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Samstag, 22. Februar 2025
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Ewerts Märchenstunde, Sippenhaft, die Brüder Grimm und Clasenkampf in Reinkultur

Wie der NOZ-Chefredakteur selbst Kinder-Fantasy zur politischen Abrechnung nutzt

Wenn man schon, wie NOZ-Chef Burkhard Ewert, mit Pauken und Trompeten in den Wahlkampf zieht, um die verhassten Rot-Grünen ins Bundestagsnirwana zu schießen, kann man sich selbst noch toppen. Nun müssen sogar Ehepartner*innen dafür herhalten, um das Bashing der Gegner auf den Siedepunkt zu hieven.

Nichts anderes ist der Versuch des NOZ-Kämpfers, überschrieben mit dem Titel „Andrea Paluchs Horrorbuch. Wie Habecks Frau in ‚Die besten Weltuntergänge‘ apokalyptische Zukunftsszenarien für Kinder malt“. Es folgt ein ausführlicher Versuch, der schreibenden Ehefrau des grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck eine Gefährdung des Kindswohls anzudichten.


Angezweifelte Doktor*innen

Süffisant beginnt die Abrechnung mit einem dezent klingenden Hinweis auf die angezweifelte Doktorarbeit des Gatten Robert Habeck. Ein Plagiatsjäger habe nachgewiesen, dass Habeck fälschlicherweise vorgegeben habe, „sämtliche Literatur selbst in den Händen gehabt und gelesen zu haben, auf die er sich von Kant bis Novalis bezieht.“

Offenbar informiert sich Ewert gerne im ultrarechten Portal Nius, denn die Berliner Morgenpost berichtet über den selbsternannten „Plagiatsjäger“ Weber: „Weber wirft Habeck vor, in seiner Doktorarbeit getäuscht zu haben. Die Anschuldigungen wurden am Montag auf dem rechtspopulistischen Portal Nius veröffentlicht. Habeck selbst veröffentlichte bereits vorab ein Statement und entkräftete die Vorwürfe. Der Grünen-Chef hatte seine Arbeit im Vorfeld von der Universität Hamburg unabhängig prüfen lassen. Die kommt zu dem Schluss: Habeck hat nicht plagiiert.“

Der zitierte Plagiatsjäger muss dann auch für die Überleitung herhalten, in der es – man mag es kaum glauben – keineswegs um Habeck, sondern um dessen Ehefrau Andrea Paluch geht. Süffisant wird anfangs ebenso deren Doktortitel hinterfragt. Ewert wäre nicht Ewert, wenn er nicht mit „Ich will das an dieser Stelle nicht weiter bewerten“ den Anschein erwecken würde, er wolle kein Urteil fällen – um dann aber umso brachialer mit dem Charme eines dies zu ergänzen: „Ein bisschen war das halt damals so bei Geisteswissenschaftlern, als der Arbeitsmarkt eng war und sie Promotionen noch in großer Zahl verfassten; manche nur deshalb, weil sich keine zufriedenstellende Stelle fand und einem der Doktortitel auf dem Arbeitsmarkt einen geringfügigen Vorteil versprach.“ So streichelt man mit der linken Hand ein Bäckchen, um mit rechts per Baseballschläger auf den Kopf einzudreschen.


Unschuldige Kinder und apokalyptische Vorlesestunden

Endlich kommt Ewert nach diesen Pflichtausflügen zum Kern dessen, was ihn aktuell umgetrieben hat. Und das ist – man lese richtig! – ein Kinderbuch (!) von Habecks Gattin. Im „Stil eines „Wimmelbuchs“ habe sie sich dabei mit „allerlei Umweltthemen befasst“. Zum Nachlesen: „Die besten Weltuntergänge“ hieß das 2021 im Klett Verlag erschienene Buch. „Was wird aus uns? Zwölf aufregende Zukunftsbilder“ werden die Untertitel des Werks zitiert. Originalton Ewert: „Paluch lässt apokalyptischen Vorstellungen freien Lauf, verpackt sie in Kindersprache und ließ zu ihren Horrorszenarien von der Illustratorin Annabelle von Sperber gleich noch bunte Bilder malen.“ Es folgen angerissene Geschichten der drohenden Zukunft einer unbewohnbaren Erde, in der Tiere verboten sind und auch die Kleinsten durch GPS kontrolliert werden.

Ein weiteres schlimmes Kapitel laute „Die Virus-Pandemie“ – ausgestattet sei es mit aufgelisteten Folgen wie  Abstandhalten, Maskentragen, Schul- und Fabrikschließungen.  In einem weiteren Paluch-Text werde über schlechte Luft mit Sauerstoffhelmen und „alienartige neue Wesen“ berichtet, die sich aufgrund schlechter Umwelt entwickeln. Schweigen wir doch einmal großzügig dazu, ob wir so etwas, spätestens seit Corona, schon ganz gut kennen, oder?

