VfL Osnabrück: Saisonrückblick 2022/23

Der VfL löst das Ticket zur 2. Bundesliga in der 94. und 96. Minute des letzten Spieltages

Vor der Saison

Schon die Saison 2021/22 – eine „Nachabstiegssaison“ – war nicht so schlecht. Am Samstag, d. 16. April 2022, nährte ein 3:2 Sieg des VfL bei 1860 München am 34. Spieltag die Hoffnung auf einen sofortigen Wiederaufstieg, doch da hatte der DFB bereits für einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil gesorgt. Das Nachholspiel gegen den Halleschen FC wurde nur drei Tage später, am folgenden Dienstag, angesetzt. Der Bitte des VfL, den Mittwoch als Termin zu wählen, kam der DFB nicht nach.

Was es bedeutet, samstags bis 16 Uhr in München auf dem Platz zu stehen, dann nach Osnabrück zu reisen, dort in der Nacht zum Sonntag anzukommen und am folgenden Montag bereits die Fahrt nach Halle anzutreten, kann sich jeder ausrechnen. Eine optimale Spielvorbereitung sieht anders aus.

In Halle brach der VfL ein und kassierte in den letzten zehn Minuten zwei Gegentore, die das 3:3 bedeuteten und gleichzeitig der Mannschaft den Glauben raubte, oben noch einmal angreifen zu können, was sich als Irrtum erweisen sollte. Von den letzten vier Spielen gingen drei verloren und dennoch betrug der Abstand auf Platz 2 am Saisonende nur sechs Punkte.

Nun also ging der VfL punktuell verstärkt in die Saison 2022/23. Als bekanntester Neuzugang konnte Robert Tesche angesehen werden, er sollte sich als Glücksgriff erweisen.

Die Trainer der 3. Liga gaben vor der Saison ihre Tipps der Aufstiegskandidaten ab und nannten Dynamo Dresden (19) FC Ingolstadt (13), Erzgebirge Aue (10), 1860 München (9), 1. FC Saarbrücken (3) und der VfL (1); die einzige Stimme für den VfL kam von – Joe Enochs.


Beginn der Saison

Zur Saisoneröffnung trat vor mehr als 14.000 Zuschauern der MSV Duisburg, 1963/64 noch als Meidericher SV Deutscher Vizemeister hinter dem 1. FC Köln, an der Bremer Brücke gegen den VfL an. Durch ein Tor von Sven Köhler in der 82. Minute kam Lila-Weiß zu einem verdienten Auftaktsieg.

Schon nach vier Punktspielen zog es Trainer Scherning und seinen „Co“ nach Bielefeld. Recht bald konnten sich die beiden die Frage stellen, ob dieser Wechsel klug war. Das Bielefeld-Gastspiel Schernings endete am 7. März 2023 mit seiner Entlassung bei den Ostwestfalen.


Nach einem knappen Sechstel der Saison

Tim Danneberg betreute den VfL interimsmäßig gegen Wehen und Saarbrücken und erreichte mit einer verunsicherten Mannschaft zwei Unentschieden. Nach sechs Spieltagen stand Lila-Weiß auf Platz 12.

Zwei Tage später stellte der VfL Tobias Schweinsteiger, der bis zu diesem Zeitpunkt als Co-Trainer beim 1. FC Nürnberg unter Vertrag stand, als Cheftrainer vor. Das erste Spiel mit dem neuen Trainer an der Linie verlor der VfL in Oldenburg mit 3:4 und auch die folgenden Partien waren nicht von kontinuierlich stabilen Leistungen gekennzeichnet. Siege gegen RWE, und den Waldhof standen neben einem Unentschieden in Freiburg Niederlagen gegen Dresden, 1860, Elversberg und Zwickau gegenüber. Nach dem 13. Spieltag fand sich der VfL auf Rang 16 wieder – Abstiegsgefahr!

Bis zur WM-Unterbrechung gelang bei einer unnötigen Niederlage in Zwickau und drei Siegen gegen Halle, Verl und Meppen der Sprung auf Rang 10.


Halbzeitfazit

Es war – nicht nur aus psychologischer Sicht – hilfreich, dass der VfL mit zwei Siegen in Folge in die lange Pause ging – es war der Anfang einer erstaunlichen zweiten Saisonhälfte, die mit zwei der Hinrunde zuzurechnenden Spielen beginnen sollte.

Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, wohin der Weg des VfL führen wird. Es ist aber anzunehmen, dass die WM-Pause für die Trainingsarbeit perfekt passte und zu vergleichen war mit einer Saisonvorbereitung. Der nach sechs Spieltagen ins kalte Wasser gesprungene Tobias Schweinsteiger konnte mit seiner neuen Mannschaft in relativer Ruhe, ohne dem regelmäßigen Druck von Pflichtspielen ausgesetzt zu sein, seine Vorstellungen vom Fußballspielen entwickeln.


Nach der Halbzeit …

Vor dem Start ins neue Jahr mutmaßte ich im Gespräch mit „meinem“ Physiotherapeuten Florian, dass der VfL zwischen Platz 2 und 6 landen wird. Florian, der als Anhänger von Bayer Leverkusen dennoch häufig zur Bremer Brücke geht, ist im Therapiezentrum Eversburg beschäftigt und legte sich auf die Plätze 6 bis 10 fest.

Der VfL erfreute uns zu Jahresbeginn mit fünf Siegen und verbuchte unter Einbeziehung der Erfolge gegen Verl und Meppen sieben Dreier in Folge. Ausgerechnet der Tabellenvorletzte Bayreuth beendete die Osnabrücker Siegesserie. Man könnte meinen „typisch VfL“, aber über shit happens werden sich auch Konkurrenten beklagen.


Nach 25 Pflichtspielen

… liegt der VfL auf Platz 4. Was ist mit dieser Mannschaft passiert? Von den Spielern ist oft zu hören, dass der Trainer sie auf ein anderes konditionelles Level gehoben hat.

Fitness ist die Voraussetzung, um erfolgreich Sport zu treiben. Tobias Schweinsteiger war ein sehr guter Skirennläufer (dreimal deutscher Vizemeister bei den Junioren) und ein sehr guter Eishockeyspieler. Nach meiner Auffassung ist es ein Vorteil, wenn ein Fußballtrainer auch Erfahrungen in Individualsportarten gesammelt hat, die er weitergeben kann. Individualsportler haben in der Regel einen höheren Trainingsumfang zu bewältigen und trainieren oft zielgerichteter und härter als Mannschaftssportler. Außerdem kann es nicht schaden, wenn ein Fußballtrainer wesentliche Trainingsinhalte anderer Sportarten kennt, die er in seine Arbeit einbringen kann.

Im Nachhinein kann man neben den bereits genannten Fakten („Doppelsieg“ vor der WM-Pause und die darauffolgende perfekt genutzte spielfreie Zeit) weitere richtungsweisende Spielszenen oder Spiele finden. Dazu rechne ich Heiders Rettungsaktion auf der Torlinie in Dortmund in der letzten Minute, den souveränen Sieg in Ingolstadt und die Effektivität beim Sieg in Saarbrücken, wobei der VfL bei den Saarländern die Gunst der Glücksgöttin Fortuna arg strapazierte. 

Bild3

Bis zum Abpfiff

Während des weiteren Saisonverlaufs belegte der VfL immer die Plätze 4, 5 oder 6, und das trotz einer Schwächephase vom 27. Spieltag (RWE) bis zum 31. Spieltag (1860), als die Mannschaft aus fünf Spielen nur fünf Punkte holte. Drei Punkte gab es beim 2:0 Sieg in Mannheim, der VfL zeigte möglicherweise das beste Spiel der Saison und ließ den Waldhöfern keine Chance.

Mit dem Sieg gegen Elversberg drehte sich das Blatt. Bis zum Remis gegen Meppen am 36. Spieltag erzielte der VfL vier knappe Siege mit nur einem Tor Unterschied, wobei die Partie gegen Zwickau in die Kategorie „Wahnsinn“ einzuordnen ist. Die Nerven der Zuschauer wurden bei den knappen 1:0 Siegen arg strapaziert. Man hatte den Eindruck, dass die Mannschaft nach der Führung keine Offensivambitionen mehr verspürte und lediglich zeigen wollte, dass sie auch verteidigen kann.

Nach dem 2:2 gegen Meppen schien der Aufstiegsdrops gelutscht. Neben dem als Aufsteiger so gut wie feststehenden SV Elversberg hatten zwar Dresden, Wehen, Saarbrücken und der VfL noch praktische oder theoretische Chancen auf einen direkten Aufstiegsplatz bzw. auf die Relegation, aber der VfL hatte die schlechtesten Karten. Sollte alles „normal“ laufen, würde der Aufstiegszug ohne den VfL abfahren.

