Ein Kommentar von Ralph Gehrke
Am Freitag will Fridays for Future unter dem Motto “ PeopleNotProfit“ wieder Streikdemos in zahlreichen Großstädten für nachhaltige Klimaziele abhalten. So auch in Osnabrück: Los geht’s um 12 Uhr am Theater. In Hannover soll das bunte Spektakel durch ein Musikprogramm gepimpt werden. Eigentlich eine Sache, die man für begrüßenswert halten sollte und gegebenenfalls auch unterstützen. Eigentlich … Die Sängerin und Cellistin Ronja Maltzahn wird nicht dabei sein. Die Ortsgruppe FFF-Hannover hat sie wegen ihrer Frisur ebenso kurzfristig wie brüsk ausgeladen. Begründung: „eine weiße Person mit Dreadlocks“ sei unvertretbar. Der Vorwurf: „Kulturelle Aneignung.“ Das alternative Angebot: Sie solle sich die Haare politisch korrekt schneiden lassen, dann wäre sie dabei.
Ein solches Angebot hat mir mein Opa Anfang der siebziger Jahre im letzten Jahrhundert gemacht – damit ich an seinem 65ten Geburtstag dabei sein dürfe. Damals war es meine Hippiefrisur, die nicht nur ihm, sondern der ganzen Geburtstagsgesellschaft nicht passte. Mein Opa war bekennender NAZI und ich dachte (viel) später immer, dass sich derartige Übergriffigkeiten mit dieser Generation erledigt hätten. Wie man sich doch (historisch) täuschen kann.
Da fragt man sich u. a., wozu sich die Veranstalter*innen des Hannoveraner Streikzuges bekennen.
Man könnte nun sagen: Okay, die jungen Leute haben sich verbal vergaloppiert und erwarten, dass sie zurückrudern. Fall erledigt.
Eben nicht: In einer sogenannten Entschuldigung faseln sie von „unsensibel formuliert und hätte so nicht abgeschickt werden dürfen.“ Es sei „ein Eingriff in die Privatsphäre der Künstlerin, der so nicht hätte passieren dürfen.“ Dabei wird´s noch grammatikalisch peinlich, woran man erkennen kann, dass der coronabedingte Schulausfall bei ihnen nicht nur hinsichtlich Geschichte, Politik und Werte und Normen erhebliche Baulücken gerissen hat. Vor allem, und das ist entscheidend, bleiben sie bei ihrem Standpunkt, es handle sich um eine unzulässige kulturelle Aneignung. Laut ihrem historischen Exkurs zum Thema Dreadlocks, ein Konglomerat aus historisierenden und semantisch verdrehten Phrasen, biegen sie sich eine als einzig politisch korrekt beglaubigte Version zusammen, von der man leicht erkennen kann, bei welchen „antirassistischen“ Verschwörungstheoretikern sie das kopiert haben.
Die von ihnen übernommenen Formulierungen verraten einen zum Fundamentalismus tendierenden, identitären Antirassismus, der keine Gleichbehandlung, sondern eine besondere Behandlung wie auch immer gearteter Minderheiten propagiert. Im Namen einer vermeintlichen gesellschaftlichen Vielfalt betont und verschärft diese ins Totalitäre rutschende Ideologie die Vorstellung von Rassen und Unterschieden (Critical Whiteness). Daran erkennt man den identitären Antirassismus, der ausdrücklich quer zum republikanischen Verständnis einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht und bewusst Feindbilder kreiert: Erst der „Alte weiße Mann“ als potenzieller Rassist und Vergewaltiger, jetzt die „Junge weiße Frau“ mit falschen Haaren als kulturelle Betrügerin und Identitätsdiebin. Und wer kommt als Nächstes auf die schwarze Liste? Carola Rackete? Sascha Lobo?
Wer als junger Mensch in Hannover wohnt und etwas fürs Klima tun möchte, sollte am Freitag zu Hause bleiben oder an der Leine spazieren gehen, vielleicht mittags etwas Veganes essen. In der City wird an dem Tag von selbst ernannten „Aktivisten*innen“ nur das Klima verseucht. Rein physisch ist das bis zum gewissen Grad unvermeidlich, aber gesellschaftlich kann man so etwas vermeiden.
Hier eine Stellungnahme von Ronja Maltzahn im „Rolling Stone“
So reagiert Ronja Maltzahn auf die „Fridays For Future“-Absage