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Samstag, 19. April 2025
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OR-Serie: „Brückenschläge“ vom Heute zur Befreiung Osnabrücks 1945. Teil 3: Kriegsgefangenenlager OFLAG VI C

Das ehemalige Kriegsgefangenenlager OFLAG VI C in Eversburg
Ein verkannter Geschichtsort von herausragender Bedeutung und Aktualität

Auf dem Gelände des Neubaugebiets im Landwehrviertel in Osnabrück-Atter steht ein verfallen aussehendendes Gebäude, dem man ansieht, dass es aus einer ganz anderen Zeit stammt. Welche Zeit das ist, und welche tragische, aber auch äußerst interessante Geschichte das Lager hat, dessen klägliches Überbleibsel diese Baracke mit der Nummer 35 ist, wissen wahrscheinlich nicht einmal die neuen Nachbarn dieses grauen Anachronismus in dem modernen Baugebiet.

Dass es dieses einsame Relikt eines einst riesigen Kriegsgefangenenlagers für Offiziere, kurz OFLAG, VI C mit der Größe von 55 Fußballfeldern noch gibt, ist dem Engagement einiger Privatpersonen zu verdanken, für die es eine Erinnerung an ihre Geschichte darstellt, die Geschichte der serbischen Gemeinschaft in Osnabrück. Ohne das Lager gäbe es die heutige serbische Community in Osnabrück nicht, und auch nicht die serbisch-orthodoxe Kirchengemeinde, der etwa 800 Familien angehören und die sich bis nach Lingen, Rheine und Münster erstreckt. Die dem Heiligen Georg geweihte Kirche an der Wersener Straße ist auch eine Gedächtniskirche für die Umgekommenen des ehemaligen Lagers.

Es war vor allem der Anfang des Jahres verstorbene Petar Miloradović der, zuletzt als Vorsitzender des Vereins Baracke 35 Atter-Osnabrück e.V., jahrelang Tag für Tag unermüdlich für die Überlieferung dieses Teils der Osnabrücker Geschichte gearbeitet hat. Sein Vater hat selber in dem Lager gelebt. Aber nicht nur Menschen mit Wurzeln in Jugoslawien engagieren sich für die Baracke. Ihre Geschichte betrifft alle Osnabrücker – als Erinnerung an den Krieg, der von Deutschland ausging. Eine Erinnerung, die gerade wieder hochaktuell ist.

Auf der Eversheide im Stadtteil Atter wurde 1935 auf einem 38 Hektar großen Gelände ein Lager der Wehrmacht als Teil der Infanterie-Ausbildungskaserne Osnabrück-Eversheide errichtet. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden hier ab 1940 französische Kriegsgefangene untergebracht. Nach dem Balkanfeldzug wurde es ab April 1941 als Kriegsgefangenenlager für zunächst 3.247 Offiziere aus Jugoslawien genutzt. Bis 1943 wurde das Lager um weitere 22 Baracken vergrößert, die Zahl der Gefangenen stieg auf 5.000 bis 6.000 an.

OLFAG VI C

Das Lager war ein „Jugoslawien im Kleinen“ mit den verschiedenen Ethnien und politischen Überzeugungen und den daraus resultierenden Konflikten des zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existierenden Landes. Hier spiegelten sich auch die politischen Ereignisse der Kriegsjahre, vom Holocaust bis zu einem Bombenangriff auf das Lager mit über hundert Toten, wie in einem „europäischen Mikrokosmos“ wider.

Bisher hat man in Osnabrück, in dem man sich intensiv mit dem Maler Felix Nussbaum, dem Schriftsteller Erich Maria Remarque und dem Rechtsanwalt Hans Georg Calmeyer beschäftigt, nicht erkannt, welche herausragende Geschichte dieses ehemalige Kriegsgefangenenlager hat. Während Nussbaum, Remarque und Calmeyer zwar Osnabrücker, aber während der NS-Zeit überhaupt nicht in Osnabrück waren, befanden sich in dem Lager drei Jahre lang prominente Maler, Musiker und Schriftsteller hinter Stacheldraht, von denen sich etliche in einer äußerst aktiven Widerstandsbewegung organisierten. Und die letzte Synagoge im nationalsozialistischen Deutschland.

Am 6. April 1941 griffen Wehrmachtverbände ohne vorherige Kriegserklärung mit einem für die Zivilbevölkerung verheerenden Luftangriff auf Belgrad das Königreich Jugoslawien an. Jugoslawien wurde zerschlagen, König Peter II. und seine Regierung verließen das Land. Die jugoslawischen Kriegsgefangenen wurden je nach ethnischer Zugehörigkeit unterschiedlich behandelt. Die slowenischen, bosniakischen, kroatischen, ungarischen, deutschen (donauschwäbischen) und mazedonischen Soldaten – die Hälfte der jugoslawischen Armee – wurden freigelassen, denn das Deutsche Reich erkannte den neuen unabhängigen Staat Kroatien diplomatisch an. Serbien dagegen erhielt eine eigene,  von den Deutschen abhängige Landesregierung und wurde unter die Militärverwaltung des nationalsozialistischen Deutschland gestellt.

