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Weiterhin unübersichtlich, aber nicht mehr planlos

Wie die Ampel-Koalition die Coronalage in den Griff bekommen will

Mit wortstarken Auftritten und demonstrativer Entschlossenheit hat die neue Regierung die Amtsgeschäfte aufgenommen und dabei ein Signal gesetzt, das viele auch so erwartet haben:
Jetzt kann und soll es in erster Linie darum gehen, dass unser Land mit Corona fertig wird!
Alle anderen ambitionierten Ziele aus dem Koalitionsvertrag, seien es Klimaneutralität, Investitionen in die E-Zukunft, Genderfragen oder Digitalisierung, haben da zwangsläufig zurückzustehen.
Indem der Kanzler die Bekämpfung der Pandemie quasi zur Chefsache erklärt hat, ist auch klar, wer die Protagonisten dieser Kampagne sein werden: er selbst und sein „General“ – der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, denn der gelernte Mediziner und nicht der Generalmajor Carsten Breuer ist der richtige Mann für diese Aufgabe. Die Nominierung des weitestgehend unbekannten Offiziers hat sich als das entpuppt, was es im Grunde war: ein aus der Verlegenheit heraus gezauberter PR-Gag, den eine kompetente Regierung eigentlich nicht nötig hat.
Die Not der Stunde hat dann gezeigt, was sich innerhalb von Tagen alles bewegen und verändern lässt, wenn man die Dinge entschlossen angeht. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Der Kanzler als der couragierte und auf Optimismus gepolte Chef (Yo, wir schaffen das!) und der Minister als der vorsichtige Pragmatiker (Am Ende dieser Legislaturperiode können wir Corona fast besiegt haben).

Keine Illusionen mehr

Mit Karl Lauterbach hat sich die Kommunikation zur Pandemie entscheidend verändert. Seine Ansprachen geben unmissverständlich zu Protokoll, wie die Lage zu bewerten ist und welche Möglichkeiten verbleiben. Er ist bekannt als ein Mann, der keine Scheu kennt, unangenehme „Wahrheiten“ zu offenbaren. Wie die Bevölkerung davon mental beeinflusst wird, ob er damit wirklich Panik schürt, wird sich zeigen. Offenbar scheint eine Mehrheit der Deutschen seine Art, mit der Krise umzugehen, zu schätzen. Woher sonst der öffentliche Druck auf die SPD, ihn unbedingt zu nominieren?
Positiv fällt auf, dass Lauterbach versucht, die Parteipolitik aus der Coronabekämpfung herauszuhalten. Inwieweit das gelingt, liegt allerdings nicht allein in seiner Verantwortung. Zu neuen Alle-in-einem-Boot-Botschaft gehört auch die Besetzung des Krisenstabs mit vormaligen Kontrahenten. Gegenseitige Schuldzuweisungen soll es nicht mehr geben.
Offensichtlich zeigt seine Darstellung der Lage Wirkung, denn auch in den üblichen Medien herrscht plötzlich ein neuer Realismus, werden Dinge klarer deklariert und charakterisiert, die vorher eher verklausuliert worden sind. Niemand würde noch auf einen Freedom Day pochen oder eine Endlich-wieder Hoffnung schüren. Selbst ein Lindner oder Kubicki nicht. Endlich wird deutlich, wo wir sind, dass wir nämlich unter der Bedrohung durch das Virus auf kurze Sicht durch einen Nebel fahren, und zwar ohne Navi!
D. h., niemand kann verlässlich voraussagen, was im Jahr 2022 unter Coronabedingungen möglich sein wird und was nicht. Also Urlaub, Feiern, Partys, Events aller Art, Sportveranstaltungen etc. stehen unter Vorbehalt, und wenn das meiste davon abgesagt werden sollte, müssen wir das hinnehmen, falls es besser läuft, haben wir Glück. Es in populistischer Attitüde herbeizureden, in Aussicht zu stellen oder gar zu fordern, wäre grob fahrlässig.
Lauterbach tut das nicht, seine Strategie stellt sich konsequent auf einen möglichen gefährlicheren Verlauf als auf einen harmloseren ein. Und wenn es dann doch nicht so schlimm kommt? Wer würde darunter leiden?

