Montag, 20. Mai 2024

Mit Vollgas ins Gestern

Das „neue“ CDU-Grundsatzprogramm:
Bollwerk gegen sozialen und ökologischen Fortschritt

Auf dem am Montag beginnenden CDU-Parteitag soll in Berlin ein neues Grundsatzprogramm beschlossen werden. Es ist das vierte seit der Parteigründung 1945. Erst im Oktober 1978 hatte die CDU das erste Grundsatzprogramm verabschiedet. Weitere Programme dieser Art folgten 1994 und 2007. Überschrieben ist das neue mit der Headline „In Freiheit leben. Deutschland sicher in die Zukunft führen“. Derartige Dokumente sind sehr ernst zu nehmen. Im Gegensatz zu Wahlprogrammen umfassen Grundsatzprogramme Ziele, die ideologisch-weltanschaulich begründet werden und weit länger als eine Wahlperiode die „Visitenkarte“ einer Partei darstellen. 72 Seiten bilden in diesem Fall, auf den allerersten Blick, eine wohlklingende Lektüre, in der es von scheinbar gutmeinenden Visionen nur so wimmelt. In Wahrheit gibt es knallharte Kursänderungen und aus der Muffecke geholte Ladenhüter, die einen brachialen Politikwechsel präsentieren.


Wohlgesetzte Passagen in schwarzer Wortkunst

Einstimmig hat der Entwurf bereits am 15. Januar den Parteivorstand passiert. Kein lautes Nein gab es von den CDU-Sozialausschüssen oder von kritischen Menschen aus der Parteiprominenz. Liegt das allein an der Parteidisziplin – oder an der versierten Strategie, weitgehende Selbstverständlichkeiten dermaßen in wohlgesetzte Sätze zu verpacken, dass echte Knackpunkte nur sehr mühsam auffallen? Hier gibt es den kompletten Text zu lesen.

Gehen wir dieser schwarzen „Wortkunst“ einmal nach. Mit wohlgesetzten Passagen wird zunächst das christliche Menschenbild, die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit, die Beschreibung christlich-sozialer, liberaler und konservativer Wurzeln, natürlich auch das Selbstverständnis als Volkspartei beschrieben. Zielsetzungen wie „Ein Land, das frei und sicher ist“, eine positive Rolle in der Welt, Passagen über Völkerrecht und Menschenrechte überraschen auch in fleißig integrierten Details ebenso wenig wie ein Bekenntnis zur Bundeswehr sowie eine Politik für „Europa in Frieden und Freiheit“. Eine „Gesellschaft, die zusammenhält und Chancen eröffnet“ offenbart ebenfalls in weiten Zügen unspektakuläre Zielsetzungen wie „weltoffenen Patriotismus“, Förderung des Ehrenamts, ein Ja zu Inklusion, Integration und Familien, Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit sowie Religionsfreiheit.

Dass alte CDU-Klassiker wie Heimatliebe und – wieder mal – die deutsche „Leitkultur“, nach der sich Zugewanderte ausrichten sollen, wenn sie bleiben wollen, mit Eloquenz fortentwickelt werden, war lange angesagt und überrascht ebenso wenig wie der Schulterschluss mit der organisierten Landwirtschaft. Etliche Zielsetzungen zu Sport, Ausbildung und Bildung sowie Wissenschaftsfreiheit überraschen ebenfalls wenig. Erfreulich ist ein Bekenntnis zur Erinnerungskultur, zu Medienfreiheit und Debattenkultur. Ein weiterer Fortschritt gegenüber früheren Programmen bleibt die zarte Herausstellung nachhaltiger Politik.

Abgeschlossen wird der visionär-konservative Themenkatalog mit Bemerkungen zum Stadt- und Landleben sowie Mobilität, um am Ende zum Lieblingsthema „Wie wir den Staat denken“ zu gelangen. Am Ende darf Programmchef Carsten Linnemann dort final seine – zumeist gänzlich unbestrittenen – Lieblingsthemen „Digitalisierung“, „Entbürokratisierung“ und „Verfahrensbeschleunigung“ zelebrieren.


