Mittwoch, 8. Mai 2024

Schuldenbremse zerlegt nicht nur die Ampel – sie muss weg!

Als am Mittwoch, den 15. November 2023, Doris König, die Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, das Urteil zu der Klage der Unionsparteien gegen die Haushaltsführung der Ampelkoalition verkündete, war das nicht nur eine schwere juristische Niederlage für die Bundesregierung, sondern eigentlich ihr Ende. Mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Nachtragshaushalts 2021 und des „Schattenhaushalts“ der Umwidmung der Coronahilfen für die umfangreichen Klimaschutzmaßnahmen hat Karlsruhe der Ampel den Stecker gezogen.

Die scheinbar „intelligente und kreative Haushaltsführung“ fand in Karlsruhe überhaupt keine Gnade und damit entfällt ein wesentliches Instrument, die divergierenden Interessen und politischen Schwerpunkte der Koalitionsparteien wenigstens finanziell abzufedern. Mit den Schattenhaushalten konnte die FDP sich als „Gralshüter“ der Schuldenbremse und zugleich als Verhinderer von Steuererhöhungen bei ihrer Klientel profilieren, die SPD sich Zugang zu den Sozialausgaben verschaffen und die Grünen die Investitionen für den Klimaschutz besorgen.

Diese finanzpolitische „Win-Win-Konstellation“ für die Koalition ist nun am Ende. Zoff gab es auch schon vorher, nun gibt es nur noch Zoff. Politisch gäbe es bei Aufkündigung der Koalition, wie es Söder von Scholz verlangt, nur die Möglichkeit einer Großen Koalition unter Führung der SPD, was eine sich im Umfrageaufwind befindende CDU / CSU nicht machen wird. Also Neuwahlen? Die will aber keiner der Ampelkoalitionäre. Der FDP droht das Scheitern an der Fünfprozenthürde, das wäre der freie Fall in die Bedeutungslosigkeit. Die Grünen erleben momentan das Gegenteil wie vor der Wahl, ihr Stern in der Wählergunst sinkt und niemand will mehr mit ihnen koalieren. Die SPD erlebt seit der letzten Bundestagswahl einen kontinuierlichen Abwärtstrend und hätte bei Neuwahlen keine Aussicht auf eine Trendwende, dafür aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die leidige Perspektive, geschwächt aus Staatsräson wieder in die ungeliebte „Große“ Koalition als kleiner Juniorpartner treten zu müssen, um eine handlungsfähige Demokratie gegen die erstarkte AfD zu retten.

Kurzum, die Ampelparteien können alle drei kein Interesse an einem Ende der Koalition haben, aber wie sollen sie noch zusammenfinden? Und welche Chancen bestehen für die nächsten zwei Jahre, die Sinkflüge in der Wählerschaft zu bremsen oder gar umzukehren? Selbst wenn die FDP über ihren Schatten springen würde und entweder die „Schuldenbremse“ oder die heilige Kuh „Keine Steuererhöhungen“ opfern würde, wäre der Erfolg ungewiss. Bei der Schuldenbremse bräuchte man die Unterstützung der Unionsparteien für eine Grundgesetzänderung. Zwar gibt es in den Unionsparteien nicht nur Begeisterung über den erfolgreichen Coup in Karlsruhe gegen die Ampel, denn der Richterspruch gilt nun auch für sie. Und die Nachteile und Fesseln der Schuldenbremse sind auch dort bekannt und immer mehr Landesväter wie Berlins Kai Wegner und Haseloff aus Sachsen-Anhalt opponieren offen gegen Merz, der sie unbedingt erhalten will.

Letztlich droht bei einer Verlängerung der Hängepartie in Berlin viel Schlimmeres. Der Wahlausgang im Nachbarland Niederlande könnte zum Menetekel werden. Hier braute sich wie aus dem Nichts eine Stimmung zusammen, es reiche nun, und „Tabus“ gebe es angesichts des Gesamtversagens der politische Klasse nicht mehr, also „Hau weg den Sch…“.


Was ist das Problem der deutschen Wirtschaft

Die oben skizzierte politische Ausweglosigkeit mit allen Folgerisiken ist das eine. Die andere Frage ist die Sache selbst. Warum ist die Mai 2009 von der damaligen Großen Koalition unter Federführung des damaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück (!) ins Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ein wirtschaftspolitisches Problem und was soll sie?

Sie verhindert eine langfristige aktive politische Gestaltung eines dringend erforderlichen Transformationsprozesses der deutschen Wirtschaft, der nicht nur eine Antwort auf die Herausforderungen durch den Klimawandel sein muss. Entgegen einer verbreiteten Krisendiagnose, die wie ein automatischer Anrufbeantworter das ewig gleiche Lied vom „Bürokratieabbau“ intoniert, vom ineffizienten Staat, der zu viel reguliert und so zum Wachstumshemmnis wird, verkleistern diese Litaneien den Blick auf die eigentlichen Probleme. Aber auf der Basis dieser „liberalen“ Diagnose gilt Deutschland laut dem renommierten Wirtschaftsmagazin Economist wie schon an der Jahrhundertwende wieder als „Europas kranker Mann“.

Damals war die Diagnose so oberflächlich wie falsch. Die unübersehbare Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt (was damals übrigens für alle hochentwickelten Industriestaaten galt) negierte die Tatsache, dass das gerade wiedervereinte Deutschland im Gegensatz zu seinen Konkurrenten zwar größer geworden war, aber dass das nicht ein sofortiger Gewinn für die Wirtschaft, sondern zunächst eine extreme Herausforderung war. Die Tatsache, dass die deutsche Einheit auch darin bestand, dass knapp über 60 Millionen Menschen über Nacht 16 Millionen weitere StaatsbürgerInnenn in ein gut ausgestattetes soziales Sicherungssystem eingliedern mussten und das bei insgesamt geringerer Wirtschaftskraft, denn das neu Gewonnene war keine Stärkung der ökonomischen Potenz, sondern überwiegend ein Kostenfaktor, diese Wahrheit blieb damals außen vor. Sie war in der Krisendiskussion auch hierzulande ein Tabu, entsprach es doch dem, was ausgerechnet Oskar Lafontaine zum Schaden seiner SPD bei der ersten gesamtdeutschen Wahl prognostiziert hatte.

Stattdessen tobte im neuen Deutschland Ende der 1990er unter der ersten rot-grünen Bundesregierung eine „Standortdebatte“, in deren Zentrum standen zu „hohe Lohn- und vor allem Lohnnebenkosten“. Die Überforderung der Sozialsysteme durch die Kosten der deutschen Einheit war programmiert (und von konservativ-liberalen auch wohl so gewollt), aber ansonsten kann man sich nur wundern, wie es ein Jahrzehnt später – weniger wegen der grandiosen Hartz-Reformen – mehr oder weniger gelungen war, die „Wettbewerbsfähigkeit“ Deutschlands als Exportweltmeister wieder herzustellen.

Ende August dieses Jahres hat nun das oben genannte Wirtschaftsmagazin Deutschland erneut zum „kranken Mann Europas“ ausgerufen. Wie der Ökonomieprofessor Peter Bofinger, von 2004 bis 2019 Mitglied des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (auch bekannt als die „fünf Wirtschaftsweisen“), Ende Oktober in einem Beitrag für das IPG-Journal unter dem Titel „Deutschland ist krank“ darlegt, leidet Deutschland zwar an einer Wachstumsschwäche, die aber nicht mit der neoliberalen Klagearie der Bürokratie zu erklären sei. Das stimme schon deshalb nicht, weil sich Deutschland im internationalen Vergleich bei einer Effizienzmessung staatlichen Handels im mittleren Feld ganz in der Nähe seiner Konkurrenten USA und Großbritannien befindet, während andere wie China, Japan, Frankreich und Spanien noch weit dahinter liegen.

Bei genauerer Betrachtung versteckt sich hinter der Forderung nach „Bürokratieabbau“ etwas anderes. Es geht beim „Bürokratieabbau“ wie eh und je für die Rücknahme staatlicher Aktivitäten zugunsten der Entfesselung des Marktes und den Rückbau des Sozialstaates, was Friedrich Merz verstärkt betont. Die üblichen Klagen über die zu hohen Arbeitskosten machen sich momentan nicht so gut, wenn zugleich ein Fachkräftemangel diagnostiziert wird.

Bofinger sieht in dieser Hauruckanalytik eine große Gefahr, denn sie verstellt den Blick auf die eigentliche Problematik und Herausforderung für die deutsche Wirtschaft. Dass Deutschland seine Vereinigungskrise und die folgende Finanzkrise damals vergleichsweise gut überstand, hatte auch mit einem „Geschäftsmodell“ zu tun, das nun durch veränderte Rahmenbedingungen zur Disposition steht und eine grundlegende Veränderung erfordert.

