Die DFL blieb beim Solidarprinzip der Münchener und Dortmunder Fußballsoziallehre
„Kurzfristige Coronahilfe, Zementierung der Unterschiede, Bonbons im Prozentbereich. Sieht so der Einstieg in Reformen aus?“ Diese rhetorische Frage twitterte „Unsere Kurve“ Anfang Dezember 2020, um die vermeintliche Neuregelung zu kommentieren, die für die Verteilung der üppigen Fernsehgelder beschlossen wurde. Das, was offensichtlich eine Mogelpackung ist, hielt jedoch die hartnäckigen Ungleichheitsleugner im DFL-Establishment nicht davon ab, dass sie sich in Selbstgerechtigkeit suhlten.
Hans-Joachim Watzke gehört zu den Reformunwilligen des bundesdeutschen Fußballs – auch wenn er eine Rhetorik pflegt, die das Gegenteil suggerieren möchte. Als der enttäuschende Verhandlungsdeal vereinbart worden war, tat Borussia Dortmunds Geschäftsführer so, als hätte der von ihm gemanagte Fußballkonzern ein großes Opfer erbracht. So wollte er in dem Vertragswerk etwas sehen, was „für die Spitzenclubs ein schmerzhafter Kompromiss“ wäre. Tatsächlich wurde aber durch die Entscheidung des DFL-Präsidiums nur der Status quo einer ungerechten Verteilung festgeschrieben.
Ja, der Mechanismus wurde etwas verändert, der bestimmt, wie ab der Saison 21/22 die Gelder aus der Vermarktung der Fernsehrechte an der Ersten und Zweiten Bundesliga an die 36 DFL-Standorte fließen sollen. Ja, es wurde ein neuer Faktor eingeführt – nämlich „das Interesse“, das der jeweilige Profiverein bzw. die jeweilige Fußballfirma beim DFL-Publikum erregt. Anhand dieses Kriteriums sollten in den ersten beiden Vertragsjahren zunächst zwei Prozent der Gelder aus der TV-Vermarktung verteilt werden, in den Saisons 23/24 und 24/25 werden es dann drei Prozent sein. Ja, bei der Ausschüttung der Fernsehgelder soll zudem stärker berücksichtigt werden, was die Erst- und Zweitligisten unter dem Aspekt der „Nachwuchsförderung“ geleistet haben. So wurden nach dieser Maßgabe drei Prozent der TV-Einnahmen bis zum Ende der letzten Spielzeit vergeben, bevor der Anteil ab der zweiten Hälfte der Vertragsdauer nun auf vier Prozent steigt. Die Neuentdeckung eines verteilungsrelevanten „Interesses an den Clubs“ und die Aufwertung der „Nachwuchsförderung“ sind jedoch nur Bonbons, deren Süße viel zu schwach ist, um den bitteren Geschmack der wettbewerbsfeindlichen Ungleichheit zu überdecken.
Seit zwei Spielzeiten wird folglich weiterhin ein fairer Konkurrenzkampf willkürlich behindert. „Der Kommerzteufel scheißt immer auf den größten Geldhaufen“ ist die Verteilungsregel, die sich jenseits des heuchlerischen Solidaritätsgetöses auch beim letzten Vertragsabschluss wieder behauptete. Gerechtigkeit nach der Münchener und Dortmunder Fußballsoziallehre bedeutet, dass in den letzten beiden Jahren nur jeweils 53 Prozent der Erlöse aus den TV-Rechten an der Beletage bzw. ihrem Unterhaus gleichmäßig ausgeschüttet wurden. Dieser Anteil sinkt dann in den Spielzeiten 23/24 und 24/25 wieder auf 50 Prozent – weshalb der leichte Anstieg im Vergleich zum alten Verteilungsschlüssel nur eine verdeckte Coronahilfe war, wie „Unsere Kurve“ höchst plausibel twitterte.
