Wagenknechts Flaschenpost

Bündnis Sarah Wagenknecht  

Nun ist die Katze endlich aus dem Sack. BSW, das ist „Bündnis Sarah Wagenknecht“ plant im nächsten Jahr rechtzeitig zur Europawahl die lang erwartete und von manchen auch ersehnte Gründung einer neuen Partei. Ob sie mehr wird als der endgültige Ruin der Linken, bleibt abzuwarten. Wahlforscher sehen zumindest Chancen für erhebliche Einbrüche in die Wählerschaft der AfD, vor allem im Osten. Selbst wenn das gelingen sollte, wäre eine weitere Partei, die einem Prostest „eine Stimme verleihen“ will, selbst dann, wenn sie das mit dem Anspruch verbindet, auch regieren zu wollen, nicht unbedingt eine Stärkung des politischen Systems der parlamentarischen Demokratie. Eine weitere Zersplitterung der Parteienlandschaft wird, selbst bei weitreichender Kompromissbereitschaft aller Akteure, stabile Regierungsbildungen erschweren. Immer kleinere Parteien mit schmalerem Stimmenanteil müssen ihre Identität und die Interessen ihrer Wählerklientel erfolgreich und sichtbar in ins Regierungshandeln einbringen, wobei die Schnittmengen zwischen den Parteien eher schmelzen. Wozu das führt, demonstriert uns gegenwärtig die Ampel und es besteht kein Grund zur Hoffnung, dass sich das in anderen Konstellationen nicht wiederholt.

Sollte sich eine erfolgreiche Neugründung wegen bestimmter Inhalte (z.B. Außenpolitik) in eine Randlage manövrieren, würde sie den Koalitionsdruck auf die verbleibenden Parteien der immer kleiner werdenden Mitte erhöhen und absehbar wäre dann, dass diese verbleibende „Mitte“ soweit schmilzt, dass sie selbst mangels Masse zum Rand wird. Ein solches Krisengemälde kann schneller Realität werden als man denkt.

Aber das ist zunächst Wahlarithmetik und die Stabilität unseres demokratischen Systems ist kein zwingender Grund auf eine Parteigründung zu verzichten, obwohl BSW sich nicht nur um „unser Land“, sondern auch um die Demokratie besorgt zeigt. Uns interessiert hier, was dieses neue Projekt außer einer immer rätselhafteren „Ikone“ politisch im Angebot hat. Das Vorprogramm für ein künftiges Parteiprogramm findet sich in dem „Gründungsmanifest des Bündnis Sarah Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“. Der Parteiname ist noch offen, aber er wird nicht wie andere populistische Versuche (man denke an die Umwandlung der ÖVP in Österreich in „Liste Kurz“) ihren Namen annehmen. Das Ende des Personenkultes bedeutet das nicht.


Der programmatische Rahmen

Offen ist nicht, wohin die Reise der neuen Partei gehen soll, weniger klar, und an wen sie sich richtet. Das Programm ist ein Mix linker Umverteilungspolitik auf der Basis einer Wirtschaftspolitik aus der Mottenkiste Ludwig Erhards garniert mit einer restriktiven Asyl- und Migrationspolitik, die der AfD nicht fern ist. Aber ohne einer sich aufdrängenden billigen Polemik zu verfallen, gilt es festzuhalten, dass BSW sich explizit antirassistisch versteht und Zuwanderung in Art und Umfang an die sozialen und infrastrukturellen Aufnahmefähigkeiten bindet. Der Hinweis, dass die großen globalen Probleme der Menschheit und ihre Folgen nicht durch Asyl und Zuwanderung nach Deutschland gelöst werden können – was auch wohl kaum jemand ernsthaft glaubt -, wird ergänzt mit dem Verweis auf die Bevölkerungsgruppen hierzulande, die angesichts des Konkurrenzdrucks auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt Migrationsprozesse sozial anders wahrnehmen als die urbane grüne Mittelschichtskosmopoliten, die Wagenknecht ja bekanntlich auch in ihrer eigenen Partei „Die Linke“ am Werke sieht und der zentrale Grund sind, diesen „Selbstgerechten“ mit einer eigenen Partei den Garaus zu machen.

