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Quo vadis VfL? Eine Standortbestimmung zum Saisonausklang

„3. Liga – sch…egal“

Schon Minuten vor dem Abpfiff der 1:5-Klatsche übte sich die Ostkurve in schwarzem Humor, sang die schwermütigen Verse von der 3. Liga, die so wehtut. Was es nicht zu hören gab, waren Pfiffe und auch eine vorzeitige Abwanderungsbewegung blieb aus. Nur vereinzelt verließen Besucher ihre Plätze, weil sie sich das bittere Ende nicht bis zur letzten Sekunde antun wollten. Die meisten harrten aus und viele stimmten mit ein in die aufmunternden Refrains von den Osnabrückern, die immer da sind, und hielten den triumphierenden Magdeburgern trotzig das „Osnabrück olé“ entgegen. Bis zum Schluss! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Osnabrücker Fans absolut zweitligatauglich sind, dann wurde er gestern Nachmittag geliefert, denn sie waren es, die dem Karree an der Bremer Straße in dieser Saison die Magie eingehaucht haben, die diese Spielstätte über Südwestniedersachsen hinaus bekannt macht. Die Mannschaft, die selbst nach einem desaströsen Saisonfinale ein bisschen gefeiert wird, kommt da nicht mit. Warum das so ist, soll im Folgenden beleuchtet werden.

 

Absolut Dritte Liga: Der VfL 2021/22

Wenn man ehrlich ist, dann müsste jeder, der hier mitfiebert, zugeben, dass die Truppe das gegeben hat, was an Potenzial in ihr steckt. Der VfL hat eine durchschnittliche Saison 2021/22 hingelegt. Mehr war nicht drin, weil sich durch die gesamte Saison eine gravierende leistungsmäßige Diskrepanz gezogen hat, ein paarmal richtig stark und zu oft unerwartet schwach. Es liegt in der Natur einer Mannschaft, die nach ihrem Limit sucht, dass sie phasenweise auf mehr hoffen lässt. So gesehen hatten die neu entflammte Begeisterung beim Publikum und sporadische Tabellenstände das Wunschdenken vom Aufstieg befeuert.

Aber jeder, der illusionslos verfolgt hat, was auf dem Rasen wirklich ablief, musste mehr damit rechnen, dass die Saison am Ende mit dem Tabellenplatz belohnt wird, der schließlich erreicht wurde: der sechste.

So gesehen war die Mini-Chance auf den Pokalstartplatz sogar eine Überraschung.

 

Daniel Scherning: ein Trainer mit Format

Dass es überhaupt so zufriedenstellend gelaufen ist mit diesem Kader, ist sicherlich der Trainingsführung von Trainer Daniel Scherning zu verdanken, dem man bescheinigen kann, dass er das Meiste richtig gemacht hat. Unter ihm haben sich Spieler, die spekulativ aus der 4. Liga geholt wurden, wie Kleinhansl, Kunze, Köhler und Simakala, relativ schnell weiterentwickelt, sodass sie verlässlich auf Drittliganiveau mithalten können.

Die Mannschaft wirkte über diese gesamte Spielzeit fit und war phasenweise in der Lage, attraktiv und effektiv aufzutreten. Schernings Spielidee ist modern: konsequentes Pressing, schnelles Umschaltspiel, möglichst viel One-Touch-Spielzüge. Dabei wird wenig am System gefummelt, sodass die Spieler ein klares Konzept im Kopf haben. Grundsätzlich positiv auch die mutige offensive Ausrichtung.

Schernings Auftritte am Spielfeldrand strahlen Ruhe und Engagement aus. Gegenüber der Mannschaft scheint er ein respektiertes Standing zu haben und wie er mental auf das Team als Ganzes oder einzelne Akteure einwirken kann, hat sich an Aaron Opoku gezeigt, dem er tatsächlich noch eingeflüstert hat, wie das mit dem Toreschießen geht.

Schernings Analysen lassen durchweg Kompetenz erkennen, schwerwiegende Fehleinschätzungen oder falsche Entscheidungen kann man ihm nicht anlasten. Insgesamt hat er in seiner ersten Saison als Cheftrainer überzeugt, für größere Erfolge wäre ihm qualitativ besseres Personal zu wünschen.

 

Sportliche Leitung in der Pflicht: Die nächste Saison ist immer die schwerste …

Die Fans werden der Mannschaft aus der abgelaufenen Saison nichts nachtragen, Haken dran und weiter geht’s! Die Frage ist nur, wie. Wer den VfL und seine jüngere Geschichte kennt, weiß, dass Akteure und Follower sich mit einem Saisonverlauf wie dem vergangenen nicht ewig zufriedengeben. Die Osnabrücker wollen oben ernsthaft mitspielen und schließlich auch wieder in die 2. Liga. Diese Perspektive muss immer im Fokus stehen und greifbar sein, sonst …

Dazu benötigt man die passenden Spieler und dafür ist in erste Linie die sportliche Führung, also insbesondere auch die Sportdirektion, verantwortlich.

