(Texte und Interviews: Heiko Schulze & Kalla Wefel / Fotos: Manfred Pollert / Technik & Gesamtgestaltung: Kalla Wefel)*
Teil 1 der OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens
Die weltweite Klimakrise hat es offenbart: Menschen und Tierwelt kämpfen weltweit um die Erhaltung ihres natürlichen Lebensraums. Die Fauna, insbesondere aber auch die Flora der Erde scheint mit ihrer einzigartig vielfältigen Pflanzenwelt und den damit verbundenen Mikroorganismen täglich abzunehmen. Die Auseinandersetzung um Ressourcen ist deshalb eines der zentralen Konfliktfelder der Gegenwart und Zukunft.
Die Verantwortlichen des Osnabrücker Jubiläumsprogramm haben deshalb anlässlich der 375-jährigen Wiederkehr des historischen Friedensschlusses zu Recht beschlossen, als Schwerpunktsetzung im April 2023 mit dem Thema Natur und Umwelt als elementarer Friedensgrundlage zu beginnen. Die OR-Redaktion widmet sich darum in der ersten Folge ihrer eigenen Serie dem Botanischen Garten.
Frieden mit der Natur
Klar ist dabei: Für die Zukunftsfähigkeit der Erde wird es von grundlegender Bedeutung sein, wie der Frieden mit Natur und Ressourcen hergestellt werden kann. Eine Stadt wie Osnabrück, die sich auch hinsichtlich der Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen als Friedensstadt versteht, kann natürlich nur einen überschaubaren Beitrag im Zuge der weltweiten Bemühungen beitragen und ein kleines Glied innerhalb globaler Bemühungen für eine gesunde Umwelt bieten.
Was kann die Stadt Osnabrück dabei tun? Zum Beispiel kann sie in ihrem eigenen Stadtgebiet dafür sorgen, die weltweite Pflanzenwelt anschaulich und den Menschen zugänglich zu machen. Dies wiederum geschieht in einzigartiger Weise in Gestalt des Botanischen Gartens auf dem Gelände von zwei ehemaligen Steinbrüchen, die allein schon eine Urgeschichte aufweisen und auf Zeiten hinweisen, in der es noch lange keine Menschen gab.
Der Botanische Garten ist somit ein zentraler Baustein zukunftsgerechter Präsentation von Werten, die im Interesse zukünftiger Generationen nicht gefährdet werden dürfen.
Zeuge früher Ortsgeschichte
Der heutige Botanischen Gartens ist mit seinen frühgeschichtlichen Gesteinsformationen ein eindrucksvoller Zeuge der ältesten Stadtgeschichte. In zwei still gelegten Steinbrüchen beeindruckt heute eine außergewöhnliche Kulisse aus Muschelkalk. Allein in den Steilwänden sind verschiedene Kalksteinschichten erkennbar, die aus dem Trias stammen und ca. 230 Millionen Jahre alt sind. Seit dem Mittelalter war der Steinbruch über viele Jahrhunderte ein bedeutender Abtragungsort, dessen Bruchsteine viele imposante Gebäude Osnabrücks prägen. Die heutige Anlage des Botanischen Gartens wurde im Jahre 1984 eröffnet und gehört seitdem zum Fachbereich Biologie/Chemie der Universität Osnabrück. Ein früherer, städtisch betriebener Botanischer Garten befand sich ehemals an zwei, im Zuge der Jahrzehnte gewechselten Orten im Schlossgarten.
Ein bauliches Highlight des Gartens bildet das markante Regenwaldhaus. Es beherbergt mit einer Höhe von 21 Metern eine einzigartige und vielfältige Vegetation aus dem Amazonasbecken, welche sich von der Steinbruchkante und -sohle erschließt.
„Welt im Kleinmaßstab“
Der jetzigen Flächen stellen in der Friedensstadt Osnabrück so etwas wie die „Welt im Kleinmaßstab“ dar: Das Gelände umfasst 5,6 ha, auf dem ca. 8000 Pflanzenarten wachsen, die Hälfte von ihnen unter Glas.