Dass in der politisch-kulturellen Gegenwartsdiagnose der Groll auf dieses links-grüne Milieu ein populärer Ausgangspunkt ist, verrät das Manifest gleich zu Beginn – und zieht sich bis ans Ende durch. Da wird ein „autoritärer Politikstil“ beklagt, der „den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu leben, zu heizen, zu denken und zu sprechen haben“, der „Meinungsvielfalt“ und „Freiheit“ verachte. Abgesehen davon, dass man solche Formulierungen wortwörtlich in dieser Woche in einem unerwünschten Flugblatt der AfD im Postkasten serviert bekam, kann man das ernsthafterweise nicht anders als puren Populismus bezeichnen, so problematisch dieser Begriff auch letztlich ist.

Aufschlussreich ist der Ausgangspunkt, warum „Vernunft und Gerechtigkeit“ die Leitbegriffe für die Neuausrichtung unseres Landes sind. Es ist nicht der die Menschheit bedrohende Klimawandel, sondern – etwas sehr liberal formuliert – die Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und insbesondere unserer Wirtschaft, vorzugsweise des Mittelstandes. Anders als die AfD leugnet BSW zwar nicht den Klimawandel und fordert die „Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen“. Aber ganz in Übereinstimmung mit der FDP, Unionsparteien und Scholz (plus eines Teils seiner dahinvegetierenden Partei) reiht sich Wagenknecht ein in den Chor derer, die eine „seriöse Klima- und Umweltpolitik“ nur auf der Basis der „Entwicklung innovativer Schlüsseltechnologien“ für möglich halten. Alles andere sei „blinder Aktivismus“, „gefährde unsere wirtschaftliche Substanz“, „verteure das Leben der Menschen und untergrabe die öffentliche Akzeptanz von sinnvollen Klimaschutzmaßnahmen“. Die Rede ist hier nicht von dem, was für den Klimaschutz notwendig ist, sondern was aus Sicht „der Wirtschaft“ machbar und für „die Menschen“ zumutbar ist. Die Frage, was denn getan werden soll, wenn sich die rettenden Technologien nicht oder sehr spät erst einstellen, wird gar nicht gestellt.

Klimapolitisch zentrale Politikfelder wie etwa der Verkehr können so einfach übergangen werden. Das verschafft den Vorteil, dass man sich nicht auf das minenreiche Gebiet möglicher „Verbote“ oder Eingriffe in die „Privatsphäre“ der Bürger begeben muss. Und darum geht es auch primär bei der grundlegenden Klage über den „autoritären Politikstil“. BSW wird aus dieser Perspektive zum „fellow traveller“ von FDP, Unionsparteien und AfD. Gemeinsam ist ihnen der Paradigmenwechsel vom Leitthema „Klimaschutz“ zur Rettung der deutschen Wirtschaft. Wie sich das mit dem Postulat der Vernunft verträgt, ist vorerst Wagenknechts Geheimnis. Die Gerechtigkeit kommt dann als Unterschied zu den anderen Parteien in der Sozialpolitik, die auch die Vermögensungleichheiten einbezieht, zu ihrem Recht.


Die neue Mittelstandspartei

In dem zentralen Kapitel, das sich dem Thema der Zukunft „unserer Wirtschaft“ widmet, muss man die von früher bekannte eloquente Sarah Wagenknecht, die Hüterin der exotischen „kommunistischen Plattform“, die mit „Marx- und Engelszungen“ sprach, in Gänze vergessen. Ihre Studien in Sachen Ökonomie haben sie in die Arme eines „erfolgreichen Wirtschaftspolitikers“ namens Ludwig Erhard getrieben, der allerdings nicht gerade in die Galerie bedeutender Ökonomen gehört. Aber das Gründungsmanifest wimmelt von erborgten Annahmen jenes „Ordo-Liberalismus“, dem auch Erhard folgte.

