Intervention zum Gedenken an die Toten des Kriegs in der Ukraine
Osnabrück, Stadtraum, wechselnde Orte 19. November 2024 bis 24. Dezember 2024
Ein zerschossenes Auto am Straßenrand auf einem Parkplatz in einer deutschen Stadt. Ukrainisches Kennzeichen, platte Reifen, kaputte Fenster, zerfetztes Blech. Es steht wie übergeblieben, vergessen wegzuräumen.
1000 Tage Krieg in der Ukraine, Krieg in Europa. Tod – Angst – Zerstörung.
Es scheint weit weg zu sein. In diesem Auto geometrische Körper aus Spiegeln, in dem Vorbeigehende sich sehen. Unerträglich, man würde selbst in diesem Auto sitzen.
Irpin ist ein vom Krieg gezeichneter Ort. Als im Februar 2022 russische Truppen die ukrainische Grenze Richtung Kiew überquerten, stießen sie auch auf Irpin vor. Zehntausende Zivilisten wurden über die kleine Stadt in den Süden evakuiert.
Die russischen Truppen feuerten auch auf die Autos der Fliehenden. Viele dieser Fahrzeuge blieben als Wracks zurück. Die Aufräumarbeiten in Irpin begannen zwar schon wenige Wochen später, nach dem Rückzug der Russen, aber einige der Fahrzeuge existieren bis heute.
Eines von ihnen, zerstört durch Schrapnells, hat der Osnabrücker Künstler Volker-Johannes Trieb zu einem temporären Mahnmal gegen den Krieg in der Ukraine umgestaltet. Im Fahrzeug sind Spiegelscherben installiert, sodass sich Betrachtende in es hineinversetzen können, als vom Krieg Betroffene.
Trieb kooperiert dazu mit dem Verein „Meckenheim hilft“, profiliert nicht zuletzt durch sein Engagement in der Ukraine, in Dutzenden Transporten mit Hunderten Tonnen Hilfsgütern, eigener Logistikstützpunkt und Depot inklusive. Stefan Pohl, Mitbegründer von „Meckenheim hilft“, hat, im Zuge der Leer-Rückfahrt eines Hilfstransports, einen zivilen ukrainischen Personenkraftwagen aus Irpin mit nach Deutschland gebracht. Menschen sind in ihm gestorben, Anfang 2022, als er unter russisches Feuer geriet.
Das Fahrzeug wird am 19. November 2024, an Tag 1000 des Kriegs in der Ukraine, in den Osnabrücker Stadtraum gestellt, auf einen öffentlichen Parkplatz. Alle paar Tage wechselt es seinen Standort. Jeder Standort ist innenstadt- und publikumsnah. Es ist nicht Triebs erste Arbeit dieser Art. Mitte März 2022 hat er in Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine am Sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni die Aktion „Post gegen den Tod“ durchgeführt. Dazu wurden 80.000 Fotokarten verteilt und versandt, voradressiert an den russischen Botschafter in Berlin.
Auch mit „Meckenheim hilft“ hat Trieb schon zusammengearbeitet, Der Verein hat für seine pazifistische Aktion „Light of Peace“ (Februar 2023) eine in Butscha, Ukraine, entzündete Kerze nach Deutschland gebracht, für die Ausstellung „Zukunftsort Ukraine. Aljoscha & Volker-Johannes Trieb“ (September 2023), die Ausstiegsluke eines russischen Panzerfahrzeugs, die Trieb in eine Skulptur integriert hat.
Jetzt ist es ein Fahrzeug von der Universitetskaya-Straße in Irpin; dort befindet sich der größte Friedhof der Stadt für zerschossene Autos. Vieles Zerstörte in Irpin ist wiederaufgebaut worden seit Anfang 2022. Aber Relikte wie dieses mahnen in stummer Anklage bis heute.
Das Fahrzeug war schon einmal Teil einer Kunstaktion von Volker-Johannes Trieb: Am 23. Februar 2024 stand es, unter dem Titel „Ein Ort des Krieges“, als Intervention zum Gedenken an die Toten des Kriegs in der Ukraine in Berlin, am Sowjetischen Ehrenmal an der Straße des 17. Juni.
„Wir haben uns an die Nachrichten aus dem Krieg gewöhnt; der Krieg ist für uns Alltag geworden“, betont Trieb. „Aber: An Nachrichten wie diese dürfen wir uns nicht gewöhnen!“ Krieg darf kein Alltag sein.