Als am 17. April 1941 die bedingungslose Kapitulation der jugoslawischen Streitkräfte unterschrieben wurde, gingen 6.298 Offiziere sowie 337.864 Unteroffiziere und Mannschaften serbischer und montenegrinischer Abstammung in deutsche Kriegsgefangenschaft. 10.000 Offiziere, wurden im Offiziersgefangenenlager (OFLAG) XIII B in Nürnberg-Langwasser auf dem SA-Zeltplatz des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes vorübergehend untergebracht. 1942 unterzeichneten dort gefangene jugoslawische Generäle und Offiziere in der Hoffnung auf Entlassung aus der Gefangenschaft eine Loyalitätserklärung gegenüber dem serbischen Ministerpräsident Milan Nedić, der mit der deutschen Besatzungsmacht kollaborierte und sie beim Kampf gegen die jugoslawischen Partisanen unter Tito und bei der Durchführung des Holocaust unterstützte.

Diese Erklärung führte innerhalb der Lagergesellschaft in Nürnberg zu Konflikten zwischen den Unterzeichnern der Erklärung und den Offizieren, die mit den Tito-Partisanen oder den königstreuen serbisch-nationalen Gefangenen sympathisierten. Antifaschistisch eingestellte Offiziere, die sich weigerten, diese „Nürnberger Erklärung“ zu unterzeichnen, wurden daraufhin im Lager von den Nedić-Anhängern separiert und am 14. Mai 1942 in das OFLAG VI C in Osnabrück verlegt.

Unter den Gefangenen war ein Rabbiner, der die jüdischen Offiziere als Militärgeistlicher betreute, Hermann Helfgott, der sich in Israel später Zvi Asaria nannte. Unmittelbar vor der Verlegung von Nürnberg nach Osnabrück erhielt er eine in einem Kuchen versteckte Nachricht aus der Heimat die besagte, dass alle jüdischen Frauen in ein Konzentrationslager deportiert und alle Männer hingerichtet worden seien. Darum befürchteten die jüdischen Offiziere das Schlimmste, als es gleich bei der Ankunft in Osnabrück hieß: „Juden separat!“


Kein Wunder, sondern Widerstand

Thomas Porena von der Humboldt Universität beschäftigt sich mit der Kriegsgefangenschaft und der Repatriierung am Ende des Krieges. Er hat erforscht, welche Umstände dazu geführt haben, dass die Genfer Konvention, die die Behandlung von Gefangenen regelt, in diesem Kriegsgefangenenlager galt, während sie in anderen ignoriert wurde. Laut dem Berliner Historiker verfasste eine Gruppe um Oto Bihalji-Merin ein Gegenmemorandum zur Nürnberger Deklaration in der sie feststellten, dass die serbischen Generäle ohne Rücksicht auf die Genfer Konvention für eine Zusammenarbeit mit den Deutschen plädiert hätten, um freigelassen und nach Hause geschickt zu werden. Dieses Gegenmemorandum wurde auf Französisch übersetzt und dem Roten Kreuz ausgehändigt. Durch diese Aktion und durch den Druck des Roten Kreuzes gelang es den Offizieren in Osnabrück, einen Vorsitzenden aus den eigenen Reihen wählen zu lassen: den slowenischen General Vjekoslav Kolb, ein Anhänger der slowenischen Befreiungsfront.

Der Maler, Schriftsteller und Kunsthistoriker Oto Bihalji-Merin (1904 – 1993) war bereits in angesehener und bekannter Intellektueller, als er im OFLAG in Osnabrück landete. Bis 1932 hatte er als Redakteur einer Zeitschrift des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Deutschlands in Berlin gearbeitet und 1933 in Paris ein Institut zur Erforschung des Faschismus gegründet. Der ehemalige Pilot der jugoslawischen Luftwaffe hatte bei der Befreiung eines KZ-Häftlings aus Dachau geholfen und drei Jahre im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft. 1938 initiierte er in London eine Gegenausstellung zur Münchner Ausstellung Entartete Kunst unter dem Titel 20th Century German Art. Es entging sowohl der Gestapo als auch den Abwehroffizieren des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht im OFLAG VI C, welchen bekannten und Propagandaminister Goebbels besonders verhassten Gegner des NS-Regimes sie in ihren Händen hatten. Im Lager war Bihalji-Merin der Kopf des Widerstands.

Dass es den gefangenen Offizieren unter seiner Führung gelang, die Anwendung der Genfer Konvention im Lager durchzusetzen, bedeutete, dass sie entsprechend ihrem Rang behandelt wurden, ihre Uniformen weiter tragen konnten und keine Zwangsarbeit leisten mussten wie etwa die russischen Kriegsgefangenen in der Stadt.  Die Anwendung der Genfer Konvention bewahrte auch die jüdischen Gefangenen im Lager aufgrund ihres militärischen Status als Offiziere vor der sicheren Hinrichtung. Das sogenannte „Wunder von Osnabrück“ war kein Wunder, sondern das Ergebnis des politischen Widerstands im Lager unter der Führung von Oto Bihalji-Merin, dem Kopf der progressiven antifaschistischen Kräfte im Lager, der selber aus einer jüdischen Familie stammte.

