Donnerstag, 25. April 2024

„Wortmann wortwörtlich“: Niedergang der CDU?

Mitte März meldete das letzte ZDF-Politbarometer einen Verlust von sieben Punkten für die Unionsparteien bei der Sonntagsfrage, also bei der Frage aller Fragen, was würden sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen werden?

Ein solch hoher Verlust innerhalb eines Monats ist sehr ungewöhnlich. Da liegt der Verdacht außergewöhnlicher Ereignisse als bewirkende Ursache nahe. Nun haben die Unionsanalysten das Glück oder Pech, gleich zwei solcher Ereignisse präsentieren zu können. Ist es die sogenannten Maskenaffäre, die den Bereicherungstrieb – nach dem Motto: Gutes tun und dabei noch besser verdienen – einiger Unionsabgeordneter im deutschen Bundestag offenbarte oder ist es die Abstrafung für das miserable Krisenmanagement in der Coronapandemie? Für Letzteres spricht unter anderem, dass die mitregierende SPD mit einem Verlustpunkt nicht zu den Gewinnern zählt, das sind vor allem die Grünen und jeweils mit zwei Punkten Zugewinn FDP und AfD. Weniger dramatisch erscheint der Absturz mit Blick auf die Umfragen vor der Pandemie. Da kam die letzte verbliebene Volkspartei gerade mal bei 26 Prozent, ein historischer Tiefststand für die gemäß ihrem Selbstverständnis deutsche Staats- und Regierungspartei CDU / CSU.

Erklärungsbedürftiger ist demnach der vorübergehende Aufstieg im letzten Sommer auf 40 Prozent. Mit Ausbruch der Coronapandemie schlug krisenbedingt die Stunde der Exekutive. Ausgestattet mit den für die Krisenbekämpfung entscheidenden Ministerposten und einer als erfolgreiche Krisenmanagerin geltenden Bundeskanzlerin, deren unspektakulärer und ruhiger, allerdings auch ebenso wortarmer und orientierungsloser Regierungsstil nun überall als genau krisenkompatibel gelobt wurde, erhielt die Union einen Vertrauensvorschuss für eine pragmatische Krisenbewältigung. Für Optimisten waren damit gleich alle Prognosen vom unabdingbaren Abstieg der Volksparteien als Folge sozialer und kultureller Differenzierung und Fragmentierung  des Wahlvolkes schon widerlegt. Keinesfalls seien die Unionsparteien dazu verdammt, den vorgezeichneten Weg der anderen im Schlafe schrumpfenden Volkspartei namens SPD mit leichtem Abstand zu folgen, obwohl die Nachfolgesuche im Parteivorsitz für Angela Merkel da schon ein paar Parallelen aufblitzen ließ.

Die Stunde der Exekutive und die Vorschusslorbeeren in Sachen Krisenmanagement sind der Union nun auf die Füße gefallen. Von der Krise wird die Union aller Voraussicht nicht mehr profitieren. Der neue Vorsitzende hat noch weniger Charisma als die Vorgängerinnen, was bei der Union zwar nicht so relevant ist, aber mittlerweile den Nachteil hat, dass nicht einmal Persönlichkeiten die inhaltliche Entleerung der Partei übertünchen können. Und nun bieten sich zu guter Letzt die beiden verbleibenden Kandidaten um die Kanzlerkandidatur als vertrauenserweckende Krisenmanager auch nicht mehr vorbehaltlos an. Und denen dämmert schon, dass das vermeintliche Gewohnheitsrecht der Union auf das Kanzleramt auslaufen könnte. D. h. die Union ist – übrigens auch dank der AfD als dem politischen Schmuddelkind mit dem (noch) niemand spielen will – nicht  mehr der gesicherte arithmetische Machtblock, an dem keine Regierungsbildung vorbeikommt.

Da tun sich neue Mehrheiten, egal ob diesseits oder jenseits der Union, für neue Konstellationen auf. Vor allem eine Ampel leuchtet auf, die zudem den Charme hat, auf Landesebene in Rheinlad-Pfalz schon erfolgreich erprobt zu sein und in Baden-Württemberg realisierbar erscheint. Aber ist das auf Bundesebene ernsthaft eine realistische und wünschenswerte Option?  Der kritische Punkt trägt die Farbe gelb. Die FDP wertet das miserable Krisenmanagement als Staatsversagen (bei der Finanzkrise gelang ihr das nicht) und stimmt dagegen das hohe Lied von der Privatinitiative, der Eigenverantwortung und von der heilenden Kraft marktwirtschaftlicher Kräfte mit ihrer vermeintlichen Effektivität und Effizienz an. Damit zeichnet sich auch die Marschroute für die zu erwartende Krisenfolgenbekämpfung ab. Die ersten Anzeichen sind erkennbar. Keine Steuererhöhungen (das meint wohl vor allem Vermögenssteuer und höhere Einkommen) sondern Ausgabenkürzungen (nicht genannt Sozialausgaben) und dergleichen dürfte die SPD vor kaum lösbare Herausforderungen stellen, wenn sie sich nicht endgültig bis zur Unkenntlichkeit verbiegen will. Und selbst die inzwischen vollständig verbürgerlichten Grünen hätten hier mehr als nur Kröten von diesem selbsternannten Club der Leistungsträger und Besserverdienenden zu schlucken, für die grüne Ökologiepolitik eigentlich Freiheitsberaubung ist.