Konflikte werden wortreich verpackt

Unübersehbar ist: Eine Merz-Linnemann-CDU, die derzeit, so scheint es, vor Kraft kaum gehen kann, bereitet sich systematisch auf die Regierungsübernahme vor. Deshalb erscheint es sinnvoll, bestimmte Knackpunkte im Originalton zu benennen. Jene verbergen sich vor allem in den Bereichen Wirtschaft, Arbeit, Finanzen, Sozialstaat, Migration, Alterssicherung und Gesundheit. Beginnen wir mit dem Unions-Ladenhüter „Leitkultur“. Im Entwurf heißt es unter anderem:

„Mut zur Leitkultur! (…) Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen. (…) Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden.“

Wer vor allem die tagesaktuelle Unionspolitik verfolgt, entdeckt hier weit mehr als das völlig selbstverständliche Einfordern der Grundgesetztreue. Vor allem Unions-Hardliner sind bekanntlich schnurstracks dabei, Kultur-Events, religiöse Feste, mediale Aussagen und vor allem Demonstrationen schnurstracks mit Kriminalisierung und Ausweisungs-Hammer zu begegnen. Weiter heißt es bei der Festschreibung restriktiver Migrationspolitik:

„Kinder mit Förderbedarf wollen wir zur Teilnahme an einem vorschulischen Programm in einer Kindertagesstätte, einem Kindergarten oder einer Vorschule verpflichten.“

Dies mag sozial wie pädagogisch sinnvoll sein. Nur: Warum soll die KiTa-Pflicht dann nicht gleich für alle Kleinen gelten? Warum nicht auch für Kinder aus privilegierten Familien und  aus dem Bildungsbürgertum? Nur so klappt Integration für alle, weil Kinder auch von Kindern lernen.

„Leistung muss sich lohnen! Wir brauchen eine Agenda für die Fleißigen: Wer mehr leistet, muss sich mehr leisten können. Wir werden … arbeitende Rentner steuerlich besserstellen. (…) Wer mehr arbeiten möchte als bisher, soll dazu attraktive Rahmenbedingungen vorfinden. Deshalb wollen wir Überstunden bei Vollzeitbeschäftigung steuerfrei stellen.“

Was damit gemeint ist, erleben wir derzeit in Endlos-Talkshows: Fitte, meist eh besser situierte Arbeitende sollen noch „eine Schüppe mehr“ im ohnehin nicht kleinen Geldbeutel haben, weil sie unbesteuerte Überstunden abreißen. Freuen dürfen sich Pensions- oder Rentenbezieher in meist geistig-kreativen Berufen,  die zeitlebens arbeiten konnten, ohne ihre Gesundheit zu ruinieren. Menschen in der Produktion, beim Bau, in KiTas, im Paketdienst bis hin zur Pflege, wo Leute am Limit arbeiten, werden sich ausgeschlossen fühlen. Sie alle werden kaum vom „Brutto gleich Netto“ profitieren, weil sie in der Regel schon froh sein können, das Rentenalter zu erreichen.

„Wer arbeiten kann, soll arbeiten! (…) Wer Sozialleistung erhält und arbeiten kann, der soll arbeiten. Der Grundsatz Fördern und Fordern muss immer gelten.“

Damit dürfte das Ende sinnvoller Qualifizierungsmaßnahmen als Alternative zu stupiden Jobs eingeläutet sein, die bislang mit Heils Bürgergeld möglich waren. Mit ihrer, über das Grundsatzprogramm hinausgehenden tagesaktuellen Forderung, Bürgergeld für sogenannte Arbeitsverweigerer dauerhaft auf Null zu setzen, haben sich Merz und Linnemann mittlerweile selbst enttarnt. Sogar ein Massenmörder, der im Zuchthaus Nahrung und medizinische Betreuung erhält, stünde sich besser als jenes Unions-Feindbild des „faulen“ Fürsorgeempfängers (in Wahrheit weit unter 1% der Bürgergeld-Empfänger), der, auf Null gesetzt, verhungern darf oder heftig klauen muss.