Das wird besonders deutlich, wo die Förderung des „innovativen Mittelstandes“ – allerdings im Verbund mit „der Industrie“ – einerseits das „Rückgrat unseres Wohlstandes“ ist, aber andererseits wird er wegen der zunehmenden Konzentration des Kapitals bedroht und folglich „viele Märkte nicht mehr funktionieren“. Erstaunlich die dafür angeführten Gründe: Neben dem „Versagen der Kartellbehörde“ sei es die „von Konzernen beeinflusste und gekaufte Politik“, die es „marktbeherrschenden Großunternehmen“ ermöglichten, „allen anderen Marktteilnehmern ihren Tribut“ aufzuerlegen, „Wettbewerb zu untergraben und Demokratie zu zerstören.“ Um die innovative Marktwirtschaft, „fairen Wettbewerb mit gut bezahlten und sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung“ zu erhalten, bedürfe es eines starken Mittelstandes und dafür sei eine Begrenzung (durch Entflechtung) der Konzerne erforderlich, damit es endlich wieder „Zukunftstechnologien made in Germany“ gebe. Um dem drohenden wirtschaftlichen Abstieg, einer Deindustrialisierung Deutschlands zu begegnen seien „massive Investitionen“ in die marode Infrastruktur und insbesondere in das Bildungssystem erforderlich.

Die Krisenanalyse der deutschen Wirtschaft erwähnt die Notwendigkeit, dass Deutschland als „exportstarkes und rohstoffarmes Land“ auf „stabile Handelsbeziehungen mit möglichst vielen Partnern statt auf neue Blockbildung und ausufernde Sanktionen“ angewiesen sei und die „unsere Versorgung mit Rohstoffen und preiswerter Energie sicherstellt.“ Das ist allerdings ein Meisterstück der Problemverniedlichung. Was immer Deutschlands Wirtschaftsmisere verursacht hat, aber als Expostweltmeister und somit auch als Globalisierungsgewinner (wobei diese Gewinne im Lande selbst sehr unterschiedliche Gewinner hervorbrachten, was die BSW zu Recht als Vermögens- und Einkommensspreizungen beklagt) lebte die deutsche Exportwirtschaft auch von dem Vorteil „preiswerter“ Energie aus Russland. Als mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine bekanntlich diese systemrelevante und bislang kostengünstige Energiequelle versiegte, kam es zum abrupten „Energieschock“ mit enormen Preisschüben, die Folgen für die gesamte deutsche Volkswirtschaft haben. Aber darüber hinaus ist zugleich unübersehbar, dass das gesamte deutsche Exportmodell in einer Krise steckt, die noch dadurch verschärft wird, weil sich der scheinbar unaufhaltsame Globalisierungsprozess der vergangenen Jahrzehnte in einem vor allem von den USA politisch forcierten Transformationsprozess befindet. BSW verspricht dagegen im Verbund mit einer noch zu erörternden anderen Außenpolitik die Chance auf eine einfache Rückkehr zum Status quo ante und damit ist dann das Energieproblem ebenso gelöst wie die Herausforderungen der Außenwirtschaftsbeziehungen beantwortet.

Überhaupt geht das Gründungsmanifest mit Krisen sehr generös um. Da wird mit Verweis auf den „Eindruck des Volkes“ festgestellt, dass wir „nicht mehr in dem Land leben, das die Bundesrepublik einmal war“. Aber wann war sie denn jeweils was? Gemeint ist damit wohl das Zeitempfinden eines unkontrollierten rasanten Wandels, der subjektlos ungeplant und ungewollt von anonymen Mächten getragen über uns hereinbricht. Aber eine dieser „anonymen subjektlosen Mächte“, die zur Quelle diffuser Ängste und verwirrter Welterklärungen (Querdenker und Verschwörungsideologien sind ihre namentlichen Ableger) werden, ist jenes Wunderwerk „Markt“, dem Frau Wagenknecht in reformierter Form nun alles Heilende zutraut.

BSW sieht die Krise des Marktes darin, dass die „Märkte nicht mehr funktionieren“. Um das zu ändern, greift man in die Mottenkiste der Erhardschen Wirtschaftspolitik, ohne das Kernproblem einer Wettbewerbswirtschaft auch nur anzudeuten. Es liegt darin, dass vermittelt über den „freien“ Markt der Wettbewerb der Wirtschaftsakteure auf der Unternehmensseite einem Widerspruch in sich unterliegt. Der reinen Lehre nach führt der Wettbewerb – und eigentlich nur er – zu Dynamik, Produktivität, Wachstum und somit Wohlstand für alle. Wobei letzteres noch mit einem Verteilungsproblem befrachtet ist, das BSW damit beiseite räumt, indem sie es als Notwendigkeit im Sinne der Gerechtigkeit einklagt und damit kurioserweise den ansonsten akzeptierten Gesetzen des Marktes entzieht.

