Kein bisschen leise
Bob Dylan überrascht und begeistert sein Publikum in Düsseldorf
Der 83 Jahre alte reisende Sänger und Nobelpreisträger gab ein fulminantes Konzert in der ausverkauften Mitsubishi-Electric-Halle. Er scherzte, tanzte (naja, tänzelte) und sprach sogar zur staunenden Menge. Unfassbar!
Das Licht geht aus, vier dunkle Gestalten schleichen wie zur Probe auf die ohnehin nicht überladend ausgeleuchtete Bühne. Vier? – Plötzlich erkennt man einen weiteren Schatten hinter dem Klavier.
Wie kommt der dahin? Während die Melodie sich langsam zu erkennen gibt, wendet der bekannte Wuschelkopf dem Publikum, das ihn in diesem funzligen Licht und hinter dem einnehmenden Klangkörper ohnehin nur erahnen kann, den Rücken zu und spielt – Gitarre auf dem Schoß. Nach fünf langen Minuten legt er sie beiseite, wendet sich nach vorn: »…said the Joker to the Thief«, ist der zweite Vers von »All Along The Watchtower«, den ersten hat er glatt weggenuschelt. Egal, wir haben den Song erkannt und wissen: Der da vorne ist wirklich Bob Dylan. Das Motto an diesem Abend ist für viele: Einmal noch die Legende hören und sehen. Auch deshalb ist die Halle ausverkauft, denn allzu oft – man kann es sich vorrechnen – wird der 83-Jährige nicht mehr in Deutschland auftreten, auch wenn es immer noch eine »Never Ending Tour« sein soll.
Handys aus!
Anders als beispielsweise ein Konzert von Ed Sheeran ist ein Auftritt von Bob Dylan kein Anlass für ein Social-Media-Ereignis, man kann keine Clips und Fotos teilen, Handys sind nicht erlaubt. Wer seins nicht schon im Auto oder zu Hause gelassen hat, muss es lautlos geschaltet in einem Fleece-Säckchen aufbewahren, das in seiner Pantoffelform an Schlappen erinnert, wie man sie in besseren Hotels gratis benutzen kann. Spätestens jetzt sollte einem klar werden, worauf man sich eingelassen hat. Es wird ein irgendwie aus der Zeit gefallenes, analoges Event. In der Halle dröhnt keine Musik aus dem Off, das Gemurmel der nachrückenden Gäste bleibt seltsam gedämpft, es gibt keine Video-Wände, die Bühne liegt dem suchenden Blicken fast schwarz vor Augen. Bis Punkt 20 Uhr, als die Scheinwerfer erglimmen, die einem Filmset aus den vierziger Jahren entliehen sein könnten – sechs an der Zahl. Unter diesen Bedingungen ein Foto zu schießen, wäre schon eine Herausforderung. Also lässt man´s und genießt einfach den Moment, der insgesamt zwei Stunden anhält. Er wird wohl für die meisten ein unvergesslicher bleiben.
Bar-Atmosphäre
Dylan startet für seine Verhältnisse geradezu perfekt, Bassist Tony Garnier gibt den Takt vor, den der auch schon 82-jährigen Schlagzeuger Jim Keltner (mit Sonnenbrille und strohgelbem Haar) stoisch locker hält. Obwohl er seit Sommer erst wieder neu dabei ist, weiß er mit Dylans Eigenarten umzugehen. Der rockig unterlegte Sound überrollt fast die ersten Reihen, als gleich beim zweiten Lied (»It ain´t me Babe«) die Mundharmonika sich einmischt. Überhaupt, die Dylan-Harp wird an diesem Abend so oft eingesetzt, wie seit zwei Dekaden nicht. »False Prophet« ist der erste Höhepunkt des Abends. Dylan trägt seine Verse ungeahnt prononciert und mit gesteigerter Mimik vor und so wie er sich mit beiden Ellenbogen auf dem Klavier stützt, betont lässig, wirkt er wie ein Barkeeper, der zu vorgerückter Stunde die letzten Thekenhänger mit Selbstgedichtetem bei Laune hält. Im aufbrausenden Applaus geht beinahe unter, dass er im Schlussakkord Bob Britt an der Gitarre vorstellt.
Tatsächlich – er spricht
Für weitere Nettigkeiten bleibt keine Zeit. Britt darf »When I Paint My Masterpiece« mit dem Riff des They Might Be Giants-Hits »Istanbul Not Constantinople« einleiten, daher dauert es bis zum Refrain, bis alle erkannt haben, was hier abgeht. Man spürt, dass da gerade etwas passiert, was zwar schwer zu beschreiben, aber gut anzufühlen ist.
