Montag, 24. Juni 2024

„Gute Bilanz schafft Energie zum Weitermachen“

Ratsmehrheit GRÜNE/SPD/Volt präsentiert Halbzeitbilanz

Eine CDU-Oberbürgermeisterin als Chefin der Stadtverwaltung: Kann da eine anders orientierte, grün-rot-violette Ratsmehrheit überhaupt eigene, sozial-ökologische Akzente setzen? Sie kann! In einer Medienkonferenz am letzten Freitag bewiesen Grünen-Fraktionsvorsitzender Volker Bajus und Susanne Hambürger dos Reis, Fraktionsvorsitzende der SPD, das dies sehr konkret funktioniert. Zwei eng beschriebene Seiten und zahlreiche mündliche Erläuterungen belegten eine umfangreiche ehrenamtliche Ratstätigkeit, die auch in den nächsten zweieinhalb Jahren zielgerichtet fortgesetzt werden soll.

„Trotz sehr schwieriger Rahmenbedingungen ziehen wir nach gut zweieinhalb Jahren eine positive Bilanz. Wir haben bei allen wichtigen Fragen einen sinnvollen Kompromiss gesucht. Die Herausforderungen der letzten Jahre unter Corona, der Energiekrise und dem unsäglichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wurden gemeinsam gut bewältigt. So ist es auch gelungen, das wirtschaftlich ins Schlingern geratene Klinikum und die Stadtwerke zu stabilisieren“, hatten die beiden Vorsitzenden bereits in ihrem Vorwort zur vorgelegten Halbzeitbilanz formuliert.

In der Aussprache der Medienkonferenz wurde kaum ein zentrales Thema ausgespart: Schaffung von Wohnraum, Schul- und Bildungspolitik, Verkehrspolitik bis hin zur Stadtökologie und dem gemeinsamen Kampf gegen Rechtsextremismus wurden von der Ratsmehrheit als Handlungsfelder angenommen und bereits wichtige Pflöcke gesetzt.


Neuer Wohnraum

Seitdem eine frühere CDU-Ratsmehrheit – damals völlig ohne Not – anno 2002 die frühere Osnabrücker Wohnungsbaugesellschaft, in deren Wohneinheiten rund 10.000 Menschen lebten, zu einem Niedrigpreis an profitorientierte Unternehmen verkauft hatte, ist eine Menge geschehen. Erfolgreich hatten SPD und Grüne – gegen vehementen Widerstand von CDU wie FDP – vor Jahren ein Bürgervotum initiiert, um jetzt endlich wieder eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft aufbauen können. Jene firmiert seitdem unter dem Namen „Wohnen in Osnabrück“ (WiO). Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums sehen Grüne, SPD und Volt mit diesem neuen Element, aber auch darüber hinaus weiter als zentrale sozialpolitische Herausforderung.

„Die Wohnraumversorgung ist allerorten in Deutschland schlecht. Deswegen haben wir viel darangesetzt, dass wir die WiO so schnell wie möglich gründen konnten. Der größte Teil der Wohnungen des ersten WiO-Projektes in der Eversheide ist bereits bewohnt. Das zweite Großprojekt der WiO entsteht im Landwehrviertel. Von besonderer Bedeutung ist uns die soziale Durchmischung und das familiäre Miteinander im Quartier“, erläuterte Hambürger dos Reis, die auch Aufsichtsratsvorsitzende der WiO ist.

Man habe zudem Planungsreife für viele neue Bauflächen schaffen können. Auch das Johannisquartier, das Lok-Viertel und das Magnum-Gelände seien auf einem guten Weg. Hier müsse aber noch deutlich mehr passieren. „Mit der neuen Landesbauordnung, die SPD und GRÜNEN im Landtag durchgebracht haben, wird jetzt Bauen auch in Osnabrück einfacher, schneller und günstiger“, ergänzt die SPD-Politikerin.

