während in Moskau und St. Petersburg mutige Menschen gegen Putins Krieg demonstrieren und sich dafür verhaften lassen, klagen die deutschen Querdenkerinnen und Querdenker weiter über angebliche Einschränkungen ihrer Freiheit. 1.700 Menschen wurden an einem Tag in Russland für ihren Protest verhaftet – das wäre die ganze Querdenker-Demonstration vor einigen Wochen gewesen. Deren Teilnehmer fühlen sich im „Widerstand“, wenn sie Löcher in ihre Masken pieksen und beschreien einen „Polizeistaat“, weil die ihnen nicht nur jeden Samstag die Straßen freihält, sondern auch die Einhaltung der Maskenpflicht kontrolliert.

Dabei dürfen können sie in Deutschland  demonstrieren, so viel, wie sie wollen – während in Russland  Demonstrationen gegen den Krieg verboten sind und verhaftete Demonstranten mit harten Strafen rechnen müssen. Irgendeine Solidarität mit den Demonstrantinnen und Demonstranten in Moskau oder St. Petersburg war auch seitens der Querdenker, die heute wieder mit ihren Friedensfahnen erschienen, nicht zu erkennen. Sie fühlen sich weiter von einer angeblichen Diktatur in Deutschland bedroht – mit einem Bußgeld. Schlimmstenfalls müssen sie eine Abschleppgebühr zahlen, wie ein aus der weiteren Umgebung angereister BMW-Fahrer, der heute einen reservierten Parkplatz blockierte.

Der Besitzer dieses Demotouristenautos erlebte heute seinen ganz persönlichen Great Reset - Foto: Osnabrücker RundschauDer Besitzer dieses Demotouristenautos erlebte heute seinen ganz persönlichen Great Reset - Foto: Osnabrücker Rundschau

Das Motto „Gott mit uns“ war schon auf den vorherigen Demonstrationen zu sehen. Heute wird der Herr der Freikirchen öffentlich angerufen. Ein Redner betet zu Jesus für Frieden und Freiheit – nicht für die Menschen in der Ukraine, sondern für die hier versammelten Querdenker, gegen Hass und für das Miteinander hier im Land – nicht etwa im Kriegsgebiet. Ganz am Schluss erinnert er sich dann doch noch an den Krieg in der Ukraine, und bittet Jesus die Menschen dort vor einem sich ausweitenden Krieg zu bewahren. Bei so viel Selbstzentriertheit läuft es einem trotz des strahlenden Sonnenscheins kalt über den Rücken. Die tausend bisherigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die heute zuhause blieben, haben wenigstens etwas Gespür für Prioritäten gezeigt.

Den Querdenkerinnen und Querdenkern im Park geht es um einen Konflikt, der sie selber betrifft, die angebliche „Spaltung“ der Gesellschaft. Man habe nie den von Osnabrücker Demokratinnen und Demokraten eingeforderten Respekt in Frage gestellt und suche das Gespräch mit den Geimpften – und zwar, das wird im nächsten Satz klar, mit denen, die wie Harald Klausing von der Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft zu den Querdenkern gestoßen sind. Großer Applaus für Klausing, der „ein starkes Zeichen gesetzt“ habe, als er zu den Impfgegnern überlief.

Sie werden immer weniger - Foto: Osnabrücker RundschauSie werden immer weniger - Foto: Osnabrücker Rundschau

Mit der lautstark geforderten Meinungsfreiheit ist es allerdings innerhalb der Querdenker*innen-Szene nicht weit her. Zur Linde fällt Harald Klausing sofort ins Wort, als dieser zugibt, dass er sich einer geplanten Reise wegen habe impfen lassen. Das werde hier als Entschuldigung nicht akzeptiert. Thomas Polewski verweigert daraufhin lieber die Auskunft dazu, ob und warum er sich hat impfen lassen.

Die Frage, welche Freiheit die Menschen verteidigen, die immer noch an diesen Demonstrationen teilnehmen, ist angesichts der weltpolitischen Lage noch deutlicher als bisher zu beantworten: Die Freiheit zum extremen Egoismus. Harald Klausing verliert kein Wort über die Situation in der Ukraine. Man fragt sich, wann er zuletzt ein Buch des „militanten Pazifisten“ Erich Maria Remarque gelesen hat. Putins kriegerische Durchsetzung seiner Gebietsansprüche: Kein Thema. Klausing hat andere territoriale Sorgen. Er verkündet: „Mein Oberarm gehört  mir!“ So viel Egoismus ist nur eins: Beschämend.

Wie gut, dass in Remarques Geburtsstadt genügend Menschen ein politisches Statement für die Menschen abgeben, die durch Putins Caesarenwahn in Gefahr sind. Dazu gehören auch die russischen Soldaten, die der „Hitler des 21. Jahrhunderts“, wie der irische Vizepremierminister ihn gerade nannte, rücksichtslos verheizt. Remarque hatte schon im Ersten Weltkrieg erkannt, dass die Soldaten nicht die wirklichen Gegner sind, und „daß eure Mütter sich ebenso ängstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz.“

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