Der zentrale Widerspruch besteht nun darin, dass Wettbewerb in der Marktökonomie ein Euphemismus ist. Es geht hier nicht um Sport, wo man Mitbewerber braucht, um der Beste sein zu können. Es geht in der Marktwirtschaft um Profit und um Konkurrenz, um die Optimierung des Eigennutzes, der so zum Motor des Fortschritts wird. Das Ziel in diesem Konkurrenzkampf, der nicht zufällig mit einem Haifischbecken verglichen wird, ist es nicht, meinen Mitbewerber am Markt zu erhalten, sondern ihn zu ruinieren oder zu schlucken. Es liegt in der Logik dieses Systems, dass der „Wettbewerb“ sich selbst aufhebt, denn der Zwang den eigenen Profit zu festigen oder zu erhöhen verlangt eine Verdrängung der Konkurrenten vom Markt. Marktanteile erobern heißt auch wachsen auf Kosten anderer. So wird vermittelt über den Markt das Kapital zum größten Enteigner von Kapital.

Die Rettung des Wettbewerbs sehen Ordo-Liberale darin, dass der Staat mittels einer Kartellbehörde dafür sorgen muss, dass es zu keinen Monopolbildungen auf den Märkten kommt. Die Politik muss vermittels des Staates marktwidrig in das System eingreifen, um sein Lebenselexier aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen. Und dabei ist die Preisfrage, ab wann oder bis wohin herrscht noch Wettbewerb oder schon ein Oligopol oder gar Monopol bezogen auf welche Markträume. An der allgemeinen Tendenz zur – vor allem wenn man den Weltmarkt als Bezugsgröße nimmt – Konzentration und Zentralisation des Kapitals ändert das letztlich nichts.

Da eine Monopolbildung in der Digitalwirtschaft faktisch nicht nur die Regel, sondern teilweise auch noch von Vorteil ist, gehen „moderne“ Ökonomen auch nicht mehr davon aus, dass die Konkurrenz auf Märkten das treibende Element für die Produktivitätssteigerung ist, sondern allein die „privatwirtschaftliche“ Profitaneingnung und dazu bedürfe es zwingend keiner Konkurrenz, was man an den Digitalgiganten ablesen könne. Für Fälle unvermeidbarer und auch nützlicher Monopolstellung sieht das Gründungsmanifest immerhin eine Überführung in Gemeinschaftseigentum vor.

Wie BSW seine auf den „innovativen Mittelstand“ konzentrierte und von Monopolen befreite Wirtschaft mit den weitreichenden sozialpolitischen Ambitionen, die sich auf die arbeitenden Menschen konzentrieren, politisch verbinden will, wo in diesen Kreisen empirisch schon der Sozialstaat an sich eher als Problem statt als Problemlöser eruiert wird, bleibt vorerst eines der vielen Geheimnisse. Für das sozialpolitische wie auch das wirtschaftspolitische Programm wäre theoretisch eine Anknüpfung an ein Keynesianisches Wohlfahrtsstaatsmodell passender als an Ludwig Erhards „sozialer Marktwirtschaft“, wo das Soziale im Geiste der Katholischen Soziallehre eine Residualgröße und keine die Gesellschaft gestaltendes Element war. Rein „ordnungspolitisch“ bewegt sich Wagenknecht auf theoretisch ungesicherten Fundamenten, was bei einer auf Aktualität zielenden Programmatik, die weniger auf innere Stringenz ausgerichtet ist, nicht ins Gewicht fällt.

Aber der Mangel an Stringenz wird bei den sozialpolitischen Forderungen offenkundig. Sie bewegen sich teilweise an der Grenze dessen, was das System zulässt. Die „soziale Marktwirtschaft“ habe ihr „Aufstiegsversprechen“ nicht gehalten, denn nicht persönliche Leistung, sondern die soziale Herkunft sei für den persönlichen Wohlstand entscheidender. Es wird auf die sich erweiternde Schere der sozialen Ungleichheit verwiesen, auf eine Vermögenskonzentration wie zu Kaisers Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg, der Privatisierung und Kommerzialisierung „existenzieller Dienstleistungen“ wird zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen der Kampf angesagt. Das alles bewegt sich kaum noch innerhalb dessen, was als sozialpolitische Veränderung in einer vom Mittelstand getragenen innovativen Wirtschaft durchsetzbar erscheint. Wird hier einem „innovativen Mittelstand“ das Wort geredet, den es erst noch zu generieren gilt, der einen Unternehmer hervorbringt, der jenseits des „Geistes“ und Wirkens des Kapitalismus anzusiedeln ist? Wäre das Systemveränderung durch eine schwer vorstellbare Hintertür eines neuen Unternehmers?

