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Roncalli rockt zur Weihnachtszeit

Kultur, Akrobatik – und irgendein Typ, der Jingle Bells pfeift

Manege frei in Osnabrück! Roncallis Weihnachtszirkus hat am Donnerstagabend eine eindrucksvolle Premiere hingelegt. Zum achten Jahresjubiläum bietet die bewährte Gartlage den idealen Veranstaltungsort. Angekündigte Orkan-Böen können den Zeltdächern nichts anhaben. Überdies wird der Autor dieses Berichts später unfreiwillig zur Pfeife auf der Bühne. Was bei all dem berichtenswert gewesen ist, darf im Folgetext nachgelesen werden.


Vorgeschichte

Seit März dieses Jahres reist das Ensemble rund um Zirkus-Gründer und -Direktor Bernhard Paul (76) mit ihrer Jahrestournee durch die Lande. Im Gefolge tuckert der typische Tross aus langen Wohn- und Transportwagen. Zuletzt gastierte der Zirkus vor exakt einem Jahr in Osnabrück, worüber auch die OR ausgiebig berichtet hatte. Der Autor dieses Artikels hat sich schon damals vom Manegen-Muffel zum Zirkus-Fan geoutet. https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/heiko-schulze/roncalli-premiere-in-osnabrueck-verzahnung-von-kunst-und-manege/

Begonnen hat alles mit dem Aufbau im Handmade-Format. Denn das Equipment wird vor allem mit menschlicher Arbeitskraft montiert: von der Bühne bis zu den aufsteigenden Publikumssitzen, vom Licht bis zum Ton. Insgesamt haben 25 Mitarbeitende die Zeltstadt in die Höhe gebracht. Allein die Zeltplane für das Hauptzelt misst annähernd 1.100 Quadratmeter. Rund 10.000 Glühbirnen sorgen für perfekte Einblicke. 250 Bühnenstrahler garantieren die ganz besondere Ausleuchtung. 35 historische Zirkuswagen bilden bereits für sich ein kleines Museum. Alles ist wieder einmal dermaßen gelungen, dass es den Roncalli-Chef einmal mehr überzeugt hat. „Wir haben viel Liebe und Arbeit hier reingesteckt. Auch in Berlin und Bremen treten wir derzeit auf. Ebenso in New York. Da gibt es mir aber viel zu viel Plastik. Ich bin natürlich lieber hier bei Ihnen in Osnabrück“, erklärt Paul bei der Publikumsbegrüßung.


Programm

Sobald Besuchende Platz genommen haben, werden sie in eine klangvolle Zeitreise geschickt. Das Leitthema bildet die legendäre Ära zwischen Rock ’n‘ Roll und den fetzenden Klängen der Siebziger. Das logische Motto lautet deshalb „Rockin‘ Roncalli“. Geradezu grandios, wie es Max Buskohl gelingt, nicht nur als begrüßender Moderator aufzutreten, sondern zugleich als Sänger und Gitarrenvirtuose zu agieren, dessen Stimme mit gut zelebrierten Hits fast permanent bei jedem Auftritt zu hören ist. Buskohl entpuppt sich dabei als stimmliches Konditionswunder. Perfekt assistiert wird er durch die Rockin‘ Roncalli Band, allen voran mit dem Gitarristen Adrian Paul.

In der Manege beginnt schnell ein Feuerwerk aus Artistik, Schauspiel, Spaß. Illusion und echter Kunst. Tragende Säule zwischen den Einzel-Programmpunkten sind die Auftritte der Clowns, wobei insbesondere der nicht gerade hochgewachsene Alan Dereck als Canutito jr. die Lachmuskeln des Publikums strapaziert. Nicht minder wichtig ist sein „Chef“, der Weißclown Kike.

Das Duo Turkeev harmoniert im Programmverlauf mit perfekt eingespielter Luftakrobatik. Marcos Lopez unternimmt atemberaubende, seinem gewohnten Breakdance ähnliche Bewegungen auf einer emporragenden Stange. Elan Espana vollzieht Drehungen an stabgezogenen Cyr-Ringen, die das Auge schwindelig machen. Steacy Giribaldi macht balancierende Leiterakrobatik, die kaum ein Mensch bei angelehnter Leiter hinbekäme. Noemi Lee Espana beweist mit speziell zusammengestellten Hula-Hoop-Reifen, dass derartige Bewegungsformen alles andere als altbacken sind.

Alla und Kateryna vollziehen hoch unter dem Dach kunstvoll miteinander verschlungene Trapez-Kunst. Freddy Nock agiert mit seinem Partner ebenso in der Höhe des Zeltes. Nock zeigt am Seil und in einer Art schwingendem Doppel-Laufrad ungemein waghalsig anmutende Balance- und Sprungnummern, die zuweilen das Herz stocken lassen. Acro Barcelona nennt sich jene siebenköpfige Formation, die Muskelkraft, Athletik und Balance in Einklang bringt, um menschliche Türme zu errichten. Und immer wieder legt sich das Roncalli-Ballett ins Zeug, was stets vergessen macht, welch sensationelle Schnellarbeit mittendrin die Auf- und Umbauteams leisten. Bei den Tänzerinnen beobachtet das Publikum auch die grellbunten Kostüme und wird auch tänzerisch auf eine Reise in ferne Länder mitgenommen.


Persönlicher Zwischenfall. Oder: Wie ich in ein Pfeifkonzert geriet

Kennen Lesende den Alptraum eines auf Platz Nullachtfünfzehn sitzenden Zirkuskonsumenten, der plötzlich, völlig ohne Vorwarnung, zum ungewollten Hilfsakteur in der Manege wird? Exakt dies ist ausgerechnet mir passiert.