Aber nicht nur auf den Neubau will sich die Ratsmehrheit konzentrieren. „Wir brauchen beispielsweise ein wesentlich besseres Leerstandsmanagement mit Übergangslösungen“, stellte Bajus fest. „Zusätzlich benötigen wir mehr Grün und Begegnungsräume für Menschen.“


ÖPNV und Neumarkt

Dass auch der Ratsmehrheit aufgrund der schwierigen Finanzlage und der mangelhaften Personalausstattung für den Busverkehr Grenzen gesetzt sind, verschwiegen beide Gesprächspartner nicht. Bajus lag es aber am Herzen, eine zentrale Zukunftsaufgabe zu konkretisieren: „Die Zukunft des ÖPNV liegt in der Vernetzung in die Region hinein. Dass die vormals Osnabrücker Gesellschaft ‚PlanOS‘ jetzt auch für das Umland zusztändig ist, ist ein großer Erfolg. Mein Traum ist hier, dass der gesamte ÖPNV in regionaler Trägerschaft organisiert wird“, umriss Bajus eine Zukunftsaufgabe.

Beim zukünftigen ÖPNV-Zukunftsnetz, das nach dem „Neumarktfrieden“ aller großen Ratsfraktionen mit dem gesperrten Neumarkt zu tun hat, muss nach Auffassung von Hambürger dos Reis „auch über die bessere Einbeziehung von Randgebieten, dies wiederum unter breiter Hinzuziehung von Expertenwissen, diskutiert werden.“

Für die SPD-Sprecherin, die eingestand, vor Jahrzehnten über die damalige „Planungszelle Neumarkt“ persönlich zur Kommunalpolitik gekommen war, war beim Neumarkt auch noch ein weiterer Punkt sehr wichtig: „Wir müssen auch in diesem Bereich Geschosswohnungsbau mit grünen Oasen kombinieren.“ Bei den künftigen Johannishöfen, unter anderem auf dem Areal des grünen Kachelhauses und des früheren Ypso-Gebäudes, sind beide optimistisch, dass vom Rat der entsprechende Bebauungsplan noch in diesem Jahr beschlossen werden kann.

Heftige Kritik übten beide Fraktionsvertreter an Personalentscheidungen der Stadtspitze. Deutlich wurde dies am Beispiel der Entlassung des bisherigen Leiters des Mobilitätsangebots der Stadtwerke und ÖPNV-Strategen Werner Linnenbrink. „Ich halte diese Entlassung für einen schweren Fehler“, so Bajus. „Herr Linnebrink stand für viel Sachverstand, den wir vor allem für die künftige Regionalisierung des ÖPNV dringend gebraucht hätten.“


Schul- und Bildungspolitik

Dass Elternteile aufgrund fehlender KiTa-Plätze nicht so, wie gewünscht, arbeiten können, galt lange als ein riesiges Problem. Doch es gibt, dank Ratsmehrheit, auch aktuelle Erfolgsmeldungen. „Wir haben immerhin – in absoluten Zahlen – bei den Kita-Plätzen nach 20 Jahren eine Vollversorgung geschafft. Um Eltern und Kinder auch in Randzeiten gut zu versorgen, ist es allerdings auch künftig wichtig, mehr neue pädagogische Kräfte berufsbegleitend auszubilden. Dafür bietet das frisch novellierte Kita-Gesetz des Landes zusätzliche Möglichkeiten. Die Abschaffung der Elternbeiträge zum Kindergartenjahr 2026/2027 bleibt unser erklärtes Ziel. Bei der Schulsanierung und dem Neubau haben wir viel erreicht und mit einem riesigen Bildungspaket von 250 Millionen Euro noch einiges vor“, erläuterten Bajus und Hambürger dos Reis auf Basis ihres Bilanzpapiers.

Die Schulsanierungen zahlten schließlich auch auf den Klimaschutz ein. Für die sehr ehrgeizigen Klimaziele der Stadt sei erst in der jüngsten Ratssitzung mit dem Vorreiterkonzept ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen worden. Gegen die Verneiner des Klimawandels müsse deutlich der Grundsatz „Klimaschutz ist Menschenschutz“ formuliert werden.