Zugeben muss der NOZ-Chefkommentator danach, dass die Autorin dem kindlichen Lesepublikum auch eine alternative, lebenswerte Alternative aufzeigt. In dieser Zukunftsvision lässt sich offenbar mit gesunder Umwelt besser lesen. Die Frage des Verlags nach einer Alternative zitiert Ewert sogar dankenswerterweise: „Könnte es vielleicht auch schön werden, zum Beispiel ohne Kriege und Grenzen?“ Die Zitation erfolgt merkwürdigerweise vor allem deshalb, weil Ewert der Autorin unterstellt, unter anderem für eine Welt ohne Autos zu werben. Wie schrecklich! Auch diese „Analyse“ führt dann am Ende zu Ewerts brachialer Schlussfolgerung:

„Aber kleine Kinder im mittelalterlichen Schauermärchenstil derart zu indoktrinieren und ihnen auf manipulative Weise tiefe Ängste einzupflanzen, finde ich perfide und weit problematischer als ein paar abgeschriebene Passagen oder einige hochstaplerische Zitate. Mir kommt sowas im Rest der Republik jedenfalls nicht ins Haus.“

Damit lässt Tugendwächter Ewert die Katze aus dem Sack. Verbannen wir also derartig schändliche Machwerke aus Schulen, Kitas und Kinderbibliotheken! Wo kommen wir denn hin, wenn Kinder mit der Vision einer gesunden, gar auto- und abgasfreien Umwelt konfrontiert werden, oder?


Hatte Ewert eine märchenfreie Kindheit?

Kann man dem wackeren Streiter für das Kindeswohl vielleicht zugutehalten, dass er selbst eine märchenfreie Kindheit verlebte? Dann hätte er, um mit Markus Lanz zu sprechen, „einen Punkt gemacht“. Falls Ewerts Kindheit aber doch, wie wohl überall, nur so von Rotkäppchen, sieben Geißlein, bösen Feen, Hexen und hungrigen Wölfen wimmelte, stellt sich die ernstgemeinte Frage nach einer chronischen Kindheits-Amnesie.

Keine Rede ist bei Ewerts versuchter Bücherverbrennung nämlich davon, dass Kinder seit Jahrhunderten weit üblere Horrorgeschichten ertragen müssen, die allesamt erlaubt sind und liebend gern in Form ständiger Neuauflagen als Einschlafgeschichten dienen: Grimms Märchen zum Beispiel. Es sind Märchen von Kindern, die von bösen Wölfen gefressen werden, über Hexen, die ebenfalls gern Kinder verspeisen. Oder Horrorgeschichten über fiese Stiefmütter, die kleine Kinder schutzlos dem finsteren Wald ausliefern, um dort zu verhungern. Denken wir an die arme „Pechmarie“, die lebenslang mit festklebendem Pech gebrandmarkt wurde, weil sie bei Frau Holle niedere Arbeit wie das Bettenschütteln verweigerte. Eine Idee für arbeitsscheue Bürgergeld-Empfänger? Ganz zu schweigen vom Struwwelpeter, in dem simples Daumenlutschen mit amputierten Fingern („Dann kommt der Schneider mit der Scher“) bestraft wird. Oder von den Lernbeispielen des beliebten Wilhelm Busch, in dem Max und Moritz am Ende mit dem Tode durch Zermalmen in einer Mühle sanktioniert werden, weil sie zuvor den Lehrer Lempel verärgert und Witwe Bolte Hühner geklaut haben.

Keine Angst: Im Gegensatz zu Burkhart Ewert verlangt die KOZPOST nicht, dass fortan die Gebrüder Grimm, der Struwwelpeter oder Wilhelm Busch auf den Index verbotener Literatur geraten. Selbst den feurigen Wahlkämpfer Burkhart Ewert verdammen wir nicht in den finsteren Zauberwald. Dann würde uns etwas fehlen.


Neues vom Clasenkampf

Nach den schrecklichen Ereignissen um das jüngste Attentat auf Menschen in einer Münchener Ver.di-Demonstration war es zu befürchten: Ehe zentrale Fakten auf dem Redaktionstisch lagen witterte NOZ-Haudraufredakteur und Mann fürs Grobe Michael Clasen die ideale Gelegenheit, einmal mehr auf Rote und Grüne einzuprügeln und Friedrich Merz zu huldigen.

Nachzulesen ist alles in Print- wie Online-Ausgabe der NOZ vom 14. Februar. Da es Menschen wie Michael Clasen wichtig ist, sein feuriges antilinkes Feuerwerk mit wachrüttelnden Emotionen zu starten, nutzt er dazu eine Einleitung gemäß Holzhammermethode à la Sergei Eisenstein: „In der Schneise der Verwüstung liegt ein Kinderwagen. Ein verstörender Anblick.“

Wie Clasens angehimmelter Opa Merz geriert sich hier der NOZ-Chefkommentator als jemand, der auf diese billige Weise schnell die Herzen von Eltern, Großeltern wie anderen erobern will. Indirekt stehen Clasen-Kritiker, die Kinder natürlich ebenso lieben, automatisch in Generalverdacht, tragische Kinderschicksale als weniger wichtig zu erachten. Alles erinnert irgendwie an den Altspruch des früheren CDU-Ministerpräsidenten Rüttgers, der die dämliche Weisheit „Kinder statt Inder“ in die Welt setzte.

