Safkan – Die Verschmelzung von Orient und Okzident
Als Timur Safkan zusammen mit Kemal Yurtkuran 2004 mit einem Track eines Bielefelder DJs in der Hand das DocMaKlang Studio Matthias Lohmüllers betraten, ahnten sie nicht, dass sich als Resultat dieser ersten musikalischen Begegnung eine der interessantesten Bands Osnabrücks und darüber hinaus entwickeln sollte.
Timur, der eigentlich nur auf dem mitgebrachten Hip-Hop Song singen will, kommt schnell ins Gespräch mit Matthias und gesteht, dass er viel lieber Rockmusik machen möchte, dafür aber in seinem Bekanntenkreis keine Musiker findet. Schnell entdecken die beiden einen gemeinsamen Draht. Sie eint die Vorliebe für eine härtere Gangart der Rockmusik. Safkan nennt Vorbilder aus dem Metal und Prog-Metal, während Lohmüller eher aus dem Punk kommt. Dazu kommt noch seine Vorliebe für klassische Musik. Gleichzeitig reizen ihn aber auch Weltmusik sowie Schwermut und Pathos in der orientalischen Musik. Interessante Schnittstellen entstehen, es macht „klick“ zwischen den beiden und erste Songs entstehen. Zwei Jahre danach begrüßt die Osnabrücker Musikszene die deutsch-türkische Band Safkan in der Besetzung Matthias Lohmüller (Gitarren, Produktion), Florian Seidenstücker (Bass), Kemal Yurkuran (Gesang), Timur Safkan (Gesang) und Peter Breitenbach (Schlagzeug), anfangs noch zeitweise unterstützt vom Keyboarder Corvin Bahn. Safkan bedeutet übersetzt Vollblut und erste Auftritte zeigen, dass hier in Osnabrück etwas ganz Besonderes heranwächst.
Dieses bestätigt sich 2009 mit der Veröffentlichung des ersten Albums „Safkan“ beim Osnabrücker Label Timezone, inzwischen mit Timm Pieper am Schlagzeug. Der großartige Opener „Leyla“ macht schon zu Anfang klar, wohin die musikalische Reise gehen soll. Orientalische Perkussion, gepaart mit fernöstlichen Saiteninstrumenten, ein ordentliches Hardrock-Brett, Folkloreelemente und die Streicherarrangements Lohmöllers treffen auf die fulminant aufspielende Rhythmusgruppe um Timm Pieper und Florian Seidenstücker. Darüber thront der charismatische Gesang Timur Safkans. Glutvolle Gitarrensoli runden das Ganze als Sahnehäubchen ab. Die Osnabrücker Musikszene hat mit dieser im heimischen DocMaKlang Studio topp produzierten Veröffentlichung eine Orient-Rockband von internationalem Format. Dadurch entsteht durchaus eine Nähe zu Orient-Metal Bands wie den Israeli Orphaned Land, obwohl beide Bands keine Kenntnis voneinander haben.
Nach dem Erscheinen des Debütalbums und als Sieger des niedersächsischen und Bremer Weltmusik-Wettbewerbs „Creole“ ist die Band gefragt, spielt in den Osnabrücker Klubs und bei den großen Events von der Maiwoche bis zum „Hütte Rockt“-Festival. Parallel dazu trägt Safkan 2010 eine türkische Version der VFL-Vereinshymne zum Sampler „Wir sind der VfL, der VfL ist Osnabrück“ bei, ein Song, der auch heute noch an der Bremer Brücke gespielt wird und jeden Donnerstag um 19.00 Uhr auf OS-Radio 104,8 die Erkennungsmelodie des VfL-Podcasts der Osnabrücker Runschau ist. Ebenfalls wählt das Osnabrücker Stadtblatt die Band in diesem Jahr unter die zehn besten Bands der letzten 25 Jahre und 2011 eröffnen die fünf Musiker im VfL-Stadion das Freundschaftsspiel zwischen Twente Enschede und Galatasaray Istanbul. Eine aufregende Zeit, die 2012 mit der Video-Single „Deliler“ ihren Abschluss findet.
