(Texte und Interviews: Heiko Schulze & Kalla Wefel / Fotos: Manfred Pollert / Technik & Gesamtgestaltung: Kalla Wefel)*
Teil 5 der OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens
Glaube und Religion: Frieden oder Gewalt?
Wie andere städtische Aktivitäten beteiligt sich auch die OR daran, im 375. Jubiläumsjahr des Westfälischen Friedens solche Themen ins Rampenlicht zu stellen, die mit Frieden, Toleranz, Respekt und Demokratie zu tun haben. Unsere Beiträge zum Zoo und zum Botanischen Garten waren mit ihren jeweiligen Botschaften der Nachhaltigkeit am Leitthema „Natur und Umwelt“ ausgerichtet. Im Vormonat haben wir das frühere Lager für Zwangsarbeitende in der Gartlage sowie die fünfjährigen Friedensverhandlungen in Osnabrück unter der Rubrik „Historische Dimension und Perspektive“ präsentiert. Im Juni geht es jetzt um „Glaube und Religion“. Auch die OR hat sich deshalb die Frage gestellt: Was können wir in diesem Zusammenhang von einzelnen Themen für die Zukunft mitnehmen, indem wir aus der Historie lernen? Als Thema entschieden wir uns für das Werk „Hexenwahn“ von Axel Gundrum.
Hexenverfolgung als Lernbeispiel für Unterdrückung
Kaum ein Hintergrund unterstreicht in aktueller Zeit mehr diese zeitlose Zielsetzung als globale Kriege und Verfolgungen, die sich, blicken wir allein auf die arabische Welt, gegen jeweils Andersgläubige richten. Auch das neue Jahrtausend ist weltweit und von Beginn an vor allem von religiösem Fundamentalismus und seinen gewalttätigen Ausprägungen geprägt.
In Osnabrück helfen Streiflichter auf die eigene Stadtgeschichte, um auch hier Beispiele religiös begründeter Intoleranz und mörderischer Gewalt zu finden. Eine besonders brutale Form dieser religiös begründeten Gewalt bildete die Verfolgung sogenannter Hexen, die sich vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit hinein erstreckte.
Wo gibt es bei uns solche Erinnerungsstätten? In Osnabrück gibt es einen leider oftmals unbekannten Ort, der mit der Kraft gemalter Bilder an die sogenannte Hexenverfolgung erinnert. Es handelt sich um Axel Gundrums 1998 präsentiertes Werk, das er seinerzeit mit „Hexenwahn“ betitelt hat und nicht nur Bildmotive, sondern auch eine Erinnerungsstätte beherbergt.
Wo ist alles zu sehen? Unser Weg führt uns in die Mühlenstraße, die man, vom Wall über die Hasestraße kommend, gleich links hinter dem Hasetorkino betritt. Auf einer Hausfassade rechts entdecken wir ein imposantes Wandgemälde. Es erinnert an 276 Frauen und zwei Männer, die im 16. und 17. Jahrhundert in Osnabrück hingerichtet wurden. Schöpfer der Erinnerungsstätte ist der 1953 geborene Maler Axel Gundrum, der dort gleich zwei großformatige Wandgemälde präsentiert. Das größere Werk ist 4,8 mal 7 Meter groß. Das mit modernen Motiven erstellte Werk heißt „Die Verspottung“, entstand 1999 und misst 3,5 mal 1,8 Meter. Für die Erinnerungsstätte stellte ein Privatmann das Gelände zur Verfügung.
Zwei Werke: Was ist beim „Hexenbild“ zu sehen?
In der Bildmitte erkennt man einen noch nicht auflodernden Scheiterhaufen, auf dem sich eine angebliche „Hexe“ erhebt. Darunter steht jemand, der als Franziskanermönch erkennbar ist und an zentraler Stelle mit einem Kreuz hantiert. Links davon thront ein Kardinal auf einem Podest – eher untätig und mit starrem Blick nach vorn. Mit dem Scheiterhaufen scheint er auf den ersten Blick nicht direkt zu tun zu haben.