Während die Gleichverteilung hinter dem, was notwendig wäre, erschreckend weit zurückbleibt, wird die Kategorie der „sportlichen Leistung“ viel zu stark gewichtet – es sei denn, die Dauerlangeweile an der Bundesligaspitze wird für ein Qualitätsmerkmal gehalten. Die Platzierungen, die jeweils in den letzten fünf Jahren in der Abschlusstabelle erreicht wurden, sind ein Unterschied, der einen großen Unterschied macht, weil anhand dieses Kriteriums zunächst 42 Prozent der TV-Gelder aus dem nationalen Topf verteilt wurden, bevor es nun nach zwei Jahren 43 Prozent werden. Diese asymmetrische Verteilungsstruktur schädigt einen fairen Wettbewerb, indem eine Pfadabhängigkeit entsteht, in der sich mit jeder Saison die Wahrscheinlichkeit für den sportlichen Erfolg der Etablierten erhöht. Ein Korrektiv wäre daher das Prinzip der „Effektivität“ gewesen, das die Endplatzierung in Relation zu den eingesetzten Mitteln setzen würde. Aber dieses Konzept war am Verhandlungstisch leider nicht mehrheitsfähig.
Es klingt revolutionär, dass die Reformideen aus der Protestbewegung aktiver Fußballfans vorsahen, 75 Prozent der nationalen TV-Einnahmen gleichmäßig zu verteilen. Angesichts dieser Initiative waren Betonköpfe wie Rummenigge oder Watzke wohl kurz davor, die Gefahr eines Fußballsozialismus zu beschwören. Allerdings wäre solch eine Angstkommunikation so absurd gewesen wie die Panikmache der Trumpisten, die so taten, als wäre Joe Biden ein Wegbereiter für den Kommunismus. Denn bis Mitte der Nuller-Jahre wurden nicht nur 75 Prozent der Erlöse aus den Fernsehrechten gleichmäßig verteilt, sondern 100 Prozent.
So zynisch, wie rechtspopulistische Querdenker den Begriff der Freiheitsrechte verwenden, so zynisch sprechen die Altvorderen der DFL von Solidarität. Auch wenn aus dem TV-Topf der internationalen Wettbewerbe 35 Prozent anstelle der vorherigen 25 Prozent gleichverteilt werden – der Tabellenerste der Bundesliga kassiert immer noch 2,77-mal so viel wie das Schlusslicht. In konkreten Zahlen heißt das: Bayern München erhält für die aktuelle Saison 90 Millionen Euro, während Darmstadt 98 32,5 Millionen Euro zufließen. Die Spreizung wurde zwar etwas kleiner, weil der FC Bayern im letzten Vierjahreszyklus (von 17/18 bis 20/21) maximal 3,8-mal so viel TV-Kohle zusammengerafft hatte wie der Schlechteste der Liga. Verglichen mit der Premier League, klafft aber die Schere immer noch weit auseinander. Denn in England ist der Abstand zwischen ganz oben und ganz unten viel kleiner, bekam doch Manchester City in der Saison 21/22 nur 1,57-mal mehr TV-Geld als der Letzte Norwich.
Da die Premier League nicht für fußballsozialistische Umtriebe berüchtigt ist, tritt die Glaubwürdigkeitsmisere der DFL umso schärfer hervor. Trotz ihrer rhetorischen Pyroshow mit sprachlichen Nebeltöpfen wurde schnell klar: Die Interessenorganisation der 36 besten deutschen Profivereine und Fußballfirmen war im Dezember 2020 nicht wirklich willens, die starken Ungleichheitsmechanismen aufzuheben, die bei der Verteilung der TV-Gelder wirksam sind. Anstatt die pathologischen Grundstrukturen der Ausschüttung aufzubrechen, wurde nur an der Oberfläche herumgedoktert. Oder anders ausgedrückt: Mehr als Globuli wurden nicht verabreicht – weshalb sich die Nekrose der Bundesliga durch einen immer langweiligeren Wettbewerb zu verschlimmern droht. Harry Kanes Transfer zum FC Bayern München ist daher ein Krisenphänomen: ein Menetekel für das endgültige Ende eines spannenden Meisterschaftskampfes.