Wirtschaftspolitisch folgt das Gründungsmanifest insgeheim einer um sich greifenden ökonomischen Weisheit, die insbesondere im Umkreis der FDP verbreitet wird: dass erst einmal erwirtschaftet werden müsse, was dann verteilt werden solle.

Es ist ein Satz, der den Eindruck eines evidenten, unumstößlichen Grundgesetzes jeder Ökonomie suggeriert. Er ist zwar nicht falsch, unterschlägt aber etwas, was diesem Satz vorausgehen muss. Bevor der Mensch sich ans Werk macht – und das unterscheidet bekanntlich den „dümmsten Baumeister von der klügsten Biene“ – bedarf es einer Vorstellung, eines Planes davon, was er erarbeiten bzw. erwirtschaften will. Das gilt für den Einzelnen wie für eine Gesellschaft. Was wir Menschen tun und herstellen, also erarbeiten, ist uns nicht durch Instinkt vorgegeben, sondern unsere freie Entscheidung unter bestimmten gesellschaftlich vermittelten Bedingungen. Am Anfang steht die Frage, was produzieren wir wie für wen in welchem Umfang zu welchem Zweck.

Die Ökonomie beginnt nicht einfach mit einer Produktion, die dann irgendwie verteilt wird. Die Ökonomie beginnt, anders als die meisten Lehrbücher vermitteln, mit einer Macht- bzw. Herrschaftsfrage: Wer bestimmt darüber, was, wo, wie für wen und wann an Produkten, Gütern und Dienstleistungen hergestellt wird? Vor dem Hintergrund, dass eine auf Wachstum als Selbstzweck ausgerichtete Ökonomie – und eben das suggeriert der Satz, es müsse erst erwirtschaftet werden, was verteilt werden solle – nicht mehr die Lösung für heutige und künftige Probleme sein kann, wird diese Grundsatzfrage immer bedeutender. Gerade der Klimawandel erfordert eine an ökologischen und sozialen Kriterien orientierte Ökonomie, die nicht zwingend eine Postwachstumsökonomie werden muss, aber die bestimmt wird, von der Frage, was denn wie zu welchem Zweck wachsen darf und soll.

Das Gründungsmanifest geht nicht von dieser Herausforderung aus und es ist keineswegs auf der Höhe der Zeit. Doch dann kommt am Ende eine Vision, die nicht nur überrascht, sondern nahezu alles auf den Kopf stellt. Da findet sich fett gedruckt das folgende Credo:

„Eine Gesellschaft, deren mächtigste Akteure nur noch von der Motivation getrieben sind, aus Geld mehr Geld zu machen, führt zu wachsender Ungleichheit, zur Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und zu Krieg. Wir setzen dem unsere Ideen von Gemeinsinn, Verantwortung und Miteinander entgegen, denen wir durch Veränderung der Machtverhältnisse wieder eine Chance geben möchten. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, in der das Gemeinwohl höher steht als egoistische Interessen und in der nicht Trickser und Spieler gewinnen, sondern diejenigen, die sich anstrengen und gute, ehrliche und solide Arbeit leisten.“

Ach Frau Wagenknecht, haben sie über ihren Ludwig Erhard denn alles verlernt? Was ist der Kapitalismus anderes als der systemische Zwang aus Geld noch mehr Geld zu machen oder wie es ein ihnen nicht unbekannter Herr auf den Punkt brachte: „Akkumulieren, akkumulieren! Das ist Moses und die Propheten“.


Der Knackpunkt Außenpolitik

Man wird dem im Lichte des Gründungsmanifestes zu erwartendem Programm der künftigen Partei wohl Vieles vorwerfen, aber eines nicht: es sei zu radikal oder gar extrem. Es enthält überwiegend Punkte, wo es koalitionsfähige Ansätze gibt und substanziell kaum etwas, was als Ausschlusskriterium gelten könnte. Außer bei der Außenpolitik, die in der Konsequenz, weniger in der Begründung, ein Mix aus der Linken und AfD ist.