Das antifaschistische Engagement im Lager stand auf einer breiten Basis. Dazu gehörten alle Bewohner der beiden von Juden bewohnten Baracken. Sie gehörten zum antifaschistischen Rat im Lager, der in der zweiten Hälfte des Jahres 1943 gegründet wurde. Aufgenommen wurden „alle ehrlichen Patrioten und Antifaschisten“. Auch der Rabbiner gehörte dem Rat an. Bemerkenswert ist der Austausch zwischen religiösen und politisch engagierten atheistischen Juden, zu dem es in dem engen Raum des Lagers kam. Asaria berichtet über politische Diskussionen über Kommunismus und Zionismus mit Bihalji-Merin, bei denen sie sehr unterschiedlicher Meinung waren. Josip Presburger, ein wichtiger Chronist des Lagers, stellte fest, dass Offiziere im Lager trotz intensiver politischer Arbeit auch über ihre jüdische Identität nachdachten, und einige zu dem Schluss kamen, dass es keine Unvereinbarkeit zwischen der Akzeptanz der Idee des Sozialismus oder der Mitgliedschaft in einer kommunistischen Organisation und dem Bewusstsein der jüdischen Identität oder der Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde gebe.


Im Lager: die kulturelle Avantgarde des zerschlagenen Jugoslawiens

Im Lager OFLAG VI C befand sich nicht nur die militärische Elite des zerschlagenen Jugoslawiens. Unter den Offizieren und mehr als hundert Generälen waren etliche Künstler und Intellektuelle, darunter Wissenschaftler und Professoren diverser Universitäten, Politiker, Rechtsanwälte, Richter, Journalisten und die kulturelle Avantgarde des zerschlagenen Jugoslawiens: Schauspieler, Maler und Schriftsteller, Surrealisten, Expressionisten, Kunsthistoriker und Literaturtheoretiker.

Die Gefangenen nutzten die Zeit, um sich fortzubilden. Sie organisierten Sprachkurse für sieben verschiedene Sprachen, darunter auch Hebräisch, berufliche Fortbildungen für Anwälte, Apotheker, Historiker, Ingenieure und Veterinäre. „Der Wissensdurst war riesig. Im Vergleich zu den Nichtjuden war die Teilnahme der Juden an den Kursen überaus groß“, erinnerte sich Rabbiner Asaria. Im Lager wurde viel gelernt, gelesen und geschrieben. Man konnte sogar vor einem Ausschuss sein Abitur ablegen. An einer Art „Volkshochschule“ im Lager wurden Vorträge über Wissenschaft und Kunst gehalten. Es gab Theateraufführungen, eine Kabarett- und Orchestergruppe und einen Chor. Die Sportler unter den Gefangenen organisierten Turniere unter den fünf Fußballmannschaften im Lager. Speziell Zimmer Nummer 7 der Baracke 37 war bekannt für die konstruktiven Ideen, die dort entwickelt wurden.

Baracke 37, Zentrum des Widerstands im Lager. Foto: Jüdisches Museum, BelgradBaracke 37, Zentrum des Widerstands im Lager. Foto: Jüdisches Museum, Belgrad

Das Zimmer Nummer 7 in der von jüdischen Offizieren bewohnen Baracke 37 war das konspirative Zentrum der illegalen Arbeit. Aufgrund der Genfer Konvention konnten die Gefangenen über das Rote Kreuz Pakete von ihren Familien bekommen, in denen sie  Medikamente, Zigaretten und Konserven erhielten. Das half, die schlechte Verpflegung im Lager aufzubessern. Wer ein Paket bekam, musste einen Teil abgeben, der von einer Selbsthilfeorganisation an die Gefangenen verteilt wurde, die nie Pakete erhielten. Die Widerstandsgruppe konnte im Tausch gegen Kaffee und Zigaretten aus den Rotkreuz-Paketen aber auch Waffen beschaffen, um sich bei einem erhofften Aufstand der Bevölkerung gegen Hitler zu beteiligen, zu dem es nie kam. Es gelang sogar, ein Maschinengewehr zu beschaffen. Man bastelte ein Radio und besorgte gefälschte Dokumente, Pässe und illegale Literatur und organisierte die  Flucht von Bihalji-Merin, der aber an der französischen Grenze wieder gefasst wurde.

Doch die jüdischen Gefangenen bekamen bald keine Pakete mehr von Verwandten. Von denen gab es keinerlei Lebenszeichen mehr. Briefe von Nachbarn in der Heimat berichteten ihnen schließlich, dass alle jüdischen Menschen verschleppt worden waren, wohin, wusste niemand. Von neu eintreffenden Gefangenen hörten sie dann 1944 von den Gräueltaten in den Konzentrationslagern Sajmiste bei Belgrad und Jasenovac auf dem Gebiet des unabhängigen Staats Kroatien, in denen die jüdische Bevölkerung Jugoslawiens erschossen und seit 1942 auch vergast wurde