Dieses „Geschäftsmodell“ beschreibt Bofinger in Form dreier konzentrischer Kreise. Der äußere Kreis ist die Exportorientierung. Die war zwar schon seit Gründung der BRD verhältnismäßig stark, aber seit den 1990er Jahren hat sich das Verhältnis der Ausfuhren zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit 47 Prozent nahezu verdoppelt. Frankreich und Großbritannien kommen auf 29, China auf 20 und die USA auf nur 11 Prozent. Deutschland als Exportweltmeister, insofern auch ein Gewinner der Globalisierung, das gilt als Erfolgsstory. Die Kehrseite ist, dass Deutschlands Konjunktur von der globalen Nachfrage abhängig ist und die „Leistungsbilanzüberschüsse bildeten zugleich die mangelnde Binnennachfrage“ ab. Als Kostenvorteile gegenüber der Konkurrenz kamen der deutschen Exportwirtschaft die preiswerte Energie (russisches Gas) und eine relative Lohnzurückhaltung durch die strukturelle Arbeitslosigkeit zugute. Seitdem die Globalisierung durch den zunehmenden Protektionismus, vor allem in den USA, aber auch in China, ins Stocken geraten ist, fällt der Welthandel als Wachstumsmotor und Stimulator der deutschen Wirtschaft zunehmend aus. Die „Politisierung“ des Außenhandels (Senkung der Abhängigkeit von autoritären Systemen) beendet die Träume vom sich selbst regulierenden und entpolitisierten Weltmarkt zusätzlich.

Der mittlere Kreis ist die starke Fokussierung auf das verarbeitende Gewerbe. Sein Anteil an der Wertschöpfung liegt bei 20 Prozent, fast doppelt so hoch wie in den USA mit 11 Prozent und deutlich höher als in Frankreich und Großbritannien mit knapp unter 10 Prozent. Deutschland ist unter den klassischen Industrieländern das Land mit dem stärksten Industrieanteil. Was jahrzehntelang als Vorteil gegen den Trend der Deindustrialisierung gewertet werden konnte, wird nun angesichts steigender Energiepreise und der nötigen Dekarbonisierung zu einer besonderen Herausforderung gegenüber den Ländern mit einem stärkeren Dienstleistungssektor. Für die Londoner Finanzcity sind Energiekosten eher eine Marginalie. Hinzu kommt, dass Deutschland, wie Europa insgesamt, im Bereich der Digitalwirtschaft (insbesondere fehlende digitale Plattformen, die zu 80 Prozente auf die USA und 17 Prozent auf China entfallen) nahezu hoffnungslos zurückliegt.

Der innere Kreis ist die klassische Großindustrie, der verarbeitende Sektor mit einer starken Konzentration auf die Automobilbranche, die sich auf China als Absatzmarkt konzentriert.  Und hier drohen enorme Probleme und Einbrüche. Die Fahrzeugproduktion erreichte 2017 ihren bisherigen Höhepunkt und sank dann auf das Niveau von 2008 vor der Finanzkrise. Die Liste der Versäumnisse und Fehler ist lang, dass zu lange Festhalten am Verbrennungsmotor und die Unterschätzung der Bedeutung digitaler Dienstleistungen im modernen Auto führen gegenüber China zu einer Umkehrung der Technologieführerschaft und der Abhängigkeit.


Die Schuldenbremse bremst die Innovationspotenziale

Gemessen an diesen strukturellen Veränderungen und den sich daraus ergebenden Herausforderungen erscheint die Debatten über Deregulierungen und Steuersenkungen mehr als unterkomplex. Die herrschende und tonanagebende Ökonomenzunft beschwört die Selbstheilungskräfte des Marktes und garniert dies mit Rückgriffen auf die in Deutschland so einflussreiche „Ordnungspolitik“, für die Veronika Grimm im Sachverständigenrat einen Sitz innehat.

Ordnungspolitik oder auch Ordoliberalismus ist ein deutsches Unicum, welches der Nachkriegsentwicklung und dem Erfolg namens Wirtschaftswunder geschuldet ist. Ludwig Erhard war die politische Personifikation, der spiritus rector war Walter Eucken, den man im Ausland vergebens als bedeutenden Ökonomen sucht. Der von ihm entworfene Ordoliberalismus gab dem Staat allein die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu setzen, damit der Wettbewerb auf dem Markt gesichert ist. Mit dieser ordnenden Instanz kann sich der Segen der Marktwirtschaft zum Nutzen aller voll entfalten. Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen sind dagegen das größte Übel, für Eucken die Vorstufe zum Einstieg in die diktatorische „Zentralverwaltungswirtschaft“, die für ihn Zeichen des „Totalitarismus“ waren, wie sie im Nationalsozialismus wie in „Sowjetrussland“ zu besichtigen waren.