Links vor dem Podest steht eine Menschengruppe, die mit einer so genannten „Wasserprobe“ befasst ist. Die Wasserprobe galt innerhalb der Hexenverfolgung als Test, um festzustellen, ob eine angeklagte Person eine Hexe war oder nicht. Beine und Arme der Gepeinigten wurden über Kreuz gefesselt. Danach wurde sie in ein Gewässer geworfen. Schwamm die Person oben, galt dies als Beweis ihres Hexendaseins. Die Person wurde für schuldig befunden und hingerichtet. Ging die Person unter, galt sie als unschuldig und wurde aus dem Wasser gezogen. Viele der Betroffenen waren bereits tot, als ihr Körper die Oberfläche erreichte.
Im Bild angedeutet ist bei der Aktion ein Dominikaner sowie auch ein evangelischer Geistlicher mit weißem Kragen. Auf der rechten Bildfläche sind Personen aus der eher ländlichen Bevölkerung auszumachen. Ein Mann aus dieser Gruppe scheint sichtlich unter der androhenden Verbrennung zu leiden. Er hockt auf dem Boden und fleht. Ein weiterer aus der Gruppe dreht sich um und zeigt mit dem Finger auf den Bildbetrachtenden, was einer Art zeitloser Anklage gegen alle gleichkommt.
Hinten links ist ein Helfender bei der Pest zu erfassen. Zu erkennen ist er an einer schnabelförmigen Pestmaske. Außerdem schiebt er einen Karren vor sich her. Als Silhouette der Stadt sind Rathaus und Dom zu erblicken. Markant ist der Vordergrund des Wandbildes. Er klärt darüber auf, dass sich die ganze Szenerie nicht in der Realität, sondern auf einer Art Bühne abspielt. Vor ihr befinden sich Felix Nussbaum und eine dunkelhäutige Frau mit muslimisch anmutendem Kopftuch. Axel Gundrum arbeitet hier mit dem Stilmittel der Bildzitate. Nussbaum ist dem „Selbstbildnis mit Judenpass“ entnommen. Der jüdische Maler wurde 1904 geboren und 1944 in Auschwitz ermordet. 1943 hatte er das Bild in seinem Versteck in Brüssel im von Deutschland besetzten Belgien gemalt. Seiher ziert es ungezählte Publikationen, vor allem auch Schulbücher.
Das aktuell entlehnte Werk
Das rechte Gemälde, das eng mit dem Bühnenbild verbunden ist, bezieht sich ebenfalls auf Nussbaum. Im Hintergrund ist dessen Straßenzug aus „Die Verdammten“ zu erkennen. Zusätzlich wird das einem Brandanschlag zum Opfer fallende Haus aus Solingen eingebaut, dem am 29. Mai 1993 fünf Menschen mit türkischem Migrationshintergrund zum Opfer fielen. Unzweifelhaft wird hier eine Verbindung zu den beiden Figuren im Bühnengraben des Hauptwerkes hergestellt. Im Mittelpunkt des aktuellen Bildes befindet sich eine Figurengruppe, bei der zwei Personen die zentrale Figur, die durch den Schriftzug „INRI“ an Jesus angelehnt ist, verspottet. Der Trikotträger an der linken Seite steht für einen rechten Fußball-Hooligan. Die im damals modischen Aerobicdress gekleidete weibliche Person ist offenkundig nur an Mode und Outfit orientiert. Gefilmt wird die Gesamtszene von einer Person mit damals hochmoderner Videokamera. Heute wäre es sicher ein Smartphone.
Gundrums unverkennbare Stilrichtung des Realismus erinnert, wie häufig bei seinem Schaffen, an Werke von Otto Dix oder George Grosz aus der Weimarer Republik, die seinerzeit pausenlos auf die Gefahren von Nationalismus, Militarismus und Intoleranz hingewiesen haben.
