Die Ampel steht und bewegt nichts

Dreierbeziehungen sind schwierig. Nicht nur in der Liebe. Dass das auch in der Politik so ist, haben wir in den vergangenen Wochen am Beispiel der Bundesregierung erlebt. Wo Partner auch Konkurrenten – um Wählerstimmen – sind, bilden sich ständig Koalitionen in der Koalition. Wer mit wem gegen wen. In der Berliner Ampelregierung zeichnen sich nicht wechselnde Mehrheiten ab, es festigt sich der Eindruck, die Grünen stehen allein. Das wäre an sich kein Drama, wenn es nicht ein wesentliches Politikfeld treffen würde: den Klimaschutz.

Nimmt man das mühsam ausgehandelte neue Kompromisspapier Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung, das eine Art Umsetzungs- und Prioritätenprogramm zum Koalitionsvertrag ist, als Ausdruck des momentanen Zustandes der Koalition, dann wird deutlich, dass der Klimaschutz als oberstes Ziel zum Lippenbekenntnis verkommt. Die Maßnahmen für den Kampf gegen den Klimawandel werden gestreckt bis gestrichen. Durchgesetzt hat sich vor allem im umstrittenen Verkehrsbereich die FDP. Der kleinste und derzeit mit Abstand schwächste Koalitionspartner, der permanent um sein Überleben gegen den Absturz in die Bedeutungslosigkeit kämpft, hat sich hier in einem Ausmaß durchgesetzt, dass man sich fragt, wer hier eigentlich regiert.

Die Ampel war von Beginn an ein reines Zweckbündnis, der Arithmetik des Wahlergebnisses geschuldet. Man begann in einer Krise, der Pandemie. Als die sich dem Ende zuneigte, überfiel Putin die Ukraine und damit wurde der Krisenmodus intensiviert. Energiekrise, Inflation plus Anzeichen einer neuen Finanzkrise und Rüstungskrise inklusive Haushaltskrise. Dazu die ausgerufene „Zeitenwende“, sie ist eigentlich die durch Putin erzwungene Wiedergeburt der militärischen Abschreckung, mit der die gesamte deutsche Außenpolitik auf den Kopf gestellt wurde.

Der Krisenmodus hatte die Ampel fest im Griff. In dem Maße, wie die Krisen sich normalisieren, verstetigen oder lösen gerät die Ampel selbst in eine Krise. Nun, wo das Reagieren auf nicht selbst verschuldete Herausforderungen ergänzt werden soll und muss durch eigene Politik, durch „gestalten statt verwalten“, wird sichtbar, wie dünn das Eis der tragfähigen Gemeinsamkeiten in der Ampel wirklich ist.

 

Der Patient FDP

Die FDP stilisiert sich lautstark zum Counterpart der Grünen. Sie sind die Antipoden im Kampf gegen den Klimawandel, dabei stehen derzeit die Mittel und Wege im Zentrum. Während die Grünen, wo nötig, auch Verbote nicht ausschließen, also auch mit Verboten Verhaltensänderungen der Menschen forcieren wollen, schließt die „Freiheitspartei“ FDP so etwas kategorisch aus.

Ganz im Sinne der Marktwirtschaft favorisiert sie stattdessen „Anreize“, die den Homo Oeconomicus zum klimaneutralen Verhalten verleiten sollen. Was allerdings gerade im Verkehrsbereich, siehe Spritpreise, definitiv nicht funktioniert. Noch wichtiger aber ist der Ansatz, der neuerdings unter dem Label „Technologieoffenheit“ propagiert wird. Das Projekt wurde mit begrenztem Erfolg bei dem Versuch, den EU-Kompromiss zum Ende des Verbrennungsmotors ab 2035 auszuhebeln, in Szene gesetzt. Alles, was nur denkbar (und wünschbar) ist an technologischen Innovationen, soll möglich bleiben. Dagegen ist in dieser Abstraktheit zwar nichts einzuwenden, aber dahinter verbirgt sich nicht nur die Hoffnung auf technologische Lösungen, sondern deren Ausschließlichkeit als potenzielle Problemlöser. Ob angesichts des zeitlich enger werdenden Wettlaufs mit dem voranschreitenden Klimawandel die neuen Technologien der rettende Engel werden, steht zwar bei fast allen in Aussicht gestellten technischen Innovationen in den Sternen der Hoffnung, aber das wird nicht thematisiert.