Die letzte jüdische Gemeinde in Deutschland

Unter den Gefangenen waren drei Priester und ein Militärrabbiner. Im Osnabrücker Lager gab es bereits 200 Juden, als mit dem Transport aus Nürnberg 200 weitere eintrafen. Sie bilden keine einheitliche Gemeinde. Im Lager gibt es Aschkenasim und Sephardim, religiöse Juden, Atheisten und Zionisten. Auch den jüdischen Gefangenen wurde nach der Genfer Konventionen gestattet, ihre Religion auszuüben. Der Rabbiner lieh sich dafür das Gewand des serbischen Priesters im Lager aus, als Gebetsschal diente anfangs ein Handtuch. Nur ein Drittel der 450 Juden im  Lager waren praktizierende Juden, die an der wöchentlichen Schabbatfeier der „Heiligen Jüdischen Gemeinde des OFLAG VI C“ teilnahmen. Als Professor Árpád Lebl (Löbl), ein Veteran der jugoslawischen kommunistischen Bewegung, gebeten wurde, einen Vortrag über Juden und Zionismus zu halten, sagte er, dass er überhaupt nicht wisse, was es heiße, ein Jude zu sein, obwohl er eine jüdische Mutter habe. Er sei einfach ein Mensch wie alle anderen. Weil die jüdischen Offiziere fürchteten, mit dem täglich stattfindenden Gottesdienst nicht nur die deutschen Wachen, sondern auch die Mitgefangenen zu provozieren, wurde der Gottesdienst nach kurzer Zeit vom Innenhof des Lagers in das Innere einer der Baracken verlegt.

Der Rabbiner musste der Kommandantur seine Predigt zur Genehmigung vorlegen. Bei einer dieser Gelegenheiten wurde ihm gedroht, er werde „als Rohmaterial für Seife enden“. Auch unter den Jugoslawen im Lager gab es Antisemitismus. Als sich die ohnehin spärlichen Essensrationen verschlechterten, hieß es, die Juden seien schuld. An den Baracken tauchten Schilder mit der Aufschrift: „Juden Eintritt verboten“ auf, Flugblätter mit antisemitischem Inhalt wurden öffentlich aufgehängt, schließlich die als Bethaus genutzte Baracke verwüstet. Lagerkommandant Blümel erteilte über Radiolautsprecher den Befehl, dass Gefangene keinen Kontakt zu jüdischen Offizieren haben dürfen und er die Teilnahme von Juden am Kulturleben im Lager als Provokation betrachten und die  Nürnberger Gesetze auf sie anwenden würde. Auch der jugoslawische Lagerälteste verbot den nichtjüdischen Generälen, die Baracken der jüdischen Offiziere zu besuchen.


Lager D: Ein Straflager im Kriegsgefangenenlager

Anhänger der mit den  Deutschen kollaborierenden serbischen Nedić-Regierung, die in die Heimat zurückkehren durften, um sich den mit Deutschland verbündeten Einheiten anzuschließen, beschwerten sich nach ihrer Freilassung über „jüdisch-kommunistische Propaganda im Kriegsgefangenenlager Osnabrück“.  Nedić verlangte daraufhin, „dass alle diese jüdischen und links eingestellten Elemente von den gesunden und nationalen Kriegsgefangenen abgeschieden und vollkommen gesondert und getrennt im Lager untergebracht werden“. Lagerkommandant Major Ernst Blümel verlegte daraufhin ein Jahr nach ihrer Ankunft in Osnabrück  alle jüdischen Offiziere und 400 Antifaschisten, die zu einem nicht unerheblichen Anteil auch jüdisch waren, Mitte Juni 1943 in einen besonderen Teil des Lagers, das Sonderlager D.  Die Parole hieß: „Kommunisten und Juden zusammen!“ Der deutsche Abwehroffizier Herringhaus hatte einen Spionagedienst von jugoslawischen Verrätern im Lagern organisiert, mit deren Hilfe der Kommandant eine Kartei mit den Namen von Anhängern der antifaschistischen Volksbefreiungsbewegung im Lager angefertigt hatte, die er als „Kommunist“ oder „Sowjet“ bezeichnete. Das Straflager D umfasste vier Baracken mit den Nummern 35, 36, 37 und 38.

Für die bis zu 6.000 Menschen, die hier jahrelang hinter Stacheldraht eingesperrt und ihrer Freiheit beraubt waren, war das Leben im Lager äußerst bedrückend. In den Baracken war es kalt, denn es gab keine Heizung und nicht genug Decken und die Ernährung war unzureichend. Es gab zwar Ärzte im Lager, aber kaum Medikamente. So starben 103 Offiziere an Lungenentzündung, Tuberkulose und anderen Krankheiten. Trotz aller von den Gefangenen organisierten Aktivitäten gab es viele Fälle von Depressionen und es kam zu etlichen Suiziden. Obwohl es den Offizieren im OFLAG VI C besser ging als in den meisten anderen Lagern, entsprach ihre Behandlung auch keineswegs in jeder Hinsicht der Genfer Konvention. Zu den Verstößen gehörte insbesondere die Isolation und wesentlich schlechtere Behandlung jüdischer und antifaschistischer Häftlinge. Zudem gab Major Blümel den Wachen die Befugnis, nach eigenem Ermessen bei geringsten Verstößen gegen seine Befehle auf die Gefangenen  zu schießen, was zu Verletzten und mehreren Todesfällen führte. Die Verstöße gegen die Genfer Konvention im Lager waren so gravierend, dass er und zwei seiner Offiziere nach dem Krieg in Belgrad vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt wurden, ein weiterer zu zwanzig Jahren Haft.