Bildnisse vor dem Hintergrund eines Kulturkampfes
Schon als Axel Gundrum sein Werk gegen Ende der Achtziger vorsichtig plante, hatte er die politische Szene der Stadt extrem polarisiert. Vor allem katholische Kirche und örtliche CDU entfachten wahre Kampagnen gegen den Bildentwurf. Ein einziger der erhobenen Vorwürfe war allerdings historisch nicht gänzlich unbegründet. Fälschlicherweise war die katholische Kirche zunächst bildnerisch als alleiniger Verursacherin der Hexenverfolgung dargestellt worden. Der auf einem gemalten Podest thronende Kardinal schien das komplette Bildgeschehen im Entwurf zunächst noch zu beherrschen. Der Dom als Hort des Katholizismus schien in der ersten Silhouette des Stadtbildes am stärksten hervorzutreten. In Diskussionen wurde zu Recht festgestellt, dass die protestantische Kirche, vor allem auch der Osnabrücker Rat und seine Bürgermeister, ebenso schuldig an den damaligen Verfolgungen gewesen ist.
Historischer Hintergrund
Blickt man auf die Historie der Hexenverfolgung, gab es auch in Osnabrück zwei große Wellen, die jeweils mit weiteren Krisen zusammenfielen. Ende des 16. Jahrhunderts litten die Menschen unter Unterdrückung, Ernteeinbußen, Massenepidemien, langen wie extrem kalten Wintern und weit verbreiteter Armut. Es war vor allem der protestantische Osnabrücker Bürgermeister Hammacher, der vom eigenen Versagen ablenken wollte, indem er Verdächtigungen in die Welt setzte. So setzte um 1583 die erste Verfolgungswelle gegen Menschen ein, die als Hexen gebrandmarkt und zumeist ermordet wurden.
Um 1636 herum datiert eine weitere große Hexenverfolgungswelle. Hier sorgte vor allem ein Machtkampf zwischen den Bürgermeistern Modemann und Pelzer für immer mehr Hexenprozesse. Die damalige schwedische Besatzungsmacht ließ die einheimischen Machtinhaber dabei gewähren. Am Ende wurden in Osnabrück 276 Frauen und ebenso sogar zwei Männer als Hexen gefoltert, verurteilt und brutal hingerichtet.
Keine Chance gegen CDU- und FDP-Ratsmehrheit
Bis Ende 1991 wurde Osnabrück im Stadtrat durch eine Mehrheitsregierung aus CDU und FDP regiert. Zumal die Realisierung des Gemäldes innerhalb des geförderten Projekts „Kunst in der Stadt“ vonstattengehen sollte, besaß Gundrums Projekt keine Chance auf Umsetzung seines Vorhabens. Selbst als der Maler einen evangelischen Geistlichen in den Entwurf einarbeitete und das Rathaus in das Stadtbild nur noch im Hintergrund einfügte, verblieb der wutgetragene Widerstand der konservativ-liberalen Ratsmehrheit.
Eine Chance bekam das Vorhaben erst im Herbst 1991. Nach zehn Jahren kulturpolitischen Stillstands stellten fortan SPD und die Grünen die neue Ratsmehrheit und konnten das Ruder auch in diesem Fall herumwerfen. Im Kontext der 350-Jahr-Feier zum Westfälischen Frieden anno 1998 brachte Gundrum sein Bild wieder erfolgreich in Erinnerung. Mit Rückendeckung der rot-grünen Ratsmehrheit wurde das Projekt endlich angenommen. Die CDU lehnte das Bild unbeirrt strikt ab. Die FDP positionierte sich sogar am drastischsten: Sie verglich das Werk tatsächlich mit Karikaturen aus dem Nazi-Hetzblatt „Der Stürmer“. Vor allem in Leserbriefspalten der örtlichen Tageszeitung tobte sich die Protestszene aus, besaß jedoch keinerlei Chance, im Rat eine Umkehr zu bewirken.
Am 25. Juni 1999 war es soweit: Die Erinnerungsstätte konnte offiziell eingeweiht werden.
Der Podcast zum Bericht:
Heiko Schulze & Kalla Wefel unterhalten sich mit dem Maler Axel Gundrum, dem Urheber der Gedenkstätte „Hexenwahn“.
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*Die 14-teilige OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens wird gefördert vom Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück.