Ein Hauch von Wehmut und viel Lyrik
Zugegeben, es ist nicht leicht, einen zerbrechlichen alten Mann, der sich im Schummerlicht einer abgedunkelten Bühne hinter einem Klavier versteckt, als ein Highlight der Konzertsaison 2025 zu verkaufen. Obwohl es eins war.
Wahrscheinlich wird heutzutage kaum noch jemand in die EmslandArena kommen, um eine in der eigenen Erinnerung gefangenen Dylan-Figur dabei zu erleben, wie sie seine Greatest Hits zelebriert. Das Publikum, das sich am Freitagabend in Lingen traf, weiß, worauf es sich einlässt und zeigt sich nachsichtig. Auch das Theater ums Handy nervt nur wenige. Anders als vor acht Jahren begibt man sich ohne aufgestaute Erwartungen ins Parkett oder auf die oberen Ränge. Es hat sich mittlerweile nachhaltig rumgesprochen, dass Bob Dylan live eine eigene Nuss zum Knacken ist. Er dekonstruiert nicht nur seine Musik. Er zerdeppert sie vorsätzlich und klebt die größeren Teile zu neuen Harmonien zusammen, die übrigen fügen sich dissonant dazu.

Konzerterlebnis der besonderen Art
So gesehen fängt es in der EmslandArena pünktlich um Acht mit einem erstaunlich gut funktionierenden I´ll Be Your Baby Tonight an. Dass der Gesang nicht gleich bis in die hinteren Reihen zu hören ist, liegt an der Technik und ist beim zweiten Stück behoben. Es folgt ein spürbar energiegeladenes Gitarren-Intro zu It Ain’t Me Babe. Das Konzert beginnt abzuheben. Sogar die Stimme des alten Meisters ist in irgendeiner Form. Obwohl sie manchmal ins gutturale Glucksen abrutscht oder schwindsüchtig krächzend ausbricht, hält sie das Publikum im Bann wie seit Jahrzehnten. Ein verlässliches Erkennungsmerkmal. Ja, es ist wirklich Bob Dylan, der uns da von vorne im diffusen Schummer einheizt.
Gemessen an Standards heutiger Pop-Events ist ein Dylan-Konzert ein herber Kontrast. Hinter dem zentral positionierten Klavier bewegt sich der Schattenriss eines Kopfes, für Momente könnte man meinen, es formt sich etwas zur Silhouette. Das ist erscheinungsmäßig betrachtet die ganze Bob-Dylan-Show. Drum herum formt sich im bewusst eng gehaltenen Abstand eine ebenso minimalistisch gestylte wie unaufdringlich spielende Vierergruppe von Musikern, mal bescheiden zu Boden schauend, dann wieder den Blickkontakt suchend mit dem, der da klimpernd den Ton vorgibt. Der relativ neue Schlagzeuger Anton Fig, die Gitarristen Bob Britt und Doug Lancio sowie der verlässliche Bassist Tony Garnier gruppieren sich mit großer Ehrfurcht um den Protagonisten des Abends, in gedecktem Licht gegen einen Vorhang, der in wechselnden Tönen die Atmosphäre entwirft, mal gelb, mal blau, dann wieder weinrot verquickt mit goldfarbenem oder lila Flair. Wenn man Genaueres ausmachen möchte, muss man sehr scharf hinschauen, oder einfach nur zuhören. Was bleibt einem anderes übrig, das Handy schlummert im Yondr-Säckchen, Videowände Fehlanzeige, Retro-Strahler brutal gedimmt. Wer, ins Halbdunkle der Halle gehüllt, in diesem Augenblick ganz bei sich ist, gibt sich selbst die Chance für ein Erlebnis der besonderen Art.
Rough & Rowdy Ways
Damit ist man angekommen beim Dylan-Modell 2025, ein lausiger Entertainer und brillanter Musiker.
Indem er relativ verborgen bleibt, fokussiert sich die Aufmerksamkeit auf seine Band und macht das Erlebnis ganz und gar zu Musik. Man muss zuhören, und wenn man das tut, kann man – wenigstens teilweise – die Texte verstehen und wird womöglich gewahr, dass da vorne auf der Bühne ein Literaturnobelpreisträger rezitiert. Dylan kann nicht umhin, seinem Alter Tribut zu zollen, wie sollte es mit 84 anders sein. Wenn er also zwischendurch von seinem Hocker aufsteht und dem Saal den Rücken kehrt, ist das keine Attitüde, sondern dient einfach der Entlastung seines betagten Rückens. Gerade deshalb, weil er sich Abend für Abend dieser 90minütigen Tortur aussetzt, ist er nach wie vor ein mutiger Künstler, der auf nichts, was sein gigantisches Werk ausmacht ausruht. Das ist die Herausforderung, der er sich Abend für Abend stellt und die er seinem Publikum zumutet. Die Tour heißt Rough & Rowdy Ways, und genau das wird auch abgeliefert. Von den zehn Stücken dieses neusten Albums (2020) spielt er neun und keine Hits wie Blowin´ In The Wind, kein Rolling Stone oder Tambourine Man?
Stattdessen die widerhallende Vokale des Black Rider, die einen in der stillgelegten Halle an den Stuhl nageln. Oder My Own Version of You, wie es Vers für Vers einen Albtraum über die Köpfe streut. Ein makaberes Liebeslied, das sich am Frankenstein-Thema weidet, gruselig und anheimelnd zugleich. Allerdings, wie einige der neuen Kompositionen, sehr textlastig und man sieht den fragenden Minen um sich herum an, dass vieles unverständlich bleibt. Dementsprechend fällt der Beifall an diesen Stellen nicht unbedingt frenetisch aus.
Schlüsselsongs neu interpretiert
Aber es gibt sie schließlich doch, Schlüsselsongs der fast schon mythisch entrückten Zeit der 60er Jahre (letztes Jahrhundert, wohlgemerkt): Desolation Row, It Ain’t Me Babe und It’s All Over Now, Baby Blue, völlig neu derangiert, aber zum ersten Mal an diesem Abend glasklar mit der Mundharmonika verziert. To Be Alone With You lädt fast zum Tanzen ein und Watching The River Flow lässt kaum jemanden regungslos auf dem Stuhl, so schön, wie Dylan auch diesen Blues kurz mit der Harp abfeiert. »What’s the matter with me, I don’t have much to say …« Da sag einer, der Mann habe keinen Humor.
Das aufregendste Arrangement ist vielleicht die neue Fassung When I Paint My Masterpiece, inspiriert von The Four Lads (Istanbul/Not Constantinople), das die ursprüngliche Version auf leichte, swingende und spielerische Weise konterkariert.
Wer zur rechten Seite der Bühne sitzt, sieht mehr von dem sagenumwobenen fahrenden Sänger als nur eine pelzige Quaste und eine Kleenex-Box hinter dem Instrument, nämlich einen schwarzen Hoodie mit Kapuze, aus dem ein weißes T-Shirt herauslugt. Dylans Mimik ist immer noch ausdrucksstark und wie er sich auf dem Klavierhocker bewegt offenbart die Leidenschaft, mit der er performt.
Apropos Klavier: Dylans Spiel an den Tasten, mit diesem Touch von Kneipen-Piano, ist mittlerweile zu einer Art Markenzeichen gereift. Obwohl er im besten Fall die gleichen Drei-Ton-Akkorde recycelt wie vormals bei den Soli an der Gitarre, gelingt es ihm immer sicherer, die neuen Arrangements mit eigenwilligen Synkopen zu betonen. Wenn er dann dazu gleichzeitig auf der Mundharmonika improvisiert, wie zu Goodbye Jimmy Reed, ist das große Kunst. Chapeau!
Farewell Bob Dylan
Als er zum Schluss seine vernarbte Stimme in die spirituelle Hymne Every Grain of Sand gleiten lässt, passiert etwas Berührendes. Die inbrünstige Art und Weise, wie er sich in die eigene Lyrik hineinkniet, scheint ihm selbst die Fassung zu rauben. Das klingt nicht nur nach Abschied, es ist einer. Für Lingen wohl ein endgültiger. Für Bob Dylan eher ein Stoßgebet, um noch weitere Abende dort verbringen zu dürfen, wo sein Leben spielt – auf der Bühne.
Mit dem letzten Akkord steht das Phantom auf, verbleibt unsicher im blaustichigen Licht, gibt eine Andeutung von Verbeugung und ist schnell im dunklen Off verschwunden. Die versammelte Gemeinde dankt ihm mit Standing Ovation.
Keine Zugabe, jeder weiß, die Messe ist gelesen. Das grelle Saallicht reißt alle aus der Illusion. Männer mit weißen Helmen dekonstruieren den Bühnenaufbau. So profan kann der Alltag wieder einkehren. Vor dem Ausgang besingt ein Dylan-Imitator die Nostalgie. Eine knappe halbe Stunde später rollen zwei Nightliner vom Parkplatz, nächster Halt Brüssel. Farewell Bob Dylan!

Setlist mit Textlinks:
- I’ll Be Your Baby Tonight
- It Ain’t Me, Babe
- I Contain Multitudes
- False Prophet
- When I Paint My Masterpiece
- Black Rider
- My Own Version of You
- To Be Alone with You
- Crossing the Rubicon
- Desolation Row
- Key West (Philosopher Pirate)
- Watching the River Flow
- It’s All Over Now, Baby Blue
- I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You
- Mother of Muses
- Goodbye Jimmy Reed
- Every Grain of Sand