Abtransport zur Ermordung

Im August 1944 wurden 387 jüdische Offiziere zusammen mit  480 progressiven Antifaschisten, insgesamt 867 Personen, aus dem Osnabrücker Lager abtransportiert. Die Juden waren aufs höchste beunruhigt, als sie sich eines Tages plötzlich nackt ausziehen mussten. Es folgte eine Leibesvisitation und man nahem ihnen den letzten persönlichen Besitz ab,  zerriss Fotos und Briefe. Als man sie zum Abtransport auf den Eversburger Bahnhof brachte, dachten alle für einen Moment, dass sie jetzt liquidiert würden. Beim Besteigen der Viehwaggons wurden sie mit Handschellen gefesselt und ihnen wurde endgültig klar, dass die bisher zumindest zum Teil beachteten Regeln der Genfer Konvention für sie nicht mehr galten. Auf der Fahrt nach Straßburg an die Westgrenze des Reichs entgingen sie mehrmals nur knapp einem Bombenangriff. Ein SS-Offizier, der dem Transport auf dem Bahnhof in Worms begegnete, interessierte sich für ihre Schädel zum Zweck der „Rassenforschung“. In Straßburg blieben die Gefangenen nur wenige Tage. Zvi Asaria schreibt: „Der Befehl war, alle Juden zu erschießen, wie wir es später erfuhren.“ Doch der deutsche General führte den Befehl nicht aus. Er sei einer von denen gewesen, die Mensch geblieben seien, so Asaria. Beim Heranrücken von General Pattons Armee wurden die Gefangenen nach 13 Tagen nach Barkenbrügge in Pommern in das Stalag 351 verlegt.


Bomben auf das Lager

In Barkenbrügge verschlechterten sich die Bedingungen. Es herrschte große Kälte, und es gab noch weniger zu Essen als bisher. Aus den verlausten Bunkern in Straßburg hatten alle unwillkommene Begleiter mitgebracht. Währenddessen ereignete sich im Osnabrücker Lager eine Katastrophe. Am Abend des 6. Dezember 1944 griffen britische Kampfflugzeuge das Lager Eversheide in der Annahme an, dass es sich um eine Wehrmachtskaserne handele. Bisher glaubten die Offiziere, dass das Lager vor den Bombenangriffen der Alliierten sicher sei. Das dachten auch die deutschen Frauen aus der Nachbarschaft des Lagers, die mit ihren Kindern bei Bombenalarm an den Zaun des Lagers flüchteten. Doch der Schutz endete, als die deutsche Luftabwehr ihre FLAK in der Nähe des Lagers positionierte. Damit wurde das Kriegsgefangenenlager zum Ziel alliierter Luftangriffe. Schutzbauten gab es nur für die Wachmannschaften. Die Gefangenen waren den Bomben schutzlos ausgeliefert. Als zwischen zwei Baracken eine Bombe einschlug, gingen die Gebäude aus Kiefernholz sofort in Flammen auf. 116 Männer starben sofort, 128 wurden schwer verwundet und starben zum Teil später an ihren Verletzungen. Anwohner berichteten von grausamen Bildern. Sie sahen, wie brennende Leichen im Lagerzaun hingen. Die Toten wurden auf dem Eversburger Friedhof begraben. Die Bedingungen im Lager verschlechterten sich aufgrund der Bombenschäden gravierend, es gab kein elektrisches Licht und kein fließendes Wasser mehr.

Kurz vor Kriegsende sollte die letzte größere jüdische Gemeinschaft in Deutschland im allerletzten Moment doch noch liquidiert werden. Das Komitee im Lager Barkenbrügge erfuhr von einem antifaschistisch eingestellten deutschen Unteroffizier, der in der Kommandantur arbeitete, von einer Liste mit den Namen von 200 kommunistischen Offizieren und denen aller Juden, insgesamt ungefähr 600 Personen, die der Gestapo übergeben werden sollte.  Das Komitee der Widerstandsgruppe beschloss daraufhin, den Ausbruch aus dem Lager vorzubereiten und einen Tunnel zu graben, der direkt unter dem nächsten Wachturm herauskommen würde. Doch die rasche Entwicklung der Ereignisse machte diesen Plan unnötig, denn die schnelle Offensive der Roten Armee verhinderte, dass die Liquidation stattfand. Am 29. Februar wurde das Lager Barkenbrügge evakuiert und die Offiziere auf den Marsch in das dreißig Kilometer entfernte Oflag II D in Gross-Born geschickt.

Oto Bihalji-Merin und zwei Mitglieder der Widerstandsbewegung aus dem OFLAG VI C verhinderten dort den Tod der 867 Offiziere aus dem OFLAG VI C durch ein friendly fire. Gerade noch rechtzeitig nahmen sie Kontakt mit Offizieren der polnischen Armee auf, die nicht ahnten, dass sich im Lager auf dem Hügel vor ihnen nicht die deutsche Wehrmacht befand, sondern jugoslawische Offiziere und Landsleute der Polen, Offiziere und Soldaten, die die sich am militärischen Aufstand der Polnischen Heimatarmee gegen die deutsche Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg in Warschau im Spätsommer 1944 beteiligt hatten. Im Lager OFLAG II D in Gross-Born waren bei der Evakuierung Ende Januar mindestens 50 polnische Überlebende des Aufstands der Heimatarmee in Warschau zurückgeblieben, die aufgrund ihrer Verwundung dem Marsch nicht gewachsen waren. Auch sie verdankten jüdischen Offizieren mit Kriegserfahrung wie Oto Bihalji-Merin ihr Leben.