Ist der Zoom auf die Clasen-Weltsicht auf diese Weise angeschaltet, wird es umso leichter, Popanze aufzubauen. Kostprobe: Nach Clasen ist „erneut … ein abgelehnter Asylbewerber dringend tatverdächtig. Grausame Vorfälle gab es in den vergangenen zehn Jahren zuhauf. Wann kommen alle demokratischen Parteien zur Besinnung? So kann es nicht weitergehen. So darf es nicht weitergehen. Jetzt muss gehandelt werden.“

A watt … Moment!

Warum sollte ein Journalist wie Clasen zuvor auch mühsam recherchieren, dass der Attentäter von München eine offizielle Duldung besaß, nirgends als Gefährder aufgefallen ist und sogar als angesehener Kaufhaus-Detektiv gearbeitet hat. Diese Fakten wären bei sachlicher Betrachtung allein deshalb nicht unwichtig, weil die Merz-Idee, abzuschiebende Geflüchtete allesamt einzuknasten, in diesem Falle gar nicht geklappt hätte. Aber egal. Wer dermaßen viel Schaum vor dem Mund als Schreibtinte verwendet, kann sich halt nicht mit schreiberischen Feinheiten abgeben.

Was kann in Clasens Welt noch gut klingen? Klar: ein schnelles Nachtreten gegen die Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die es sich ja erdreistet hatte, den Merz-Brückenschlag zur AfD zu kritisieren. Bei Clasen erfolgt die Entlarvung Merkels im Ruckzuckverfahren:

„Deutschland muss die Kontrolle über seine Grenzen erlangen und den ungesteuerten Zustrom beenden. Die Union hat das verstanden. Friedrich Merz hat sich dafür viel Kritik eingehandelt, auch von Altkanzlerin Angela Merkel. Die CDU-Ikone wird wohl niemals einsehen, wie fatal sie sich getäuscht hat. Bitter, dass Merkel Warnungen vor den Folgen einer unkontrollierten Einwanderung ignoriert hat.“

Aha. Abgesehen davon, dass auch Clasen wie die gesamte politische Rechte mit dem Wort „Zustrom“ eine eigenartige menschliche Parallele zu Sturmfluten und Tsunamis herstellt: Der NOZ-„Chef vom Dienst“ meint also allen Ernstes, Deutschland könne ruckzuck seine Grenzen dichtmachen. Eine kleine Recherche zum Schengen-Abkommen, das europaweit freie Grenzen garantiert, hätte nicht geschadet. Aber mit Sicherheit hätte Clasens Holzhammer einige Würmer, Späne und Risse bekommen.

Und die „CDU-Ikone“ Merkel? Klar hat sie sich nach Clasen mächtig geirrt, als sie damals angesichts verzweifelter Menschen mit zahllosen Kindern, die nach Autobahn-Märschen um Grenzöffnung baten, „Wir schaffen das!“ gesagt hat. Hätte sie damals in der Clasen-Logik „Wir schaffen das nicht!“ sagen und die Menschen zurückschicken sollen?

BILD-Nachahmer Clasen weiß natürlich genau, dass man möglichen Zweiflern am besten mit einem selbst gemalten Weltbild antwortet, um die eigene Sicht „alternativlos“ zu machen. Kostprobe:

„Das Ergebnis ist ein Land in Aufruhr, zerstritten, gespalten und am Limit. Deutschland wirkt wie gefangen in einem Dauerkrisenmodus. Da darf sich niemand über den Höhenflug der AfD wundern.“

Zumal dieses Zerrbild eines Landes in Angst und Dauerchaos erst einmal am Clasen-Firmament steht, darf womöglich gern geschlussfolgert werden, dass die postfaschistische AfD auf der Retterseite steht – oder?

Die konstruierte Logik dieser Sicht lässt sich trefflich festigen, wenn man der linken Seite des demokratischen Spektrums Empfehlungen gibt, deren Befolgung nicht einmal Clasen selbst erwarten dürfte. Aber egal. Originalton:

„Hier müssen jetzt auch SPD und Grüne staatspolitische Verantwortung zeigen. (…) Statt gemeinsam mit Linksaußen auf die Straße zu gehen, sollten die Spitzen von SPD und Grüne einen Beitrag dazu leisten, die Gemüter zu beruhigen.“

Die breiten Bündnisse, die sich derzeit, auch in Osnabrück gegen rechts bilden, sind also (auch) von „linksaußen“ geprägt. Wie wäre es einmal mit einer Recherche, um herauszufinden, das aktuell aktive Kirchenmitglieder ebenso auf die Straße gehen wie Studi- und Schülervertretungen, Aktive aus Wohlfahrtsverbänden ebenso wie Mitglieder aus Sport-, Bürger- und Kleingartenvereinen? Aber zeigen wir Verständnis: Wer dermaßen rechts steht wie Michael Clasen, für den besteht die Außenwelt tatsächlich wohl vor allem aus Linken. Kann der NOZ-Streiter für den rechten Weg bei dieser Sicht der Wirklichkeit eigentlich noch ruhig schlafen? Wir hoffen, nicht.

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