Gedanken zur wachsenden Stärke von Rechtsparteien
Es gibt eine Karte zur Veranschaulichung eines Todeskampfes von Demokratien, die noch heute erschaudern lässt. Es ist jene, die unser Europa vor exakt 80 Jahren zeigt. Es herrscht Weltkrieg. Und das faschistische Lager um Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien hat es vollbracht, mit Ausnahme des Schweizer Mini-Staates, Schwedens und der britischen Insel ganz Europa in eine durchgängig faschistische Staatengemeinschaft zu verwandeln. Von Portugal über Spanien, von Vichy-Frankreich über Deutschland und Italien, von Polen bis nach Griechenland herrschen faschistische Regierungen, die ihre Macht entweder dem Kriegsgeschehen verdanken oder lange vor den Waffengängen, wie Spanien, Italien oder Deutschland, zu brutalen Diktaturen verwandelt sind.
Fernab über dem Ozean verleiht den europäischen Faschisten die Unschlüssigkeit der USA, sich in den Weltkrieg einzumischen, eine gewaltige Prise Optimismus. Und ein sich im Abwehrkampf mit Deutschland befindende Riesenreich der stalinistischen Sowjetunion birgt ebenfalls wenig Hoffnung auf eine demokratische Zukunft.
Warum diese historische Erinnerung? Es wäre plump und töricht, hier platte Gemeinsamkeiten zu konstruieren. Dennoch zeigt ein Blick auf die Landkarte der sogenannten westlichen Welt, dass ein demokratisches Lager, dessen Lebenselemente Frieden, Rechtsstaat, Medienvielfalt, Toleranz, Menschenrechte und Organisationsfreiheit sind, immer mehr auf der Kippe steht.
Ab November kann es kalt werden
Ob bei uns im Spätherbst Heizungen abgedreht werden oder Lichter ausgehen könnten, gilt nach Putins Krieg gegen die Menschen in der Ukraine bereits als fatal genug.
Es gibt jedoch auch andere Erscheinungen des Kalenders, die schlucken lassen. Am 8. November 2022 werden alle 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus und im Senat 35 der 100 Senatoren neu gewählt. Es ist zu befürchten, dass Trumps Republikaner, der eigentlichen Schwesterpartei der deutschen AFD, die Mehrheit erhält. Erwartbar ist, dass dem ohnehin angeschlagenen Präsidenten Joe Biden mitsamt seiner Demokratischen Partei, die bei uns in etwa ein Parteienspektrum von Linkspartei bis zur CSU umfasst, politisch der Garaus bereitet wird. Flankiert von einem durch Trump majorisierten Obersten Gericht des Supreme Court, das scheibchenweise soziale Errungenschaften ebenso massakriert wie ein annähernd demokratisches Wahlrecht. Einschläge, wie all dies passiert, erleben wir fast täglich.
Und in Europa?
Beim Blick auf die USA wird es in der öffentlichen Debatte oft belassen. Dabei sollte uns auch ein Blick auf das so gefestigt auftretende Europa belehren, dass man auch zittern darf. Die nächste Parlamentswahl in Italien muss nach der italienischen Verfassung spätestens bis zum 28. Mai 2023 erfolgen. Kennt man Italien, sind Wahlgänge davor nicht ausgeschlossen. Wer sich noch an den korrupten Regierungschef Silvio Berlusconi oder an den kreischenden Lega-Chef Matteo Salvini erinnert, der es mühsam geretteten Bootsflüchtlingen trotz Todesgefahr nicht erlauben wollte, in italienischen Häfen anzulegen, dem blüht womöglich eine noch brutalere Version: Hier kann sich etwas zusammenbrauen. Registriert man Umfragen, steht nämlich tatsächlich Furchtbares bevor. Und zwar eine Koalition aus der geschrumpften Forca Italia von Berlusconi, Salvinis rechter Lega und den Mussolini-Verehrern der Fratelli Italiani.
Nicht minder ist die Gefahr in Spanien. Der nächste Urnengang soll dort spätestens am 10. Dezember 2023 stattfinden. Hier macht sich die Partei Vox, orientiert an den faschistischen Idealen des früheren Diktators Franco, im Schulterschluss mit der rechtskonservativen Volkspartei, vertraut man Umfragen, auf den direkten Weg in die Regierungsverantwortung. Einen Vorgeschmack vermittelten bereits Wahlen in Madrid oder Castillien: Das Bündnis Konservativer und Faschisten steht. Und beginnt dort, wo es an der Macht ist, durchzuziehen: Fort mit fortschrittlicher Pädagogik, rein mit Franco-beschönigenden Lehrinhalten in Schulen und Hochschulen, keine Aufarbeitung des eigenen Faschismus mehr. Ende jeder Toleranz mit der Gender-Politik, Nein zu mühsam erkämpften Frauenrechten. Keine Chance für Zuwanderung. Gewerkschaftlich erkämpfte Rechte stehen auf der Kippe.