Soziale Herausforderungen und Mentoring-Programme

Die Ratsmehrheit will keineswegs die Augen vor immensen sozialen Problemen verschließen. Deshalb will man die Lage von Kindern und Jugendlichen, insbesondere der armutsgefährdeten, verbessern. „Von Armut ist fast jedes vierte Kind in der Stadt betroffen. Diese brauchen mehr gezielte Unterstützung und wir müssen uns auch auf kommunaler Ebene fragen, wie der Bildungserfolg von Kindern mit schlechteren Startchancen noch deutlich wahrscheinlicher gemacht werden kann.  Darüber hinaus kümmern wir uns am Runden Tisch Wohnungslosigkeit, der von uns als Mehrheitsgruppe gegen die Stimmen der CDU und der OB gegründet wurde, um die Belange von Menschen am Rande unserer Gesellschaft. Wir müssen die Demokratie verteidigen, Engagement fördern und uns gegen alles wehren, was unsere Stadtgesellschaft spalten will. Ein besonderes Herzensanliegen ist uns daher auch die Förderung von Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte in der Kommunalpolitik. Das ist nicht nur Aufgabe der Parteien, hier ist auch die Stadt gefragt, im nächsten Jahr wieder Mentoringprogramme anzubieten“, so Hambürger dos Reis.

Der SPD-Sprecherin war es wichtig, auch die schwächsten Glieder der Stadtgesellschaft bei der Wohnraumversorgung nicht aus dem Blick zu nehmen: „Jedes vierte Kind leidet unter Kinderarmut. Hier zeigen die aktuellen Einschnitte beim Ostbunker, wie zentral wichtig beispielsweise ein Quartiersmanagement ist. Außerdem bleibt die Zunahme der Wohn- und Obdachlosigkeit ein riesiges Problem. Zusammen mit der guten Kooperation mit dem SKM muss dieses Thema in den nächsten zweieinhalb Jahren ein zentrales Thema für städtische Sozialarbeit bilden.“


Investitionsstau und prekäre Lage der städtischen Finanzen

Mit Sorge sehen beide die immensen Investitionsbedarfe für die weitere Sanierung von Schulen und Kitas, dem Theater und auch der Bremer Brücke. Die finanzielle Handlungsfähigkeit zu erhalten, werde nicht einfacher. Die Förderprogramme von Bund, Land und EU müssten dafür konsequent genutzt werden. „Ein Schwerpunkt unserer Arbeit bleibt die Belebung der Innenstadt als sozialer Mittelpunkt unserer Stadt. Das Citymanagement der Marketing Osnabrück leistet wertvolle Arbeit. Der Adolf-Reichwein-Platz, der Schlossgarten, der Ledenhof und auch der Platz vor der VHS sind oder werden aktuell saniert. Der Haarmannsbrunnen mit dem Herrenteichswall, eine deutlich verkehrsberuhigte Domsfreiheit sowie die Flächen an der Johannis- und der Dominikanerkirche bieten weitere Möglichkeiten der Aufwertung. Die Zukunft des ÖPNV liegt in der Region, deshalb werden wir mit dem Zukunftsnetz ein gutes und verlässliches Busnetz in Stadt und Landkreis schaffen, das die Erreichbarkeit der Innenstadt sichert“, blickt Bajus voraus.


Radverkehr und sozial-ökologische Verkehrspolitik

Den Radverkehr habe man sichtbar vorangebracht. „Wir haben in kurzer Zeit gute Lösungen für die Sicherheit der Radelnden gefunden und dazu noch weitere Fahrradstraßen eingerichtet. Es muss aber noch deutlich mehr passieren. Eltern dürfen nicht mehr Angst um ihre Kinder haben, wenn diese mit dem Rad unterwegs sind“, erläutert Bajus. Mit der Verkehrswende solle es auch am Neumarkt vorangehen, wenn dieser endlich, so wie am Domhof, vom Durchgangsverkehr entlastet werde.


Stadtökologie

Nicht nur bei den Zielsetzungen zur kommunalen Wärmeplanung bietet das bundesweite Festhalten von FDP und Unionsparteien an der grundgesetzlich festgelegten Schuldenbremse ein zentrales Problem. „Allein kommunale Fernwärmekonzepte, die wir dringend brauchen“, so Bajus, „gehen schon über die Milliardengrenze hinaus. Solange SPD und Grüne zur Veränderung der Schuldengrenze keine Mehrheit besitzen, besteht hier weiter, auch energiepolitisch, ein riesiges Hemmnis“, brachte es Bajus auf den Punkt.

