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Montag, 22. Dezember 2025

Fünf Jahre Corona-Impfstoff – fünf Jahre OR

Wie Schreiben und Kommunizieren in Corona-Zeiten funktionierte

Blicken wir zurück. Vor exakt 5 Jahren, am 21. Dezember 2020, erhielt der mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer als erster COVID-19-Impfstoff die bedingte Marktzulassung. Die erste Impfung damit erfolgte in Deutschland am 26. Dezember 2020. Die Welt schien ein wenig aus den Fugen – und entpuppte sich notgedrungen auch als Kreißsaal für Ungewöhnliches.

In allen EU-Mitgliedstaaten begann die Verteilung des Corona-Impfstoffes. Es gibt persönliche Erinnerungen, die erscheinen heute wie Momente aus einer anderen Zeit. Die Trump-Periode schien Periode zu bleiben, kein brutaler Krieg in der Ukraine oder im Gaza, die AfD dümpelte in den alten Bundesländern noch unter 10%. Madre mia, wie lang ist das gefühlt her?

Als Beitrag für die Stadtbibliotheks-Aktion „Eine Stadt schreibt ein Buch“ habe ich damals in Sätze gepackt, wie ich diese merkwürdige Zeit persönlich erlebt habe. Alles geschah im Gründungsjahr unserer OR. Ich wurde ein wenig nachdenklich, als ich mir den verstaubten Text nach Jahren wieder durchgelesen habe.  Vielleicht können Lesende das heute nachempfinden. Kurzum: Zeitmaschine, hinsetzen, auf das Display schalten und den 21. Dezember 2020 eintippen. Es folgt der Originalton.


Eigentlich wie immer – oder?

Schreiben in Corona-Zeiten. Eigentlich sollte das ja wie immer sein. Der Bildschirm ist der gleiche. Der Laptop ist unverändert, mein Arbeitszimmer eigentlich auch.

Allenfalls der Blick nach draußen auf die Straße ist irgendwie mutiert. Aber auch dies fällt nur im Detail auf. Es gibt den gleichen Asphalt. Ich gucke auf Bäume, kahl oder mit wechselndem Blätterbestand. Ich erblicke die Sonne im täglichen Versteckspiel mit Wolken – und erlebe regelmäßig Osnabrücker Schietwetter.

Nur die Leute draußen, die halb verhuscht über den Bürgersteig eilen, künden Veränderung an. Hätte ich diese Leute vor Jahren gesehen, hätte ich vermutet, der Gesetzgeber hätte das Vermummungsverbot außer Kraft gesetzt. Jetzt ist die Verschleierung bis über die Nasenspitze hinaus sogar offiziell angeordnet, zumindest dringend anempfohlen. Masken gab es früher einmal bei Überfällen, illegalen Demos oder im Karneval. Jetzt sind sie Bürgerpflicht. Komisch.

Und ich? Ich sitze vor derselben Tastatur wie immer und tippe doch andere Sätze als üblich mit meinen suchenden Zeigefingern.

Vor kurzer Zeit habe ich mit Reiner Wolf einen Sammelband zu den 70er Jahren herausgebracht. Es war der Ausflug in ein anderes, trotzdem ungemein vertrautes Universum. Wann immer ich Beiträge von anderen las und redigierte, traten nostalgische Erinnerungen, alte Freundschaften, manchmal auch längst verborgen geglaubte Freude oder schiere Wut zutage. Noch heftiger wurden solche Gefühle, sobald ich mit eigenen Beiträgen biografisch werden durfte: Schulzeit, Juso-Jahre, die persönliche Kriegsdienstverweigerung, Studium, Kampf um lange Haare und trotzig gehörte Rockmusik, Demos, alte Lieder, Witziges aus dem WG-Leben.

Ein Mensch, der sich von dieser Welt verabschiedet, so verkünden uns Weisheiten kluger Therapeuten, erlebt kurz davor noch einmal etliche Szenen seiner persönlichen Lebensgeschichte. Im Zeitraffer sozusagen. Ich erschrecke mich bei dieser Parallele. Und beschimpfe mich selbst als blödesten Panikmacher aller Zeiten. Aber es ist schon eigentümlich, in uralten, längst abgelegten, aus Dachbodenfunden hervorgekramten und damals selbst verfassten Flugblättern zu lesen. Dazu interne Papiere über heftige ideologische Dispute, Kungeleien und taktische Spielchen, Prozesse und Kampfabstimmungen, Streit um eine bessere Welt. Und draußen? Da tobt ganz aktuell Corona, ohne irgendeinen Laut zu hinterlassen.

Aber auch meine persönliche Melancholie wird zum Glück von Erlebnissen mit aktuellem Erzählwert überformt. Ich bin stolz, dass ich es technisch immer perfekter hinbekomme, Video-Konferenzen anzuberaumen oder mich in solche einzuklicken. Die vielen bewegten Köpfe, die ich vor mir auf dem Monitor betrachte, wirken auf den ersten Blick wie Porträts einer Bundesligamannschaft in Sammelalben, die ich in meiner späten Kindheit gesammelt habe. Aber es sind, im Gegensatz zu damals, zum Glück auch weibliche Köpfe darunter.

Und alle bewegen sich, oberhalb des groß geratenen Kinns ist sogar Mimik zu sichten. Manche sprechen klar und deutlich – soweit die Mikros funktionieren. Nach kurzer Zeit ist vieles wie vor Corona: Es wird diskutiert, vorgeschlagen, abgestimmt und Neues vereinbart. Winken in die Kamera und kollektives „Tschüss!“. Lehrveranstaltungen, Planungstreffen bis hin zu Vorstandssitzungen oder reine Privat-Treffen produzieren Erzählstoff wie vor Corona: „Wir haben gestern diskutiert und dies und das beschlossen. Man, war dieser XY nervig, aber die YZ hat saugute Vorschläge gemacht…“

Ein Kind langer Corona-Fantasien dürfte auch ein frisches Medienprojekt sein, bei dem ich mich eingeklinkt habe. Kalla Wefel hatte mich gefragt, ob ich mitmache. Die neue Internetplattform „Osnabrücker Rundschau“ soll Aktuelles, Literarisches, Historisches, Sport und Kultur, Kinderseiten und Wasserstandsmeldungen miteinander ins Lot bringen. Ein Kind ist da, welches den Pandemiegeist zumindest als stillen Geburtshelfer erlebte.

Alltag in Corona-Zeiten? Ja. Es geht also tatsächlich weiter. Ich muss nicht zwangsläufig meine Memoiren abschließen und krampfhaft überlegen, was ich jetzt aktuell noch alles meinen Nachfahren und meiner Nachwelt überlassen muss. Ich bleibe dann doch der Heiko, der ich bin und auch künftig sein möchte. Und als bekennender sozialistischer Visionär und überzeugter Sozialromantiker entwickle ich weiter unbegrenzt Freude an Zukunftsplanungen. Und so besitzen auch furchtbare Zeiten zuweilen ihr Gutes.

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