Was gibt es dort am Westerberg bislang zu sehen? Im Mittelpunkt erhebt sich auf der Talsohle ein Restbestand des ersten Steinbruchs, wo – inmitten eines „Alpinums“ – Hochgebirgspflanzen europäischer Gebirge gezeigt werden. Ein Wasserfall, kleinere Bäche und mehrere Teiche bereichern das bewegte Areal, das nur gut zu Fuß besucht werden kann.
Das Freiland ist systematisch in geographische Areale wie Mittelmeerraum, Euroasiatische Steppe, China, Japan und Nordamerika eingeteilt. Weitere Schwerpunkte sind der Heilpflanzengarten und die Agrobiodiversitätsanlage, wo Pflanzen, die ausschließlich der Ernährung dienen, das Herzstück bilden. Im April 2011 wurde der Botanische Garten um ein 2,8 ha großes, naturbelassenes zweites Steinbruchgelände, das durch einen fußläufigen Tunnel zu erreichen ist, erweitert. Es beherbergt eine besonders geschützte Fauna und Flor mitten in der Stadt.
Ort weltweiter Kooperation
Getreu dem Motto der Friedensstadt Osnabrück, Weltoffenheit und friedliche Zusammenarbeit mit allen Teilen der Welt zu pflegen, fügt sich der Botanische Garten in besonderer Weise in dieses Selbstverständnis ein. Er leistet mit seinen umfangreichen Sammlungen einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt von Pflanzen was nur durch ein Maximum überregionaler Zusammenarbeit möglich ist. Der unentgeltliche Samentausch zwischen unterschiedlichen Botanischen Gärten, Universitätseinrichtungen und vergleichbaren öffentlichen Institutionen ermöglicht es, von seiner Herkunft eindeutig identifiziertes Pflanzenmaterial für pflanzensystematische, genetische, biochemische und pharmakologische Untersuchungen sowie für die Nutzpflanzenforschung bereitzustellen. Alle Beteiligten fühlen sich dabei einer strikten Einhaltung der naturschutzrechtlichen Bestimmungen verpflichtet. Der sogenannte „Index Seminum“, der über international praktizierte Kooperation bereicherte Saatgutkatalog des Botanischen Gartens der Universität Osnabrück, besteht seit 1990.
Sammlungen – bewahrt auch für die Nachwelt
Insbesondere das, was gefährdet ist oder zukünftig gefährdet werden könnte, wird sorgsam verwahrt. Der Botanische Garten kultiviert insgesamt über 13.200 dokumentierte Akzessionen (Herkünfte) von Pflanzenarten. Er unterhält und pflegt mehrere Pflanzensammlungen wie zum Beispiel die Allium-Sammlung mit Pflanzen der Gattung Allium (Lauch) aus der ganzen Welt oder Pflanzen aus den neuweltlichen, tropischen Regenwäldern. Das eigens dafür gebaute Amazonas-Regenwaldhaus wurde 1998 eröffnet. Es zeigt und bewahrt auf 600 qm über 800 tropische Pflanzen aus Zentral- und Südamerika. In verschiedenen Abteilungen und Gewächshäusern werden darüber hinaus seltene und geschützte heimische und exotische Pflanzen gezeigt und erhalten.
Eine sogenannte „Karpologische Sammlung“ zeigt eine wichtige Disziplin der klassischen Botanik, die sich mit den Früchten der Pflanzen beschäftigt. Als Frucht gilt die Blüte im Zustand der Samenreife und sie weist besondere, artspezifische Ausbreitungsmechanismen auf. Die Sammlung mit über 900 Exponaten zeigt die ungemeine (Formen)Vielfalt, Funktionsweise und die Bedeutung von Früchten für Ernährung und Medizin auf.
Nachhaltiges Lernen am lokalen Beispiel
Als universitäre Einrichtung dient der Botanische Garten naturgemäß auch der Forschung und Lehre. Wer immer zukunftsgerecht forscht und lehrt, kann seine Aussagen auch aufgrund von Erkenntnissen herleiten, die im Osnabrücker Botanischen Garten gewonnen werden. Wissenschaftliche Pflanzensammlungen, Versuchsflächen in Freiland und Gewächshäusern, Pflanzen für den studentischen Unterricht und eine wissenschaftliche Bibliothek bieten Stoff für Diplom-, Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten.