„Wir wollen die gesetzliche Rente durch eine verpflichtende kapitalgedeckte Altersvorsorge ergänzen.“

Dies bedeutet nichts anderes als zusätzliche, Geringverdiener besonders belastenden Zwangsabgaben, die in irgendwelche Kapitalfonds fließen. Finanzakrobat Carsten Maschmeyer, Riesenprofiteur der Riester-Rente, darf sich die Hände reiben. Während die gesetzliche Rente bislang einen krisenfesten Grundstock bildete, soll nun mit einem guten Teil der Abgaben gezockt werden. Wenn es schlecht läuft, wäre alles weg.

„Wir können zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten.“

Aha. Dank Merkel hatten wir gehofft, die hochsubventionierten tickenden Atombomben mit ungelöster Endlagerung seien bei uns Vergangenheit. Nun soll ein Revival eingeläutet werden.

„Sie unterscheidet uns … von sozialistischem, nationalistischem und völkischem Denken, das dem ideologisch begründeten Kollektiv den Vorrang vor den einzelnen Menschen gibt.“

Oje. Sozialistisches Denken, wie es beispielsweise seit 1863 in der Sozialdemokratie programmatisch verortet ist, ist nach CDU-Lesart rechtsextremem Denken gleichgesetzt. Motto: Der Feind steht links! Kurzum: Wiederauferstehung eines Denkens aus dem Kalten Krieg.

„Die Bundeswehr muss bei Bedarf auch im Inland eingesetzt werden dürfen. Bereits heute sieht das Grundgesetz vor, dass die Bundeswehr für bestimmte Aufgaben auch im Landesinneren herangezogen werden kann. Der Rahmen ist jedoch zu eng definiert.“

Soldaten als Ersatz-Polizei? Die 68er-Debatte um Notstandsgesetze, mit denen CDU-Regierungen in den 60ern die Bundeswehr im Notfall auch gegen Streikende einsetzen wollten, wird aus der alten Munitionskiste geholt.

„Rechtsextremismus und Linksextremismus dürfen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. (…) Wir treten jeglicher Verharmlosung entschieden entgegen und bekämpfen jede Form des Extremismus mit voller Härte.“

Hier sind nicht Begriffe entscheidend, sondern das, was die Union beispielsweise unter „Linksextremismus“ versteht. Viele in der CDU zählen auch Linkspartei wie Jusos dazu. Drohen wieder alte Kampfmaßnahmen wie Berufsverbote?

„Frontex muss eine echte Grenzpolizei und Küstenwache mit hoheitlichen Befugnissen werden.“

Eine Organisation wie Frontex, die Geflüchtete aktuell liebend gern in lybische Straflager deportiert, statt ihnen menschenwürdig zu helfen, soll also veredelt werden.

„Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen.“

Dies ist eine der brutalsten Formulierungen des Programmentwurfs. Menschen aus Bürgerkriegen oder politisch Verfolgte, die eine gewisse Zahl überschreiten, erhalten danach keinen Schutz mehr und werden abgeschoben. „Drittstaaten“, zumeist Staaten ohne grundlegende Menschenrechte, sollen künftig jeden aufnehmen, der „in Europa Asyl beantragt“. Das bisherige Grundrecht auf Asyl wäre brutal – und mit unzähligen Opfern in der Folge -völlig liquidiert. Brutal ausgedrückt: eine Null-Asyl-Strategie.

„Das Konzept eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres soll auch den Streitkräften unseres Landes zugutekommen.“

Dieses Lieblingsprojekt von Merz und Linnemann bedeutet nichts anderes als eine Rückkehr zu Wehr- und Zivildienst. In den Schulen darf man sich auf etliche Jugendoffiziere einstellen, die für den Waffendienst trommeln.