Als Sportdirektor Amir Shapourzadeh seinen Job im Juni 2021 antrat, stand er vor der schwierigen Aufgabe, nachdem das Absteiger-Team auseinandergefallen war, einen spielstarken Kader zusammenzustellen, der für mehr als nur Durchschnitt sorgen sollte. Unbedingt am unmittelbaren Wiederaufstieg zu basteln, hatte niemand erwartet. Im Hinblick darauf hat er einen maßgeblichen Anteil an der positiven Entwicklung er o. g. Spieler, die er aus Regionalligen geholt hat. Seinen bisher größten Transfercoup hat er dann mit der Ausleihe von Aaron Okopu vom HSV gelandet. Aber im aktuellen Kader des VfL stehen eben auch Akteure, die der Mannschaft nicht weiterhelfen können (um es mit einem dieser flachgelegten Euphemismen der neudeutschen Spielersprache auszudrücken).

Dass Ulrich Bapoh gehen muss, ist nur logisch.

Unbedingt nachdenken sollte man über Andrew Wooten. Der gute Mann hat nicht mehr als Altherren-Kick angeboten und deshalb wäre es nur sinnvoll, wenn man mit ihm das Gespräch darüber suchen würde, ob das alles noch Sinn macht. Was natürlich schwierig ist in einem Fall, wo noch ein Vertrag besteht und der Spieler wenig Alternativen sieht.

Ähnlich Davide Itter, dessen Limit augenscheinlich ausgereizt ist. Vielleicht wäre für den Verein und ihn eine Ausleihe die Lösung.

Im Fall Felix Higl sieht es wohl so aus, dass der Trainer irgendetwas sieht, was er bisher nicht auf den Platz bringen konnte. Wie werden ihn also zwangsläufig wiedersehen. In welcher Rolle bleibt abzuwarten.

Sebastian Klaas: Obwohl man sich von ihm mehr erhoffen durfte, verliert der Kader mit seinem Abgang eindeutig an Qualität.

Oliver Wähling, teilweise als Trainingsbester auf der Illoshöhe gesehen, aber für die richtigen Spiele kaum berücksichtigt. Zu Beginn der Saison mit der 10 ausgerüstet, was darauf hindeutet, dass man mit ihm als Schlüsselspieler im offensiven Mittelfeld gerechnet hatte. Ob er das noch werden kann, war aus seinen beiden Auftritten gegen Havelse und Magdeburg nicht zu ersehen. Tendenz eher ernüchternd.

Im Ganzen enttäuschend ist die Saison für Sören Bertram gelaufen. Mit ihm hatte Magdeburg im Sommer nicht mehr geplant. Wie klug das war, hat sich am letzten Samstag gezeigt. In seinem Fall wäre es ein Erfolg der sportlichen Leitung, wenn sie ihn überzeugen könnte, seinen Vertrag aufzulösen.

Emeka Oduah, in der Winterpause aus den Tiefen der Regionalliga Nord-Ost geholt als Hoffnungsrakete für den Sturm. Und was ist draus geworden? Nachdem seine auffälligste Szene eine Slapstick-Einlage gegen Kaiserslautern war, hat er erst am letzten Spieltag die Chance bekommen, sich richtig zu zeigen. Das Ergebnis war ein Komplettversagen. Spielte dermaßen mutlos und motivationsbefreit, dass Mitspieler ihn auf dem Spielfeld angemotzt haben. Da kommt der Verdacht auf, dass der junge Mann von seinem Aufstieg in die Dritte Liga überfordert ist. Ein Flop?

Überhaupt, die Transferaktivitäten zur Winterpause – dafür hätte die Sportdirektion auch einen Winterurlaub auf den Kanaren buchen können. Weniger Effekt auf die Verstärkung hätte das nicht gehabt.

Vielleicht kam deshalb die Idee von einem Sportausschuss auf als Kontrollorgan für die sportliche Leitung (Zum Sinn und Zweck dieses neuen Tools siehe Frank Schneiders OR-Artikel „Aus den Tiefen des freien Raums“).

Grundsätzlich muss sich eine sportliche Leitungstätigkeit unbefriedigend gestalten, wenn sie strikt mit dem Prinzip des kleinen Budgets gedeckelt wird. Ob dies auf Dauer zielführend sein kann, wenn man eigentlich Ambitionen auf Höheres pflegt, erscheint fraglich.

Man sieht schon an den ersten Verpflichtungen für die kommende Saison, wie das für den VfL aussehen wird. Mehr als Perspektivspieler will man sich nicht leisten und den Rest sollen dann – wie gehabt – Glaube und Hoffnung bringen.

Schon wie die Vertragsverlängerung mit Kapitän Marc Heider gefeiert wurde, als habe ein Messi einen Rentenvertrag beim VfL unterschrieben, offenbart das Dilemma. Bei aller Wertschätzung für den wackeren Marc sollte man bei der Einschätzung seines verbleibenden Potenzials realistisch bleiben. Noch eine lange Spielzeit in der Hoffnung draufzusetzen, dass Heider im gleichen Stil wuselt und ackert wie in den vergangenen zehn Monaten, ist ziemlich waghalsig. Das Magdeburg-Desaster hat u.  a. aufgezeigt, wie es um eine VfL-Offensive bestellt ist, wenn neben Heider zwei Auszubildende werkeln.