Erfolgreicher war die FDP bei den Verhandlungen zum „Kompromisspapier“. Sie hat es geschafft, dass die vorgegebenen Klimaziele nicht mehr von jedem einzelnen Ministerium erfüllt werden müssen, sondern in Gänze mit Ausgleichsmöglichkeiten. Faktisch ging es darum, dass von der FDP geführte Verkehrsministerium aus dem Zeit- und Handlungsdruck herauszunehmen und nun erst mal ungestraft weiter sündigen zu lassen. Die Verkehrswende wird auf unbestimmte Zeit vertagt.

Warum ist das für die FDP so wichtig? Weil in Deutschland sich der Liberalismus in Parteiform mittlerweile klammheimlich auf die Freiheit der AutofahrerInnen reduziert. Mehr und mehr entwickelt sich die FDP zur Auto- genauer zur Autofahrerpartei als neuem Markenzeichen, als Rettungsanker gegen den Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Und die spontan steigenden momentanen Umfragewerte für die FDP scheinen genau das zu belohnen.

Ob die Befriedigung des Freiheitsbedürfnisses der herkömmlichen Mobilität ausreicht, die Liberalen über Wasser zu halten, ist offen. Aber die Maßnahmen gegen den Klimawandel allein durch moderne Technologie in Aussicht zu stellen, findet breite Zustimmung. Der Vorteil ist, dass man damit nicht die heilige Kuh der Konsumentensouveränität tangiert und das Notwendige mit dem Vertrauten kombinieren kann. Klimaschutz ist auch gut für das wirtschaftliche Wachstum und sichert mit gutem Gewissen weiterhin unseren Wohlstand.  Eigentlich hat man mit dem neuesten Ampelkompromiss nur Zeit gekauft auf Kosten der Zukunft und der künftigen Generationen, die den Liberalen in Sachen Besitzstandswahrung sonst so wichtig sind.

Stellt sich noch die Frage, wie kann es einer vom reinen Selbst- und Machterhalt getriebenen Partei immer wieder gelingen, ihre spezielle Agenda durchzusetzen? Sicher, der Ampelarchitektur ist nicht damit gedient, wenn der FDP auch noch im Bund das blüht, was die Wählerschaft auf Landesebene längst vollzieht, dass man sie nicht braucht. Aber der Verweis, dass man den ewigen Mehrheitsbeschaffer retten müsse, reicht zur Erklärung, warum sich die FDP so durchsetzen konnte, nicht aus.

 

Die Rolle der SPD und des Bundeskanzlers

Damit kommt eine weitere Tatsache ins Spiel. In dem Dreierbündnis mit den Grünen und FDP als Kontrahenten, insbesondere in der Klima- und Verkehrspolitik, fällt der SPD des Olaf Scholz eigentlich die Rolle des Vermittlers zu. Im tobenden Koalitionsstreit kam die SPD mit eigenem Profil irgendwie gar nicht vor. Überhaupt ist das Profil, die Handschrift der stärksten Partei in der Dreierkoalition merkwürdig blass, eigentlich nicht erkennbar. Der Kanzler hat in dem jüngsten Streit in den zentralen Fragen nicht vermittelt, er hat Partei ergriffen für die FDP.

Wer vermutet, Scholz habe damit die FDP als Mehrheitsbeschaffer für die Koalition absichern wollen, dürfte sich irren. Scholz steht in den strittigen Punkten der FDP viel näher als es nach außen aussieht. Es ist hilfreich daran zu erinnern, dass die SPD ihren unerwarteten und keinesfalls berauschenden Wahlsieg in erster Linie einer momentanen strategischen Schwäche ihres ehemaligen Koalitionspartners CDU/CSU verdankt. Die SPD des Olaf Scholz ist programmatisch nicht besser gerüstet als während des Siechtums in der sich noch „groß“ nennenden Koalition. Ihre Stammwählerschaft schmilzt dahin wie Butter in der Sonne. Ein fundiertes Profil im Wettbewerb um eine sich stetig ändernde und differenzierende Wählerschaft ist nicht auszumachen.