BSW stellt sich in aller Kürze in die Tradition Willy Brandts und Michail Gorbatschows. Gelobt wird die Entspannung, der Interessenausgleich, und die Abrüstung. Die Aufgaben der Bundeswehr werden entgegen dem faktischen Trend auf die Landesverteidigung begrenzt. Die Nato findet keine Erwähnung, aber die Feststellung, dass eine „Militärallianz, deren Führungsmacht in den zurückliegenden Jahren fünf Länder völkerrechtswidrig überfallen und in diesen Kriegen mehr als 1 Millionen Menschen getötet hat“ sei das Gegenteil dessen, was eine Verteidigungspolitik auf der Basis der UN-Charta erfordere, macht klar, wer hier als abschreckendes Beispiel gemeint ist. Europa benötige eine „stabile Sicherheitsarchitektur“, die „längerfristig auch Russland einschließen sollte.“ Deutschland solle eine am Wohlergehen seiner Bürger orientierte Politik verfolgen, getragen von der Einsicht, dass unsere Interessen mit denen der USA nicht identisch sind. Ziel sei ein „eigenständiges Europa souveräner Demokratien in einer multipolaren Welt und keine neue Blockkonfrontation, in der Europa zwischen den USA und dem sich immer selbstbewusster formierenden neuen Machtblock um China und Russland zerrieben wird.“

Man könnte auch sagen, das Ziel ist klar und die politisch heikle Frage, wie man es mit der Nato halte, wird scheinbar geschickt umgangen. Klar ist aber auch, auf diese Frage wird sich die Auseinandersetzung mit der neuen Partei mit hoher Wahrscheinlichkeit konzentrieren. Ob das für sie zu einer Belastung oder gar zu einem Gewinn wird, steht angesichts der vielen Imponderabilien in der Entwicklung der internationalen Konflikte, Kriege und Probleme keinesfalls fest.


Und wer sind die Adressaten?

Wie erwähnt, spekulieren etliche Partei- und WahlforscherInnen darauf, dass die neue Partei vor allem bei AfD-WählerInnen (im Osten?) ihre Fangnetze auslegt. Dem liegt allerdings die Annahme zu Grunde, dass ein erheblicher Teil der AfD Wählerschaft diese Partei primär als Wut- oder Frustabladung benutzt und die neue Partei ihnen dabei eine hilfreiche Alternative bietet, weil man damit aus der rechten Schmuddelecke herauskommt, aber wesentliche, vor allem soziale Anliegen vertreten sieht. Nach dem Deutschlandtrend vom letzten Juli wählen aber ca. achtzig Prozent die AfD mittlerweile aus Überzeugung. Auch deshalb, weil laut der „Mitte-Studie“ der Friedrich Ebert Stiftung die Mitte zum Teil selbst nach rechts gerutscht ist. Andere Studien und Untersuchungen weisen in die gleiche Richtung. Wenn das so ist, bleibt da für die neue Partei nicht viel zu holen.

Wer kommt sonst in Frage? Der wirtschaftspolitisch in den Focus gerückte Mittelstand ist quantitativ kaum in Prozente zu fassen. Die potenziellen Nutznießer der Umverteilung dagegen schon eher. Aber bislang ist nicht erkennbar, dass das BSW in die Arbeiterschaft vordringt. GewerkschaftsverteterInnen sucht man noch vergebens. Ob das Asyl- und Zuwanderungsthema sich dauerhaft oben auf der politischen Tagesordnung halten wird, hängt auch nicht nur davon ab, wie lange es den politischen Profiteuren gelingt, es dort zu halten. Gegen die „Zumutungen“ für die Bürger im Zuge des Klimaschutzes zu mobilisieren, widerspräche wohl jeglicher Vernunft, könnte aber ein ertragreiches und mobilisierbares Themenfeld von Dauer sein. Ob die internationalen Krisen den außenpolitischen Kurs große Plausibilität verleihen, ist dagegen keinesfalls sicher.

So entpuppt sich Wagenknechts neue Partei als eine Flaschenpost, die niemand so richtig braucht.

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