„Auch die nukleare Teilhabe als wichtiges Element der nuklearen Abschreckung soll mit unseren europäischen Partnern wie Frankreich und dem Vereinigten Königreich zu einem gemeinsamen atomaren Schutzschirm weiterentwickelt werden.“

Mit anderen Worten: Auch die Bundeswehr wird zum festen Glied der Atombewaffnung. Früher hatten selbst CDU-Menschen eingestanden, dass Atomkriege das Ende der Menschheit bedeuten können. Jetzt soll Deutschland mitmischen.

„Wir wollen eine verantwortungsvolle Finanzpolitik in Europa. Eine Schulden- und Haftungsunion lehnen wir kategorisch ab. (…) Weitere Ziele sind die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion, die Weiterentwicklung der europäischen Fiskalregeln im Sinne einer vorsorgenden Haushaltspolitik, die konsequente Sanktionierung von Verstößen gegen die Stabilitätskriterien und die Einführung von Insolvenzverfahren für Mitgliedstaaten. Die Europäische Zentralbank muss unabhängig bleiben. Eine Weiterentwicklung des einmaligen europäischen Wiederaufbaufonds zu einer Transferunion lehnen wir ab. (…) Die Fiskalregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und des Fiskalvertrages müssen weiterentwickelt werden. Dabei müssen die Maastricht-Kriterien, insbesondere die Schuldenstandsquote von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und das jährliche Defizit-Kriterium von drei Prozent des BIP, weiterhin für alle Mitgliedstaaten verbindlich bleiben. Damit setzen wir ein klares Signal für Haushaltsdisziplin. Eine direkte Verschuldung auf europäischer Ebene, insbesondere verbunden mit einer gesamtschuldnerischen Haftung, lehnen wir ab.“

Diese Leitsätze beschreiben eine Politik, mit der bereits ein CDU-Minister Schäuble alle Reste des Sozialstaats im damals links regierten Griechenland liquidiert hat. Ein zusammenbrechendes Gesundheitssystem hat damals Menschenleben gekostet. Das Festschreiben einer autonomen Zentralbank ist eine Selbstentmachtung demokratischer Parlamente, Auf- und Abwertungen des Euro einzuleiten und Staatsanleihen mitzubestimmen. Die CDU formuliert eine neoliberale Kampfansage an alle europäischen Regierungen, die ihren Sozialstaat ausbauen wollen. Indirekt macht sich die Union damit für ein allein neoliberales Europa stark, in dem linke Regierungen keinen Platz mehr haben.

„Eine über Generationen hinweg vererbte doppelte Staatsbürgerschaft lehnen wir ab und sprechen uns für einen Generationenschnitt aus, der spätestens bei der Enkelgeneration ansetzt.“

Im Klartext bedeutet dies die Abwendung einer Integrationspolitik, die in anderen Einwanderungsländern völlig normal praktiziert wird. Im Extremfall dürfen Hunderttausende hier geborener junger Menschen in Staaten „remigriert“ werden, deren Sprache sie nicht einmal sprechen.

„Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“

Vor der seitens der Antragskommission formulierten Änderung hatte es noch geheißen: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“ Entscheidend ist hier, was die Union darunter versteht, wenn ihres Erachtens jemand „unsere Werte nicht teilt“. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass zuweilen selbst Kapitalismuskritik als verfassungsfeindlich gegeißelt wurde.

„Sprache ist der Schlüssel zu unserer Gesellschaft. (…) Daher setzen wir auf verpflichtende Sprachkurse.“

Abgesehen davon, dass Anbietende von Sprachkursen aktuell dem Riesenbedarf gar nicht nachkommen können, wäre eine solche Extremformulierung ein Riesenhemmnis, beispielsweise Geflüchtete schnellstmöglich in Arbeit zu bringen.

