Montag, 16. September 2024

Das Debakel im Osten

Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

Es kam nicht überraschend, sondern ziemlich genau wie prognostiziert. In Thüringen ist die rechte AfD mit deutlichem Abstand zur CDU stärkste Partei geworden (32,8 zu 23,6 Prozent), das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) kam aus dem Stand auf 15,8 Prozent Die Linke verlor fast 18 Prozent und kam nur noch auf 13,1, die Grünen verpassten den Einzug ins Parlament mit nur 3,2 und die SPD kam trotz Verluste von 2,1 mit 6,1 Prozent noch hinein.

In Sachsen liegt die CDU mit 31,9 zwar noch knapp vor der AfD (30,6), aber auch hier kommt das BSW mit 11,8 Prozent sogleich in einer Stärke ins Parlament, dass das eingespielte Parteiensystem, vor allem die gerade in Berlin regierenden Ampelparteien allesamt wie gerupfte Hühner erscheinen lässt. Die Grünen schafften es mit 5,1 gerade noch, die SPD kam mit leichten Verlusten noch auf 7,3 Prozent. Die FDP landete nach ihren missratenen Ausflügen in den Autofahrerpopulismus dort, wo sie mittlerweile hingehört: im politischen Nichts. Eindeutige Gewinner, jedenfalls Zugewinner sind die AfD und das BSW. Die CDU konnte lediglich ihre starke Position behaupten.

Die Wahlen verbinden einen formalen Sieg der Demokratie in Gestalt einer erheblich gestiegenen Wahlbeteiligung mit gleichzeitiger Stärkung antidemokratischer Kräfte. Erschreckend ist vor allem die große Zustimmung gerade in der Jungwählerschaft, der bis 24 jährigen, für die AfD. In Thüringen wählten 38 Prozent, Zuwachs zur Wahl 2019 um 15 Prozent, in dieser Alterskategorie die AfD und stellen zugleich den stärksten Altersblock. Auch in Sachsen stieg in diesem Wahlsegment der Anteil im Vergleich zur letzten Landtagswahl um weitere 5 auf 18 Prozent.

Und alle Wahlanalysen zu den Motiven, den Wählerwanderungen, die Themen und Problemen, die wahlentscheidend genannt wurden, signalisieren eines mit aller Deutlichkeit: die AfD ist keine Protestpartei (mehr). Ihre Wählerschaft wählt sie nicht trotz, sondern wegen ihrer rechten Positionen. Dass dies in den Ostländern ausgeprägter als im Westen erscheint, verlangt nach anderen Erklärungen als bislang favorisiert wurden.

Als einen Versuch, diese Frage anders als üblich zu beantworten verweise ich hier auf diesen Beitrag in der Osnabrücker Rundschau.


Wer kann mit Wem?

Alle Augen richten sich nun auf die Regierungsbildung. Der relative Erfolg der CDU in ihrem einstigen Stammland Sachsen und in Thüringen als einzig verbliebene „etablierte Partei“ mit einem Wahlergebnis, mit dem man sich noch als „Volkspartei“ verstehen kann und auf Augenhöhe mit der neuen Volkspartei AfD konkurriert, steigert zwar die Chancen für die nächste Bundestagswahl das Kanzleramt, vermutlich mit Merz, zurück zu erobern, aber vorerst ist der relative Erfolg eine schwere Bürde.

Denn die CDU steht vor der selbstgesetzten staatspolitischen Herausforderung, eine Regierung bilden und führen zu müssen, die nicht nur die AfD ausschließt, sondern zugleich dem „Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linken“ einhält und nun zusätzlich auch noch das Verhältnis zu der Herausforderung „BSW“ klären muss. Sie kann von Glück reden, dass hier noch keine „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ vorliegen, obwohl die selbsternannte Partei der „Mitte“ sie durch ihren Vorsitzenden Friedrich Merz schon zugleich als links- wie rechtsradikal verortet hatte.

In Sachsen verlor die alte Koalition aus Schwarz-Rot-Grün ihre Mehrheit. Nachdem CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer im Wahlkampf im Koalitionspartner „Die Grünen“, einer allgemeinen Stimmungslage folgend, seinen und aller Sachsen Hauptgegner erkannte und beinahe erfolgreich aus dem Parlament katapultiert hatte, war das auch gewollt. Die gerade noch ins Parlament gerutschten Grünen sind für verbleibende Mehrheitsmöglichkeit nicht mehr zwingend erforderlich.

Kretschmer muss allerdings entscheiden, ob er die AfD mit dem BSW oder mit der Linken in Schach halten will. Letzteres wäre eine Verletzung eines heiliggesprochenen Bundesparteitagsbeschlusses und eine politische Kehrtwende, die der CDU mit Blick auf die Bundestagswahl mehr Problem einhandeln würde, als sie damit lösen könnte.


