Attentat auf John F. Kennedy: Zum 60. Jahrestag eines ungeklärten Mordfalls
Es war ein Schock-Ereignis, dessen Erfahrung und Verarbeitung zu einem der prägendsten Eindrücke einer Jugend in den sechziger gehörte. Für die USA wuchs es sich zu einem Trauma aus, hierzulande wie in West-Europa wahrgenommen als ein unheimlicher Schatten, der das Vertrauen in die bis dato unantastbare Super- und Schutzmacht schleichend untergrub. Ein Fanal, aus dem der sich ausweitende Vietnamkrieg und der zweite tödliche Angriff auf einen Kennedy eine Bewegung entstehen ließ, die jeglichen Respekt vor dem vermeintlich guten »Uncle Sam« fallen ließ.
Zweifel am »Warren Report«
Während man in den 1960er und 70er-Jahren Zweifler an der offiziellen Version der Vorgänge, dem »Warren Report«, noch als Spinner oder Gesellschaftsfeinde abtun konnte, erlauben 60 Jahre danach sukzessive erfolgte Aktenfreigaben, Memoiren, Forschung und aufgedeckte Vertuschungskampagnen ein differenzierteres Bild über die das, was damals in Dallas tatsächlich passiert sein muss und wer daran ein Interesse gehegt haben könnte. Jedenfalls ist über die langen Jahre die These von Lee Harvey Oswald als Einzeltäter, zudem ohne schlüssiges Motiv, gehörig in Wackeln geraten.
Die ersten Zweifel an der von der Administration Johnson beauftragten Kommission zur Aufklärung des Attentats kamen nicht aus einer konspirativen Ecke staatlich kontrollierten Institutionen und schon gar nicht vom FBI. Auch aus dem investigativen Journalismus hatte damals noch keiner den Mut, wie ihn die Watergate-Boys gute zehn Jahre später bewiesen. Dabei gab es genügend Bürger*innen, die dem simplen Befund des »Warren Reports«, Lee Harvey Oswald habe aus eigenem Anrieb gehandelt und nicht mehr, keinen Glauben schenkten. Aber das blieb unter der Decke der schweigenden Mehrheit, die stoisch an den Werten des amerikanischen Traums festhielt. Dafür mussten die braven Bürger*innen mit ansehen, wie ihre Kinder umso zahlreicher auf die Straßen gingen oder auf politisch akzentuierte Festivals, wo jungen Musiker*innen den Protest in unüberhörbar neue Noten fassten.
»He Was a Friend of Mine«
Eine dieser aufmüpfigen Bands waren die Byrds, die eine umgeschriebene Version des alten Traditionals »He Was a Friend of Mine« auf ihr 1965 erschienenes Album »Turn! Turn! Turn!« aufnahmen. In ihrer Version wurde die Melodie des Liedes verändert und der Text zu einer Hymne auf John F. Kennedy. In der Folge war es nicht der umgeschriebene Text, der ihrer Botschaft einen subversiven Touch verlieh, sondern zum eigentlichen Bruch mit der damals verlangten Political Correctness kam es auf dem Monterey Pop Festival am 17. Juni 1967, wo Bandmitglied David Crosby behauptete, dass Kennedy nicht von Lee Harvey Oswald allein getötet worden war, sondern aus mehreren Richtungen geschossen wurde. Ab da waren die Byrds und insbesondere David Crosby auf dem Radar des FBI und angeschlossenen Polizeibehörden.
Mit seinen provokanten Äußerungen hatte Crosby in ein Wespennest gestochen.
Seitdem konzentrieren sich sämtliche Zweifel an der offiziellen Version der Täterschaft auf diese These: Der Mord war keine Einzeltat, sondern gemeinschaftlich geplant und durchgeführt, letztlich ein Komplott.
Nicht ganz so dezidiert, aber in ihrem Erfolg noch öffentlichkeitswirksamer kleideten die Rolling Stones ihre Vorbehalte gegenüber den amerikanischen Aufklärungsmethoden in nur vier kurze, prägnante Verse:
»I shouted out
Who killed the Kennedys?
When after all
It was you and me«
Das war 1968 und stand unter dem Eindruck des Mordes an Johns Bruder Robert Kennedy. Wieder beharrten FBI und CIA auf eine Einzeltäterversion, ohne wirklich an weitergehende Ermittlungen interessiert zu sein, von wem Sirhan Sirhan ferngesteuert gewesen sein könnte.
Die Stones komponierten mit »Sympathy for the Devil« einen ihrer erfolgreichsten Songs, der heute noch zum festen Repertoire ihrer Live-Auftritte gehört. Zeitweise gerieten auch sie ins Visier von CIA und FBI, blieben aber als Staatsangehörige Großbritanniens unbehelligter als ein David Crosby.