In Frankreich dienen sich soeben die stramm rechtskonservativen Republikaner dem Wirtschaftsliberalen Macron als Dauerpartner an. Der Rassemblement National einer Marine Le Pen steht „noch“ außen vor. Die endlich wieder vorhandene Linke wird sich wehren. Kann sie es? Wie lange noch bleibt selbst Frankreich ein Garant demokratischer Chancen?
Die Klammer droht von Ost nach Süd
Der jüngste Ukraine-Krieg und europäische Einheitsbekundungen haben es in jüngster Zeit verdeckt: In Staaten wie Orbans Ungarn oder dem PIS-regierten Polen ist kaum noch von jener Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit die Rede, die bei uns verbesserungswürdig ist, aber zumindest fest besteht. In den baltischen Staaten, aufgrund es aktuellen Krieges ohnehin in einer Art Ausnahmezustand, herrscht gegenüber Minderheiten und demokratischen Rechten seit ehedem durchaus Distanz. In der Ukraine, wo das Volk tatsächlich vor Putins Mörderbataillonen geschützt werden muss, herrscht aber auch keine Situation, die einen Kampf für demokratische Werte garantiert: Erst in jüngster Zeit wurden alle Sender gleichgeschaltet und 12 Parteien, eine sozialdemokratische eingeschlossen, verboten.
Die Rechte schreitet also voran. Und geografisch kommt am Ende von ganz rechts eine Erdogan-Türkei dazu, in deren Wirkungsbereich Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und große Teile der Opposition ebenso liquidiert sind wie jeden Gedanke an Friedfertigkeit. Im kurdischen Teil Syriens droht auf Befehl des Sultans Erdogan ein furchtbarer Krieg islamistischer Milizen gegen jene Kräfte, die ihre Städte vom IS-Terror befreit und Zivilstrukturen aufgebaut haben. Wenn niemand dem nationalistischen Despoten in den Arm fällt, könnte er einen gigantischen „Bevölkerungsaustausch“ in jenen Städten vollziehen: Drei Millionen syrischer Geflüchtete dürfen sich in den zerschossenen Städten eine Bleibe suchen, überlebende Kurdinnen und Kurden sollen – wie seinerzeit nach 1914 die Armenier – bleiben, wo sie den Sultan nicht stören. Nicht vergessen: Erdogan, NATO-„Partner“ und immer wieder gern hofiert, damit er seinen Segen zum NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens gab.
Und bei uns? Die AFD scheint leicht zu dümpeln, was aktuell erfreulich ist. Aber wie lange noch? Wenn ein mit faschistischem Gedankengut durchtränkter Björn Höcke einem unbequemen Journalisten auf sich selbst zeigend, andeutet, „Sie sollten aufpassen. Ich kann ja mal wichtig werden“, sagt das schon viel. Der tägliche Shitstorm auf Kanälen der Social Media bleibt ebenfalls bedrohlich – denken wir allein aktuell an große Teile der „Querdenkerszene“. Und das Gewaltpotenzial der deutschen Rechten wird mit vor drei Jahren stattgefundenen Mord m demokratischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke noch nicht ihr Ende erreicht haben. Zum Glück erscheint eine gemeinsame Landesregierung aus Unionsparteien und AFD noch sehr fern. Nur: Betrachtet man das Gebaren konservativer Schwesterparteien in Teilen Europas, sollte kritischen Menschen durchaus angst und bange werden.
Sieht man es rein wettermäßig, gilt für uns in naher Zukunft ohnehin die Losung des „Warm anziehen!“. Ob im Pullover vor der kalten Gasheizung oder im Mantel unter dem Eisregen. Zu übertriebenen Gleichsetzungen mit dunklen Zeiten, zu Dramatik, Endzeitstimmung und Verzweiflung besteht natürlich noch lange kein Anlass. Aber unsere Augen öffnen sollten wir schon und demokratisch aktiv werden allemal.
Alles Ultrarechte begann einmal ganz klein.