Dieser Ordoliberalismus, der auch unter den Bezeichnungen „Freiburger Schule“ oder höchst irrtümlich „Neoliberalismus“ in der Dogmengeschichte der Nationalökonomie firmiert, war das deutsche Gegenmodell zum international dominanten „Keynesianismus“. Der britische Ökonom John Maynard Keynes galt nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 als der „liberale Retter des Kapitalismus“, weil er mit dem Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes brach. Der Staat müsse aktiv in die Wirtschaftskreisläufe intervenieren, wenn dort Ungleichgewichte entstehen. Das galt insbesondere für den Arbeitsmarkt. Keynes‘ oberstes Ziel war die Herstellung von „Vollbeschäftigung“, d.h. der Staat sollte die Konjunkturzyklen mittels staatlicher Intervention in den Wirtschaftskreislauf so steuern, dass auch tiefer greifende Krisen wie die Weltwirtschaftskrise von 1929 sich nicht wiederholen. Ein Kern seiner Lehre bestand in der Erkenntnis, dass Löhne aus der Sicht der Unternehmen, also betriebswirtschaftlich nur Kosten, aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht aber zugleich auch die erforderliche Kaufkraft sind, wodurch sich der Wirtschaftskreislauf erst schließt.

Der Staat musste nach Keynes notfalls Schulden aufnehmen, um bei negativer Konjunkturentwicklung die Wirtschaft anzukurbeln. Das Mantra des „ausgeglichenen Staatshaushaltes“ war in einer Krise für ihn das Hauptübel der damals herrschenden Wirtschaftspolitik. Besonders ausgeprägt fand man das in Deutschland am Ende der Weimarer Republik unter dem Zentrumspolitiker Brüning als Reichskanzler.

Für die kapitalistischen Länder war die aktive Wirtschaftspolitik nach Keynes von den Sozialdemokraten bis zu den Liberalen und Konservativen bis in die 1970er Jahre die unbestrittene Lehre aus der Weltwirtschaftskrise und ein wesentliches Element, den erwirtschafteten Wohlstand so zu verteilen, dass Klassenkämpfe marginalisiert werden konnten. Dass dazu auch starke Gewerkschaften erforderlich waren – und sind, war für weite Teile der Bourgeoisie sicherlich eine drückende Last, aber gemessen an der Herrschaftssicherung zu ertragen.

Ludwig Erhard und die den Wirtschaftsdiskurs der BRD dominierenden Ordoliberalen verstanden sich dagegen seit den dreißiger Jahren als dezidierte Anti-Keynesianer. Ausgeglichene Haushalte, keine Staatsverschuldung wurden Werte an sich Kühe und Vollbeschäftigung ein Irrglaube. Gewerkschaften waren für sie letztlich marktwidrige Monopolisten der Ware Arbeitskraft, die man aber als Teil der „pluralistischen Interessenhaufen“ ertragen musste. Aber als Erhard 1966 als Bundeskanzler zurücktreten musste, war er eigentlich als Wirtschaftspolitiker gescheitert, denn die bescheidene Konjunkturdelle mit vergleichsweise geringer Arbeitslosigkeit zeigte schon, dass er mit seinem Latein am Ende war. Es folgte die Sternstunde des Sozialdemokraten Karl Schiller, der nun mit dem Vokabular der Keynesianer eine ungewohnte Modernität versprühte und die Krise überwand, aber mit seinem „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ von 1967 dem Ordoliberalismus noch Tribut zollte.