Im Vordegrund-Schatten: der erstaunte Eule Beermann vom VfL. Jetzt kann auch die beste Verteidigung nichts mehr retten. Foto: Mareike SchulzeIm Vordegrund-Schatten: der erstaunte Eule Beermann vom VfL. Jetzt kann auch die beste Verteidigung nichts mehr retten. Foto: Mareike Schulze

Nichtsahnend lächele ich, ebenso wie meine neben mir sitzende Tochter, die beiden Clowns an. Es ist die übliche Nummer, dass diese Zeitgenossen irgendwann ungefragt durch das Publikum klettern und dabei irgendetwas von sich geben. Zufällig sind dabei immer die Scheinwerfer im Spiel. Doch dann passiert es! Prompt wird mir auf die Schulter geklopft, ich zum Aufstehen bewegt und mit der unseligen Frage konfrontiert, ob ich ein Musikinstrument spielen könne. Der Scheinwerfer fragt irgendwie mit, ohne auszugehen.

Irgendein vernuscheltes Nein entgleitet meinen Lippen. Das interessiert aber kein Schwein. Ruckzuck drückt mir Clown Canutito jr. (oder war es sein weißgeschminkter Partner?) irgendeine schwarze Pfeife in die Hand. Ausschauen tut die wie eine im Kreisligaspiel entwendete Schiedsrichterpfeife.

Die Gedankenverbindung passt auch irgendwie, denn im Drumherum meines Sitzplatzes hocken auch die Alt-VfLer Tommy Reichenberger und Eule Beermann aus dem aktuellen Kader. Eule sitzt mit seinen Lieben sogar direkt vor mir. Egal. Durch die engen Publikumsreihen der zweiten Reihe in Richtung Manege wankend, bekomme ich postwendend die Order, dass ich jetzt mitpfeifen muss. Darf ich mich das hier wirklich trauen? Sprenge ich womöglich die ganze Zirkus-Harmonie durch einen schrillen Schiedsrichterpfiff – und werde danach vom Platz gestellt? Mit roter Karte vom Zirkusdirektor persönlich?

Egal jetzt! Wie in Hypnose pfeife ich trotzdem. Und wie von der Zirkusmuse geküsst, klappt es, dass ich plötzlich im Trio mit den anderen das nervenbetörende Weihnachtslied „Jingle Bells“ intoniere. Mit einem Instrument, dass sonst allenfalls rote Karten einleitet oder ein Foul kommentiert, pfeife ich immer lauter Jingle Bells. Kein Mensch protestiert und schreit „Schiedsrichter raus!“ Aus der Pfeife entweichen sogar unterschiedliche Töne. Irgendwann stehe ich mit den anderen im Rampenlicht der Manege.

In rasender Geschwindigkeit rast mir durch den Kopf, wie oft ich in meinem Leben als Pfeife abgemeiert worden bin. Jetzt bin ich eine. Aber immerhin eine, die Jingle Bells kann.

Bevor Zugabe-Rufe aus dem Publikum erklingen, endet auch schon mein gerade begonnenes Pfeifkonzert. Singen darf ich Jingle Bells jetzt nicht mehr. Vielleicht ist das auch besser so. Wie in Trance irre ich irgendeinem Ausgang entgegen und brauche wieder mal Clown Canutito jr., der mir die enge, jetzt dunkel werdende Route weist. Verwirrt wanke ich zu meinem Platz, den ich ziemlich spät ausmache. Mein Handy, das ich in der Verwirrung natürlich verloren hatte, hat ein lieber Zirkusmensch soeben zurück zu meinem Platz gebracht und meiner Tochter überreicht. Die kann sich aus unerklärlichen Gründen noch immer kaum vor Lachen halten. Als ich sitze, die Nachbarschaft grinst etwas eigentümlich, hat auf der Manege längst die nächste Szene begonnen. Ohne Jingle Bells. Eigentlich fehlt jetzt was.

Später werde ich mich mit dem Shit-Hit selbst still und lautlos in den Schlaf singen.

Finale in der Manege. Foto: ORFinale in der Manege. Foto: OR

Ansonsten

Was ist ansonsten zu berichten? Im Drumherum zählt auch das „Café des Artistes“. Es gehört wieder zum Roncalli-Zug. Sxhon seit den 80er-Jahren ist der Salonwagen Teil der Zirkus-Kolonne. Das Café öffnet an Vorstellungstagen zwei Stunden vor Showbeginn. Es lädt vor und nach den Aufführungen sowie in den Pausen zu einem Heiß- oder Kaltgetränk, zu Brezeln, gebrannten Mandeln oder Popcorn. Nimmt man den Tag der Galapremiere, den Heiligabend sowie den 4. Januar aus, erwarten Interessierte jeden Tag zwei Zirkusvorstellungen. Alle starten um 14 oder 15 Uhr sowie um 18 oder 19.30 Uhr. Allein zum Finaltag startet die erste Show bereits ab 11 Uhr.

Wer sich schon jetzt einen Platz in der Manege sichern möchte, hat ab sofort die Möglichkeit dazu. Tickets für die Vorstellungen gibt es online unter https://www.roncalli.de/tournee/tournee-2023. Insgesamt warten 18 Vorstellungen auf Besucherinnen und Besucher. Alles gibt es noch bis zum 7. Januar des neuen Jahres. The Show will go on!

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