Angesiedelt im Botanischen Garten ist insbesondere die Biodiversitätsforschung. Die wiederum konzentriert sich auf zwei Schwerpunkte: die Evolution der Landpflanzen und die Verwandtschaftsbeziehungen in den Lauchgewächsen, der Kreuzblütler und der Moose.
Zugleich wird immenser Wert daraufgelegt, die in unserem Land beheimatete, natürlich vorkommende Flora dauerhaft zu erhalten und die genetische Vielfalt zu sichern. Offizielles Schwerpunktthema ist deshalb auch die „Nationale Sicherung wildpflanzengenetischer Ressourcen“ durch Lebendsammlungen, Wiederansiedlung von Wildarten in geschützten Naturräumen und die Einlagerung von Saatgut.
Zugleich beherbergt die Einrichtung ein beispielloses pädagogisches Programm. Von den Allerkleinsten bis hin zu Schulklassen der Oberstufe ist der Botanische Garten ein Lernort, der als konkreter Anschauungsraum mehr bietet, als die Pädagogik in zahllosen Unterrichtsstunden und Vorträgen vermitteln kann. Die Umweltbildung wird vor allem durch die Grüne Schule vermittelt. Sie bietet sowohl Führungen als auch Aktionsprogramme zum eigenen Mitmachen an. Durch die freundliche, ehrenamtlich unternommene Unterstützung des Freundeskreises des Botanischen Gartens werden weitere Aktivitäten wie Vorträge und Ausstellungen, aber auch außergewöhnliche Konzerte, Lesungen und andere Kulturveranstaltungen ermöglicht.
Darüber hinaus wendet sich der Garten aber auch an andere Teile der Bevölkerung, um ihr die Welt der Pflanzen näher zu bringen. Seit 2003 existiert mit der Loki-Schmidt-Genbank deutschlandweit die erste offizielle Saatgutbank für einheimische Wildpflanzenarten. 2009 schließt sich die Gründung der Genbank für Wildpflanzen für Ernährung und Landwirtschaft (WEL) an. Das Netzwerk zum Schutz gefährdeter Wildpflanzen in besonderer Verantwortung Deutschlands (WIPs-De) wird 2013 mit fünf weiteren Botanischen Gärten als Verbundpartner ins Leben gerufen und als Projekt aktuell fortgeführt.
Solche Genbankaktivitäten tragen wesentlich zum Schutz und zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei. Inmitten der Friedensstadt Osnabrück besteht somit ein Lern- und Erkundungsraum, der in einzigartiger Weise als Botschafter für den Frieden mit der Natur steht.
Tipps für Weiterforschende
Im Botanischen Garten sind engagierte Einzelpersonen aktiv, an die sich Interessierte jederzeit wenden können. Direktorin des „Weltgartens“ ist Professorin Dr. Sabine Zachgo, erreichbar unter sabine.zachgo@uni-osnabrueck.de. Vorsitzende des Freundeskreises ist inzwischen emeritierte Professorin Dr. Renate Scheibe, die unter der Mailadresse rscheibe@uni-osnabrueck.de erreichbar ist. Weitere Mitglieder des Freundeskreises erreicht man unter der Adresse info@freundeskreis-bogos.de. Einen Überblick über alles und mehr verschafft natürlich die Homepage des Botanischen Gartens: https://www.bogos.uni-osnabrueck.de.
Der Podcast zum Bericht:
Teil 1 der 14-teiligen Serie der Osnabrücker Rundschau zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens. Kalla Wefel & Heiko Schulze unterhalten sich mit Yvonne Bouillon, der technischen Leiterin, und Dr. Nikolai Friesen, dem Kustos des botanischen Gartens, erfahren viel Neues und können allen Leser*innen der Rundschau einen Besuch dieser idyllisch gelegenen Osnabrücker Institution nur uneingeschränkt empfehlen.
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*Die 14-teilige OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens wird gefördert vom Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück.