Und als nächstes nun Taiwan?

Wie mehr oder weniger gut informierte Kreise und weit- wie tiefblickende Strategen zu wissen behaupten, folgt auf den Ukrainekrieg durch Putins Einfall im äußersten Südwesten des eurasischen Raumes das Pendant im äußersten Osten durch den verbündeten autokratischen Machthaber in China, der seine Begehrlichkeiten Richtung Taiwan nun auch militärisch – wenn auch zunächst durch Manöver – anmeldet.

taiwan

Für das neue Weltbild des nun anbrechenden, aber wohl nicht mehr „kalten“ Krieges, passt ideologisch alles zusammen. Da vereinen sich die nach einer neuen Weltordnung strebenden, Menschrechte verachtenden Despoten gegen unliebsame Demokratien, die ihren Feinden angeblich schon kraft ihres Daseins zur Gefahr werden und deshalb vernichtet werden müssen.

Dass dieses „Narrativ“ auch für Deutschland durch unsere Außenministerin übernommen wird, macht es nicht wahrer. Und ob die große alte Dame, die personifizierte Strippenzieherin des amerikanischen Parlamentarismus mit ihrer kalkulierten, gewollten Provokation gegenüber der Volksrepublik China sich vergleichsweise Meriten auf dem Parkett der internationalen Politik erworben hat, bleibt noch abzuwarten. Auch wenn China mit seinem „Militärmanövern“ als Reaktion die aggressiven Erwartungen durchaus bediente, war doch auch nicht zu verheimlichen, dass Nancy Pelosis Solotrip nach Taiwan in Washington keinesfalls auf ungeteilten Beifall stieß.

Denn wenn die oben angeführte Erzählung stimmt, dass der Ukrainekrieg u.a. das Vor- und Studierbild für Chinas Schlag gegen Taiwan ist, dann lief Pelosis Auftritt Gefahr, den Chinesen den Vorwand für den Übergang vom Manöver zum Krieg zu liefern. Das aber kann oder konnte niemals im Interesse der USA liegen. Für einen Krieg an zwei Fronten gegen einen gemeinsamen Gegner Russland und China, eine Landmacht und eine potenzielle Seemacht im Pazifik, das dürfte auch die Militärsupermacht USA überfordern. Es sei denn, man wähne sich in Washington in einer Situation, wo man einen für unausweichlich gehaltenen kriegerischen Konflikt mit China bald suchen müsse, da man sich jetzt noch in einer besseren Ausgangsposition befände als später, wenn Chinas Aufrüstung zur See auch hier die Machtverhältnisse auf den Kopf stelle.

Gegenwärtig kann sich die USA jedenfalls der Unterstützung der Nato sicher sein. Einzigartig ist ihre Führungsrolle in der Allianz. Ca. 658 Milliarden Euro gab Washington im vergangenen Jahr für die Verteidigung aus, das ist 2,4 Mal so viel wie alle 29 Nato-Partner zusammen und die USA leisteten mit 3,7 Prozent Anteil am Bruttosozialprodukt den mit Abstand höchsten Beitrag an Verteidigungsausgaben. In diesem Jahr dürfte sich das angesichts der enormen Militärhilfe für die Ukraine noch deutlicher darstellen.

Dank Putins Überfall auf die Ukraine steht die Nato gestärkt wie nie zuvor da, erweitert sich um Schweden und Finnland, zwei ehemals erzneutrale Staaten. Ohne die USA läuft gegen Putins Russland nichts und Europa bleibt sicherheits- und verteidigungspolitisch mehr denn je völlig abhängig von den USA.

Das ist nicht ohne Risiko. Denn nicht nur im Rückblick auf die Trump-Episode – wenn es denn eine wäre –  ist die USA ein unsicherer Verbündeter geworden. Der Blick auf die Gegenwart der Republikanischen Partei und die anstehenden Zwischenwahlen zum Repräsentantenhaus garantieren keine Rückkehr in stabile politische Verhältnisse.