Tatort Dallas – Die Recherche des Oliver Stone
Aus Künstlerkreisen am hartnäckigsten nachforschend und nachfragend ist fraglos der amerikanische Regisseur Oliver Stone. Seine Verfilmung der Ermittlungen zu dem Attentat unter dem Titel »JFK – Tatort Dallas« (1991) löste in den Vereinigten Staaten heftige Diskussionen über den Umgang des Staates mit den Ereignissen von Dallas aus. Mit einem Teilerfolg. Denn schließlich erreichte er, dass der Kongress ein Gesetz verabschiedete, mit dem große Teile von geheim gehaltenen Dokumenten über die Kennedy-Ermordung bis 2017 öffentlich gemacht werden mussten, die eigentlich noch einige Jahrzehnte unter Verschluss hätten bleiben sollen.
Die für 2017 im JFK Records Act versprochene Freigabe aller Untersuchungsakten zum Jahrhundertmord blieb allerdings aus. Immerhin, dieses Jahr hat Präsident Joe Biden den einzelnen Behörden selbst die Aktenhoheit übertragen. Die CIA darf nun selbst darüber befinden, wann sie was freigibt …
Oliver Stone lässt jedenfalls nicht locker. Zusammen mit dem Autor James DiEugenio (»Destiny Betrayed« ,2012) produzierte er die Dokumentation »JFK Revisited« (2021), die heute zum Jahrestag auf 3sat zu sehen ist.
Murder Most Foul
Etwa zur gleichen Zeit, in der dieser Dokumentarfilm entstanden ist, hat sich noch jemand vehement an den Sündenfall von Dallas erinnert. Ein Zeitgenosse, der sicherlich wie viele seiner Generation von dem Ereignis ergriffen worden ist:
Bob Dylan, den viele als DEN Wortführer der Woodstock-Generation sahen.
In seinem bildgewaltigen Vers-Epos »Murder Most Foul« lässt er keinen Zweifel daran, wie er den von ihm als übelsten Mord der jüngeren US-Geschichte gebrandmarkten Fall sieht:
»Es war ein dunkler Tag in Dallas, November ’63
Ein Tag, der in Schande weiterleben wird
Präsident Kennedy war an der Spitze
Guter Tag zum Leben und ein guter Tag zum Sterben
Wurde wie ein Opferlamm zum Schlachten geführt
… Dann haben sie ihm den Kopf weggeblasen, als er noch im Auto war
Am helllichten Tag wie einen Hund abgeschossen
War eine Frage des Zeitpunkts und der Zeitpunkt war richtig
Du hast unbezahlte Schulden, wir sind gekommen, um sie einzutreiben
Wir werden dich mit Hass töten, ohne Respekt
Wir werden dich verspotten und schockieren und wir werden es dir ins Gesicht sagen
Wir haben bereits jemanden hier, der deinen Platz einnimmt
An dem Tag, als sie das Gehirn des Königs wegblasen
Tausende sahen zu, niemand sah etwas
Es geschah so schnell, so schnell, überraschend
Genau dort vor allen Augen
Größter Zaubertrick jemals unter der Sonne …«
Was sich hier in düstere Lyrik gepackt abspielt, widerspricht kategorisch der Single-Bullet-Theorie. Dylan lässt kein Oswald-Ich zu Wort kommen, sondern eine Bande von üblen Mördern. Aus dieser Sicht ist es ein Komplott, »Perfekt ausgeführt, geschickt gemacht«.
Deutlich lässt der Text auch durchscheinen, wie der staatliche Umgang mit der Tragödie zu bewerten sie.
»… was ist die Wahrheit und wohin ist sie gegangen?
Frage Oswald und Ruby, sie müssten es wissen
„Halt den Mund“, sagte eine weise alte Eule
Geschäft ist Geschäft, es ist der übelste Mord …«
Und wenn auf Abraham Zapruder eingegangen wird und dessen einzigartiges filmisches Dokument des Geschehens, dann so, dass man aus der Sicht des Betrachters eigentlich erkennen müsste, wie hier von zwei Seiten gemordet wird:
»… Zapruders Film, den ich am Abend zuvor gesehen habe
Ich habe es dreiunddreißigmal gesehen, vielleicht öfter
Es ist gemein und betrügerisch, es ist grausam und es ist gemein
Das Hässlichste, was du je gesehen hast
Sie haben ihn einmal getötet und sie haben ihn zweimal getötet
Töteten ihn wie ein Menschenopfer …«
Natürlich kann eine Dichtung nichts beweisen, aber auch 60 Jahre danach nagen erhebliche Zweifel an der Integrität des Rechtssystems der größten modernen Demokratie schlechthin. Und festzuhalten bleibt: »Es ist, was es ist, und es ist der übelste Mord«.