Sammelpunkt für Menschen ohne Heimat

Einen Monat später wurde Ende März 1945 das OFLAG VI C in Osnabrück aufgelöst und die Offiziere in Richtung Bremen in Marsch gesetzt. Bei der Evakuierung kamen in der Nähe von Ostercappeln zwölf Offiziere bei einem Angriff britischer Flieger ums Leben. Im ehemaligen Kriegsgefangenenlager in Osnabrück wurden sogenannte Displaced Persons untergebracht, Menschen, die aufgrund  der Kriegsereignisse nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten. Dazu gehörten auch die königstreuen jugoslawischem Offiziere. 4.000 Kriegsgefangene aus dem Osnabrücker Lager kehrten nach Jugoslawien zurück, etwa 1.000 blieben zunächst in Deutschland, weil sie nicht in ihre jetzt kommunistische Heimat zurückkehren und ihrem exilierten König die Treue halten wollten, der dem ehemaligen Osnabrücker Lager am 27. September 1947 einen Besuch abstattete. Manche wanderten später in die USA und andere Länder aus. Etliche von ihnen aber entschlossen sich, in Osnabrück zu bleiben, und holten mit der Zeit Frauen und Kinder nach oder heirateten Frauen aus Osnabrück. Sie wurden hier heimisch und errichteten die serbisch-orthodoxe Kirche an der Wersener Straße, die manchmal für eine Synagoge gehalten wird.

Ab 1950 wurde das Lagegelände des ehemaligen OFLAG VI C von der britischen Armee genutzt und in Quebec-Barracks umbenannt. Als die Briten 2008 aus Osnabrück abzogen, wurde das Gelände von der Bundesanstalt für Immobilien (BIMA) übernommen und im Rahmen der Konversion zum Verkauf angeboten. Nachkommen der ehemaligen Kriegsgefangenen und politisch engagierte Osnabrücker setzten sich nach dem Abzug der britischen Streitkräfte für den Erhalt der historischen Stätte ein, die die Keimzelle der jugoslawischen Community in Osnabrück war. Sie gründeten Anfang 2010 den Verein Baracke 35 Atter-Osnabrück e.V. (Förderverein Antikriegskultur & Friedenshandeln). Dabei waren auch der Gründer des Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums Professor Tilman Westphalen und der Calmeyer-Forscher Peter Niebaum. Sie setzen sich dafür ein, das ganze Ensemble des Lagers zu erhalten, „eine Forderung, die bei den Stadtoberen nicht gut ankam, denn die wollten einen möglichst großen Teil der Kasernenfläche als Wohngebiet ausweisen“, wie die Neue Osnabrücker Zeitung damals berichtete. Auch als es 2011 nur noch um den Erhalt von vier vom Verein vorgeschlagenen Baracken am Rande des Geländes ging, regte sich im Kulturausschuss keine Hand. Man konnte sich gerade mal dazu durchringen, an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zu appellieren, die denkmalgeschützte Baracke Nr. 35 mit einer 2000 qm großen Parzelle für zwei Jahre aus der Vermarktung herauszulassen. Diese Baracke ist nicht mit der Baracke 35 im ehemaligen Lager D identisch, sondern wurde von den Wachmannschaften des Lagers genutzt. Wie beim Engagement von BürgerInnen für das Haus in der Herderstraße 22 hieß es damals im Rat, dass die Stadt schon genug  Erinnerungsstätten habe.


Drei Männer, die fast 1.000 Leben retteten

Wie herausragend die Geschichte des OFLAG VI C angesichts der vielen prominenten Jugoslawen ist, die hier interniert waren, scheint in der Stadt bis heute nicht erkannt worden zu sein. Das mag auch daran liegen, dass die umfangreiche Literatur über das Lager wie die autobiographischen Erinnerungen von Oto Bihalji-Merin bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Dabei wäre allein die Tatsache, dass sich in dem Lager jahrelang ein Teil der kulturellen Elite Jugoslawiens aufhielt, Grund genug gewesen, vor Ort an diese spannende Geschichte zu erinnern. Sie war dank des 1975 erschienenen Buches von Zvi Asaria „Wir sind Zeugen“ schon lange bekannt, das immerhin von der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung herausgegeben wurde. Auf einem Gruppenporträt im Lager ist Ljubomir Popovic zu sehen, ein in Bosnien geborener surrealistischer Maler. Im Lager waren auch der Dichter und Übersetzer Stanislav Vinaver, einer der Hauptrepräsentanten der serbischen und kroatischen Avantgarde und ein führendes Mitglieder der expressionistischen Bewegung, der Surrealist und Journalist Dusan Duda Timotijevic, der Schriftsteller und Literaturkritiker Milan Bogdanovic, der Maler und Illustrator Mosa (Moshe) Mevorah, der Musikprofessor und bekannte Jazz-Musiker Rafael Blam oder Professor Árpád Lebl (Löbl), ein Forscher der Arbeiterbewegung und der Agrarfrage. Die bekannte englische Novellistin und Journalistin in Rebecca West, die 1946 als Berichterstatterin für den Daily Telegraph an den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen teilnahm, schickte Vinaver, dem Helden eines ihrer Romane, durch das Rote Kreuz Pakete mit Lebensmitteln nach Osnabrück.

Auch die Widerstandsbewegung in der Baracke 37 hat einen Stellenwert, der bisher in Osnabrück nicht erkannt wurde – nicht nur aufgrund ihrer erfolgreichen Aktivität bei der Beschaffung von Informationen und Waffen. Der Widerstand, der hier von Antifaschisten geleistet wurde und für das Überleben einer jüdischen Gemeinde inmitten des Holocaust sorgte, ist einmalig, weil er erfolgreich war, so erfolgreich, dass er in den letzten Kriegstagen fast eintausend Menschen das Leben rettete:  867 jugoslawischen Offizieren, darunter 387 Juden, und mindestens 50 polnischen Teilnehmern am Aufstand der Heimatarmee in Warschau. Die politisch aktiven, selber teilweise jüdischen Antifaschisten sicherten durch ihren Einsatz zugleich die Existenz der letzten praktizierenden jüdischen Religionsgemeinschaft in Deutschland, der „Heiligen Gemeinde  von Osnabrück ‚Oflag VI C’“, wie ihr Rabbiner Zvi Asaria, der spätere Landesrabbiner von Niedersachsen, sie nannte.

Oto Bihalji-Merin im OFALG VI C, gemalt von Moša (Moshe) Mevorah. Jüdisches Museum Belgrad

Dieser Widerstand stand mit Oto Bihalji-Merin unter der Leitung einer faszinierenden Persönlichkeit, dessen Leben einem Roman gleicht, und der auch für die deutsche Geschichte wichtig ist, ganz besonders auch für Osnabrück. Der Maler Merin studierte zusammen mit Felix Nussbaum in Berlin und verlegte in den 1920er Jahren als erster die Bücher von Erich Maria Remarque auf Jugoslawisch. Am Ende war es die militärische Kompetenz des ehemaligen Piloten der jugoslawischen Luftwaffe, die den 867 jüdischen und progressiven antifaschistischen Offizieren und polnischen Überlebenden des Warschauer Aufstands das Leben rettete. Bihalji war befreundet mit intellektuellen Größen der Zeit wie Johannes R. Becher, Bertolt Brecht,  Anna Seghers, Thomas Mann und William Faulkner. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und auch in Deutschland verbreitet. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen das poetische Reisebuch „Jugoslawien, kleines Land zwischen den Welten“ sowie die illustrierten Essay-Bände „Abenteuer der modernen Kunst“ und „Bild und Imagination“.

Das alles wurde in der politischen Debatte um den Erhalt der Baracken in Atter nicht thematisiert. Erst der vom Verein eingeschaltete Denkmalschutz in Osnabrück stellte fest, dass alle Bauten, die aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stammen, „einen geschichtlichen Zeugniswert für die Vorgänge dieser Zeit besitzen“. Auch die Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten hielt 22 Baracken für schützenswert. Die Universität veranstaltete 2012 eine internationale Tagung zur Lagergesellschaft des Oflag VI C in Osnabrück als Spiegel der serbischen, deutschen und jüdischen Geschichte mit Wissenschaftlern aus Israel und Serbien. Christoph Rass, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück, stellte fest, das Lager verdiene einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Stadt.

Dennoch wurden bis auf zwei alle Baracken abgerissen. Baracke 34, in der sich das Baubüro befindet, soll am Ende der Bauphase auch noch verschwinden. Dabei hätte erst ein Ensemble von mehreren Baracken den Lagercharakter deutlich machen können. Insbesondere die vier Baracken des historisch bedeutsamen Sonderlagers D hätten aufgrund ihrer einzigartigen Geschichte niemals zerstört werden dürfen, sondern zu einer Gedenkstätte werden müssen. Und während man in der Stadt jährlich mit Gedenkveranstaltungen an die Zerstörung der Synagoge in der Rolandstraße erinnert, wurde die Baracke, die zwei Jahre lang als Synagoge im Lager diente, als es schon lange keine anderen jüdischen Gotteshäuser in Deutschland mehr gab, ohne Rücksicht auf ihre Geschichte unwiederbringlich zerstört. Das erinnert an die Israelitische Elementarschule in der Rolandstraße, die die Pogromnacht überlebte, um dann in den 1960er Jahren abgerissen zu werden. Sie diente für die wenigen Überlebenden und jüdischen Displaced Persons, die es nach Osnabrück verschlug, nach dem Krieg jahrelang als provisorische Synagoge – wie die Baracke im Lager. Ein weiteres Mal fehlte es anscheinend an Bewusstsein für den Stellenwert eines ehemaligen jüdischen Bethauses in Osnabrück – dem letzten während der NS-Zeit in Deutschland.


Geschichten aus dem Krieg , die auch heute noch Relevanz haben

Die meisten OsnabrückerInnen haben bis heute keine Ahnung, welche spannende Geschichte dieser Ort hat. Das ehemalige Kriegsgefangenenlager ist ein Teil der Geschichte Osnabrücks, der außer von einigen Engagierten bisher nicht gesehen wird. Das hat auch mit seiner Lage etwas außerhalb des Zentrums zu tun. Dabei scheint BesucherInnen, die aus größeren Städten nach Osnabrück kommen, die 25minütge Fahrt mit der M2 nach Atter keineswegs weit, wie der Regisseur der diesjährigen Spieltriebe, Demjan Duran, bei seinem Besuch feststellte.