Das Spiel des BSW und die „Friedensfrage“

Also bleibt der CDU nur, es mit dem BSW zu versuchen. Aber das könnte in einem „alternativlosen“ Koalitionspoker extrem teuer werden. Zum einen, weil das BSW, das von der „Mitte“ zum Doppelflügel von rechts wie links gemacht, brächte das ganze Konstrukt der Mitte und der Flügel für die CDU-Wahlkampfstrategen unheilvoll durcheinander. Zum andern könnte das BSW seine komfortable Verhandlungsposition gnadenlos nutzen und die Preise in die Höhe treiben. Und das pikanterweise mit einem Thema, das mit der eigentlichen Landespolitik nichts zu tun hat, aber für Wagenknecht von elementarer Bedeutung ist: die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen auf deutschen Boden und die Waffenlieferung in die Ukraine. (siehe dazu auch diesen Beitrag)

Zwar hat Kretschmer in diesem Themenfeld schon im Wahlkampf mit seinen Rufen nach mehr Diplomatie im Ukrainekrieg reichlich vorauseilende Anpassungsleistungen in Richtung AfD geleistet, um dort (erfolglos) Stimmen einzuheimsen, die Wagenknecht nun aber als Einfallstor nutzen könnte. Was Kretschmer sich da erkühnte, reichte für die Transatlantiker der Union in Berlin eigentlich schon, um Putin-Freund zu werden.

Es ist erkennbar, dass die „Friedensfrage“ für das BSW extrem wichtig für seine Positionierung für die Bundestagswahl und hier wenig Kompromissbereitschaft zeigen wird. Worum geht es da? Für Wagenknecht ist die nächste Bundestagswahl eine außenpolitische Richtungswahl. Sie will das an die USA angelehnte transatlantische Bündnis incl. NATO beenden. Denn hier werde eine ohnehin im Umbruch befindliche Weltordnung, gekennzeichnet vom Ende der amerikanische Globalhegemonie, zu Lasten Europas und Deutschlands vor allem in einen neuen Weltmachtkonflikt mit China und damit auch mit Russland hineingetrieben, der nicht unseren Interessen entspricht und der Schlüssel dazu sei, eine Forcierung des Endes des Ukrainekrieges und ein Agreement mit Moskau.

Dass Wagenknecht damit nicht nur, aber besonders im Osten Stimmen fängt, wissen wir nun, denn zu den Problemen der Bundesländer Sachsen und Thüringen ist sie nicht mit landespolitischen Themen aufgefallen, dass sich daraus die Stimmenzahl erklären ließe. Wagenknecht hat eine im Osten ausgeprägtere Grundstimmung richtig eingeschätzt. Eine Kette von Veränderungen und Problemen, die alle an das Volk herangetragen wurden und werden, kommen alle von außen und bringen niemanden etwas ein. Es ist wie bei Trumps Anhängern, denen die Welthegemonie zu lästig und zu teuer wird. Hier ist es der Wunsch nach Ruhe, die man haben könnte, wenn man sich nicht vor den Karren der Amerikaner spannen ließe und sich einfach aus dem „Kampf um die Weltordnung“ heraushalten würde. Dann wäre auch das Elend mit den Flüchtlingen bald am Ende. Wenn man sich mit Russland einigen würde, hätte man Ruhe, keine Mittelstreckenraketen, keine zwei Prozent für Rüstung und all die Unannehmlichkeiten, die „Weltpolitik“ bis nach Asien für andere Interessen mit sich bringen.

Nicht nostalgische Russlandliebe steht hier Pate, sondern der Wunsch nach einer Insel der Seligen inmitten einer Welt des Chaos. Dass Sarah W. mit ihren Mitteln diesen Traum nicht erfüllen kann, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber Träume sind eben Träume.


Das vorzeitige Aus der Ampel?

Dass diese Wahl auch eine dramatische Absage an die Ampelkoalition in Berlin ist, liegt auf der Hand. Da es mittlerweile auch der SPD dämmert, dass sie in dem Dauerstreit ihrer Koalitionspartner nicht als Vermittler fungiert und dadurch auch nichts gewinnt, sondern im Gegenteil mit in den Abgrund gerissen wird, ohne dabei ihre eigenen untergegangenen Sozialthemen (wer spricht noch über Wohnungsbau und Mieterrecht) überhaupt noch öffentlich ins Spiel zu bringen, müsste sie eigentlich das Interesse haben, die Notbremse zu ziehen. Aber dafür bräuchte es eines anderen Kanzlers, der nicht nur den Koalitionsfrieden zugunsten der FDP sucht und den Eindruck erweckt, die Zeit arbeite bis zur Wahl für ihn, warum auch immer.

Sollte in drei Wochen in Brandenburg die SPD dort den Posten des Ministerpräsidenten verlieren, könnten die Karten auch in Berlin und im Willy-Brandt-Haus neu gemischt werden.

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