Wie Dylan den Flügel nutzt, muss man gesehen haben: Mal sitzend, dann wieder stehend, haut er in die Tasten, stützt sich beim Singen mit dem Ellbogen ab, klimpert weiter und rühmt sich mit Versen wie: »Ich trage vier Pistolen und zwei große Messer, ich bin ein Mann der Widersprüche, ich bin ein Mann mit vielen Launen … I contain multitudes«. Wie wahr!
Denn mit den »Black Rider« schickt er die 5000 in der Halle gleich wieder durch ein Wechselbad, eine dunkle Ballade über die eigene Endlichkeit. Voller Wehmut, schwer und dramatisch. Bei »My own Version of you« fühlt man sich erinnert an Frankenstein und andere abgründige Charaktere. Der Meister an den Tasten scheint das zu genießen – und spricht seine Gäste tatsächlich direkt an: »Thank you«, kommt es zuerst genuschelt, aber dann doch vernehmlicher: »I make serious songs for serious people«, und lacht dabei. War das jetzt ernst gemeint?
Mitreißender Groove
Spätestens von diesem Moment an fließt alles – die Gitarristen Britt und Doug Lancio funktionieren wie ein perfekt geschmiertes Räderwerk, Dylan nimmt die Riffs auf und treibt sie wie aufgeputscht durch »To Be Alone With You«. Auf den Plätzen längst ein Wippen, das zum Tanzen animiert, und plötzlich hüpfen ein paar Girls im Gang, andere haken sich ein. Diese groovige Stimmung wird sich durch den weiteren Abend fortsetzen. Dylan ist nicht mehr zu bremsen. Doug Lancio wird vorgestellt und beim nächsten Stück Tony Garnier (Bass).
Jim Keltner treibt »Desolation Row« mit seinem getrommelten Stakkato fast zu einer tanzbaren Nummer (Zur Belohnung wird auch er am Ende extra erwähnt.). Dazu eine vor Tempo vibrierende Mundharmonika und Dylans Akkord-Kaskade, die er aus dem Flügel drischt. Ein Parforceritt, der durch den Saal zu fegen scheint. Es hält kaum jemanden auf den Sitzen. Den Innenraum hätte man gar nicht bestuhlen müssen. »It´s all over now, Baby Blue«, »Watching the River flow« oder »Goodbye Jimmy Reed« auf Stühlen abzusitzen – was soll das? Keiner denkt mehr an sein Smartphone im Yondr-Sack. So gut klang eine Dylan-Band lange nicht. Und alle, die da auf der Bühne brillieren, halten die Intensität, bis zur letzten Note.
Schade nur, dass die Saalordner sich so humorlos geben, dass sämtliche Tanzeinlagen durchkreuzt werden. Man kann es auch übertreiben mit der Sicherheit.
Zugabe ist abgeschafft
Zum Ende hin bedankt der Sänger sich bei der Mutter der Musen und zeugt mit seinem Glaubensbekenntnis »Every Grain Of Sand« der göttlichen Schöpfung Respekt. Wie er das macht, ist einfach nur berührend.
Alle scheinen beseelt von der zweistündigen von Musik begleiteten Lesung in der vorübergehend analog gepolten Welt.
Als es vorbei ist, sich Dylan und die Band nur für etwa dreißig Sekunden im Scheinwerferlicht feiern lassen, hoffen tatsächlich welche auf eine Zugabe – dabei müsste jeder, der einigermaßen informiert ist, wissen, dass Dylan für sowas nicht mehr zu haben ist. Wozu auch? Hat sich nicht alles gefügt?
Draußen nölt ein Dylan-Double, das es unter Tour-Erfahrenen zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat, wie das Original es in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts zuletzt getan hat. Wohl in Ermangelung authentischer Motive nutzen viele seine Zugaben für einen Schnappschuss mit dem nun wieder frei verfügbaren Handy. Immerhin etwas.
Kommt Dylan noch einmal wieder?
Eine Frage bleibt: War es sein letztes Konzert in Deutschland? Wer weiß?
Als 2021 die »Rough And Rowdy Ways Tour« angekündigt wurde, war auch gleich deren Ende bekannt. 2024 sollte Schluss sein. Am 14. November wird sie in London zu Ende gehen.
Dass damit auch die sogenannte Never-Ending-Tour, die nie endende Konzerttour, die 1988 begonnen hat, enden soll, ist nicht offiziell bestätigt, wie bei Dylan nie etwas eindeutig verifiziert wird. Es ist also ein Gerücht, das sich für Kritiker, die das Gras wachsen hören, allerdings verfestigt hat.
Spätestens im nächsten Frühling, wenn es eigentlich wie jedes Jahr weitergehen soll für den fahrenden Sänger, werden wir Gewissheit haben.