Mein erstes Mal
Zum ersten Mal seit der Erfindung der Gästekurve gucke ich von da aus auf den Rasen. Die Stimmung ist atemberaubend. Auf dem Platz erlebe ich das gewohnte VfL-Gezitter. Scheiße, 0:1 heißt es irgendwann – und bleibt dann so.
93. Minute:
Ich wähle das Stadium der Selbsttröstung. „Tja, das war es dann ja wohl“, versuche ich in mein Inneres zu flüstern. War ja eine geile Saison. Mehr hat wohl nicht sein sollen! Dann eben nächstes Jahr gegen Preußen, auch nicht so schlecht. Wenn ich gleich durch die Gartlage nach Hause gehe, ziehe ich wohl mein Trikot aus, um es zum Unterhemd zu machen. Den schwarzen Hoody werde ich darüber ziehen. Keine Lust auf dämliche Fragen oder Kommentare.
94. Minute.
Chance Simakala schießt das 1:1. Ich juble wie alle. Prima, keine Niederlage zum Saisonende. Ehre gerettet. Mein Trikot ziehe ich gleich trotzdem aus und den Hoody darüber. Ist ja gleich vorbei.
96. Minute.
Ich sehe nur ein fernes Gewühl. Danach landet der Ball tatsächlich im gegnerischen Tor. Keine Ahnung, wie er da hineinkam. Mein neben mir stehender Sohn und alle anderen im Umkreis können dieses Tor auch nicht erzählen. Egal. Orkanartiger Jubel, der nicht aufhören will. Irgendwann beobachte ich mich, wie ich mitschreie.
Abpfiff!
Ich irre die Stufen hinunter und gelange hilf- und orientierungslos auf das Spielfeld. Wildfremde Leute fallen mir um den Hals. Reflexartig suche auch ich irgendwelche Hälse zum Umklammern. So ähnlich muss sich Trance nach einer Hypnose anfühlen.
Einer meiner zahllosen Hälse ist der von VfL-Urgestein Lothar Gans. Warum guckt der mich halb geschockt an? Hinterher sehe ich in der NDR-Aufzeichnung, dass ich ein TV-Interview mit diesem Menschen gecrasht habe, danach weggeschubst worden bin und beinahe von NDR-Ordnern verprügelt worden wäre. Im Moment selbst hätte ich sogar dolle Haue nicht gespürt. Ich wandle weiter zwischen zigtausend Beinen. Als die Mannschaft über dem Einlauftunnel in der Nord steht, wache ich ganz langsam auf.
Aufgestiegen!
„Nie mehr dritte Ligaaaaa!“, schreie ich mit. Begriffen habe ich es immer noch nicht.
