Wortmann wortwörtlich: Der Schwindel mit der Verkehrswende …

oder warum sich in Osnabrück nichts ändert!

Von der Verkehrswende ist überall die Rede. Sobald es konkret und ernst wird oder werden könnte, kommen die Bedenkenträger und Interessenvertreter. Vorgeschoben werden vermeintliche oder echte Verkehrsteilnehmer, die Rücksicht verdienen oder vorgeschobene Bestrafung für Schwachverdiener. Bei letzteren werden Parteien wie Union und FDP bei Umweltfragen zu ihren stärksten Anwälten. Wenn es um die Beseitigung ihrer sozialen Nöte geht, müssen die Schwachen sich andere Anwälte suchen.

Auf Bundesebene vollzieht sich dieses in Wahlkampfzeiten ohnehin unabdingbare Ritual an der von den Grünen ins Spiel gebrachten Benzinpreiserhöhung (übrigens mit Ausgleich für Pendler) und bislang beim Thema Urlaubs- und Inlandflüge. Ansonsten besteht die große Verkehrswende in der blinden Hoffnung, die Elektroautos würden es schon richten. Was  erstens bei einer ökologischen Gesamtbilanz nicht haltbar ist und ein anderes Problem ganz bei Seite schiebt: Das Platzproblem. Autos sind ja nicht nur Klimakiller, sie rauben den Städten die Lebensflächen.

Und damit  verlassen wir die Bundesebene und begeben uns in die Niederungen des Osnabrücker Kommunalwahlkampfes. Dass bei einer nirgends erfassten, aber unbestreitbaren massenhaften Zunahme des Radverkehrs die nicht erweiterbare Verkehrsfläche neu verteilt  werden müsste, ist fast unstrittig. Verbal ja, aber sobald es konkret wird, dann schickt ein besonders fortschrittliches jüngeres Exemplar der CDU im Stadtrat (Reklame möchte ich für ihn durch Namensnennung nicht machen), die Radfahrer schon mal auf Nebenstraßen.

Nun gibt es neuen Zündstoff, weil die Grünen die vierspurigen Straßen auf Tempo 30 reduzieren wollen. Die Reflexe der Autofahrerpartei BOB und der CDU waren klar. Dass aber auch der SPD OB-Kandidat Frank Henning sogleich mit breiter Brust verkündete: „Mit mir nicht!“, nun, das war so mutig und entschieden nicht zu erwarten. Immerhin war er mal  für einen autofreien Neumarkt, womit er allerdings auch sogleich den Autobahnlückenanschluss verband. Er war und ist auch für die Westumgehung, also ganz „Sowohl als auch“.

Auffallend war die Begründung gegen das grüne Tempolimit. Es sind die uralten Argumente, die  bislang jede vernünftige Verkehrspolitik in der Stadt im Keime erstickt haben. Die Erreichbarkeit der Innenstadt lautet das Motto, die deshalb auch nicht autofrei geraten darf, und zwar für die Pendler (zehntausend werden genannt) und die Käuferströme für den Innenstadteinzelhandel. Da Frank Henning sich in seiner politischen Positionierung besonders als Anwalt der ArbeitnehmerInnen ins Zeug wirft, was an sich sehr lobenswert ist, wird er auch hier zu ihrem Anwalt, um sicherzustellen, dass jeder an seinen Arbeitsplatz kommt.  Die andere Klientel für den Einzelhandel fällt zwar definitionsgemäß nicht generell unter die Kategorie der Arbeitnehmer, aber sie sind offenkundig für die Belebung des Osnabrücker Zentrums elementar.

Beginnen wir mit den Pendlern. Eigentlich war man da schon etwas weiter. Ganz abgesehen davon, ob  es sich hier um eine Holschule der Stadt oder eher eine Bringschuld der Umlandgemeinden handelt, war es mal Konsens, das alles dafür getan werden müsste, die Pendlerströme auf andere Verkehrsträger umzulenken. Die Begründung dafür liefert ein einfacher Blick in die Straßen – nicht in die wenig ausgelasteten Parkhäuser. Letztere lieben unsere Pendler gar nicht, denn die Vorteile des Landlebens würden bei den anfälligen Parkgebühren schnell schwinden. Alle Innenstadtbewohner wissen, wo die Autos tagsüber stehen, in etlichen Stadtteilen werden die Straßen jeden Morgen damit gefüllt. Darf man die unsolidarische Frage stellen, was diese AnwohnerInnen davon haben? Warum ist es nicht eine primäre Aufgabe des Landkreises – von dort kommen die meisten Pendler -, sich darum mit zu kümmern, wie man diese Zumutungen überwindet? Das musste er bislang auch deshalb nicht, weil die Pendler quasi im Windschatten der anderen Klientel, den Einkaufenden, mitkamen und auch wenn sie nicht unmittelbar von Interesse für die städtischen Einnahmen waren, so waren es ja die Einzelhändler und dafür muss die Stadt das Opfer der Verkehrsströme mit Hauptgewicht auf die innenstadtnahen Bereiche auf sich nehmen.