Um die Union in die Opposition zu schicken, ist die Ampel nach Lage der Dinge aber rein rechnerisch die einzige Option, denn die andere alternative Richtung Grün-Rot-Rot ist nicht nur quantitativ außer Reichweite. Sie scheitert inhaltlich vor allem an der Außenpolitik, denn so lange „die Linke“ auf den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO besteht, ist sie nicht regierungsfähig. Wann wird sie begreifen, dass das niemand unserer Nachbarn und Verbündeten will, weil es zu den bei uns verschwiegenen Wahrheiten gehört, dass eine Funktion der NATO nach wie vor auch darin besteht, Deutschland zu kontrollieren.

Welche Konstellation im September letztlich überhaupt noch mehrheitsfähig ist und sich dann zu einer (profillosen) Regierung zusammenraufen muss, ist momentan nur schwer abzuschätzen. Aufbruchstimmung ist da nicht zu erwarten, aber vielleicht eine Wechselstimmung. Nach ihrem zwischenzeitlichen Höhenflug dürfte sich die schon lange schwelende tiefgreifende Krise der Union offenbaren. Und daraus könnten sich weitere grundlegende Veränderungen für die politische Landschaft Deutschlands ergeben. Hier kommt die Maskenaffäre ins Spiel. Sie zeigt auch, dass die der Union zugeschriebene „Wirtschaftskompetenz“ eigentlich darin besteht, dass diese Partei das machtvolle und überwiegend lautlose Einstiegstor für die Unternehmensinteressen „der Wirtschaft“ in den politischen Entscheidungsraum ist. „Wirtschaftsfreundlichkeit“, die sich umso geräuschloser und erfolgreicher durchsetzen kann, wie die im unionsinternen Binnenpluralismus machtlos gewordenen „Sozialausschüsse“ bedeutungslos geworden sind, ist die eigentliche Wirtschaftskompetenz, die nun aber in den Geruch von Lobbyismus und Vorteilsnahme gerät. Das gilt zwar auch für die FDP, aber die generiert sich auch nicht als Volkspartei und für Lobbyisten ist sie interessant vor allem als Regierungspartei. Die Union war die langfristig sichere Bank, mit der sich privates Interesse ventilieren ließ, es gibt nicht nur den hinreichend bekannten „Wirtschaftsrat“, es gibt auch auffällig viele Bundestagsabgeordnete mit reichlich Nebenbeschäftigungen, die für solche Deals offenkundig nicht ganz unwichtig sind. Dieser lautlose Kanal der Wirtschaft zur Union bekommt nun hoffentlich einen Dämpfer durch rigorosere Transparenzgesetze, sein Ende muss das noch nicht sein.

Ob die Maskenaffäre der Union dauerhaften Schaden in ihrer Glaubwürdigkeit einbringt ist – wie eingangs angedeutet – in der Parallelkrise des Krisenmanagements schwer abzuschätzen. Aber da die Union mit Blick auf die Geschichte der BRD als skandalerprobt bezeichnet werden darf, spricht die Erfahrung nicht zwingend für ernsthaft dauerhafte Schäden. Der letzte größere Skandal, Kohls verschwiegene Parteispender, hat nicht wirklich geschadet. Ihre moralischen Verfehlungen trafen auf christliche Vergebung einer nicht unbedingt christlichen Wählerschaft. Denn die im Kern bürgerliche Wählerschaft sieht in der Union zuvörderst einen Garanten für Stabilität, Sicherung und Ausbau des eigenen Wohlstandes und keine übermäßigen Belästigungen mit Politik und sozio-kulturellen Neuheiten. Die Union agiert mit Angela Merkel eher nach der Devise: Wichtig ist nicht, wie wir regieren, sondern dass wir regieren! Als selbsternannte Partei einer immer diffuser werdenden und sich zerklüftenden Mitte, vertritt sie die Fußlahmen eines alternden und der industriellen Welt verhafteten Bürgertums, dass sich dadurch auszeichnet, alle sozio-kulturellen Veränderungen erst dann zu akzeptieren, wenn sie sich nicht mehr verhindern lassen. Und wenn sie dann durch sind, scheut man sich nicht, sie als eigene Erfolge zu verkaufen.

Nun ist aber offensichtlich, dass die Union nur noch einen schrumpfenden Teil eines sich sozial, ökonomisch und kulturell ausdifferenzierenden Bürgertums repräsentiert. Ein zunehmender Teil sammelt sich dagegen erfolgreich bei den Grünen, ohne die Union als Volkspartei beerben zu können, denn ihrem Wachstum auf dem Wählermarkt sind engere Grenzen gesetzt. Die Grünen repräsentieren sozioökonomisch vorzugsweise die nichtprekären und gut ausgebildeten Beschäftigten der modernen vielfältigen Dienstleistungsgesellschaft. Verbunden  mit einer kosmopolitischen kulturellen Orientierung werden sie zu den eigentlichen Konkurrenten der Union. Und dieser Teil eines (neuen) Bürgertums wird nun sozial und ökonomisch entscheiden müssen, in welche Richtung der als notwendig anerkannte ökologische Umbau der Gesellschaft geht. Ob sich eine liberal marktwirtschaftliche oder sozial regulative Ausrichtung durchsetzen wird, ist offen. Angesichts der enormen Kosten der Pandemie ist das für viele eine Existenzfrage. Um diese Weichenstellung geht es in der nächsten Bundestagswahl und nach Lage der Dinge wird den Grünen dabei die entscheidende Rolle als Gestalterin unserer Zukunft zufallen.

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