Donnerstag, 20. Juni 2024

Ist es Talkshow-Masochismus?

 

Markus Lanz: Bekenntnisse eines Hypnoseopfers

Kennt ihr auch dieses Fernsehgefühl? Eigentlich will ich zu später Stunde ins Bett. Doch dann flimmert mir Markus Lanz aus dem Bildschirm entgegen. Ist es Hypnose? Ich gucke! Erst nach der Sendung werde ich mich wieder fragen: Warum habe ich mir diesen Verlust an Lebenszeit eigentlich angetan? Das Allerschlimmste: Am nächsten Abend gucke ich wieder. Ist es Talkshow-Masochismus? Zumindest stoppt mein Einschlafbedürfnis, weil so viel Wut auf gruseligen Journalismus hochkommt.

Das Strickmuster ist jedes Mal exakt so wie gewohnt: Wer auf dem „Grillsessel“ rechts neben Lanz sitzt, darf ständig unterbrochen, völlig fehlinterpretiert und beschimpft werden. Die Claqueure der Restrunde dürfen fleißig mitprügeln. Falls sie das nicht tun, fordert Lanz sie herzerfrischend dazu auf.  Besonders rabiat wird es immer, sobald Lanz sich nach vorne beugt, blinzelnd auf den Grillsessel blickt, den Kopf schüttelt und hastig an seinem Schlips rupft.

Andere Mitglieder der Runde werden in der Restzeit, zwecks Wachstums ihrer Bankkonten, für „hervorragende“ Bücher gelobt – die Lanz angeblich alle gelesen hat. Außerdem dürfen einschlägige Medienleute von FAZ bis Welt ihren Senf unkommentiert beisteuern, um für ihre neoliberalen und konservativen Kampfblätter zu werben. Am Donnerstag war es der unvermeidliche Michael Bröcker von „Table Media“, ansonsten enger Mitarbeiter des cholerischen Rotgrün-Hassers und Rechtsaußen Gabor Steingart. Bröcker selbst ist Verfasser von Büchern über so sympathische Menschen wie Philipp Rösler (FDP, ehemals Vizekanzler, heute Multi-Lobbyist) oder Jens Spahn (CDU-Haudrauf).


Esken im Grillsessel

Ein besonders dankbares Opfer im Grillsessel war am Donnerstagabend die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Bei ihr kommt erschwerend hinzu, dass sie Frau und auch noch eine typische Schwäbin ist, die sich deshalb für Restdeutsche eigenartig anhört. Auch fehlt ihr der eine oder andere Rhetorik-Kurs. Dies hätte ihr aber bei Lanz auch nichts genutzt. Das Frage-Strickmuster von ihm, der sich zuvor immer ungemein freut, dass alle da sind, verläuft stets nach dem gleichen Muster: Man baue Pappkameraden auf, die man dann heldenhaft umhaut und dabei stets so tut, als wäre man „Volkes Stimme“.

Der Verfasser dieser Zeilen hat schlichtweg keine Lust, Saskia Esken zu folgen, die sich trotz dauernder Zwischenrufe redlich und tapfer darum bemüht hat, irgendwie doch mit ihren sachlichen Aussagen gehört zu werden. Ich baue stattdessen mal ein fiktives Streitgespräch auf, das die Methode Lanz widerspiegelt. Etwa wie folgt.

Markus Lanz, Saskia Esken - Foto: ZDF/Cornelia LehmannMarkus Lanz, Saskia Esken - Foto: ZDF/Cornelia Lehmann

Eine fiktive Runde bei Markus Lanz

Lanz: Frau Esken, bewegt sich eigentlich bei Ihnen und in der SPD gar nichts mehr?

Esken: „Herr Lanz, gern können wir mal draußen spazieren gehen.“

Lanz: „Aber Frau Esken, haben Sie völlig vergessen, dass es auch regnen kann?“

Esken: „Spazierengehen kann doch auch schön sein.“

Lanz: „Frau Esken, was sollen nun unsere Zuschauer von Ihnen und Ihrer Partei denken? Sie schlagen jetzt im vollen Ernst vor, im Regen spazieren zu gehen? Sogar, wenn es hagelt oder sogar ein Tornado mit Hochwasser kommt. Wundert es Sie da nicht, dass Sie und die SPD niemand mehr ernst nimmt?“

Esken: „Unwetter ist nie schön. Aber Spazierengehen bei gutem Wetter kann doch auch die Gesundheit fördern.“

Lanz: „Aber Frau Esken. Ich frage Sie nochmal: Wollen Sie wirklich alle Unwetter dieser Welt in Kauf nehmen, bloß weil Sie sich stur und ideologisch in den Kopf gesetzt haben, an die Luft zu gehen? Herr Bröcker, was meinen Sie dazu?“

Bröcker: „Das ist wieder mal typisch für den absoluten Realitätsverlust der SPD. Frau Esken, in Ihrer Wolke gehen Sie nur an die Luft. In Wahrheit tun Sie alles dafür, dass die Leute Sie bald endlich an die Luft setzen.“

Esken: „Ich weiß doch, was schlechtes Wetter bedeutet. Ich habe aber auch schon gutes Wetter erlebt, oft sogar.“

Lanz: „Frau Esken: Meinen Sie es jetzt wirklich im Ernst, dass die SPD auch noch schönes Wetter machen kann? Das glaubt Ihnen doch auch keiner! Gibt es bei Ihnen nicht einen völligen Realitätsverlust?“

Bröcker: „Sie, Frau Esken, reden hier von schönem Wetter. In Süddeutschland sind alle Keller vollgelaufen. In der früheren SPD hätte es zumindest die konservativen Kanalarbeiter gegeben, heute Seeheimer Kreis, die Sie gewarnt hätten. Die haben Sie mit Ihrer linken Ideologie aber an den Rand gedrängt.“

Esken: „Uns tun die Leute doch leid, wenn ihre Keller volllaufen und die Flüsse über die Ufer treten. Wir geben da auch viel Geld. Aber für einige Hilfsprogramme sind auch Länder und Kommunen zuständig.“

Lanz: „Frau Esken, ich frage Sie ein siebtes und allerletztes Mal: Was sollen die Zuschauer hier denn von Ihnen und Ihrer Partei denken? Sehenden Auges spazieren Sie in eine Unwetterkatastrophe? Und alle Verantwortung schieben Sie wieder mal allein auf andere? Ich habe gelesen, dass Sie in Wahrheit nicht einmal das Seepferdchen haben.“

Esken: „Ich kann doch schwimmen. Aber ich habe eben nur vom Spazierengehen gesprochen.“

Lanz: „Liebe Frau Esken. Sehen Sie, Sie schwimmen hier tatsächlich. Ich denke, unsere Zuschauer konnten sich jetzt ein gutes Bild von Ihnen und Ihrer Partei machen. Aber trotzdem schönen Dank! Hat mich wirklich sehr gefreut, mit ihnen all das zu diskutieren. Hat viel Spaß gemacht. Das sollten wir unbedingt fortsetzen. Unsere Sendezeit ist aber knapp. Herr Bröcker, Themenwechsel. Sie haben da ein wirklich tolles Buch geschrieben, ….“

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