Die Wirksamkeit der Impfungen

Einerseits wissen wir noch sehr wenig, auf der anderen Seite werden wir durch Erfahrung langsam klüger. Ganz wichtig sind die Erkenntnisse über die tatsächliche Wirksamkeit der gängigen Impfstoffe, die jetzt endlich offengelegt wird.
Fakt ist demnach, dass viele Geimpfte in weit größerem Maß zur Ausbreitung des Virus beitragen als von den Virologen im Frühjahr 2021 angenommen. Die Wahrheit über die eingesetzten Vakzine besteht darin, dass sich Impfschutz nach vier bis fünf Monaten bei sehr vielen verflüchtigt. Deshalb auch 2Gplus, weil man mittlerweile weiß, dass Geimpfte und Genesene nach vier Monaten sowohl andere anstecken als auch schwer erkranken können. Neuste Meldungen zeigen, dass sogar Menschen nach einer dritten Impfung erkranken können.
Die Experten*innen haben das längst erkannt, jetzt reagiert die Ampel endlich mit einer groß angelegten Booster-Kampagne, in der die Sechs-Monate-Regelung gefallen ist.

Impfturbo wird Impfrealität

Zu der Dynamik, die Lauterbach und sein Team in die Pandemiebekämpfung bringen, gehört ebenfalls, dass die Impfrealität jetzt auch auf Turbotouren läuft. Der kurze Draht zwischen Gesundheitsminister und Finanzminister zeigt, dass man sich unter Koalitionspartnern einig ist. Für genügend Vakzine soll gesorgt werden. Das merkt man auch in Osnabrück. Wer einen Impftermin will, bekommt ihn seit Kurzem zeitnah. Neue dezentrale Impfzentren und insbesondere das Engagement der Hausärzte machen es möglich.
Zahnarztpraxen, Apotheken oder gar Veterinäre*innen zum Impfen bewegen zu wollen, bleibt dagegen wohl eine schwer umsetzbare Idee. Fragwürdig ist nach wie vor, dass immer noch mit Johnson&Johnson gepikst wird, obwohl die Wirksamkeit dieses Vakzins von der STIKO als ungenügend (= Schulnote sechs) eingestuft wird.

Umsetzung der G-Regeln weiter unübersichtlich

Unser föderatives System bringt es mit sich, dass die Umsetzung der G-Regeln (2G, 3G, 2Gplus, Geboosterte) in der Verantwortung der Länder steht. Daher gibt es weiterhin regional und lokal große Unterschiede bezüglich dessen, was die Bürger*innen dürfen und was nicht.
Das Ziel ist klar, weniger Kontakte und Druck auf den ungeimpften Teil der Bevölkerung.
Nicht zu übersehen ist hierbei der Einflussnahme der FDP, um ihre Vorstellungen von Freiheit durchzudrücken. Womit in erster Linie der freie Kapital- und Warenverkehr gemeint ist. Besonders im Fokus steht die 2G-Regel für den Einzelhandel. In Niedersachsen vom OVG gekippt, während vom OVG in Schleswig-Holstein gerade das Gegenteil entschieden worden ist. Die Sorge der Händler ist nachvollziehbar. Shoppen unter solchen Beschränkungen könnte sich am Ende in schmerzlichen Umsatzeinbrüchen niederschlagen. Spontane Überschlagshandlungen wie vom NRW Ministerpräsidenten Wüst (Boostern nach vier Wochen, dann wieder zurück) perforieren das Vertrauen in die Exekutive zudem.
Deutlich wird aber, dass diese Regelungen insgesamt infektionshemmend wirken. Die Zahlen gehen messbar zurück.

Spaltung der Gesellschaft bleibt ein Problem

Gleichzeitig bringen diese qualifizierenden Bestimmungen eine Nebenwirkung mit, die zwar nicht gewollt ist, aber trotzdem erodierend wirkt. Es geht um den fortschreitenden Prozess der Spaltung der Gesellschaft. Corona mit allen seinen viralen Wirkungen und sozialen Collateral-Schäden trifft eben nicht alle gleich, sondern plötzlich ergibt sich sozusagen ein Dreiklassensystem. Ganz oben die privilegierten Geboosterten, die von allen Beschränkungen befreit sind, dann die Geimpften und Genesenen, die nun darauf aus sind, so rasch wie möglich zu den Geboosterten aufzusteigen, und ganz unten die Ungeimpften, durch die Maßnahmen de facto zu Bürgern*innen zweiter Klasse geschrumpft.
Das kann nicht ohne Folgen bleiben und rückt die Stimmung weiter ins Aggressive.
Begleitet wird das Ganze durch massive Pressekampagnen. Weiterhin wird landläufig das Bild von der Pandemie der Ungeimpften gemalt, obwohl wir es besser wissen.
Die Ankündigung einer Impfpflicht hat die Kontroversen und nicht nur den Ton noch einmal verschärft. Die Demonstrationen und teilweise ins Kriminelle abgleitenden Aktionen der Impfgegner zeigen das eindrücklich. Die Ankündigung Scholz´, auch Kanzler der Ungeimpften zu sein, reicht da als Versöhnungsgeste kaum aus. Hier regt sich ein gefährliches Potenzial zum Zündeln gegen bürgerliche und demokratische Werte überhaupt.