Am schwersten fällt sicherlich der Verlust von Aaron Okopu ins Gewicht., der zurück zum HSV und damit mindestens in die zweite Liga hochklettert.

Diese Qualitätsminderung zu kompensieren, wird nicht einfach sein.

Vielversprechend scheint die Verpflichtung von Erik Engelhardt (Energie Cottbus) zu sein. Ein gestandener Stürmer, der Torerfolge vorzeigen kann und Drittligaerfahrung. Bei einem solchen Karäter kann der VfL laut seiner Low-Budget-Politik nur mitbieten, wenn er ablösefrei ist. Die heute verkündete Verpflichtung ist als Erfolg Shapourzadehs zu werten.

Und sonst? Bisher nichts als Perspektive: Aus der U19 Jannik Zahmel (Abwehr, defensives Mittelfeld), Benas Šatkus wechselt aus der Regionalliga Bayern an die Bremer Brücke. Der variabel in der Innenverteidigung einsetzbare 21-jährige Defensivspieler bringt als A-Nationalspieler Litauens internationales Flair mit, spielte im Verein bislang allerdings nur in der zweiten Mannschaft (1. FC Nürnberg).

Natürlich kursieren ab jetzt täglich Gerüchte, z. B. um eine Ausleihaktion mit dem U20-Nationalspieler Christalino Atemona (Innenverteidiger) von Hertha BSC. Aber die Transferzeit hat gerade begonnen, also lassen wir uns überraschen.

Bleibt viel Raum für Hoffnungen. Vielleicht auf eine Leistungsexplosion bei Ba-Muaka Simakala? Was er an guten Tagen kann, hat er gezeigt. Leider zu selten.

 

Die Bremer Brücke und die Marke VfL

Jeder Spieler, der zum VfL wechselt, nennt als einen gewichtigen Grund die Aussicht darauf, vor großer Kulisse an der Bremer Brücke auflaufen zu können. Geil finden sie das und schnell ist von Gänsehautatmosphäre die Rede. Sämtliche Gegner finden es brutal stressig, wenn sie hier antreten. Selbst ein Jürgen Klopp hat großen Respekt vor dem Osnabrücker „zwölften Mann“.

Will sagen, dass die überregional weit bekannte Spielstätte ein Pfund ist, mit dem dieser Verein wuchern kann. Unfassbar immer noch, wie die Verantwortlichen es in den überschaubaren Zweitliga-Monaten zulassen konnten, dass das Stadion mit dem berühmt-berüchtigten Ruf medial zur Abrissbude heruntergeredet werden sollte, um völlig überdrehte Fantasien hinsichtlich eines Neubaus zu lancieren.

Es hat sich immer wieder gezeigt, dass erfolgreiche Spiele an der Bremer Brücke, idealerweise unter Flutlicht, beste Werbung sind. Dadurch wird der VfL zur Marke, nicht indem man eine lokale Consulting-Agentur damit beauftragt, ein Marketing-Konzept am digitalen Reißbrett zu entwerfen. Solche „Beratungs“-Firmen finden für jedes Unternehmen irgendwelche Businesspläne oder Promotion-Lines. Dabei ist ihnen schnuppe, was da gepusht werden soll, ob Fußball, E-Mobilität oder neue Verhütungsmittel. Hauptsache, IHR Honorar stimmt. Und natürlich versuchen diese „Berater*innen“, wenn sie mal jemandem wie Dr. Welling am Handy haben, den Eindruck zu vermitteln, dass sie unverzichtbar seien und es ohne sie nicht laufen würde.

Für derartigen Luft-Hype Geld auszugeben, wäre mehr als leichtsinnig. Das Marken-Tuning outzusourcen, wie es ein x-beliebiges Industrieunternehmen macht, stände dem VfL nicht gut zu Gesicht. Das wirkt geradezu, als würden Präsidium und Geschäftsführung selbst nicht dran glauben.

Jeder Euro, den der VfL investieren kann, muss in die Mannschaft gesteckt werden, um sie qualitativ nach vorne zu bringen. Dieses Geld effektiv einzusetzen, dazu braucht man eine ausgefuchste Leitung. Neuste Spekulationen über eine mögliche Abwanderung des frisch gekürten Löwenpudel-Trägers Sven Köhler, der ohne Frage eine gute Saison gespielt hat, aber kein Überflieger ist, beweist, wie der Transfermarkt zu einem Haifischbecken mutiert ist. Wer hier zu wenig riskiert, dem fehlen am Ende die Spieler, die den Unterschied machen.

Also, die Marke VfL gewinnt nicht an Strahlkraft durch MUUUH, Mäh oder Miau, sondern auf’m Platz. Wenn das sportliche Vermögen aufgewertet wird und sich Erfolge einstellen, kommen die Sponsoren von selbst.

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