Am vorletzten Spieltag lieferten der MSV Duisburg und der SV Meppen grandiose Beispiele für Sportsgeist par excellence ab. Es ging für den MSV „nur“ um die Prämie und die Meppener waren bereits abgestiegen. Der MSV trat mit dem letzten Aufgebot an, musste zwei Platzverweise verkraften und trotzte dem auf Platz 5 stehenden Aufstiegskandidaten Saarbrücken ein 2:2 ab, während der SVM am Tag darauf die auf einem direkten Aufstiegsplatz stehenden Dynamos aus Dresden mit einer 4:1 Klatsche zurück nach Sachsen schickten.

Hinter Elversberg, die mittlerweile als Aufsteiger feststanden, gingen vier Mannschaften mit Aufstiegsambitionen in den letzten Spieltag.

Eine irre Konstellation zwischen dem VfL, Wehen-Wiesbaden, Saarbrücken und Dresden sorgte für ein unglaubliches Finale. Für alle Mannschaften war alles möglich: Direkter Aufstieg, Relegation, Qualifikation für den DFB-Pokal über die Liga oder alles verpassen:

Nur der VfL hatte alles in der eigenen Hand: Ein Sieg bedeutete mindestens Relegation, das bessere Torverhältnis gegenüber Wiesbaden musste gehalten werden, um direkt aufzusteigen.

Man merkte den Lila-Weißen die Belastung im Saisonfinale gegen BVB II an, jedem Spieler war klar, dass man etwas zu verlieren hat. Die meisten Spieler kamen nicht an ihre Leistungsgrenze heran, so dass der VfL bis zur 94. Minute mit 0:1 zurücklag.

Was dann passierte, war die Fortsetzung unfassbarer Momente an der Bremer Brücke und ist – je nach Sichtweise – von der Dramatik her vielleicht sogar vor dem Aufstiegskrimi vom 1. Juni 2000 gegen Union Berlin oder jenem im Jahr 2007 nach dem Sieg gegen RW Ahlen einzuordnen.

Die beiden Tore von Simakala (94.) und Wulff (96.) katapultierten den VfL vom virtuellen Platz 6 auf einen direkten Aufstiegsplatz.

Unfassbarer Wahnsinn und welch grandioser Erfolg einer verschworenen Gemeinschaft!


Fazit

Im Nachhinein betrachtet war ein ursprünglich nicht vorgesehener Trainerwechsel der „Gamechanger“ der abgelaufenen Saison. Lag der VfL nach der Hinrunde noch auf Platz 8, so beendete er als bestes Rückrundenteam die Saison auf Platz 3 nach Elversberg und Freiburg II. Da die Zweitvertretung der Breisgauer nicht aufsteigen kann, reichte der 3. Platz für den Direktaufstieg.

Tobias Schweinsteiger gelang es mit seiner unaufgeregten Art die Mannschaft zu stabilisieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass er konzeptionell und akribisch, fordernd und unterstützend seine Philosophie vom Fußball vermitteln konnte. Er kündigte Offensivspektakel an, wollte extrem dominant, wild und risikoreich spielen lassen. Natürlich weiß er, dass zum erfolgreichen Fußballspiel ebenso defensive Stabilität gehört. Nicht umsonst sagt man, dass Defensive Titel gewinnt und Offensive Spiele.

Der VfL hat nach Elversberg (80) und Wehen (71) die drittmeisten Tore erzielt (70), weniger Tore als der VfL (49) kassierten Elversberg (40), Freiburg II (34) und Saarbrücken (39).

Immer wieder wurden das gute Klima in der Mannschaft und die deutlich verbesserte konditionelle Verfassung im Vergleich zur Anfangsphase der Saison gelobt. Das sind Parameter, für die das gesamte Trainerteam verantwortlich zeichnet.

Der Trainer brauchte eine gewisse Zeit, um „seine“ Stammtelf zu finden. Die Startelf vom 18. Spieltag (Viktoria Köln) begann auch im letzten Spiel gegen Dortmund II. In der Rückrunde konnte man sehen, dass sich trotz (meistens) fehlender Startelfeinsätze die jungen Spieler aus der zweiten Reihe gut entwickelten (z.B. Wiemann, Wulff, Rorig) und auch erfahrene Haudegen wie Chato oder Heider ihre Leistung brachten, wenn sie gefordert wurde.

Die geringe Zahl ernsthafter Verletzungen ist zusätzlich ein Ausdruck guter Trainingssteuerung und einer überragenden Arbeit der medizinischen Abteilung.

Nicht zu vergessen ist Sportdirektor Amir Shapourzadeh, der maßgeblich an der Kaderzusammenstellung beteiligt war und an entscheidender Stelle die Voraussetzungen für den Saisonverlauf geschaffen hat.

Die besten Wünsche für die kommende Saison begleiten unseren VfL. Auf geht’s, Lila-Weiß!

 

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