Kommunal sind dagegen auch positive Wege vorgezeichnet: „Die kommunale Wärmeplanung ist auf dem Weg und wird die Konzepte liefern, wie die Stadtteile und Quartiere klimaneutral mit Wärme versorgt werden können. Wir haben zudem die Grünen Finger konkret definiert, damit geschützt und über das integrierte Stadtentwicklungsprogramm STEP sensible Flächen aus den Bauprogrammen genommen. In den nächsten Jahren werden wir noch mehr für die Begrünung in der Stadt tun. Mit dem Stadtbaum- und dem Freiraumentwicklungskonzept ,Urbaner Freiraum im (Klima-)Wandel‘ sind die Grundlagen geschaffen. Jeder Baum und jede Grünfläche schützt uns vor Hitzetagen und dient als Wasserspeicher“, so Bajus.

Viel habe man gemeinsam im Rat, in den Fachausschüssen und mit einer engagierten Verwaltung umsetzen oder auf den Weg bringen können.


Ja zu Bremer Brücke und Theater

Der Refrain der VfL-Vereinshymne bedeutet auch für die Mitglieder der Ratsmehrheit eine feste Verpflichtung. „Wir sind alle ein Stück VfL Osnabrück. Deshalb muss der Stadionstandort Bremer Brücke unbedingt erhalten bleiben. Das gilt ebenso für das Theater“, drückte Bajus die einvernehmliche Grundhaltung der Ratsmehrheit aus. Seine Kollegin Hambürger dos Reis pflichtete ihm hier ausdrücklich bei.


Verhältnis zur CDU-Oberbürgermeisterin und zur CDU-Ratsopposition

Nicht wenige hätten nach der Wahl eine gegenseitige Blockade der grün-rot-lilanen Mehrheit und der CDU-Oberbürgermeisterin erwartet. Wie man sehe, sei es bislang anders gekommen. Allerdings seien mittlerweile auch zunehmend Differenzen sichtbar. Allerdings zeichneten sich immer wieder Konflikte, insbesondere mit der hiesigen CDU-Fraktion, ab. „Ausgerechnet bei der Kultur versucht sich die CDU gegen uns zu profilieren. Das hat die Kultur nicht verdient, denn sie braucht politische Unterstützung, um sich in Freiheit zu entfalten. Wenn die CDU die Kunsthalle zum Spielball parteipolitischer Ränke benutzt, bleibt die Kreativität auf der Strecke“, machen die Fraktionsvorsitzenden deutlich. „Es geht hier um Kunstfreiheit“, ergänzte die SPD-Sprecherin.


Chancen für das Engagement – gemeinsam gegen rechts

Beim Kampf gegen das Erstarken der AfD und anderer Rechtskräfte ist, so Bajus, noch stärker als zuvor „ein Schulterschluss“ vonnöten. Hambürger dos Reis sieht dabei auch eine wichtige Funktion ihrer SPD: „Wir sind unverändert die wichtigste Partei für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir müssen den Menschen jetzt umso mehr zeigen, dass wir Ziele auch vor Ort konkret umsetzen. Wir glauben weiterhin an die Kraft der Argumente und der Vernunft.“

Bajus ergänzte dies mit dem Hinweis, dass es immer mehr Mitwirkungs- und Informationsmöglichkeiten gebe: „Allein durch neue Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, vor allem durch die netzbedingte Einsicht in Ratsunterlagen wie Bebauungspläne gibt es viel mehr Informationsmöglichkeiten als früher. Die sollten genutzt werden.“


Impulssetzungen und die Stärkung des Ehrenamts

„Wir werden weiter verlässlicher Partner für die Menschen sein und als Impulsgeber im Rat auftreten“, versprach Bajus. „Eine gute Bilanz schafft Energie zum Weitermachen“, betonte er, abschließend auf den vorgestellten Überblick schauend, im Einvernehmen mit seiner SPD-Kollegin.

Angesichts nicht verschwiegener Probleme wie des Anwachsens der AfD oder der Politikverdrossenheit lag es Susanne Hambürger dos Reis abschließend am Herzen, die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements hervorzuheben: „Wir stellen uns hier den Themen, aber die Menschen müssen wissen, dass wir dies alles in einem herausfordernden Ehrenamt tun. Natürlich füllen wir dies gern aus, weil und Osnabrück am Herzen liegt. Wir werben gern und jederzeit offensiv dafür, sich – unabhängig von der demokratischen Zugehörigkeit – aktiv und breit an kommunalpolitischen Aktivitäten zu beteiligen.“

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