Neujahrsgruß zum Abschlus der „Wache der Solidarität“ vor der Osnabrücker Synagoge
Mit einem Neujahrsgruß an die jüdische Gemeinde (die ihr Neujahr 5784 bereits im September feierte) ging am 1. Januar die von Reinhart Richter initiierte „Wache der Solidarität“ vor der Osnabrücker Synagoge zu Ende. Vom 7. bis zum 20. Dezember zeigten mehr als 500 OsnabrückerInnen ihre Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde. Zur Abschlusskundgebung versammelten sich am Morgen nach der Sylvesternacht noch einmal mehr als hundert Menschen vor der Synagoge, und sangen mit Kantor Baruch Chauskin Friedenslieder und den 150. Psalm, besser bekannt als „Halleluja“.
Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, politische Parteien, das Bistum und der Evangelisch-lutherische Kirchenkreis, Vereine wie die Felix-Nussbaum-Gesellschaft, der Rotaryclub und der VfL und Institutionen wie das Theater und der Fachbereich Kultur und auch die Osnabrücker Rundschau hatten sich unter dem auch auf einem Banner an der Synagoge zu sehenden Motto „Zusammenstehen – Gemeinsam gegen Antisemitismus“ an der Wache beteiligt. Beim Umbau zur Erweiterung der Synagoge 2010 war der neue Eingang bewusst vom Innenhof auf die Straßenseite verlegt worden, um das gewandelte Verhältnis der Jüdischen Gemeinde zur Öffentlichkeit demonstrieren, eine Einladung, der die an der „Wache der Solidarität“ beteiligten Menschen jetzt folgten, und die, wie betont wurde, auch weiterhin gelte.
Reinhart Richter, ehemaliger Leiter des Osnabrücker Kulturamts, hatte zu der Aktion aufgerufen, weil er darüber enttäuscht war, wie wenige Menschen sich an einer – allerdings recht kurzfristig angesetzten – Solidaritätsbekundung mit jüdischen Menschen nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober beteiligt hätten. Seine Wahrnehmung entsprach auch der der jüdischen Gemeinde. Man habe sich nach dem Anschlag und den damit verbundenen Drohungen gegen Juden und ihrer Einrichtungen sehr einsam gefühlt, stellte Gemeindevorsteher Michael Grünberg fest. Daher habe die Wache der Solidarität der Gemeinde in der derzeitigen Ausnahmesituatione sehr geholfen. Es sei ein gutes Gefühl, nicht allein zu sein. Deutsche Juden hätten nach 7. Oktober unter Schock gestanden. Grund sei nicht nicht nur der enstetzliche Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten gewesen, sondern der Aufruf, überall auf der Welt jüdische Menschen zu töten und jüdische Einrichtungen anzugreifen. Er habe nicht geglaubt, dass so etwas nach dem Holocaust noch einmal geschehen könne.
Michael Grünberg betonte, die Osnabrücker Jüdische Gemeinde fühle sich in der Stadtgesellschaft in Osnabrück gut aufgehoben. Oberbürgermeisterin Katharina Pötter habe sich gleich am ersten Tag an der „Wache der Solidarität“ beteiligt. Er persönlich habe auch keine Angst, sich in Osnabrück mit einer Kippa zu zeigen. Doch viele Gemeindemitglieder hätten Angst, denn sie wüssten nicht, ob sie ihren Nachbarn trauen könnten, weil die Menge schweige – genau wie damals. Dieses Schweigen sei es gewesen, was die Gräueltaten im Nationalsozialismus möglich gemacht habe. Darum sei die durch die Wache gezeigte große Solidarität so wichtig gewesen. Wenn jeder der Menschen, die sich daran beteiligt hätten, zur nächsten Veranstaltung weitere fünf Menschen aus ihrem oder seinem Bekanntenkreis mitbringen würde, bestände nach Ansicht des Gemeindevorstehers Hoffnung, die gefährliche Entwicklung noch aufzuhalten und dem Antisemitismus wirksam entgegenzutreten.
Reinhart Richter stellte fest, dass es bei der Mahnwache vor der Synagoge viele gute, auch spontane Begegnungen und Gespräche gegeben habe. Oft seien Menschen ohne Anmeldung dazu gekommen. Er bedankte sich für die Betreuung durch die Jüdische Gemeinde, die bei der „Wache“ bei Wind und Wetter für heiße Getränke gesorgt habe. Man habe aber auch Unterstützung aus der Nachbarschaft der Synagoge erfahren.
Ratsmitglied Rita Feldkamp, die Oberbürgermeisterin Katharina Pötter vertrat, stellte fest, das oft etwas „verkopfte“ Motto der „Friedensstadt“ habe sich bei dieser Aktion in der Praxis bewährt und die Stadt ein Beispiel dafür gesetzt, dass man dem Aufruf zu Hass und Gewalt nicht folgen dürfe, sondern im Dialog bleiben müsse. Mit dem großen Engagement bei der von Reinhart Richter initiierten Aktion habe Osnabrück ein positives Beispiel gesetzt. Auch in anderen Städten gebe es Menschen, die so dächten. Darum müsse das nächste Jahr kein Jahr weiterer Schrecken werden. Wie Grünberg betonte sie: „Wir haben es in der Hand.“ Passend zu diesem Motto reichten sich die Teilnehmer in Anlehnung an den Osnabrücker Handgiftentag zum Abschluss die Hände.
Reinhart Richter und die mehr als 500 TeilnehmerInnen der Solidaritätsaktion haben das getan, was Ratsmitglieder wie Volker Bajus und Lukas Ölmann von der Gruppe Grüne/Volt im Rat beim Beschluss der Resolution mit dem Motto „Jüdisches Leben in Osnabrück schützen, Antisemitsmus entschlossen entgegentreten, Solidarität mit Israel!“ am 7. November 2023 ausdrücklich gefordert hatten: Das sich jeder aktiv für Toleranz und die Achtung von Menschenwürde einsetzen müsse und es Zeit sei, zu handeln und nicht nur zu reden. Sie und weitere Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der SPD- und der CDU-Fraktion und der Linken waren beim Anzünden des Chanukkah-Leuchters auf dem Markt dabei, das den Auftakt der „Wache der Solidaität“ bildete. Am 30. Oktober hatten FDP, CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu einer Kundgebung „Gegen Terror und Antisemitismus“ und zur Solidarität mit Israel aufgerufen.
Die „Wache“ vor der Osnabrücker Synagoge hat gezeigt, dass es wichtig ist, Jüdisches Leben sichtbar zu machen – wie beim Anzünden des Chanukkaleuchters. Die Jüdische Gemeinde sucht in Gesprächen, vor allem in Schulen, seit Jahrzehnten den Dialog. Im Gespräch stellte Michael Grünberg im Anschluss an die Veranstaltung fest, das er sich besonders über die Teilnahme von Schulen, StudentInnen der Universität und der Kirchen gefreut habe. Es sei das Schweigen der Mehrheit gewesen, dass den Holocaust möglich gemacht habe. Darum sei das Buch des ILEX-Kreises zum Widerstand in der NS-Zeit in Osnabrück zur richtigen Zeit erschienen, und könne Beispiele für Zivilcourage aufzeigen.
Michael Grünberg betonte, dass Antisemitismus nicht nur eine Gefahr für jüdische Menschen sei, sondern für alle, denn Antistemitismus sei nie das Ende, sondern der Anfang gefährlicher Entwicklungen. Für eine Demokratie ist steigender Antisemitismus ein Warnzeichen. Für Juden ist er lebensgefährlich.