2013 gibt es dann einen weiteren Wechsel am Schlagzeug. Sven Jentgens übernimmt die Sticks von Timm Pieper, der sich in Zukunft stärker um sein Greenbeats-Projekt kümmern will. In dieser Zeit tritt Safkan oft bei „Rock gegen Rassismus“ Veranstaltungen auf. Der Umstand, dass hier türkische und deutsche Musiker zusammenspielen macht die Band automatisch zu potentiellen Kandidaten für derartige Festivals. Die Musiker sehen in ihrer Zusammenarbeit aber eher ein Abbild des aktuellen Status der deutschen Gesellschaft als einen Hinweis auf gelungene Integration. Zusammen mit ihrer progressiv politischen und eindeutig kritischen Einstellung gegenüber den Entwicklungen in der Türkei erspielen sich Safkan aber gerade hier ihr Publikum, weltoffene multikulturell orientierte intellektuelle Menschen. Die türkische Community erreicht die Gruppe aber eher nicht. Die ist, oft in sich abgeschottet, in eigenen Blasen politisch und musikalisch anders ausgerichtet.
Daher ist es durchaus konsequent, dass 2016 nach der akustischen EP „Meleğim“ (2014) mit „Das rote Kleid“ der erste Song und das erste Video mit deutschem Text erscheint, der eindeutig Stellung zu den Gezi Protesten in der Türkei 2013 nimmt. Ähnlich deutlich äußert sich das 2017 folgende „Hayir“ (Nein), das noch vor Erdogans Referendum erscheint.
Danach fordert auch Corona seinen Tribut von der Band und reduziert die Zusammenarbeit der Musiker auf die in dieser Zeit möglichen Kontakte. Nach der Pandemie verlässt Sänger Kemal Yurtkuran die Gruppe, die in Zukunft als Quartett weitermacht.
Ab 2022 ist Safkan dann wieder live zu hören, leidet aber wie viele andere Gruppen an dem während der Pandemie einsetzenden Clubsterben, das sich bis heute fortsetzt. Trotz der dadurch reduzierten Auftrittsmöglichkeiten gibt die Band aber nicht auf: „Wir machen weiter für die Leute, die auf solche Musik stehen. Marktwirtschaftlich darf man das nicht betrachten, wenn man das auf diesem Niveau betreiben will. Gewinn wird nicht gemacht. Wir legen drauf, aber wir brennen dafür wenn wir dann auf der Bühne stehen, jemandem im Publikum in die Augen sehen und merken, dem bedeutet das etwas. Für diesen Moment tun wir das, ohne Kompromisse. Wir wollen keine Erfüllungsgehilfen der Musikindustrie sein“, sagt Matthias Lohmöller im Gespräch. So haben alle Bandmitglieder ihre „Daily Jobs“ sind etabliert als Musik- und Gymnasiallehrer, Profimusiker, Studio- und Firmeninhaber für Laserschweißen.
Mit dem bandeigenen Enthusiasmus entsteht in einem arbeitsintensiven Jahr 2024 Safkans zweites Album, das im Januar 2025 in der Osnabrücker Lagerhalle mit einer großen Release-Party vorgestellt wird. Während sich auf dem Debüt noch die Verschmelzung der türkischen und deutschen Musikkulturen wie ein roter Faden durch das Album zieht, ist Çatlak deutlich songorientierter und damit abwechslungsreicher. Transparent und trotzdem wuchtig produziert gibt hier das einzelne Stück und seine Thematik den Ton an. Synthi-Sequenzen und Keyboards erhalten mehr Raum, die Palette der Gitarrensounds wird erweitert und die deutsche Sprache erhält noch mehr Raum im Safkan-Konzept. Befürchtungen, dass die Platte dadurch ihren Focus verliert, zerstreuen sich schnell. Jeder Song ist bis auf den Punkt produziert, hochmodern und am Puls der Zeit. „Das rote Kleid“, „Faust im Nacken“ und „Hayir“ zeigen das politisch gesellschaftliche Engagement der Band. Es gibt aber auch ruhigere Momente, wie die Midtempo-Ballade „In Flammen“ oder das wunderschön folkloristische Instrumental „Ayna“ mit einem melodiösen Basssolo Florian Seidenstückers.
Çatlak soll die Basis für die weiteren Konzertaktivitäten Safkans im Jahr 2025. Mit dem Album im Gepäck plant die Band neue Auftritte und man darf diesem Kleinod der Osnabrücker-, aber auch deutschen Musikszene wünschen, dass diese Pläne funktionieren werden und wir das Quartett demnächst wieder live erleben dürfen.