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sich auf seinen Kernauftrag konzentrieren. Ihm kommt in einer freiheitlich verfassten, pluralistischen Demokratie eine besondere Verantwortung zu, die er besser wahrnehmen muss.“

Verbirgt sich hier ein Frontalangriff auf öffentlich-rechtliche Medien? Werden ARD und ZDF bald nur noch für abgespeckte Nachrichtensendungen da sein? Blicke nach Großbritannien, Italien oder Frankreich lassen Böses erahnen.

„Wir wollen Ungleiches ungleich behandeln auch bei einer individuellen Ressourcenzuweisung. Dazu gehört das gegliederte Schulsystem, dazu gehören auch freie und private Schulträger und dazu gehört die Begabtenförderung.“

Gesamtschulen für alle tauchen im CDU-Text nicht auf. Lehren aus PISA- und KSZE-Studien über ein überkommenes und elitäres, Sozialstrukturen reproduzierendes Bildungssystem fehlen ebenso. Die Union ackert weiter fröhlich an ihrer geliebten Elitebildung. Konservative gymnasiale Elternvertretungen und der Philologenverband reiben sich die Hände.

„Die Staatsquote muss sinken. Denn wir wissen: Vor dem Verteilen kommt das Erwirtschaften.“

Eine weiter sinkende Staatsquote, die bereits heute wesentlich weniger ausgeprägt ist als in Skandinavien oder Frankreich, entzieht dem demokratischen Staat automatisch Gestaltungsmöglichkeiten. Eine geschrumpfte Staatsquote verlagert Kompetenzen immer mehr auf die kapitalistische Privatwirtschaft. Kosten zur Finanzierung des Sozialstaats verkommen zum jederzeit abbuchbaren Girokonto der Nation.

„Familienunternehmen wollen wir in der Erbfolge nicht in der Substanz belasten und Unternehmensnachfolgen vereinfachen, damit auch die nächsten Generationen das Unternehmen weiterführen können. Eine Vermögensteuer lehnen wir ab.“

Was hier so nett familienfreundlich klingt, ist die brutale Absage an jede Belastung von Superreichen und Erben gigantischer Vermögen. Tja, ginge ja auch zu Lasten der Parteispenden.

„Die berufliche Qualifikation muss das entscheidende Kriterium für die gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften sein. Damit verhindern wir die Zuwanderung in die Sozialsysteme.“

Dies bedeutet im Klartext, die Auswahl zugewanderter Arbeitskräfte nach Gesetzen vorzunehmen, die an das althergebrachte Fühlen von Muskeln beim Sklavenmarkt erinnern. Bereits heute dahinsiechenden Volkswirtschaften der Welt werden die gut ausgebildeten Menschen entzogen. Und Deutschland verschlösse sich der Notwendigkeit, beispielsweise junge Geflüchtete zu qualifizieren.

„Wenn wir unsere Rente stabil und finanzierbar halten wollen, spricht viel dafür, dass die Lebensarbeitszeit für diejenigen, die arbeiten können, steigen muss, und folglich die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung gekoppelt wird.“

Kurzum: Weiterarbeiten bis zum Umfallen. Bereits heute besitzt Deutschland eine der höchsten Ruhestandsgrenzen. Krankenschwestern und Fliesenleger, aufgepasst! Ihr dürft euren Job künftig auch noch über 70 machen. Die Union – wie auch die FDP – vergessen dabei gern, dass verrentete Menschen schon heute beliebig weiterarbeiten können.

„Wir werden das Versprechen einer Beteiligung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivkapital unseres Landes einlösen. Aus dem Land der Sparer muss ein Land der Anteilseigner werden.“

Was auf den ersten Blick toll klingt, bedeutet im Klartext eine Umwidmung von Teilen des Nettogehalts in Aktien. Verbunden mit dem Bewusstseinswandel, sich beim TV über Massenentlassungen dann zu freuen, wenn dadurch die Rendite der eigenen Kapitalanlage steigt.