Man könnte die 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse als eine deutsche Marotte mit erheblichen Auswirkungen auf die EU-Stabilitätspolitik abtun. Sie folgt auch den populären Wirtschaftsweisheiten der „schwäbischen Hausfrau“, die auch nur ausgibt, was sie vorher eingenommen hat. Diese Dame ist allerdings schon seit langem schlicht nicht mehr zeitgemäß und alltagstauglich. Wer spart bis an ihr Lebensende, damit man dann seinen Traum vom eigenen Häuschen zwar schuldenfrei realisieren kann, aber dafür auch bis ins hohe Alter für diesen Traum leben muss, von dessen Realisierung man dann aber kaum noch etwas hat? Da ist der moderne Mensch etwas anders drauf und mit der Umkehrung dieses puritanisch anmutenden Sparsamkeitsethos den systemischen Anforderungen des modernen Kapitalismus angepasster. Der moderne Mensch lebt auf und vom Kredit. Die möglichst schnelle Befriedigung von Bedürfnissen und nicht ihr Aufschub durch mühsames, langes Sparen führt dazu, dass ich jetzt in jungen Jahren das Haus will und mich dafür verschulde. Ohne diese Kreditierung der Volkswirtschaft würde der moderne auf Massenabsatz programmierte Kapitalismus zusammenbrechen. D. h. das Leben auf Pump ist systemkonform, mehr noch, es ist nötig.

Nun soll der Staat sich diesem Prinzip entsagen, obwohl er das Privileg genießt, dass er anders als die altbackende schwäbische Hausfrau nicht Pleite gehen kann. Aber es gibt in Deutschland, trotz des immer noch großen Einflusses des Ordoliberalismus auch andere Ansätze, die nicht nur wegen der Vorgaben in Bidens USA eine aktive gestaltende Politik des Staates für die großen Transformationsaufgaben in Wirtschaft und Gesellschaft verlangen. Erforderlich wäre ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel um die Herausforderungen des Klimawandels, die Energieversorgung, des Wandels der Weltwirtschaft, Sicherung und Ausbau der Infrastrukturen für Verkehr und Digitalwirtschaft in Angriff zu nehmen. Märkte machen das nicht von sich aus. Staatsschulden sind richtig eingesetzt ein Wachstumsmotor und von den USA könnte ein Gebot ausgehen, dass der künftige Wettlauf sich auf diesem Terrain abspielt.

Bliebe da noch das Argument der Generationengerechtigkeit. Da wäre die Frage, ob es der „Erbengeneration“, um es mal polemisch zu wenden, lieber ist, jetzt alles daran zu setzen, um den Klimawandel und dessen Auswirkungen zu bremsen, die Volkswirtschaft für die künftigen Herausforderungen technologisch zu modernisieren, damit sie eine möglicherweise andere, nachhaltigere Form von Wohlstand als ihre Erbmasse übernehmen oder ob sie so sehr an einem schuldenfreien Staat hängen, dabei aber mit unkalkulierbaren Folgen von weiteren Entwicklungen abgekoppelt werden.

Zwar sind Staatsschulden derzeit auch im Ländervergleich nicht Deutschlands großes Problem, aber es gibt natürlich neben der Schuldenmehrung des Staates für eine aktive Wirtschaftspolitik auch noch andere Finanzierungsmöglichkeiten, die zwar für die FDP ausgeschlossen sind, aber dennoch existieren und weder für die SPD noch Grüne ein Tabu wären. Die Einnahmeseite stärken, das hieße nicht öffentliches Tafelsilber verkaufen, sondern Steuern zu erhöhen. Das böte sich auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit an. Da sind zum einen die ungeheuren Mengen von sehr unterschiedlichen Erbschaften, die in der Summe das Leistungsprinzip obsolet machen. Und ganz pragmatisch auf die Gegenwart bezogen: mit steigenden Zinsen werden auch die Staatsschulden teurer, weshalb diesem Finanzierungsweg keine unbegrenzten Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Zinsempfänger, die von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung nicht nur durch Einkommenszuwächse, sondern auch durch zusätzliche Zinsgewinne – möglicherwiese noch aus Staatsanleihen – profitieren. Es wäre durchaus gerecht, wenn hier Mittel für eine nachhaltige Wohlstandssicherung für alle abgerufen würden. Eine umfassende und gerechtere Steuerreform wäre eine dringende politische Aufgabe. Rot-grün könnte die Ampel daran zerbrechen lassen, denn dafür wäre die Partei der selbsternannten Leistungsträger mit Sicherheit nicht zu gewinnen.

Schulden wären, im Verbund mit einer gerechten Steuerreform, richtig eingesetzt Investitionen in die Zukunft, also in die Verbesserung der Lebensbedingungen der nachfolgenden Generationen. Deshalb sollte die Schuldenbremse getilgt, zumindest aber so reformiert werden, dass eine jetzt notwendige aktive Wirtschaftspolitik mit einem gestaltenden Staat möglich wird.

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