Selbst wenn wir dies alles konzidieren: Was ist das Verbrechen eines Tempolimits? Kommen die Pendler nicht schnell genug zur Arbeit oder die letzten Kaufwilligen nicht schnell genug in die – nicht mehr vorhandenen – Kaufhäuser? Der arbeitnehmerorientierte OB-Kandidat weiß sicher auch, dass weder am Wall noch an den vierspurigen Ausfahrtsrennstrecken die Menschen mit den dicksten Autos wohnen. Wäre es nicht auch im Interesse dieser Anwohner, von dem Lärm, den undurchdringlichen Verkehrsströmen ein wenig entlastet zu werden – oder glaubt man allen Ernstes bei Tempo 50 ginge es leiser zu? Welchen Grund gibt es für die Annahme, der Wall würde durch die autofreie Ost-West-Achse mit Durchfahrt über den Neumarkt entlastet? Der Neumarkt als potenzielle Perle der City ist damit tot, den Wallring könnte man auch anders von seinen Zumutungen entlasten.

Die Profiteure sind übrigens ganz anderen Zuschnittes. Man begegnet ihnen nach dem Berufsverkehr, auffallend junge Männer mit röhrendem Auspuff, die hier massiv Gas geben. Die wird man mit Tempo 30 auch nicht ganz stoppen können, aber als Spaßbremse wirkt es schon und die Polizeiarbeit wäre vielleicht einfacher. Diese Spaßfahrer, egal ob per Auto oder Motorrad braucht niemand, sie nerven alle, aber komischerweise ist man gegen sie so machtlos. Motorradfahrer, die man Tag und auch bei Nacht durch die gesamte Stadt hört, nerven andere mit ihrem Spaß. Da helfen eben keine Anreize, sondern nur Verbote. Gut, das ist ein Nebengleis, wäre aber mal eine Bürgerinitiative wert.

Die Erreichbarkeit der Innenstadt für den Einzelhandel war, wie oben angedeutet, das Killerargument, das ein vermeintlich städtisches Allgemeininteresse gegen jede Reduktion des Autoverkehrs in der Innenstadt und in sie hinein für unmöglich erklärte. Parkhäuser wurden errichtet, damit man bis in die Geschäfte fahren kann. Folgt man der bisherigen Logik, dann sind das offensichtlich zu wenig und die Erreichbarkeit müsste noch optimiert werden. Dagegen steht aber die zwingende Erkenntnis, dass der Einzelhandel in der Innenstadt nicht nur pandemiebedingt, sie hat das nur  verschärft und beschleunigt, das große Geschäftesterben erlebt. Wie man allgemein weiß, hat das mit der Erreichbarkeit nichts, aber mit Amazon und Konsorten sehr viel, wenn nicht alles zu tun. Daraus ließe sich folgern, dass verkehrspolitisch der Erreichbarkeit zum Einkaufen mit dem PKW eine schwindende Bedeutung zukommt.

Im Kommunalwahlprogramm der SPD ist diese Erkenntnis übrigens präsent. Wir benötigen ein neues Verständnis von Innenstadt. Wir brauchen eine neue Urbanität, die funktionale Trennungen in Wohnen, Arbeiten und Leben neu sortieren und ermöglichen. Damit auch Familien mit Kindern an dieser Urbanität teilhaben können,  bedarf es einer Neuverteilung der knappen Flächen. Parkende Autos stören da genauso, wenn nicht noch mehr als fahrende. Die Stadt der Zukunft wird man mit der alten Leier vom Pendlerverkehr für die ArbeitnehmerInnen so wenig gerecht wie mit der Trompete von der Erreichbarkeit für die Kunden des Einzelhandels. Für diese letzte Truppe gibt es schon ausreichende Parkhäuser, die man künftig auch verstärkt für Anwohner nutzen sollte.

Ein wirklicher Entwicklungsschub wäre es, wenn man den gesamten inneren Ring so weit wie möglich vom PKW befreite und den Wallring zu einer rückbaufähigen Einbahnstraße in eine Rundrichtung umfunktionieren würde. Das wäre für die gebeutelten Anwohner des Wallringes ein echter Gewinn an Lebensqualität. Utopischer Unsinn? Leider ist die FDP – ausgerechnet sie –  die einzige Partei, die das ins Spiel gebracht hat. Womit das Utopische sich erledigt hat. Frank Henning hätte die Gunst der Stunde mit Mut zur Zukunft nutzen können. Nun kann er um BOB-Wähler kämpfen.

 

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