Was ist nach dem Boostern? Wie soll es 2022 weitergehen?

Die von der Ampel-Koalition forcierte Einsicht, dass Corona auch 2022 nicht vorbei sein wird, man also weder einen Freedom Day anvisieren kann noch eine Endlich-wieder-Sehnsucht wecken sollte, gibt die Richtung für das neue Jahr vor.
Parallel dazu ist die Planung für den Ankauf weiterer Impfstoffe so angelegt, dass für uns höchstwahrscheinlich schon im April/Mai 2022 die nächste Auffrischung anstehen wird.
Nach dem Boostern ist also vor dem Boostern. D.h., für das nächste Jahr sind, darauf deuten jüngste Verlautbarungen Lauterbachs hin, weitere Auffrischimpfungen vom Gesundheitsministerium eingeplant, auf der Grundlage einer soliden Einschätzung der Wirkungsdauer der Vakzine. Die Hoffnungen richten sich auf neue Entwicklungen der Firma BionTech, die dann auch gegen die Omikron-Variante, über deren Gefährlichkeit wir bisher zu wenig wissen, wirksam sein sollen.
Impfen und Boostern bleibt das wichtigste Instrument im Kampf gegen Corona.
Diesen vorgezeichneten Weg langfristig zu planen und mit dem Ziel einer nachhaltigen Eindämmung der Infektionsdynamik konsequent durchzuziehen – dafür steht die Ampel mit ihrem „General“ Karl Lauterbach.

Die globale Dimension der Pandemie

Ein Blick über die Landesgrenzen sollte uns daran erinnern, dass wir uns als reiche Industrienation im Herzen Europas in einer privilegierten Lage befinden, was die Möglichkeiten der Bekämpfung der Pandemie betrifft. Wenn Lauterbach davon spricht, Impfstoff aus osteuropäischen Ländern zurückzukaufen, da man die Dosen dort nicht verimpfen könne, zeigt das, wie gut wir hierzulande dastehen.
Es gibt im Osten der EU-Länder, die entweder aufgrund ihrer begrenzten administrativen und operativen Ressourcen eine Impf-Kampagne überhaupt nicht so effektiv aufziehen können, wie wir uns das vorstellen. Auch scheint die Zahl der Impfskeptiker dort weit größer zu sein als in Deutschland.
Noch drastischer geht die Schere auseinander, wenn man in andere Kontinente schaut.
Weltweit warten Millionen Menschen noch auf ihre erste Impfdosis. Das verstärke die Gefahr, dass die Ungleichheit noch größer werde, kritisierte erst vor Kurzem WHO-Chef Tedros in Genf. Die WHO sei nicht grundsätzlich gegen Auffrischungen, aber wenn auch Menschen mit einem geringem Gesundheitsrisiko eine Auffrischungsimpfung erhielten, gefährde dies in anderen Ländern das Leben von Menschen mit hohem Risiko. Laut Angaben der WHO sind in rund 40 Ländern weniger als zehn Prozent der Bevölkerung geimpft. Knapp 100 Länder hätten noch nicht die Marke von 40 Prozent erreicht, die die WHO als Ziel bis Ende dieses Jahres ausgegeben hat.
Eine global ausgerichtete Politik, die sich als nachhaltig qualifizieren will, sollte dies mitberücksichtigen, auch im eigenen Interesse. Denn in Ländern mit hohem Anteil an Ungeimpften bieten sich ideale Bedingungen für das Virus zu mutieren. Diese neuen Varianten machen an keiner natürlichen Grenze halt. Der Weg der Delta-Variante hat uns das schmerzlich bewiesen. Und nun ist Omikron zügig unterwegs. Lauterbach sieht in dieser Gefahr schon eine fünfte Welle auf uns zukommen, deren Auswirkungen von Experten*innen als sehr besorgniserregend eingestuft werden.
So gesehen ist die Pandemie ein viraler Ozean, auf dem wir alle in einem Boot schaukeln.
Eine dauerhafte Lösung wird es nur multilateral und in Solidarität geben. Daran mitzuwirken ist auch ein Auftrag für die Ampel-Koalition. Dafür wäre dann wohl die neue Außenministerin zuständig.

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