Dem engagierten Verein geht es darum, die eigene Geschichte nicht nur der serbischen Community, sondern der Stadt sichtbar zu machen. Die Baracke 35 eignet sich hervorragend dafür, ein Begegnungsort zu sein, dem man wie ein Museum besuchen und dabei Geschichten erfahren kann, die auch heute noch Relevanz haben, auch im Hinblick auf den einzigartigen Widerstand, der hier im Lager geleistet wurde. Über eine dieser Geschichten hat die Osnabrücker Rundschau in einem Artikel über Ženja  Kozinski berichtet, der für die Widerstandsbewegung im Lager sein Leben opferte und ohne den die Rettung von fast 1.000 Menschen nicht möglich gewesen wäre.

Der Verein Baracke 35 hat seit Jahren das getan, was eigentlich die Aufgabe einer Gedenkstätte ist: Die Betreuung von Überlebenden, die Sammlung und Bewahrung von Überresten und Zeugnissen sowie deren Erforschung. Seit 2021 gibt es eine Dauerausstellung zur Geschichte des Lagers in der Baracke. Der Verein wünscht sich aber schon seit seiner Gründung mehr einen Lernort als eine Gedenkstätte. Iljana Miloradović hat sich entschlossen, das Engagement ihres Vaters Petar fortzuführen, damit auch die künftigen Generationen erfahren, was im Zweiten Weltkrieg an der Landwehrstraße geschah. Sie sagt, das sei wichtig in einer Zeit, in der das Thema Krieg leider wieder aktuell ist.

Doch auf dem Gelände der Baracken, in denen Menschen jahrelang litten, werden Menschen wohnen, die nichts von ihrer Geschichte wissen. Schon jetzt steht hier ein riesiger Supermarkt für das künftige Wohngebiet, auf dem historisch interessantesten Teil des Lagers, dem Straflager D, eine Montessori-Schule. Ohne das Engagement des Vereins wäre überhaupt keine Spur vom größten Kriegsgefangenenlager für Offiziere in Norddeutschland und einem  wichtigen Teil der deutschen und der Stadtgeschichte geblieben. Doch der Verein hat nur begrenzte Möglichkeiten, die Geschichte des Lagers zugänglich zu machen. Die Stadt hatte in der Vergangenheit immer Angst vor den Folgekosten eines Engagements für das ehemalige Lager. Nicht aus der Geschichte zu lernen, verursacht aber viel größere Folgekosten, wie man jeden Tag in den Nachrichten sieht.

Eine gute Gelegenheit, sich selber einen Eindruck zu verschaffen, gibt es für OsnabrückerInnen, wenn die Baracke zu einem Aufführungsort der Spieltriebe auf der Roten Route 2 des Balkan Express  wird. In einem dokumentarischen Theaterprojekt begibt sich der Regisseur Demjan Duran auf Spurensuche. Wie haben die Menschen dort gelebt? Welche Verknüpfungen gibt es in die Gegenwart? Das deutsch-serbische Rechercheprojekt ist in Zusammenarbeit mit dem Verein der Baracke 35 und den Nachfahren der Kriegsgefangenen entstanden.

Aufführungstermine sind

Fr. 30. Mai 2025
Sa. 31. Mai 2025
Sa. 07. Juni 2025
So. 08. Juni 2025

Der Verein Baracke 35 würde sich übrigens über Erinnerungsstücke aus der Zeit des Lagers freuen, die es vielleicht noch auf Dachböden von Atter oder Eversburger Häusern gibt. Kontakt: Lilli Penno (Tel: 05407 / 30569), E-Mail: info@baracke35.org




In dem Podcast der Osnabrücker Rundschau mit Sören Hage blicken beide Gäste auf die bewegte Vergangenheit der Baracke 35 im Osnabrücker Landwehrviertel und das ehemalige dortige Offizierslager. Gleichzeitig geht es um die heutige Bedeutung dieses Ortes, aktuelle Pläne und Projekte, aber auch Forderungen an die Stadt.

Iljana Miloradovic
Iljana Miloradovic ist Schauspielerin und Filmemacherin. Seit Kurzem ist sie außerdem Vorsitzende des Vereins „Baracke 35 Atter-Osnabrück e.V.“, der als Förderverein für Antikriegskultur und Friedenshandeln gilt und Anfang 2010 als gemeinnütziger Verein gegründet wurde.

Iljana Miloradovic hat den Vorsitz von ihrem Vater Petar Miloradović übernommen, der zu Beginn des Jahres verstorben ist und sich zuvor lange für Frieden und Völkerverständigung engagiert hat.

Demjan Duran

Demjan Duran wurde 1991 in Prijepolje, Jugoslawien, geboren und wuchs in Frankfurt/M. auf. Er schloss sein Regiestudium für Musiktheater- und Schauspiel an der Theaterakademie August Everding in München ab. Im Zentrum seiner Regiearbeiten steht die Auseinandersetzung mit seinem Geburtsland Jugoslawien. Anhand des Forschens in der Vergangenheit übersetzt er Themen ins Hier und Jetzt und diskutiert sie in einem aktuellen gesamtgesellschaftlichen Kontext. Im Mai inszeniert er am Theater Osnabrück im Rahmen des Festivals „Spieltriebe“ das Stück „Baracke 35“, das sowohl Bezüge zum ehemaligen Jugoslawien als auch zu Osnabrück im 2. Weltkrieg und bis heute hat.

Folge3
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