„Mit der Einführung der Schuldenbremse haben wir unseren Kindern und Enkelkindern ein Versprechen für nachhaltige Finanzen gegeben.“

Jene Formulierung wird langfristig der berühmte Knackpunkt für Koalitionen werden. Hunderte von Milliarden, die bereits heute für Infrastruktur, Bildung, offiziell auch für Rüstung erforderlich sind, um nachkommenden Generationen eine Zukunft zu geben, werden angesichts bleibender Verschuldungsgrenzen zur puren Illusion. Der international verspottete, völlig einmalige „deutsche Weg“, den mittlerweile sogar Miterfinder Peer Steinbrück für „aus der Zeit gefallen“ empfindet, wird munter fortgesetzt. Und welt die Schuldengrenze dogmatisch eingehalten werden und auch Rüstungsausgaben steigen sollen, muss die Axt logischerweise im Sozialhaushalt angesetzt werden. Es droht ein Sozialabbau, den Deutschland trotz Schröders Agenda 2010 nie ansatzweise erlebt hat. Nachfolgende Generationen werden sozialstaatliche Absicherungen nur noch aus Opas Erzählungen oder aus dem Geschichtsunterricht kennen und Ältere fragen, wer ihnen damals ihre Zukunftschancen geklaut hat.

„Enteignungen und Markteingriffe wie Mietendeckel lehnen wir ab.“

Im Klartext bedeutet dies ein pures Nichtstun gegen Mietsteigerungen, die zunehmend Mieterhaushalte ruinieren. Selbst schuld, wer sich kein Wohneigentum leisten kann, scheinen die Parteiideologen zu denken.

„Für uns müssen Individualverkehr und öffentlicher Personenverkehr zusammen gedacht werden. (…) Wir stehen zum Automobil, unabhängig von der Antriebsart.“

Das Dinosaurier-System stinkender CO2-Maschinen wird im Kern nicht angegangen. Wo in etlichen anderen Staaten, selbst innerhalb der deutschen Automobilindustrie, ein Enddatum für Benziner und Dieselautos festgeschrieben wird, soll weiter munter und schnell auf das emittierende Gaspedal getreten werden.

„Das Wahlalter ist für uns gekoppelt an die Geschäftsfähigkeit und volle Strafmündigkeit junger Menschen.“

Im Klartext bedeutet dies die plumpe Verweigerung, ein Wahlrecht zum Bundestag bereits für 16-Jährige möglich zu machen. Dass sich junge Menschen hier, auch angesichts des demografischen Wandels mit überproportional vielen „Alten“, bei Wahlen gar nicht mehr ernstgenommen fühlen, scheint der Union völlig egal zu sein.

„Regierungen und Behörden müssen schlanker werden.“

Was hier so gesund klingt, ist der unverblümte Versuch, den öffentlichen Dienst und seine menschennahen Dienstleistungen weiter schrumpfen zu lassen. Bereits jetzt hinkt Deutschland den gigantisch weiter entwickelten Sozial- und Bildungsstaaten in Europa weit hinterher. Die CDU fordert schlichtweg einen Diätplan für Hungernde.

Zurück zur Adenauer-CDU? Die Partei übt sich an einer vergreisten Programmatik.
Zurück zur Adenauer-CDU? Die Partei übt sich an einer vergreisten Programmatik.

Und nun?

Was lernen wir aus dem Einblick in die christdemokratische Denkwelt? Positiv gesehen, macht sich die Union, nach den Merkel-Jahren, wieder mit einem konservativ-demokratischen Profil von linken Parteien klar unterscheidbar. Das ist angesichts der AfD-Gefahren nicht zu unterschätzen – solange die Union ihre „Brandmauer“ gegen die Ultrarechten aufrecht erhält. Zugleich verbergen sich in etlichen Formulierungen aber Frontalangriffe auf Menschenrechte wie auf den Sozialstaat. SPD und Grüne täten gut daran, einen Riesenabstand zu derartigem sozialdarwinistischem Denken zu wahren.

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