Aber was sich aus europäischer Sicht gegenüber Putin als Dauergegner bedrohlich ausnimmt, gewinnt an noch mehr Dramatik durch die globale Konfrontation, die aus amerikanischer Sicht in Fernost mit China als der eigentlichen Herausforderung für die USA auf der – übrigens parteiübergreifenden – Tagesordnung steht. Angesichts der im Frühjahr geschlossenen und verkündeten strategischen Partnerschaft Russlands mit China stellt sich die im November 2020 in den USA verkündete „strategische Herausforderung“ Chinas noch in einem anderen Licht dar, denn beide Kontrahenten des Westens verfolgen ein gemeinsames Ziel: Das Ende der regelbasierten liberalen Weltordnung unter der Dominanz westlicher Werte und Interessen.

Damit erweitert sich aus amerikanischer Sicht auch der strategische Rahmen. Die steigende Bedeutung der Nato lässt sich nicht mehr auf die osteuropäische Flanke gegen Russland begrenzen. Für die USA ist es unabdingbar, die europäischen Alliierten mit den pazifischen wie Singapur, Südkorea, Australien und Japan zusammen zu bringen. Das gilt hinsichtlich von Waffenlieferungen wie auch für die Koordination von Wirtschaftssanktionen, denn diese werden gegen China eine noch unvergleichlich höhere Deutung erklimmen als gegen Russland. Und hier ist sogleich auch sichtbar, wo die Schwachstellen des Westens in dieser Region liegen. Dass Japan schon in der Ukrainekrise anders agiert als damals noch nach der Krimannexion, als Nippon sich weigerte Sanktionen mitzutragen, gilt zwar als Fortschritt, aber die Lücken sind angesichts des Fehlens von Indien, Pakistan und Indonesien und weiter Teile des „globalen Südens“ beträchtlich.

Dem Projekt, die Demokratie und Menschenrechte global als Gegenpol zu den „autokratischen Regimen“ zu setzen, steht eine weltweite Skepsis gegenüber. Befinden sich doch die westlichen liberalen Demokratien momentan in einer inneren Legitimationskrise, deren Ausdruck der zunehmende Rechtspopulismus ist und der Kampf für die Menschrechte leidet wie eh und je daran, dass hier laufend mit zweierlei Maß gemessen wird. Interessen sind kompromissfähig, Werte nicht. Momentan zelebriert auch die deutsche Außenpolitik, die sich als „wertebasiert“ deklariert, wie unter der „normativen Kraft des Faktischen“ Rohstoffe aus Russland des Teufels, aber aus dem Nahen Osten bei gleicher Menschenrechtslage plötzlich erträglich sind.

Es mehren sich die Zweifel, ob die USA mit ihren Verbündeten eine Doppelkrise mit Russland um die Ukraine und mit China um Taiwan zu stemmen vermag. Zwar kann der Westen Taiwan als Demokratie beim neuen Systemkampf heute auf der Seite der guten verbuchen. Taiwan erhebt heute nicht mehr wie einst unter Chiang Kai-shek den Anspruch als „Nationalchina“ mit seinen gut 20 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von der Größe Baden-Württembergs der einzig legitime Vertreter des gesamten Chinas zu sein und verlangt von seinen wenigen Verbündeten auch keine Unterstützung mehr für die Befreiung „Rotchinas“ auf dem Festland vom Kommunismus.

Bis Ende der siebziger Jahre verfolgten beide Seiten eine „Ein China-Politik“, die die Existenzberechtigung der jeweils anderen Seite ausschloss. Das war das Ergebnis am Ende des Bürgerkrieges, der sich dem zunächst gemeinsamen Kampf gegen die japanischen Okkupanten im Zweiten Weltkrieg anschloss. Im Oktober 1949 verkündeten die chinesischen Kommunisten unter Mao Ze Dong ihren Sieg über die Nationalisten unter der Führung Chiang Kai-sheks und riefen die „Volksrepublik China“ aus, während die unterlegenen Nationalisten mit ihrem Anhang nach Taiwan auswichen, um von dort ihren Widerstand gegen „Rotchina“ und dessen Rückeroberung zu organisieren. Dank amerikanischer Hilfe repräsentierten sie auf internationaler Ebene, obwohl nur von wenigen Staaten anerkannt, dort zunächst „China“ – auch als UNO-Vertreter.

In den siebziger Jahren verlor Nationalchina bzw. Taiwan partiell die Unterstützung der USA. Nicht weil es sich hier keineswegs um eine Demokratie handelte. Taiwan wurde das Opfer eines bedeutenden Schachzuges der amerikanischen Außenpolitik, der unter Präsident Nixon vollzogen wurde und wohl maßgeblich auf seinen damaligen Sicherheitsberater Henry A. Kissinger zurückgeht. Um den Einfluss der Sowjetunion in Indochina zu konterkarieren holte man die isolierte „Volksrepublik China“, die mit Moskau innerhalb des gespaltenen kommunistischen Lagers völlig über Kreuz lag, als Gegengewicht in die Weltpolitik zurück. Der Preis war, dass man dafür Taiwans Alleinvertretungsanspruch für Gesamtchina annullieren musste, Maos China in die UNO und den Sicherheitsrat einzog und Taiwan international entmachtet wurde. Aber die USA hielten an der selbständigen Existenz Taiwans fest, die von der Volksrepublik nie und bis heute nicht anerkennt wird.

Hier liegt nun der wieder aufkeimende Konflikt. Zwar hat Taiwan seinen formellen Anspruch, China als Ganzes zu vertreten, aufgegeben und verteidigt heute seine Selbständigkeit zunehmend damit, dass es auf Grund seiner ökonomischen und vor allem politischen Modernisierung zur westlichen Demokratie nun auch kulturell nicht mehr „chinesisch“ sei und sich somit dem Ansinnen des „Mutterlandes“ auf dem Festland mit Verweis auf eine eigene Identität entschieden widersetzt.

Diesen Wandel innerhalb Taiwans, der nebenbei für einige Jahrzehnte seit dem Ende der 1980er Jahre auch zu einem gedeihlichen Nebeneinander der „beiden Chinas“ führte, zum Westen, wird nun von den USA als Trumpfkarte gegen die wiederbelebten Ambitionen der Volksrepublik nach einer vermeintlichen Annexion Taiwans ausgespielt.

Aber auch wenn der Konflikt nun aktuell von einem Diskurs der Verteidigung der taiwanischen Demokratie gegen die „kommunistische Diktatur“ bestimmt wird, sollte man dabei nicht übersehen, dass  ein erheblicher Teil der Bedeutung Taiwans im geostrategischen Bereich, u.z. vor allem militärischen liegt. Treffend nannte der amerikanische General Douglas MacArthur während des Koreakrieges Taiwan den „unsinkbaren Flugzeugträger“. Jedem militärischen Laien muss bei einem Blick auf den Globus die strategische Bedeutung dieser Insel unmittelbar vor dem chinesischen Festland ins Auge springen: es ist das Kuba Chinas. Taiwans militärisch-geostrategische Bedeutung für die Verteidigung wie Eroberung Chinas ist offensichtlich.

Auf alle Fälle ist davon auszugehen, dass uns der Konflikt mit China möglicherweise über Sanktionen hinaus künftig vermehrt beschäftigen wird. Joe Biden verfolgt das Ziel, Europa stärker einzubinden, um den wachsenden Herausforderungen im indopazifischen Raum zu begegnen. Das im September 2021 geschlossene Sicherheitsabkommen zwischen USA,  Großbritannien und Australien (AUKUS), dessen Kern die intensivere Zusammenarbeit bei der Entwicklung und dem Einsatz von Atom-U-Booten ist, ist der Auftakt für Bidens strategisches Ziel einer engeren Verzahnung  der beiden Regionen des Pazifik und des Atlantiks. Ob sich darin der Wunsch einer „klammheimlichen“ Entgrenzung der Nato zu einer global agierenden Einsatztruppe (für die Verbreitung und Sicherung der Demokratien gegen die „totalitären“ oder „autokratischen“ Ansprüche und Bedrohungen) verbirgt, wird sich erst noch zeigen.

Sicher ist nur, dass die Unsicherheiten zunehmen werden und wenig von dem, was wir bislang für selbstverständlich und auch für einen Fortschritt hielten wie weltweite Arbeitsteilung und Handel, globale Mobilität wird dann noch Bestand haben. Vielleicht hilft das im Kampf gegen den Klimawandel, aber ob der noch als eine international getragene Menschheitsaufgabe gesehen wird, gehört auch zu den Ungewissheiten.

 

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