Osnabrücker Einblicke in eine wegweisende Diskussion
Das obere Foyer des Theaters am Dom bot einen inspirierenden Rahmen für eine hochaktuelle Debatte. Unter dem Titel „Kulturproduktion in der Migrationsgesellschaft“ versammelten sich Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis, um die tiefgreifenden Auswirkungen von Migration und wachsender Diversität auf unsere Kulturlandschaft zu beleuchten.
Die von Sören Hage, bekannt durch den Podcast „Kulturshaker“ des Theaters Osnabrück, moderierte Podiumsveranstaltung warf zentrale Fragen auf und suchte gemeinsam mit den Podiumsgästen nach zukunftsweisenden Antworten für Kulturinstitutionen und die Kulturpolitik.
Zu Beginn der Veranstaltung betonte Tanja Spinger, die künstlerische Leiterin der Jungen Bühne und Transkultur, das ambitionierte Ziel, neue Zielgruppen für das Theater zu erschließen. Um das Publikum breiter aufzustellen, wurden verschiedene Strategien entwickelt.
Ein Beispiel für diesen Ansatz ist laut Spinger das Stück „Istanbul“, das im Bremer Theater entwickelt und bundesweit erfolgreich aufgeführt wurde. Eine zentrale Rolle bei der Erschließung neuer Zuschauerkreise spielen dabei Theateragent*innen. Dies sind gezielt Personen mit transkulturellem Hintergrund oder solche, die beruflich eng mit dieser Personengruppe in Kontakt stehen.
Sie können bis zu fünfmal im Jahr kostenfreie Aufführungen besuchen und zusätzlich fünf Personen mitbringen, die ermäßigte Tickets zu je fünf Euro erwerben können. Das übergeordnete Ziel dieser Initiative ist der Aufbau einer aktiven Community, die sich regelmäßig trifft und austauscht. Ein dritter Pfeiler dieser Strategie ist die Kulturvermittlung. Hier setzt man auf diverse Formate wie den Kulturclub International oder den Transkulturellen Austauschtreff im Emma Theater. Diese Angebote dienen dazu, ins Gespräch zu kommen und Künstler*innen eine Plattform zu bieten.
Anschließend bildete ein aufschlussreicher Impulsvortrag von Dr. Jens Schneider vom Institut für Migrationsforschung und internationale Studien (IMIS) der Universität Osnabrück. Schneider präsentierte zentrale Ergebnisse des gleichnamigen Forschungsprojekts Kulturproduktion in der Migrationsgesellschaft (KultMIX), das in Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich ›Produktion von Migration‹ durchgeführt wurde und dessen Ergebnisse auch in einem begleitenden Buch veröffentlicht wurden.
Er verdeutlichte, wie Migration und die zunehmende Vielfalt unserer Gesellschaft unweigerlich kulturpolitische Entscheidungen und die Kulturproduktion selbst beeinflussen. Dabei wurden essenzielle Fragen aufgeworfen: Welche Konsequenzen ergeben sich konkret? Wer definiert eigentlich Begriffe wie »Hochkultur« in einer sich stetig wandelnden Gesellschaft? Und wie konstruieren wir in diesem Kontext Kategorien wie „wir“ und „die Anderen?
Der Sonderforschungsbereich 1604 ist ein interdisziplinärer Forschungsverbund, der sich mit den Bedingungen und Funktionen der gesellschaftlichen Konstruktion und Aushandlung von Migration beschäftigt. Ziel ist die Etablierung einer reflexiven Migrationsforschung als Gesellschaftsforschung. Zentrale Forschungsfragen waren:
• Wie und mit welchen Bedeutungen wird Migration hergestellt?
• Wer ist daran auf welche Weise und mit welchen Interessen beteiligt?
• Wie und warum verändert sich der gesellschaftliche Umgang mit Migration?
• Wie beeinflusst die Produktion von Migration Wahrnehmungen und welche Folgen hat sie für soziale Strukturen?
Im Anschluss an den Impulsvortrag entwickelte sich eine lebhafte und vielschichtige Podiumsdiskussion. Neben Dr. Jens Schneider nahmen Tanja Spinger (Künstlerische Leiterin Junge Bühne und Transkulturelles), Sebastian Bracke (Ausschussvorsitzende Kulturausschuss und Ratsmitglied Bündnis 90/ Die Grünen Osnabrück), Leyla Ercan (Kulturmanagerin Staatstheater Hannover) und Mntuwabantu Mtshiselwa (Freier Künstler und Cultural manager) teil.
Gemeinsam mit Moderator Sören Hage erörterten sie die Herausforderungen und Chancen, die der migrationsinduzierte gesellschaftliche Wandel für Akteure der Kulturproduktion und Kulturpolitik mit sich bringt.
Ein zentraler Diskussionspunkt war die Notwendigkeit einer Öffnung kultureller Institutionen für diverse Perspektiven und die aktive Einbindung von Menschen mit Migrationsgeschichte in alle Bereiche der Kulturproduktion. Es wurde betont, dass eine inklusive Kulturpolitik nicht nur Repräsentation bedeutet, sondern auch die Anerkennung und Wertschätzung unterschiedlicher kultureller Ausdrucksformen und Wissensbestände erfordert. Die Podiumsgäste waren sich einig, dass tradierte Vorstellungen von »Hochkultur« kritisch hinterfragt und erweitert werden müssen, um der Pluralität der Gesellschaft gerecht zu werden.
Darüber hinaus wurde die Rolle der kulturellen Bildung als Schlüssel zur Förderung des interkulturellen Dialogs und des Abbaus von Vorurteilen hervorgehoben. Projekte, die Begegnung und Austausch ermöglichen, können dazu beitragen, ein gemeinsames »Wir« zu konstruieren, das Vielfalt als Stärke begreift und starre Kategorisierungen von »Eigenem« und »Fremdem« überwindet.
Die Podiumsdiskussion zeigte, dass es für einen Abbau von Diskriminierung einen Aufbau von Diversität braucht. Zudem ist ein gemeinsames Zusammenspiel mit der freien Szene, idealerweise mit der ganzen Stadtgesellschaft, die an einem Strang zieht, nötig, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Veranstaltung machte deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Migrationsgesellschaft eine kontinuierliche Aufgabe für Kulturinstitutionen und die Kulturpolitik darstellt. Es bedarf Mut zu Innovation, zur Reflexion eigener Strukturen und zur Entwicklung neuer Formate, die die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln und aktiv gestalten. Die Kooperation zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem IMIS und kulturellen Institutionen wie dem Theater Osnabrück Transkulturell erweist sich dabei als ein vielversprechender Ansatz, um theoretische Erkenntnisse in die praktische Kulturarbeit zu übersetzen und neue Impulse zu setzen.
Die Ergebnisse des KultMIX-Forschungsprojekts und die angestoßene Diskussion liefern wertvolle Denkanstöße für eine zukunftsfähige und inklusive Kulturproduktion in Deutschland.