Da ist es nicht verwunderlich, dass Pragmatismus zum Politikstilangebot für inhaltliche Unschärfe avanciert. Die SPD weiß, was sie einem verbliebenen Rest von Stammwählern und möglichen neuen Wählermärkten nicht zumuten darf: Verzicht und zu viel Veränderungen. Da ist man mit völlig anderer Ressourcenausstattung in den Lebensformen schnell nahe bei der FDP. Der Unterschied liegt hier eher darin, dass die SPD die Beibehaltung der vertrauten Mobilität mit dem kaum einlösbaren Versprechen einer künftigen Elektromobilität verbindet und auf einen angegrünten Flügel Rücksicht nehmend den ÖPNV und die Bahn stärker pusht. Ansonsten bespielt man die Technologiearie und preist ein Wohlstandsversprechen, das wenig den Problemen angemessenes Neues enthält. Ein starker Flügel, der mittlerweile die Tragfläche der SPD bildet, erweckt den Eindruck, sich hinter Forderungen der FDP versteckend, diesen nicht unwillig zu folgen.

Der Annahme vieler Beobachter, der durch das spezielle Wahlergebnis aufgeblähte Zuwachs an Abgeordneten und dem damit verbundenen großen Schub jüngerer MdBs im Juso-Alter beschere der SPD-Bundestagsfraktion eine Linksentwicklung mit stärkerer ökologischer Ausrichtung, beruht wahrscheinlich auf einem folgenschweren Irrtum. Die „pragmatische Generation“, wie man sie und sie sich selbst gerne tituliert, hat jedenfalls die Dominanz des konservativen „Seeheimer Kreises“ in der Fraktion eher bereichert als geschmälert. Selbst wenn die Mitgliedschaft in diesem Kreis mittlerweile auch der künftigen Absicherung des Mandats geschuldet ist, ist Widerspruch oder eine andere eigenständige Position zum Ampelkurs des Bundeskanzlers von hier nicht zu erwarten. Für programmatische Erneuerung hielt sich dieser Kreis noch nie zuständig.

Den Beleg für die Stärke der Beharrungskräfte in der Partei liefert die Berliner SPD in Person von Monika Giffey, die man bei all diesen problematischen Themen als politische Gefährtin des Bundeskanzlers bezeichnen darf. Sie beendet gerade in Berlin, einer potenziellen Zukunftswerkstatt moderner Kommunal- und Urbanitätspolitik mit praktiziertem Klimaschutz und Verkehrswende, ein weiterhin mögliches rot-grün-rotes Bündnis, mit dem allein eine progressive Politik möglich wäre, ohne zwingenden Grund. Stattdessen sucht sie in einer Koalition der „Mitte“ unter Führung einer CDU, deren Vorstellungen einer modernen Stadt aus einem anderen Jahrtausend stammen und deren Wahlsieg verdeckt, dass fast drei Viertel der Berliner Wählerschaft diese Partei nicht gewählt hat, die Abkehr von einer mutigen und zukunftsgerichteten Politik. Aus Angst vor der eigenen Courage einer progressiven Stadtpolitik flüchtet eine inhaltlich völlig entkernte Berliner SPD unter die Fittiche einer Berliner CDU, die selbst auf Bundesebene ihresgleichen sucht.

Beobachten wir im Mikrokosmos Berlin die Zukunft der Republik? Der Kreis um Scholz, der mächtige Seeheimer Kreis und all die vielen Zaghaften in Deutschlands ältester Partei, die das Kämpfen für große Ziele mittlerweile verlernt haben, klammern sich an etwas, was nicht einmal Ruhe verspricht. Was die aufgeregten Kleinbürger beruhigt, treibt große Teile der  jungen Generation absehbar noch mehr und wohl auch noch radikaler auf die Straßen. Profitieren wird die SPD von keiner Seite. Der direkte Weg in eine Sackgasse sieht ernüchternd aus, bei den Jungwählern kommt die SPD nicht einmal auf zehn Prozent, denn entgegen ihrer Selbsteinschätzung ist die SPD der Mitte nicht auf der Höhe der Zeit. Vielleicht beherrscht sie noch die Politik als die „Kunst des Möglichen“, die erforderliche Politik als die „Kunst des Notwendigen“ muss sie sich noch erarbeiten. Viel Zeit bleibt dafür nicht.

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